Wittgensteins Projektionsmethode als Argument für die transzendentale Deutung des Tractatus
Wittgensteins Projektionsmethode als Argument für die
transzendentale Deutung des Tractatus

Abstract

In diesem Beitrag analysiere ich Wittgensteins Projektionsmethode. Diese Analyse wird vor (1) dem Hintergrund der ontologischen Basis des Tractatus und (2) der Voraussetzungen der Deduktion der Kategorien bei Kant durchgeführt. Der Beitrag fokussiert auf die Konzeption des Sinnes im Tractatus als Produkt der Projektionsmethode.Darüber hinaus weise ich auf die Ähnlichkeit zwischen der Projektionsmethode und dem Schematismus bei Kant hin. Diese Überlegungen liefern Argumente für die transzendentale Interpretation des Tractatus.

Table of contents

    Einleitung

    Die Projektionsmethode, die ich in diesem Beitrag untersuche, wird von Wittgenstein in den Thesen 3.11 - 3.14 des Tractatus eingeführt, und daraufhin von einer anderen Seite her in der These 4.0141 besprochen. Der Hauptgedanke dieser Methode ist im folgenden Abschnitt enthalten:

    „Wir benutzen das sinnlich wahrnehmbare Zeichen (...) des Satzes als Projektion der möglichen Sachlage. Die Projektionsmethode ist das Denken des Satzsinnes.” (3.11)

    Die ontologische Basis für die Projektionsmethode bestimmen die Thesen über die Abbildungsform als das, „was das Bild mit der Wirklichkeit gemein haben muss” (vgl. 2.151; 2.16 u. 2.17). Die Form der Abbildung wiederum hat ihre endgültige Begründung in einfachen Gegenständen als „die Substanz der Welt” (vgl. 2.021).

    Das Ziel dieses Beitrags ist, die Projektionsmethode nicht nur im Bereich des Systems des Tractatus zu zeigen, sondern auch einen Versuch zu unternehmen, diese Methode im Bezug auf Kants Philosophie darzustellen. Auf diese Weise möchte ich festlegen, ob die transzendentale Interpretation der sogenannten ersten Philosophie Wittgensteins berechtigt ist.

    Jetzt stelle ich drei Bemerkungen als Hypothesen dar, in denen drei Analogien formuliert werden, die sich zwischen der Problematik der Deduktion der Kategorien bei Kant und der Frage nach Wittgensteins Methode der Projektion des Sinnes beobachten lassen:

    (1) Die von Wittgenstein angenommene Hauptvoraussetzung über das Vorkommen der Abbildungsform, die etwas Gemeinsames für das Bild/Satz und Tatsache ist, ist ein Analog der Hauptthese der metaphysischen Deduktion der Kategorien, und diese lautet: „Dieselbe Funktion, welche den verschiedenen Vorstellungen in einem Urteile Einheit gibt, die gibt auch der bloßen Synthesis verschiedene Vorstellungen in einer Anschauung Einheit, welche (...) der reine Verstandesbegriff heißt.” (A79/B105).

    (2) Aussagen darüber, dass (i) „das Bild die Wirklichkeit erreicht”, und (ii) über >„Zuordnungen“ der Elemente des Bildes den Gegenständen” (vgl. 2.15 - 2.1515), sind analog zum Hauptgedanken der transzendentalen Deduktion – wie sich die Kategorien auf die Gegenstände der Erfahrung beziehen.

    (3) Die Thesen des Tractatus drucken die Projektionsmethode aus (vgl. 3.11 -3.13 u. 3.1431), entsprechen dem, was Kant unter dem Leitwort des „Schematismus” versteht. Er führt die sogenannte Schematisierung der Kategorien durch und hebt die Rolle der Einbildungskraft im Prozess des Bezugs der Kategorien auf Erscheinungen, bzw. Gegenstande der Erfahrung hervor.

    Jede der obigen Bemerkungen verlangt die Entwicklung und Rechtfertigung, die ich nun darbiete.

