Der Gedanke sprachlicher Stellvertretung in Wittgensteins "Big Typescript"

Abstract

In diesem Aufsatz möchte ich ein Argument aus dem Typoskript 213, dem sogenannten "Big Typeskript", gegen die Gegenstandskonzeption der Bedeutung vorstellen. Der grundlegende Gedanke dieser Konzeption ist, daß die Verbindung zwischen Wort und Gegenstand das Wesen sprachlicher Bedeutung ausmacht. Das Argument ist mit einigen, teilweise wesentlichen Veränderungen des Textes in der Philosophischen Grammatik (Philosophische Grammatik, S.89, 90) zu finden, allerdings nicht in den Philosophischen Untersuchungen. Die Erklärung, sprachliche Zeichen hätten Bedeutung, weil sie Gegenstände vertreten, ist, so zeigt Wittgenstein im zentralen Gedankengang des Argumentes, in einer Lesart falsch, in einer Lesart uninformativ, in einer dritten Lesart ist sie unvollständig und verweist zurück auf den Begriff sprachlicher Bedeutung, statt ihn zu erklären.

Der Gedanke sprachlicher Stellvertretung in Wittgensteins "Big Typescript"

Table of contents

    In diesem Aufsatz möchte ich ein Argument aus dem Typoskript 213, dem sogenannten "Big Typeskript", gegen die Gegenstandskonzeption der Bedeutung vorstellen. Der grundlegende Gedanke dieser Konzeption ist, daß die Verbindung zwischen Wort und Gegenstand das Wesen sprachlicher Bedeutung ausmacht. Das Argument ist mit einigen, teilweise wesentlichen Veränderungen des Textes in der Philosophischen Grammatik (Philosophische Grammatik, S.89, 90)1 zu finden, allerdings nicht in den Philosophischen Untersuchungen. Die Erklärung, sprachliche Zeichen hätten Bedeutung, weil sie Gegenstände vertreten, ist, so zeigt Wittgenstein im zentralen Gedankengang des Argumentes, in einer Lesart falsch, in einer Lesart uninformativ, in einer dritten Lesart ist sie unvollständig und verweist zurück auf den Begriff sprachlicher Bedeutung, statt ihn zu erklären.

    (1) Wenn man die Auffassung äußert, Worte seien lediglich Vertreter der Gegenstände, dann gelangt man leicht zu einer funktionalen Konzeption von Stellvertretung. Ihr zufolge kann ein Gegenstand A einen Gegenstand B in einer bestimmten Funktion vertreten, insofern A mit B bestimmte für die Erfüllung der Funktion relevante Eigenschaften gemeinsam hat. Diese Art der Vertretung ist von grundsätzlich anderer Art als der, wie Wörter Gegenstände vertreten: Wörter sind keine multifunktionalen Vertreter. Sie vertreten Gegenstände überhaupt nicht im Sinn einer funktionalen Vertretung, sondern gerade aufgrund semantischer Eigenschaften, die sie mit den Gegenständen nicht gemeinsam haben. Die Erklärung, die funktionale Vertretung sei einfacher, also leichter durchschaubar, und dennoch von der gleichen Art wie die Vertretung von Gegenständen durch Wörter, erweist sich somit als eine Suggestion.
    (2) Der Hinweis darauf, daß Wörter Gegenstände sprachlich vertreten, ist nur eine andere Art zu sagen, daß sie sich auf Gegenstände beziehen. Man reformuliert so das Problem, worin sprachliche Bedeutung und Bezugnahme auf Gegenstände besteht, statt es zu lösen.
    (3) In einer dritten Lesart vertreten Wörter nicht Gegenstände, sondern im Satz den Hinweis auf den Gegenstand. Das bedeutet: Man kann das Wort statt dem Hinweis auf den Gegenstand im Satz gebrauchen. In diesem Sinn ist die Vertretung der Gegenstände durch Wörter nicht prinzipiell von der von Wörtern durch andere Wörter verschieden. Man verbindet mit einer hinweisenden Erklärung nur Zeichen mit anderen Zeichen, also Wörter mit einem zusammengesetzten Zeichen, das aus einer Geste und einem Gegenstand besteht. Die Geste hat nur als Zeichen verstanden, nicht als bloße Körperbewegung, Bedeutung. Sie bestimmt nur dann einen Gegenstand oder eine Eigenschaft, wenn der Platz des hinweisend erklärten Wortes in der Sprache bereits feststeht.

