Im Vortrag werden einige Schwierigkeiten dargestellt, die gegen die Auflassung des Erkennens als Abbilden sprechen und zu ihrer Ablehnung führen. Der Ausgangs-punkt ist die erkenntnistheoretische Analyse des Abbild-begriffs. Das zuerst betrachtete Problem betrifft die Gleichheit zwischen der Wirklichkeit und dem Bild, das zweite den – Circulus vitiosus oder die Tautologie in der Wirklichkeitserkenntnis und das dritte – Aporien der Subjektstellung. Am Schluß wird die Frage nach dem Abbild im Kontext der Korrespondenztheorie der Wahrheit gestellt.
Das Verhältnis zwischen erkennendem Subjekt und dem Gegenstand der Erkenntnis ist ein Grundproblem der Erkenntnistheorie. Eine wichtige Rolle spielt in der Betrachtung solcher Erkenntnisbeziehung die Reihenfolge der beiden Bezugspunkte: Entweder kann man vom Gegenstand zum Subjekt gehen oder umgekehrt – vom Subjekt zum Gegenstand. Die älteste und einfachste ist eine Auffassung, die das Erkennen als das Abbilden des Gegenstands durch das Subjekt versteht. Diese Ansicht ähnelt dem alltäglichen, vorwissenschaftlichen Erkenntnisbegriff. In der Geschichte der Philosophie kann man viele Darstellungen der Abbildtheorie finden: von Leukippos und Demokrits Atomismus, von Aristoteles und Thomas von Aquins Realismus bis zu John Lockes und David Humes Empirismus. Diese Philosophen sind der Meinung, dass die Erkenntnis einen abbildenden Charakter hat: Die Wirklichkeit wird vom Subjekt im Erkennen nur nachgebildet.
In diesem Vortrag möchte ich einige – vielleicht nicht alle – Argumente darstellen, die gegen die Abbildtheorie sprechen und zu ihrer Ablehnung führen. Der Ausgangspunkt ist die erkenntnistheoretische Analyse des Abbildbegriffs. Das Ziel dieses Vortrages ist es, auf die Schwierigkeiten mit der Abbildtheorie hinzuwiesen, nicht jedoch ihre Lösungen zu finden.
Die allgemein angenommene Ansicht zum Erkenntnisbegriff setzt die folgende Aussage voraus: „Ich fasse nun auch meine Vorstellungen als ein Abbild meiner Umgebung auf, und selbstverständlich sehe ich die Umgebung als etwas auch von meinen Vorstellungen völlig Verschiedenes und Unabhängiges an“ (Rickert 1892, 44). Obwohl der Mensch unabhängig von der Umgebung ist, kann sie auf ihn paradoxerweise Einfluss ausüben, und damit die Erkenntnis überhaupt erst ermöglichen. Wie ist ein solcher Einfluss bei gleichzeitiger Erhaltung der Unabhängigkeit des Menschen von der Umgebung möglich?
Ludwig Wittgenstein hat dieser Beziehung im Tractatus Logico-Philosophicus folgenderweise aufgefasst:
„Wir machen uns Bilder der Tatsachen“ (2.1).
Diese Auffassung gründet sich auf Voraussetzungen, dass man das Bild mit der Wirklichkeit vergleichen kann und es sie abbilden soll:
Um zu erkennen, ob das Bild wahr oder falsch ist, müssen wir es mit der Wirklichkeit vergleichen” (2.223).
Wir nehmen dann an, dass wir die verschiedenen Elemente der Wirklichkeit und des Abbildes irgendwie zusammengesetzt auffassen und erkennen. Die Abbildung kann sich dann nicht auf die Elemente der Wirklichkeit beziehen, sondern das Bild muss ihre Anordnung der Tatsache abbilden. Wittgenstein zerlegt das Bild in zwei Bestandteile: a) die „Elemente des Bildes“ und (b) „seine Struktur“ (2.15). Die Bildelemente können als die materiellen Bestandteile des Bildes und die Bildstruktur als die formalen charakterisiert werden. Die grundlegende Bedeutung hat für Wittgenstein die Form:
„Was das Bild mit der Wirklichkeit gemein haben muß, um sie auf seine Art und Weise – richtig oder falsch – abbilden zu können, ist seine Form der Abbildung“ (2.17).
Das Bild muss also mit der Wirklichkeit die gemeinsame Form der Abbildung haben: Sie gibt nur die Möglichkeit für diese Kongruenz (cf. 2.151), die mathematischerweise in der Isomorphie besteht (cf. Stegmüller 1989, 542).