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    Jenen wesentlichen Abschnitt der metaphysischen Deduktion (A79/B105) kann man - in Bezug auf einige im Tractatus auftretende Ideen - folgendermaßen verstehen. Diese von Kant genannte Funktion kann mit der logischen Form, d.h. auch mit der Form der Abbildung gleichgesetzt werden. Daran wird deutlich, dass hier ein weitgehender Einklang mit der von Wittgenstein gegebenen Bestimmung vorliegt: „Die Form ist die Möglichkeit der Struktur” (2.033). Diese Form bzw. Funktion, die eine Struktur (1) den Tatsachen und (2) Sätzen als deren Bilder gibt, verleiht zugleich den Tatsachen und auch Sätzen Einheit. Die Struktur besteht in einer Verbindung der Elemente - deren Konfiguration. Wir haben also mit solch einer Verbindung zu tun: sowohl auf der Seite der Tatsachen, d.h. Erscheinungen als auch auf der Seite ihrer Bilder, d.h. es kommt zu einer Verbindung der Zeichen in Form des Satzzeichens. Das Vorkommen dieser Verbindung der Elemente - ob im Urteil oder in der Anschauung/Tatsache - ist Kant zufolge gleich, mit dem Angeben der Einheit bzw. der Beziehung auf die Einheit.

    Diese Einheit nennt Kant „Kategorie”. Die Elemente des Urteils, die durch die Kategorien verbunden werden, sind empirische Begriffe, d.h. unanschauliche Vorstellungen, d.h. Zeichen im Sinne Wittgensteins. Diese Elemente als Vielheit und Mannigfaltigkeit werden zuerst zusammengesetzt. Das heißt: Sie werden synthetisiert, aber ohne dass ihren eine Struktur gegeben wird. Erst der Bezug auf Kategorien ermöglicht ihnen eine Gestallt des Urteils zu erreichen. Analog dazu verläuft der Prozess bei den Anschauungen, d.h. Erscheinungen oder Tatsachen. Diesen beschreibe ich nun in Wittgensteins Terminologie. Tatsachen sind also bestehende Sachverhalte, genauer gesagt – Mitvorkommen zugleich der vielen elementaren Sachverhalte (vgl. Brief an Russell, Cassino 19.08.1919). Der Sachverhalt ist eine Bindung der Gegenstände (2.03) oder deren Konfiguration (2.02071) - eine Synthese ersten Grades. Die Tatsache wiederum als Mitvorkommen vieler Sachverhalte, d.h. ihr Produkt, ist die Synthese zweiten Grade. Dabei aber liegt auch das Angeben der Einheit vor. Das bedeutet: Diese Vielheit der Sachverhalte wird als Einheit erfasst, die Tatsache ist.

    Die Wittgensteinschen Tatsachen entsprechen den Gegenständen der Erfahrung bei Kant; beide sind Erscheinungen. Jeder Gegenstand der Erfahrung, d.h. phenomenon, ist ein Ergebnis einer zweigradigen Synthese; und zwar jede einzelne Vorstellung, im Augenblick vorkommende, ist eine bestimmte Mannigfaltigkeit. Die Erscheinung wiederum ist eine Vereinigung vieler Mannigfaltigkeiten im Einen, durch die Beziehung auf das Eine, das eine Kategorie ist, die endgültig auch die transzendentale Einheit der Apperzeption ist.

    Zusammenfassend weist die betrachtete Analogie auf die Funktion hin, die zwei Ebenen der Vorstellungen auf eine transzendentale Grundlage bezieht. Diese Ebenen sind: (1) Urteile und (2) Erscheinungen bei Kant, (1’) Sätze und (2’) Tatsachen bei Wittgenstein. Diese Grundlage wird durch Kategorien und transzendentale Apperzeption festgelegt bei Kant, hingegen bei Wittgenstein durch einfache Gegenstände und logische Form.

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    Die zweite Analogie spricht von der Abbildung: ‘Bild→Tatsache’, die in der Wittgensteinschen Terminologie erfasst ist; diese Abbildung wird dann im Licht der Kantschen transzendentalen Deduktion dargestellt. Anders gesagt: Dies ist ein Versuch eine Antwort auf die Frage im Still Kants zu geben: Wie bezieht sich das Bild auf Tatsache/Wirklichkeit? Die Schlussformulierung Wittgensteins sagt, dass das Bild bis zur Wirklichkeit reicht. Es sei allerdings dabei erinnert, dass Wittgenstein zuvor folgende Thesen aufgestellt hat:

    „Wir machen uns Bilder der Tatsachen.” (2.1)

    „Das Bild ist eine Tatsache.” (2.141)