    Die Behauptung, daß Wörter Gegenstände vertreten, ist also im Sinn der funktionalen Vertretung falsch, in der Lesart, daß Wörter für Gegenstände stehen, trivial. Wenn das Wort "vertreten" bedeutet, daß man ein Zeichen in einem Satz ohne Bedeutungsänderung durch ein anderes ersetzen kann, es also anstelle des anderen Zeichens im Satz gebrauchen kann, so macht das deutlich, wie hinweisende Erklärungen funktionieren, setzt allerdings voraus, daß geklärt ist, worin der Gebrauch von Wörtern in Sätzen besteht. Die Frage nach der Natur der Gegenstandsbeziehung und der Vertretung von Gegenstände durch Worte verweist so zurück auf die nach dem Wesen sprachlicher Bedeutung. Offensichtlich kann man diese Art der Stellvertretung nur im Rückgriff auf den Begriff des Satzes, der Sprache und einer bereits entwickelten Konzeption sprachlicher Bedeutung erklären. Die Beziehung zwischen Wort und Gegenstand ist also nicht grundlegend für die Konstitution sprachlicher Bedeutung und die hinweisende Erklärung keine besondere Art der Erklärung. Man muß sich daher gar nicht mit der Frage beschäftigen, ob alle Wörter Namen sind. Selbst wenn das so wäre, hätte man damit nichts für die Gegenstandskonzeption erreicht. Nicht einmal bei den Gegenständen, auf die man im wörtlichen Sinn zeigen und die man hinweisend erklären kann, wirft die Betrachtung der Beziehung zwischen Wort und Gegenstand ein Licht darauf, worin die Bedeutung besteht. Auch die Untersuchung einer prototypischen Verbindung zwischen Namen und Gegenstand wie etwa der zwischen dem Wort "Haus" und Häusern ist nicht informativ, wenn man etwas über die Natur sprachlicher Bedeutung erfahren will, solange man diese Verbindung isoliert betrachtet. Diese Verbindung besteht nicht autark, und das spiegelt sich auf der Ebene der Zeichenerklärungen wieder. Weil auch die hinweisende Erklärung nur Zeichen mit anderen Zeichen erklärt, gilt: Es gibt keine letzte Zeichenerklärung. Denn die erklärenden Zeichen in der hinweisenden Erklärung können ihrerseits wieder erklärt werden.

    1. Der Kontext des Arguments im Typoskript 213

    Wittgenstein präsentiert diesen Gedankengang im Rahmen eines Kapitels mit dem Titel "Bedeutung" (TS 213, S.24) Er stellt dort zunächst anhand von Augustinus' Gedanken die Gegenstandskonzeption der Bedeutung in ihrer umfassendsten Form vor: Alle Worte sind Namen.2 Das Benennen ist das Fundament der Sprache. Die hinweisende Erklärung ist "fundamental" (TS 213, S.25). Das Lernen der Sprache besteht ausschließlich darin zu verstehen, auf welche Gegenstände sich die Worte beziehen. Mit dem Spiel "Zusammen ein Haus bauen", das mit einigen Unterschieden dem Sprachspiel aus PU, §2 gleicht, deutet Wittgenstein an, daß die Bedeutung von Wörtern von ihrer Rolle in der Verständigung her konzipiert werden muß. Der Weg, wie sich Bedeutung konstituiert, geht also von der Äußerung über den Satz zum Wort. Es folgen zwei Abschnitte, deren Überschriften bereits einen zentralen Gedanken von Wittgensteins eigener Konzeption sprachlicher Bedeutung deutlich machen: "Bedeutung, der Ort des Wortes im grammatischen Raum" (TS 213, S.30) und "Die Bedeutung eines Wortes ist das, was die (d: (grammatische)) Erklärung der Bedeutung erklärt" (TS 213, S.34)3. Wittgenstein weist in den folgenden Abschnitten falsche Konzeptionen sprachlicher Bedeutung zurück: Die Bedeutung eines Wortes ist nicht seine Wirkung (TS 213, S.38-41) und kein Gefühl (TS 213, S.42). Es folgt die angesprochene Auseinandersetzung mit der Auffassung, die Verbindung von Worten und Gegenständen, also die Stellvertretung, sei grundlegend für das Wesen sprachlicher Bedeutung. Das ist ebenso verfehlt wie die Meinung, eine genaue Betrachtung der hinweisenden Erklärung zeige, daß die Gegenstände ein Fundament der Sprache bildeten. Es gibt, das zeigt Wittgenstein im folgenden Abschnitt (TS 213, S.46-57), keine primären Zeichen, die selbstverständlich in dem Sinn sind, daß sie nicht mißverstanden werden können und ein Fundament der Sprache bilden. Auch Gesten bilden kein logisches Fundament der Sprache. Man kann nicht einmal "den gewöhnlichsten Satz durch Gebärden ... ersetzen" (TS 213, S.54). Im letzten Abschnitt des Kapitels betont Wittgenstein noch einmal, daß, was ihn am Zeichen interessiert, "in der Grammatik des Zeichens niedergelegt ist" (TS 213, S.58).