Diese Abbildtheorie setzt jedoch eine Gliederung unserer Erfahrungswelt in zwei nah beieinander liegende Dimensionen voraus: eine Welt der Originale und eine andere Welt, die aus ihrer Kopie besteht. Zur Welt der Originale gehören die Tatsachen, demnach sind ihre Kopien Bilder. Die Originale sind eine unerschöpfliche Quelle für alle möglichen Abbilder, also für die Kopien in unserem Bewusstsein. Der Modell der Erkenntnis für die Abbildtheorie ist ein Spiegelteleskop, das als Objektiv einen Hohlspiegel besitzt.
Die abbildende Erkenntnis besteht im Kopieren der originalen Wirklichkeit durch den Menschen. Je echter die Kopien der Dinge sind, desto richtiger, objektiver etc. ist unsere Erkenntnis der Welt. Es kann auch in Analogie zum Spiegelteleskop erläutert werden. Je deutlicher das einfallende Licht vom Hauptspiegel reflektiert wird, desto besser sind unsere Spiegelteleskope für astronomische Beobachtungen.
Wenn von uns ein Gegensatz zwischen Sein und vorstellendem Bewusstsein vorausgesetzt wir, können wir zum gewohnten Erkenntnisbegriff kommen, der annimmt, dass „wir eine an sich vorhandene Ordnung zu entdecken vermögen“, die unabhängig vom theoretischen Subjekt ist (Rickert 1892, 42). Die tatsächliche Wirklichkeit ist so ein Original, das wir in unseren Vorstellungen abbilden müssen; unsere im Bewusstsein vorgestellten Kopien werden umso objektiver, je ähnlicher sie dem Original sind: „Ein vorstellendes Erkennen bedarf einer absoluten Wirklichkeit, weil wir mit Vorstellungen nur dadurch ein vom erkennenden Subjekt Unabhängiges zu erfassen vermögen, dass sie Abbilder oder Zeichen einer Wirklichkeit sind“ (Rickert 1892, 43). Das Erkennen besteht im Imitieren der originalen Wirklichkeit; das Sein muss echt sein und sein Abbild wird immer seine Imitation bleiben.
Diese Abbildtheorie muss viele erkenntnistheoretische Schwierigkeiten überwinden. Ein erstes Problem tritt auf bei der Gleichheit zwischen der Wirklichkeit und dem Bild. Die Wirklichkeit ist verschiedenartig und bildet ein „heterogenes Kontinuum“, das heißt, eine »intensive« und »extensive« Unendlichkeit von eigenschaftlichen und relationalen Bestimmtheiten des gegebenen Materials. Das Problem besteht darin, wie das stetige und unerschöpfliche Original vom begrenzten Subjekt kopiert werden kann. Es muss auswählen, um das Erkennen aufgrund der bestimmten Prinzipien der Erkenntnis zu ordnen und zu vereinfachen.
Dieses Problem kann man auch auf Grund unseres Beispiels der Spiegelteleskope darstellen. Für die kurzen Wellenlängen der Röntgenstrahlung ist hier kein geeignetes spiegelndes Material bekannt und deshalb sind unsere astronomische Beobachtungen in diesem Spektralbereich beschränkt. In Analogie dazu kann man feststellen, dass unsere menschliche Unvollkommenheiten die Gleichheit zwischen der objektiven Wirklichkeit und ihrem Abbild ausschließen. Die Erkenntnis könnte also nicht in der vollständigen Übereinstimmung bestehen, weil sie keine totale inhaltliche Gleichheit des Bildes und der Tatsache erreichen kann.