    Daran kann man deutlich erkennen, dass das Bild der Tatsachen auch eine Tatsache ist, demzufolge ist das Beziehen des Bildes auf die Tatsache eine Relation, die zwischen zwei Tatsachen besteht. Die Grundfrage lautet: Auf welche Weise erreicht eine Tatsache (Bild) die andere Tatsache, d.h. die Wirklichkeit? Wittgenstein erklärt:

    „Die abbildende Beziehung besteht aus den Zuordnungen der Elemente des Bildes und der Sachen.” (2.1514)

    „Diese Zuordnungen sind gleichsam die Fühler der Bildelemente, mit denen das Bild die Wirklichkeit berührt.” (2.1515)

    Diese Zuordnungen können als Vektoren verstanden werden. Diese Vektoren sind an Elemente des Bildes befestigt und in die Richtung einzelner Dinge in der Wirklichkeit gerichtet; so dass das Vektorende den Ort berührt, an dem sich das bezeichnete Ding befindet. Demzufolge stellt These 2.1514 fest, dass das Verhältnis zwischen dem Bild und der Tatsache wesentlich nur eine Summe der Zuordnungen ist.

    Allerdings genügt diese Summe der Zuordnungen, d.h. die abbildende Beziehung, allein noch nicht, um ein Bild auszumachen. Das Verhältnis der Abbildung ist eine notwendige Bedingung des Bildes, aber keine ausreichende Bedingung. Umgekehrt, erst wenn wir ein Bild haben, können wir in diesem diese Zuordnungen erkennen. Kurz gesagt: Die abbildende Beziehung bzw. die Summe der Zuordnungen gibt noch keinen Sinn. Der Sinn also ist weder diese Summe, noch lässt er sich auf diese Summe reduzieren; der Sinn ist etwas mehr.

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    Erst die Projektionsmethode führt die Antwort auf die Frage aus, wie sich das Bild auf die Wirklichkeit bezieht. Wir befassen uns hier hauptsächlich mit den Sätzen als einer besonderen Art der Bilder.

    Bereits in den Tagebüchern erscheint ein Vermerk, der auf Wittgensteins Interesse an der Frage nach dem Suchen des im Satz verbogenen Mechanismus hinwies. Dieser Mechanismus bewirkt, dass der Satz über eine Kraft der Abbildung verfügt:

    „Jener Schatten, welchen das Bild gleichsam auf die Welt wirft: Wie soll ich ihn exakt fassen? Hier ist ein tiefes Geheimnis. (...)
    Der Satz ist eben nur die Beschreibung eines Sachverhalts. Aber das ist alles noch an der Oberfläche.” (15.11.1914)

    Der Leitfaden der Projektionsmethode ist in den darauffolgenden Thesen des Tractatus beschrieben:

    „Wir benutzen das sinnlich wahrnehmbare Zeichen (...) des Satzes als Projektion der möglichen Sachlage.
    Die Projektionsmethode ist das Denken des Satz-Sinnes.” (3.11)

    „Das Zeichen, durch welches wir den Gedanken ausdrücken, nenne ich das Satzzeichen. Und der Satz ist das Satzzeichen in seiner projektiven Beziehung zur Welt.” (3.12)

    „Zum Satz gehört alles, was zur Projektion gehört; aber nicht das Projizierte.
    Also die Möglichkeit des Projizierten, aber nicht dieses selbst.
    Im Satz ist also sein Sinn noch nicht enthalten, wohl aber die Möglichkeit ihn auszudrücken.
    (Der Inhalt des Satzes heißt der Inhalt des sinnvollen Satzes.)
    Im Satz ist die Form seines Sinnes enthalten, aber nicht dessen Inhalt.” (3.13)

    Das Wesen der Projektionsmethode lässt sich auf die Konstruktion des Sinnes des Satzes zurückführen. Das Grundproblem besteht darin, festzustellen, wie Wittgenstein den Sinn versteht und wie viele Gemeinsamkeiten seine Konzeption des Sinnes mit Freges Theorie hat und wie weit von dieser die Stellung Wittgensteins entfernt ist.