    Die skizzenhafte Darstellung dieses Kapitels macht, so hoffe ich, deutlich, daß das im folgenden vorgestellte Argument Teil eines strukturierten Kapitels ist. Diese Feststellung stützt die hohe Einschätzung, die Baker und Hacker (Baker und Hacker, 1986, S.324) dem TS 213 und seinem gedanklichen Aufbau entgegenbringen, und läßt zumindest starke Zweifel an der Auffassung von Krüger (Krüger, S.312), Hilmy (Hilmy, S.323) und Sedmak (Sedmak, S.142) aufkommen, die alle der Meinung sind, das TS 213 sei nicht mehr als ein Zettelkasten, und das von Wittgenstein angelegte Inhaltsverzeichnis sowie die ebenfalls von ihm vorgenommene Einteilung in Kapitel und Abschnitte suggerierten nur eine Struktur, die dann nicht ausgeführt werde.4

    2. Das Argument

    Der entscheidende Teil des Gedankengangs, den ich betrachten möchte, beginnt an der folgenden Textstelle:

    Man könnte fragen wollen: Ist es denn aber ein Zufall, dass ich zur Erklärung von Zeichen, also zur Vervollständigung des Zeichensystems aus den Schrift- oder Lautzeichen heraustreten muss? Trete ich damit nicht eben in das Gebiet, in dem/worin sich dann das zu Beschreibende/das Beschriebene abspielt? ... ─ Man fasst es etwa so auf, dass die Schriftzeichen bloss die Vertreter jener Dinge sind, auf die man zeigt. ─ Aber wie seltsam, dass so eine Vertretung möglich ist. Und es wäre nun das Wichtigste zu verstehen, wie denn Schriftzeichen die andern Dinge vertreten können.
    Welche Eigenschaften müssen sie haben, die sie zu dieser Vertretung befähigt. Denn ich kann nicht sagen: statt Milch trinke ich Wasser und esse statt Brot Holz, indem ich das Wasser die Milch und Holz das Brot vertreten lasse. (Erinnert an Frege.) (TS 213, S.44)5

    Ohne jede detaillierte Deutung ist sofort deutlich, daß Wittgenstein hier die Antithese zu der Behauptung aufstellt, die er in derÜberschrift des Abschnitts macht. Dort schreibt er:

    Man tritt mit der hinweisenden Erklärung der Zeichen nicht aus der Sprachlehre hinaus. (TS 213, S.43)

    Dem stellt Wittgenstein an der gerade betrachteten Textstelle die Behauptung entgegen, daß man zur Vervollständigung des Zeichensystems aus den Zeichen heraustreten muß: Um Wörter letztlich nicht nur mit immer anderen Worten zu erklären, muß man den Wörtern durch eine Interpretation Gegenstände und nicht nur Beschreibungen von Gegenständen zuordnen, also auf die Gegenstände selbst zurückgreifen, indem man hinweisende Erklärungen gibt. These wie Antithese sind als Bild präsentiert, und es ist zunächst unklar, was es genau bedeuten soll, aus der Sprache herauszutreten. Ich möchte das Bild erst einmal ungedeutet lassen. Die bessere Methode besteht in diesem Zusammenhang nicht darin, über das Bild dem folgenden Gedankengang auf die Spur zu kommen. Vielmehr erschließt sich die Bedeutung des Bildes, wenn man den gesamten Gedankengang an der Textstelle verstanden hat. Dreh- und Angelpunkt der Textstelle, um zunächst die grobe Struktur von Wittgensteins Vorgehen deutlich zu machen, ist der Satz, es sei seltsam, daß eine Vertretung der Gegenstände durch die Wörter möglich ist. Zu dieser Feststellung gelangt man, so zeigt Wittgenstein, nur dann, wenn man sich auf den Gedankengang der Gegenstandskonzeption einläßt. Von der Annahme, erst der Rückgriff auf die Gegenstände selbst helfe der Sprache auf die Beine, gelangt man so zu der Behauptung, Zeichen seien Stellvertreter, und zwar in einem bestimmten Sinn des Wortes "Stellvertreter". Wittgenstein spricht davon, daß die Zeichen "bloss" die Stellvertreter der Dinge sind, also nur ein Hilfsmittel, das man nicht bräuchte, wenn die Dinge immer zur Hand wären. Wenn man dann die naheliegende Frage stellt, aufgrund welcher Eigenschaften des Vertreters eine Stellvertretung möglich ist, dann führt das leicht zum Begriff der funktionalen Stellvertretung. Dieser Schritt scheint auch deswegen attraktiv, weil man damit eine reduktive Erklärung der Bedeutung gibt. Die genaue Untersuchung der Behauptung, daß man nicht statt Brot Holz essen kann, zeigt, was die Eigenarten dieser Form der Vertretung sind. Ein Gegenstand A ersetzt einen Gegenstand B in einer Rolle S aufgrund bestimmter Eigenschaften, die A mit B gemeinsam hat. Demgegenüber vertritt ein Wort einen Gegenstand gerade aufgrund einer Eigenschaft, die es mit dem Gegenstand nicht gemeinsam hat: Es hat sprachliche Bedeutung. Wenn man den Vertreterbegriff im Sinn des reduktiven Erklärungsunternehmens spezifiziert, dann bekommt man einen funktionalen Vertreterbegriff. Und mit diesem erscheint es nicht nur seltsam, daß die Vertretung von Gegenständen durch Wörter funktioniert, sie funktioniert nicht.