Das zweite Argument, das als das erkenntnislogisch bezeichnet wird, hat verschiedene Varianten. Dieses Problem betrifft die Erkenntnis der Wirklichkeit des Urbildes: Wie kann man die Erkenntnis so nachbilden, dass das Original dem Subjekt als wirklich erscheint? Diese Frage kann nur so beantwortet werden, dass man die Wirklichkeit des Urbilds nicht abbilden kann: Wir können die Wirklichkeit der Originale nur voraussetzen. Unsere Voraussetzung der Abbildtheorie, dass es eine wirkliche Welt gäbe, kann man abbildtheoretisch nicht begründen (cf. Krijnen 2001, 209). Man kann in der Analogie zu unserem Beispiel der Spiegelteleskope sagen, dass wir die Wirklichkeit des einfallenden Licht von vornherein annehmen. Um wissen zu können, dass der Gegenstand der Erkenntnis wirklich ist, müssen wir schon wissen, dass das abgebildete Objekt wirklich ist. Wir haben es mit einem Circulus vitiosus oder mit der „Tautologie“ des Gedankengangs von Positivismus und Empirismus zu tun:
„Die Antwort, daß der Gegenstand dieser Wirklichkeitserkenntnis das wirkliche Tatsachenmaterial selbst sei, (...) käme auf die Tautologie hinaus, daß der Maßstab für die Form der Wirklichkeitserkenntnis das als wirklich Erkannte ist“ (Rickert 1928, 145)
Mit Tautologie ist hier so viel gemeint wie zweimal dasselbe sagen; sie wird als Stilfehler im Sinne eines Pleonasmus (wie zum Beispiel „kleiner Zwerg“) verstanden: das wirkliche Tatsachenmaterial vom Gegenstand der Wirklichkeitserkenntnis. Im streng logischen Sinne haben wir aber hier einen Zirkelschluss, der eine Art von Beweis ist, bei dem man das, was man beweisen will, schon voraussetzt: Der beweisende Schluss (S) „der Gegenstand der Wirklichkeitserkenntnis ist das wirkliche Tatsachenmaterial“ beruht auf der Voraussetzung (V1) „es gibt eine wirkliche Welt“, die durch die Annahme (V2) „der Maßstab für die Form der Wirklichkeitserkenntnis ist das als wirklich Erkannte“ zu beweisen ist. Der „Maßstab für die Form der Wirklichkeitserkenntnis“ ist selbstverständlich gleich mit dem „Gegenstand der Wirklichkeitserkenntnis“. So bedeutet auch „das wirkliche Tatsachenmaterial“ dasselbe wie „das als wirklich Erkannte“; angesichts dessen ist der Satz (V2) mit dem Satz (S) gleich zusetzen, bei dem also das zu Beweisende in der Voraussetzung enthalten ist.
Die transzendente Abbildtheorie setzt voraus, dass es die Spaltung der Realität in eine bewusste unwirkliche Welt und eine unbewusste wirkliche Welt gibt; das, wessen wir uns bewusst sein können, gehört zum unwirklichen Teil der Welt, während die wirkliche Welt der Originale, über die wir uns klar werden müssen, außerhalb unseres Bewusstseins liegt. Die Argumente gegen die vorausgesetzte transzendente nachbildende Relation zwischen dem Abgebildenden und der Wirklichkeit ist folgende:
„Es ist nicht einzusehen, wie ich zu einer solchen Ansicht hätte kommen sollen, denn ich kenne ja nur die Vorstellungswelt oder den Bewußtseinsinhalt, und ich weiß, so lange ich mich nur an mich selbst halte, weder etwas von einem abbildenden Verhältnis zu einer von ihr verschiedenen unbewußten Wirklichkeit noch etwas von dieser Wirklichkeit selbst“ (Rickert 1928, 121).
Die Erkenntnis begrenzt sich bloß auf den immanenten Bereich, das heißt, auf die Welt der Vorstellungen oder auf die Welt der Bewusstseinsinhalte. Die Transzendenz, derer man sich nicht bewusst sein kann, ist nicht erkennbar, und zwar in zwei Aspekten: (1) das Nichterkennbare ist die „Wirklichkeit“ außerhalb des Bewusstseins, und (2) das Nichterkennbare ist die Abbildrelation selbst, die zwischen der Transzendenz und der Immanenz bestehen soll. Wenn jemand die transzendente Abbildtheorie voraussetzen würde, könnte er nichts über die Erkenntnis behaupten.
Mit anderen Worten wird für die transzendente Abbildtheorie die Voraussetzung angenommen, dass das Urbild, das nachgebildet wird, „wirklich“ ist, und dass die Wirklichkeit des nachgebildeten Originals eine Garantie für die Richtigkeit des Erkennens ist. Welches ist dann das Kriterium für die Trennung der wirklichen Inhalte des Bewusstseins von den nichtwirklichen kopierten Inhalten? Es gibt keine Gründe dafür, das direkt Gegebene als wirklich anzuerkennen, weil wir es nicht als wirklich erkennen können.
Zur Liste der Argumente gegen die Abbildtheorie kann man noch ein weiteres Argument hinzufügen. Dem „naiven“ Erkenntnisbegriff, der in der Gegenüberstellung der realen Wirklichkeit und des Bildes besteht, mangelt es an anderen Grundlagen. Wenn wir das Erkennen mit dem Nachbilden identifizieren, werden das Abgebildete die Objekte der Erkenntnis. Die Erkenntnis besteht dann in der Beziehung der zwei Objekte zueinander: das originale Objekt der Abbildung und das kopierte Objekt des Bildes. In der Analogie zu unserem Beispiels der Spiegelteleskope kann man jedoch die folgende Fragen stellen: Wer ist der Beobachter? Ist er in der Erkenntnisprozesse ganz neutral?
In der Abbildtheorie ist also kein Platz mehr für das Subjekt. Das führt uns zu den folgenden Aporien: (a) Jedes erkennende Subjekt muss ein Objekt sein und, wenn wir dem Subjekt eine Position zuweisen, erhalten wir (b) eine unendliche Reihe erkennender Subjekte.