    Die Bestimmung des Sinnes führt Wittgenstein eher ein, d.h. vor dem Angeben der Beschreibung der Projektionsmethode:

    „Was das Bild darstellt, ist sein Sinn.” (2.221)

    Um festzustellen, was sich hinter dem Terminus „Sinn” verbirgt, soll zuerst die Bestimmung „was das Bild darstellt” aus einer anderen Perspektive betrachtet werden. These 2.201 erscheint dabei hilfreich:

    „Das Bild bildet die Wirklichkeit ab, indem es eine Möglichkeit des Bestehens und Nichtbestehens von Sachverhalten darstellt.”

    Aus beiden obigen Thesen ergibt sich: Sinn ≡ Möglichkeit des Bestehens und Nichtbestehens von Sachverhalten. Der Sinn gehört zur Sphäre des Möglichen im Gegensatz zum Satzzeichen und der Sachlage in der Welt; diese sind Tatsachen und gehören zur Wirklichkeit. Der Sinn ist gerade der „Schatten”, der vom Satz auf die Wirklichkeit geworfen wird.

    Lassen wir vorübergehend das Problem des weiteren Präzisierens der Bestimmung des Sinnes und konzentrieren wir uns auf einem wichtigen Unterschied und zwar den zwischen dem Satz und dem Satzzeichen. Im Lichte von These 3.12: Der Satz = {Satzzeichen + Projektive Beziehung zur Welt}. Vor diesem Hintergrund mag überraschen, was Wittgenstein in folgender These sagt:

    „Zum Satz gehört alles, was zur Projektion gehört; aber nicht das Projizierte. Also die Möglichkeit des Projizierten, aber nicht dieses selbst.” (3.13)

    Was ist das „Projizierte”? Kann man dieses mit dem Sinn gleichsetzen? Auf diese Gleichsetzung scheint das nächste Fragment derselben These hinzuweisen:

    „Im Satz ist also sein Sinn noch nicht enthalten, wohl aber die Möglichkeit ihn auszudrücken.”

    Ob die obige Gleichsetzung berechtigt ist, wird weiter erörtert.

    Die Projektionsmethode samt dem Satzzeichen konstruiert den Sinn, der, obwohl er konstruiert worden ist, über eine eigenartige Autonomie hinsichtlich des Satzes verfügt. Außerdem scheint es auch berechtigt, die projektive Beziehung vom Sinn zu unterscheiden. Die projektive Beziehung kann man auch als Intention interpretieren, die dieses Satzzeichen wieder lebendig macht (vgl. Ammereller 2001, 132). Das Wesen des Sinnes wiederum wird in folgenden Thesen des Tractatus erleuchtet:

    „Sehr klar wird das Wesen des Satzzeichens, wenn wir es uns, statt aus Schriftzeichen, aus räumlichen Gegenständen (etwa Tischen, Stühlen, Büchern) zusammengesetzt denken. Die gegenseitige räumliche Lage dieser Dinge drückt dann den Sinn des Satzes aus.” (3.1431)

    „Der Konfiguration der einfachen Zeichen im Satzzeichen entspricht die Konfiguration der Gegenstände in der Sachlage.”(3.21)

    Diese Thesen bringen uns zu folgender Verstehensweise des Sinnes. Der Sinn ist eine reine und bloße Konfiguration, abgetrennt von seinem Träger, der aus einfachen Zeichen besteht. Es lässt sich eine Ähnlichkeit feststellen, die zwischen der Konzeption des Sinnes bei Wittgenstein und der Auffassung von Husserl vorkommt. Husserl zufolge ist der Sinn noemat, die projektive Beziehung hingegen entspricht der Richtung des Intentionsstrahles. Im Gegensatz zu Frege schlägt Wittgenstein vor, Sinn vielmehr für das, was durch den Denkakt konstruiert wird, zu halten, als was nur in diesem Akt als ewiges, fertiges Objekt erfasst wird. Wittgenstein würde vielmehr sagen, dass ewig die Möglichkeit des Sinnes sei, aber nicht der Sinn selbst (vgl. 3.13). Dieser Unterschied der Ansichten über die Problematik des Sinnes zwischen Wittgenstein und Frege hat auch seinen Ursprung in verschiedenen Annährungen zur Frage nach dem Sinn der Namen. Frege setzt voraus, dass Namen ähnlich wie Sätze auch Sinn haben; Wittgenstein wiederum ist der Meinung, dass nicht Namen Sinn haben, sondern nur Sätze (vgl. Ishiguro 1989). Dieser Vergleich mit der Auffassung Freges hebt hervor, dass der Sinn - in Wittgensteins Auffassung - sehr stark durch die Konfiguration der Gegenstände bedingt wird. Wenn wir dagegen mit einem Namen zu tun haben, der einem Gegenstand als einfaches Objekt bezeichnet, können wir von keiner Konfiguration reden, also – auch von keinem Sinn.