    Die Diskussion der Stellvertretungsbeziehung zwischen Wort und Gegenstand ist exemplarisch dafür, wie Wittgenstein mit reduktiven Bedeutungserklärungen umgeht. Ihren Appeal, so zeigt er, ziehen sieaus einem Überblendungsmanöver: Da ist einmal die Tatsache, daß Wörter in einem bestimmten Sinn Gegenstände vertreten. Man möchte wissen, wie diese Vertretung funktioniert, weil sie erklärungsbedürftig erscheint, und es gibt einen Vertreterbegriff, den man in leicht erkennbarer Weise funktional explizieren kann. Alles, was man jetzt zu tun braucht, ist die funktionale Erklärung dieses Vertreterbegriffs in den Bereich sprachlicher Vertretung zu importieren. Man meint dann, eine reduktive Bedeutungserklärung vor sich zu haben, die zumindest für Wörter wie "Tisch" funktioniert. Eine genauere Betrachtung zeigt allerdings: Wenn man im Fall der Vertretung von Gegenständen durch Wörter eine funktionale Vertretung vor sich hätte, dann und erst dann wäre es "seltsam, dass so eine Vertretung möglich ist". Wittgensteins Vorgehen besteht also darin, die reduktive Erklärungsmethode ernst zu nehmen, sie sich im Detail anzuschauen und zu zeigen, daß ihre tatsächliche Erklärungsleistung nicht dem entspricht, was der erste Eindruck verspricht. Wörter vertreten Gegenstände nicht im funktionalen Sinn.6

    Den ersten Schritt, das zu zeigen, bildet der Hinweis darauf, daß eine funktionale Vertretung aufgrund bestimmter Eigenschaften funktioniert, die die Vertreter haben müssen. Ein Gegenstand A muß bestimmte Eigenschaften haben, damit er einen Gegenstand B funktional vertreten kann, damit man A anstelle von B verwenden kann. Um das plastisch werden zu lassen, präsentiert Wittgenstein ein Beispiel, in dem es in augenfälliger Weise nicht möglich ist, A anstelle von B zu verwenden. Was er bietet, ist geradezu eine Karrikatur einer Stellvertretung. Die Deutung dieser in grotesken Weise verfehlten Stellvertretung wird dann ein Licht darauf werfen, wie funktionale Stellvertretung vor sich geht. Wenn das deutlich ist, dann versteht man besser, warum Wörter Gegenstände gerade nicht funktional vertreten.

    Wittgenstein stellt also die Frage nach den Eigenschaften, die Wörter zu einer Vertretung befähigen, und leitet dann mit den Worten "Denn ich kann nicht sagen" zu einem Fall über, in dem die Stellvertretung aufgrund falscher Eigenschaften der Vertreter nicht funktioniert, was die wichtige Rolle bestimmter Eigenschaften bei der Stellvertretung betont. Die Formulierung, mit der Wittgenstein die Analogie einleitet, könnte man leicht mißverstehen. Gemeint ist nicht, wie man vermuten könnte, daß es gegen den Sprachgebrauch ist, zu sagen, daß man statt Brot Holz ißt. Natürlich kann man das sagen. Es ist kein unzulässiger Sprachgebrauch, und der Satz ist verständlich. Man verwendet damit nicht Worte in einer Art und Weise falsch, wie man es täte, wenn man sagen würde: Ich taste die Töne oder ich bürste die Zahlen in einem bestimmten Intervall. In solchen Fällen wüßte man nicht, was die betreffenden Sätze bedeuten. Darauf möchte Wittgenstein bei der Einleitung der Analogie nicht hinweisen. Die fragliche Formulierung ist hier vielmehr ähnlich gebraucht wie in dem Satz: "Man kann nicht sagen, daß der Schaffner gut gelaunt ist". In diesem Fall möchte man damit in etwas abgeschwächter Weise ausdrücken: Es ist nicht der Fall, daß der Schaffner gut gelaunt ist. So möchte Wittgenstein an der hier betrachteten Textstelle sagen, daß es falsch ist anzunehmen, man könne statt Brot Holz essen. Diese Annahme ist falsch, weil man im Kontext implizit voraussetzt, daß man Brot ißt, um Nährstoffe zu sich zu nehmen, oder weil es schmeckt. Der Mensch, das ist bekannt, kann Holz als Nahrungsmittel nicht verwerten, und es ist auch nicht bekannt, daß man es des Wohlgeschmacks wegen verzehrt. Es geht also nicht darum, daß man die Beschreibung der Stellvertretung nicht versteht, sondern um einen mißglückten Fall von Nahrungsersatz, dessen Beschreibung man gut verstehen kann.