Die Erkenntnistheorie kann man nicht nur auf sich selbst begrenzen, sondern man muss auch die „Mitmenschen“ einbeziehen. Zwar weiß ich von mir selbst, dass ich Vorstellungen habe, aber ich kann erst aus der Beobachtung anderer Menschen erfahren, wie die Vorstellungen zustande kommen und was sie bedeuten: „wenn ich dabei an einen fremden Menschen in Raume denke, oder wenigstens mich selbst so betrachte, als wäre ich auch als erkennendes Subjekt ein Objekt, und zwar ein von den Gegenständen der Erkenntniss [sic!] räumlich getrennter Körper“ (Rickert 1892, 44) Wenn wir nun die erkennende Subjekte, das heißt, für uns selbst und andere Mitmenschen, als Objekte betrachten, müssten wir gleichzeitig unsere Vorstellungen in sich selbst wie die Dinge außerhalb von uns behandeln; es würde dann das principium identitatis gebrochen.
Die zweite Aporie kann man folgendermaßen darstellen:
„Es würde immer noch ein Subjekt nötig sein, um die Uebereinstimmung zu erkennen, und diese Erkenntniss könnte nicht wieder eine Vorstellung sein, weil dann eine neue Uebereinstimmung erkannt werden müsste u. s. w. bis in’s Unendliche” (Rickert 1892, 46-47; 1928, 135).
Wenn man die immanente Abbildtheorie annehmen würde, so entstünde die Objektivität und die Wahrheit erst bei Angabe der Beziehung von Vorstellungen und Wahrnehmungen; es mangelt schon wieder am Subjekt, das die Relation der Originale und der Kopie feststellen könnte. Die Abbildtheorie erklärt nicht, wie das Subjekt das Objekt erkennen kann, weil entweder das Subjekt aus dem Erkennen total beseitigt wird oder, wenn es hinzugefügt wird, zur Unendlichkeit führen muss.
Die Ablehnung der Abbildtheorie hat nicht nur Folgen für den Empirismus und ähnliche Doktrinen, sondern auch für den Wahrheitsbegriff, was im weiteren Verlauf noch dargestellt wird. Die Antwort auf die Frage, ob die Erkenntnis in der Abbildung bestehen kann, ist auch von besonderer philosophischer Bedeutung für den Wahrheitsbegriff (cf. Prauss 1988: 30). Der Zusammenhang zwischen der Abbildtheorie und Wahrheitsbegriff besteht darin, dass die sogenannte klassische Wahrheitsdefinition mit dem Übereinstimmungsbegriff (adaequatio) die Abbildtheorie voraussetzt. Die korrespondenztheoretische Übereinstimmung und ihre Kongruenz erfordern die Nachbildung, in der die Dinge die Vorbilder für unsere Vorstellung darstellen.
Im Kontext des Wahrheitsbegriffs kann man noch ein Problem mit der Abbildbeziehung finden. Wenn die Erkenntnis im Kopieren der originalen Wirklichkeit besteht, muss seine Richtigkeit und seine Objektivität von der Deutlichkeit abhängen; je echter die Kopien der Dinge sind, desto richtiger, objektiver etc. ist unsere Erkenntnis der Welt. Die Unterschied zwischen Deutlichkeit und Undeutlichkeit hat nur den „graduellen, quantitativen und damit relativen“ Charakter. Dieses Problem hat Gerold Prauss klar dargestellt:
„Zwischen Wahrheit und Falschheit einer Erkenntnis besteht vielmehr ein qualitativer und damit absoluter Unterschied, der durch einen quantitativen und damit relativen Unterschied wie den von Deutlichkeit und Undeutlichkeit eines Abbildes prinzipiell nicht wiederzugeben ist“ (Prauss 1988: 31).
Die Abbildtheorie erklärt dann nicht, in welcher Weise die Wirklichkeit ins Bewusstsein treten könnte. Die vorgeschlagene Lösung der Abbildtheorie führt zum Dualismus der transzendenten Welt der Tatsachen und der im Bewusstsein immanent abgebildeten Welt. Die Folge dieses Dualismus ist das unlösbare Problem der Brücke zwischen ihnen. Wenn dieser Dualismus der Wirklichkeit und des Bildes besteht, muss man fragen, in welcher Weise man überhaupt erkennen kann.
Die dargestellten Probleme mit dem Abbild stellen Forderungen der kritischen Arbeit zum Erkenntnisbegriff. Kritischer Ansatz bedeutet vor allem eine eingehende Betrachtung der offensichtlichen Ansichten. Die Kritik besteht jedoch nicht in der vollständigen Ablehnung der umgangssprachlichen Meinungen. Diese Vorwürfe sollen nur der Ausgangspunkt für die kritische Erkenntnistheorie sein.