    Es bleibt jedoch eine gewisse Doppeldeutigkeit des Terminus „Projektionsmethode” zu klären. Man kann nämlich diese Methode und das Satzzeichen in zweierlei Erfassung betrachten: (1) als nur gemeinsam zusammengesetzt aber nicht verbunden, oder als (2) durch den Gedankenakt miteinander verbunden. Im ersten Fall bleibt die Projektionsmethode nur eine abstrakte Regel, die erst anzuwenden wäre. Im zweiten Fall wird der Gedankenakt mit der Projektionsmethode gleichgesetzt. Im zweiten Fall schafft also der Gedankenakt eine Konfiguration. In These 4.0141 finden wir die Bestätigung, dass Wittgenstein diese Doppeldeutigkeit des Terminus „Projektionsmethode” zulässt:

    „Das es eine allgemeine Regel gibt, durch die der Musiker aus der Partitur die Symphonie entnehmen kann (...), darin besteht eben die innere Ähnlichkeit dieser scheinbar so ganz verschiedenen Gebilde. Und jene Regel ist das Gesetz der Projektion, welches die Symphonie in die Notensprache projiziert (...)”

    Diese These zeigt auch, dass sich das „Projizierte” ganz außerhalb des Satzes befindet. Daher ist der Sinn wahrscheinlich etwas Anderes als das Projizierte. Also ging der letzte Vorschlag, den Sinn mit dem Projizierten gleichzusetzen, ging eindeutig zu weit.

    Um klarzumachen, was Wittgenstein unter dem „Projizierten” versteht, muss man auf den Zusammenhang zwischen dem Sinn des Satzes und den einfachen Gegenständen achten. In den Tagebüchern können wir lesen:

    „Die Forderung der einfachen Dinge ist die Forderung der Bestimmtheit des Sinnes. (...) Wenn es einen endlichen Sinn gibt, und einen Satz, der diesen vollständig ausdrückt, dann gibt es auch Namen für einfache Gegenstände.” (18.06.1915)

    Das ist offensichtlich, weil der Sinn eine mögliche Konfiguration dieser Gegenstände ist (vgl. 2.0272). Wittgenstein vertritt eine ähnliche Ansicht wie Leibniz in der Monadologie (vgl. §§1,2 dieses Werks). Wenn wir keine einfachen Elemente zeigen würden, könnten wir die Konfiguration dieser Elemente nicht bilden. Also könnten wir den Sinn nicht zeigen!

    Es kann das „Projizierte“, ebenso wie der Sinn, einfach nicht mit dem Sachverhalt gleichgesetzt werden. Ein Sachverhalt ist nämlich eine wirkliche Verbindung der Gegenstände. Daher scheint, dass die Bestimmung „die bestehenden Sachverhalte” (vgl. 2.04 u. 2.05) redundant ist! Demzufolge wird deutlich, dass das ‘Projizierte’ kein Sachverhalt zu sein braucht. Falls das ‘Projizierte’ Sachverhalt sein müsste, dann könnten wir mit Hilfe der Projektionsmethode nur (bestehende) Sachverhalte rekonstruieren. Es könnte dagegen unmöglich sein, solche Konfigurationen zu konstruieren, die keine wirklichen Verbindungen ausdrücken, d.h. eine Gruppe von Gegenständen, die miteinander nicht verbunden sind. Das ist ebenfalls das Problem der Falschheit und Negation. Daher schreibt Wittgenstein in den Tagebüchern:

    „Die Realität, die dem Sinne des Satzes entspricht, kann doch nichts Anderes sein, als seine Bestandteile, da wir doch alles Andere nicht wissen.” (20.11.1914)

    Wir wissen also nicht, ob das ‘Projizierte’ ein Sachverhalt oder nur eine Gruppe von einfachen Gegenständen ist, von denen wir eine falsche Hypothese formulieren, dass diese Gegenstände einen Sachverhalt bilden.