    Daß man beim Verständnis des Beispiels eine implizite Annahme über die Rolle des Essens macht, zeigt folgende Überlegung: Die Feststellung, es handle sich um einen Fall mißglückten Ersatzes, verliert ihre Plausibilität, wenn man bestimmte Hintergrundinformationen ändert. Stellen wir uns vor, es gäbe bestimmte Holzarten, die von Menschen als Nahrung verwertet werden könnten. Dieses Holz wäre nicht nur ebenso nahrhaft wie Lebensmittel, die Kohlehydrate enthalten, sondern als Nahrung besser geeignet, weil es mit weniger Energieaufwand aufgenommen werden könnte. Wenn jemand vor diesem Hintergrund die Mitteilung machte, daß er jetzt statt Brot Holz ißt, dann hätte dies nicht mehr den Hauchder Absurdität. Eine ähnliche Änderung der Einschätzung der Lage würde die folgende Zusatzinformation bewirken: Neue Forschungen haben ergeben, daß sich Holz, in fein geraspelter Form gegessen, besser zur Entschlackung eignet, als das herkömmlich dafür verwendet Ballast-Brot. Wieder würde die erst grotesk erscheinende Annahme im Lichte dieser neuen Information sinnvoll erscheinen. Im ersten Fall wurde die Eigenschaft des Ersatzstoffes verändert, im zweiten Fall die Funktion, die ausgefüllt werden soll. Es ist damit offensichtlich: In die Deutung des Beispiels gehen implizite Voraussetzungen ein, was man deswegen kaum bemerkt, weil sie sich auf triviale Common-Sense-Wahrheiten beziehen: Es ist bekannt, daß Menschen Holz nicht verdauen können und daß sie aus den genannten Gründen zur Ernährung und wegen des Geschmackes essen. Das setzt man voraus, wenn nichts Gegenteiliges bekannt ist. So machen die beiden Ergänzungen des Beispiels deutlich, auf welche zwei Parameter es im Fall der funktionalen Vertretung ankommt.

    Wenn A der Vertreter von B ist, dann muß er dafür bestimmte Eigenschaften haben. So kann man nicht mit der Türe statt mit dem Auto in die 3 Kilometer entfernte Stadt fahren, nicht mit dem Elektroheizer statt mit der Stereoanlage Musik hören, allerdings kann man statt des Autos das Fahrrad nehmen und statt der Stereoanlage den Radiorekorder benutzen. Ein Auto und ein Fahrrad haben zwar unterschiedliche Eigenschaften, teilen aber die für den genannten Zweck relevante Eigenschaft, daß ein Mensch mit ihnen kürzere Strecken zurücklegen kann. Wie diese Fälle zeigen, ist es nicht notwendig, daß A alle Eigenschaften des Vertretenen hat. Es genügt, daß der Vertreter bestimmte Eigenschaften des Vertretenen hat. In den geschilderten Fällen geht es um Eigenschaften, die für den jeweiligen Zweck bzw. die Rolle relevant sind. Eine Stellvertretung oder ein Ersatz der hier vorgestellten Art ist immer bezogen auf eine bestimmte Funktion, und die Eigenschaften müssen dafür relevant sein. Als Fortbewegungsmittel für kurze Distanzen kann das Fahrrad das Auto ersetzen. Nicht so, wenn es darum geht, einen Kühlschrank zu transportieren oder eine trockene, kostenlose Übernachtungsmöglichkeit zu bieten. Eine Stellvertretung ist immer nur für eine spezifische Rolle bestimmt. Und sie ist möglich, wenn der Vertreter die für die spezifische Rolle relevanten funktionalen Eigenschaften hat.

    Wenn man vor dem Hintergrund dieser Überlegungen die Frage stellt, wie Wörter Gegenstände vertreten, werden sofort Probleme deutlich. Bei der funktional charakterisierten Vertreterrelation gibt es immer eine Rolle, die der vertretene Gegenstand unabhängig von der Vertreterrelation hat. Wenn es darum geht, daß Wörter die Gegenstände vertreten, dann weiß man nicht, in welcher Eigenschaft sie die Wörter vertreten sollen. Das Wort "Meer" kann das Meer vertreten, ohne daß eine Annahme darüber im Spiel ist, um welche Funktion des Meers es geht, und es kann das Meer in den unterschiedlichsten Funktionen vertreten. Ein Fischer, für den es die Quelle seines Lebensunterhalts ist, ein Tourist, der in ihm baden will, der Landschaftsmaler, alle können das Wort "Meer" gebrauchen. Allerdings, und hier zeigen sich die Mängel dieser Vertretung, kann der Fischer in dem Wort "Meer" nicht fischen, der Tourist nicht baden und der Maler kann es nicht wie eine Landschaft abmalen. Das Wort "Meer" kann das Meer in den verschiedenen Rollen vertreten, aber nicht weil es multifunktional wäre, sondern weil es im Sinne funktionaler Substituierbarkeit überhaupt keine Funktion hat. Der Name vertritt seinen Träger gar nicht im Sinne funktionaler Vertretung. So hat das Wort "Meer" keine der für die jeweiligen Rollen funktionalen Eigenschaften, keinen Fischreichtum, es ist nicht naß, man kann nicht darin baden, etc. ... . Kurz, das Wort "Meer" hat keine der relevanten Eigenschaften mit dem Meer gemeinsam. Dafür hat es Eigenschaften, die dem Meer abgehen. Es hat sprachliche Bedeutung und semantischen Bezug. Das Wort "Meer" hat eine Bedeutung und bezieht sich auf das Meer, das sich seinerseits im semantischen Sinn auf nichts bezieht. Wörter vertreten also gerade aufgrund der Eigenschaften, die sie nicht mit den Dingen gemeinsam haben. Das liegt daran, daß Wörter Gegenstände nicht in einem funktionalen Sinn vertreten. Zu sagen, daß ein Wort einen Gegenstand vertritt, ist eine andere Art auszudrücken, daß ein Wort sich auf einen Gegenstand bezieht. Funktionale und semantische Stellvertretung haben also nichts miteinander gemeinsam. So vertreten Wörter zwar Gegenstände, weil sie bestimmte Eigenschaften haben, das Zeichen "Tisch" hat im Unterschied zu einem Tisch sprachliche Bedeutung, diese hat aber nichts mit für eine bestimmte Rolle funktional relevanten Eigenschaften zu tun.

    Inwiefern der Leser durch die Frage nach den Eigenschaften, die die Vertretung ermöglichen, in eine falsche Richtung gelenkt wurde, das macht folgende Überlegung deutlich. Es gibt im Alltag einen anderen Vertreterbegriff, der nicht auf bestimmte für die Erfüllung einer Funktion relevante Eigenschaften hinweist. Jeder kennt solche Fälle. Wenn Kinder spielen, kommen oft solche Stellvertretungen, wie ich sie im Auge habe, vor. So könnte man die Art, wie Kinder bestimmte Gegenstände benutzen, folgendermaßen beschreiben: Diese Holzklötze sind Häuser, diese kleinen runden Stücke Pferde, das kleine Plastikteil ist ein Auto. Man könnte hier ohne weiteres davon sprechen, daß die Holzklötze Häuser und die anderen Dinge ebenso etwas vertreten. Die Frage, wie der Holzklotz ein Haus vertreten könne und welche Eigenschaften ihn dazu befähigten, ist in diesem Zusammenhang offensichtlich verfehlt. Das liegt daran, daß diese Art der Vertretung nicht davon abhängt, ob der Vertreter bestimmte relevante Eigenschaften mit dem vertretenen Gegenstand gemeinsam hat, während im Fall einer funktionalen Vertretung die Frage nach den im jeweiligen Fall relevanten Eigenschaften immer legitim ist. Die Frage nach den Eigenschaften, die die Vertretung ermöglichen, ist, wenn man sie so versteht, der erste Schritt zum Gebrauch eines Vertreterbegriffs, der nichts mit dem der sprachlichen Bedeutung zu tun hat.

    Es ist damit deutlich, daß der funktionale Vertreterbegriff nicht geeignet ist, um den Gegenstandsbezug von Wörtern verständlich zu machen, und so erklärt Wittgenstein im Anschluß an die gerade betrachtete Textstelle, in welchem anderen Sinn Wörter Gegenstände vertreten. Dabei entsteht auf den ersten Blick der Eindruck, er wechsle das Thema, bei genauerem Hinsehen zeigt es sich, daß Wittgenstein auf etwas hinweist, das bisher unterschlagen wurde, ich meine die Rolle der Geste und des Gegenstandes bei der hinweisenden Erklärung:

    Ich kann nun freilich doch sagen, dass das Definiendum das Definiens vertritt; und hier steht dieses hinter jenem, wie die Wählerschaft hinter ihrem Vertreter. Und in diesem Sinn kann man auch sagen, dass das in der hinweisenden Definition erklärte Zeichen den Hinweis vertreten kann, da man ja diesen wirklich in einer Gebärdensprache für jenes setzen könnte. Aber doch handelt es sich hier um eine Vertretung im Sinne einer Definition, denn die Gebärdensprache ist/bleibt eine Sprache. ... (TS 213, S.44)