    Fassen wir zusammen: Es erscheinen Vieldeutigkeiten, indem wir festzustellen versuchen, wie der Sinn, das ‘Projizerte’ und die Projektionsmethode verstanden sein sollen. Diese Schwierigkeit, die den Terminus „Sinn” begleitet, besteht darin, dass der Sinn gleichzeitig: (1) universell und (2) konkret sein muss. Daher kann man der ersten Bedingung zufolge anerkennen, dass Sinn eine reine Struktur/Konfiguration ist. Die zweite Bedingung hingegen ordnet den Sinn als Konfiguration samt der intentionellen projektiven Beziehung an. Das heisst, als einen auf ein bestimmtes Fragment der Wirklichkeit geworfenen „Schatten”. In dieser zweiten Erfassung kann wohl der Sinn mit dem ‘Projizierten’ gleichgesetzt werden.

    Schlussbemerkungen

    Die Projektionsmethode, die in diesem Beitrag analysiert wurde, ähnelt in vielen Punkten dem transzendentalen Schema bei Kant. Dieses Schema, als ein Erzeugnis der transzendentalen Einbildungskraft (vgl. A140/B179) bestimmt die Art, wie Kategorien auf Erscheinungen angewendet werden sollen. Die Projektionsmethode bestimmt dagegen die Art der Konstruktion des Sinnes dank der Regeln, denen zufolge zuerst eine Konfiguration der Zeichen, d.h. Satzzeichen, gebildet werden muss. Dieses Zeichen wird dann entsprechend interpretiert, damit der konstruierte Sinn als „Schatten” auf das beabsichtigte Fragment der Wirklichkeit/der Welt geworfen wird.

    Ähnlich wie Wittgenstein den Sinn von der Projektionsmethode unterscheidet, grenzt Kant Bilder der sinnlichen Gegenstände und Schemata ab (vgl. A140/B180). Das Schema bedeutet für Kant „eine Regel der Synthesis der Einbildungskraft” und dieses existiert nur „in Gedanken” (vgl. ebenda). Die Projektionsmethode, ähnlich wie das transzendentale Schema, erfordert die Handlung des Gemüts, [um sie anzuwenden.] Wittgenstein erwähnt dabei „das Denken des Sinnes des Satzes”, Kant die Handlung der Einbildungskraft. In beiden Fällen ist die Grundlage dieser Handlung - als psychischer Akt- das, was apriorisch und transzendental ist, d.h. ein endgültiger Beziehungspunkt. Bei Kant ist dieser Punkt die transzendentale Einheit der Apperzeption. In Wittgensteins System scheint hingegen die logische Form eine analoge Rolle zu spielen.

    In der Projektionsmethode nimmt Wittgenstein an, dass wir zu den einfachen Gegenständen einen direkten Zugang haben. Eine Schwierigkeit, die mit dieser Voraussetzung verbunden ist, besteht darin, dass der Philosoph nicht deutlich genug darauf hingewiesen hat, wie diese Gegenstände verstanden werden sollen. Aufgrund einiger weiteren Thesen des Tractatus und Notizen aus den Tagebüchern, kann man jedoch voraussetzen, dass die transzendentale Deutung der einfachen Gegenstände, als den Kantschen Kategorien analoger Objekte überzeugend genug ist. Eine Entwicklung und Begründung der Frage nach dem Status der einfachen Gegenstände wurde den Rahmen dieses Beitrags überschreiten.

    Literatur

    1. AMMERELLER, Erich 2001 „Die Abbildende Beziehung”, [in:] Tractatus logico-philosophicus. Klassiker Auslegen, hrsg. von Vossenkuhl W., Berlin, s. 111-139
    2. ISHIGURO, Hide 1989 „Die Beziehung zwischen Welt und Sprache: Bemerkungen im Ausgang von Wittgensteins Tractatus”, [in:] Grazer Philosophische Studien 33/34, s. 49-66
    3. KANT, Immanuel 1990 Kritik der reinen Vernunft, Frankfurt am Main
    4. WITTGENSTEIN, Ludwig 1984 Tractatus logico-philosophicus. Werksausgabe Band 1, Frankfurt am Main
    Włodzimierz Heflik. Date: XML TEI markup by WAB (Rune J. Falch, Heinz W. Krüger, Alois Pichler, Deirdre C.P. Smith) 2011-13. Last change 18.12.2013.
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