    Prima vista scheint diese Textstelle wenig hilfreich zu sein. Auf den zweiten Blick sogar falsch. Die Frage war, wie sprachliche Zeichen Gegenstände außerhalb der Sprache vertreten können. Der Hinweis, daß Definiendum und Definiens in einer Vertreterrelation stehen, scheint an dem vorbei zu gehen, was man wissen möchte. Es war von Anfang an nicht das Problem, wie die Erklärung von Zeichen durch andere Zeichen möglich ist. Zu betonen, daß man das auch als Vertreterrelation bezeichnen kann, scheint nicht weiter zu führen, wenn man eine Auskunft darüber möchte, wie die Vertretung von nicht-sprachlichen Gegenständen durch Zeichen möglich ist. Überzeugend scheint zunächst nur, daß die Vertretung des Definiens durch das Definiendum konventionell ist. Das meint Wittgenstein mit der Formulierung, diese vertreten einander wie der Vertreter seine Wähler. Das eben erwähnte Problem bleibt davon allerdings unberührt: Wenn man annimmt, Wittgenstein wolle an der hier betrachteten Textstelle die Meinung zum Ausdruck bringen, Wort-Wort- und Wort-Gegenstand-Vertretungen seien über die Tatsache hinaus, daß beide konventionell sind, von gleicher Art, so scheint er sich zu irren. Es kann, so vermutet man, nicht richtig sein, die Vertretung von Gegenständen durch Zeichen nach dem Modell der Relation von Definiertem und Definition zu konzipieren. Eine Definition verbindet immer Zeichen mit anderen Zeichen. Das eine ist eine innersprachliche Beziehung, das andere eine von Elementen der Sprache mit der Welt. Der Zusammenhang zwischen den beiden Seiten einer Definition ist also ein anderer als der zwischen einem Wort und dem dadurch vertretenen Gegenstand.

    Wittgenstein schlägt allerdings, wie eine genauere Betrachtung der Textstelle zeigt, auch nicht vor, beide Zusammenhänge als gleich anzusehen. Er behauptet folgendes: Das in einer hinweisenden Definition erklärte Zeichen verhält sich zum Hinweis auf den Gegenstand wie das Definiendum zum Definiens in einer Verbaldefinition, die Zeichen miteinander verbindet. Er begründet das damit, daß man in einer Gebärdensprache den Hinweis anstelle des Zeichens setzen kann. Das ist ein unerwarteter argumentativer Zug. Er besteht darin, deutlich zu machen, daß auch die hinweisende Geste Teil einer Sprache ist und so die Anwendung des Definitionsbegriffs gerechtfertigt ist. Denn eine Definition beschreibt immer eine Relation zwischen Zeichen. Was die gerade präsentierte Annahme so verfehlt erscheinen ließ, war die Tatsache, daß auf der einen Seite der Definition kein Zeichen zu stehen schien. Dieses Problem entsteht nicht, wenn dort nicht der bezeichnete Gegenstand, sondern die Zeigegeste steht. Man kann allerdings Zweifel haben, ob mit diesem Manöver wirklich etwas gewonnen ist, sieht es doch so aus, als ob Wittgenstein unter der Hand das Thema wechsle. Geklärt werden sollte die Beziehung, in der Wörter zu den Gegenständen, die sie vertreten, stehen. Die Auskunft Wittgensteins scheint sich aber lediglich darauf zu beziehen, wie Wörter Gesten vertreten können. Das, so der Gedanke weiter, könne man unter Umständen nach dem Modell der Definition von sprachlichen Zeichen durch andere sprachliche Zeichen erklären. Nur die Verbindung zwischen Wort und Gegenständen bleibe nach wie vor unklar. Statt die Frage zu beantworten, so die Kritik, weiche Wittgenstein ihr offensichtlich aus.

    Der Einwand ist unberechtigt. Wittgenstein macht allerdings den entscheidenden Schritt an dieser Stelle nicht deutlich genug und geht so von einer Frage zu einer anderen über, ohne daß es sofort nachvollziehbar ist, ob das zulässig ist und welche Vorteile es hat. Wenn dieser Übergang verstanden ist, verschwindet der Eindruck, Wittgenstein weiche dem Problem aus. Die zwei Fragen lauten:

    (A) Welche Verbindung besteht zwischen einem Wort und dem Gegenstand, den es vertritt?

    (B) In welcher Verbindung stehen die hinweisende Geste und das Wort, zu dessen Erklärung sie verwendet wird?

    Die erste Reaktion auf diesen Übergang von Frage (A) auf Frage (B) ist vermutlich eher von Skepsis geprägt. Man ist geneigt, Wittgensteins Vorgehen als einen sprachlichen Kunstgriff anzusehen. Sicherlich, so könnte man noch zustimmen, sei die Gebärdensprache eine Sprache und die hinweisende Geste ein Zeichen, und in diesem Sinn tauche in der hinweisenden Definition ein Zeichen im Definiens auf. Mit dieser Feststellung, so könnte man einwenden, sei allerdings nichts gewonnen. Es bleibe die Tatsache bestehen, daß bei einer hinweisenden Definition auf nicht-sprachliche Gegenstände gezeigt und so eine Relation zwischen einem Zeichen der Sprache und einem Gegenstand in der Welt hergestellt werde. Und diese Verbindung könne man gerade nicht durch die Angabe erklären, wie in einer Definition sprachliche Zeichen bzw. Worte und Gesten miteinander zusammenhängen. Dasselbe gelte für die Frage, wie Wörter im Satz Gegenstände vertreten.

    Wittgensteins Vorgehen ist allerdings überzeugender, als dieser Einwand vermuten läßt. Er wechselt nicht das Thema, sondern führt eine Unterscheidung ein, die er allerdings an dieser Textstelle nicht explizit deutlich macht und die bisher nicht zur Sprache kam. Behauptet wurde bisher:

    ─ Worte vertreten in der Sprache Gegenstände.

    ─ In der hinweisenden Definition bzw. Erklärung präsentiert man den Gegenstand, den das so erklärte Wort vertritt.

    Beide Annahmen sind richtig, wenn man das Wort "vertreten" im Sinn von "sich beziehen auf" deutet. In dieser Lesart sind beide Annahmen allerdings uninformativ. Zu sagen, daß Wörter Gegenstände in diesem Sinn vertreten, ist nur eine Reformulierung des Sachverhalts, der erklärt werden soll. Wenn man das Wort "vertreten" so versteht, daß tatsächlich eine Sache an die Stelle einer anderen tritt bzw. treten kann, dann sind beide Annahmen falsch. In beiden Fällen wird die Rolle der Geste verschwiegen. Wittgensteins Vorgehen besteht darin, auf einen interessanten Zusammenhang aufmerksam zu machen: In welcher Weise Wörter Gegenstände vertreten, sich auf sie beziehen, kann man verstehen, wenn man zur Kenntnis nimmt, daß in einer hinweisenden Erklärung für das hinweisend erklärte Wort im wörtlichen Sinn ein Vertreter angeboten wird. Dasselbe gilt für Wörter wie "Tisch" im Satz: Man kann die Geste mit dem Hinweis auf den Gegenstand in derselben Bedeutung im Satz gebrauchen wie das hinweisend erklärte Wort. Expliziter macht Wittgenstein das im Abschnitt, der auf die hier betrachtete Textstelle folgt. Er beschäftigt sich dort weiter damit, wie hinweisende Erklärungen vor sich gehen und bemerkt in diesem Zusammenhang:

    Nicht die Farbe Rot tritt an Stelle des Wortes "rot", sondern die Gebärde, die auf einen roten Gegenstand hinweist, oder das rote Täfelchen. (TS 213, S.46)

    Der Gegenstand taucht in einer hinweisenden Erklärung nicht allein auf. Mit einer hinweisenden Erklärung macht man darauf aufmerksam, daß man in Sätzen einen Hinweis auf die Farbe anstelle des Wortes "rot" gebrauchen kann. Die Farbe Rot taucht im Satz nicht selbst auf, sondern nur unter Vermittlung der Geste, als Teil eines Zeichens7. Es genügt also auch nicht, das Wort, dessen Bedeutung hinweisend erklärt werden soll, in eine räumliche Nähe zu dem Gegenstand zu bringen, ihm etwa ein Schild mit diesem Namen anzuhängen:

    Das Wort "Teekanne" hat doch Bedeutung; gewiss, im Gegensatz zum Worte "Abracadabra", nämlich in der deutschen Sprache. Aber wir könnten ihm natürlich auch Bedeutung geben; das wäre ein Akt ganz analog dem, wenn ich ein Täfelchen mit der Aufschrift "Teekanne" an eine Teekanne hänge. Aber was habe ich hier anders als eine Teekanne mit einer Tafel, auf der Striche zu sehen sind? Also wieder nichts logisch Interessantes. Die Festsetzung der Bedeutung eines Wortes kann nie (wesentlich) anderer Art sein. (TS 213, S.173/174)

    Es kommt offensichtlich nicht allein darauf an, daß ein Wort in Gegenwart einer bestimmten Eigenschaft ausgesprochen wird, oder es in geschriebener Form einem Gegenstand beigefügt wird: Das Wort und die Geste müssen auf eine bestimmte Art gemeint sein.8 So muß einmal deutlich sein, daß überhaupt eine Wortbedeutung bestimmt werden soll, zum anderen, auf welche Art von Gegenstand mit welchen Grenzen hingewiesen werden soll. Andernfalls kann es nicht gelingen, ein Wort hinweisend zu erklären. Im krassesten Fall hat man es noch nicht einmal mit einer Geste und dem Aussprechen eines Wortes zu tun, sondern nur mit dem Ausstoßen einer Lautfolge verbunden mit einem Heben des Arms. In der hinweisenden Erklärung tritt nicht ein Gegenstand an die Stelle des Zeichens, sondern ein auf eine bestimmte Art und Weise gemeinter Hinweis, mit dem man auf den Gegenstand zeigt. Der Gegenstand kommt also in der hinweisenden Erklärung als Teil eines komplexen Zeichens vor, das aus der in einer bestimmten Weise gemeinten Geste und dem Gegenstand besteht. Diesen Zusammenhang beschreibt Wittgenstein an der folgenden Textstelle:

    Ich bestimme die Bedeutung eines Worts, indem ich es als Name eines Gegenstandes erkläre, und auch, indem ich es als gleichbedeutend mit einem anderen Wort erkläre. Aber habe ich denn nicht gesagt, man könne ein Zeichen nur durch ein anderes Zeichen erklären? Und das ist gewiss so, sofern ja die hinweisende Erklärung "das (Pfeil) ist N" ein Zeichen ist. Aber ferner bildet hier auch der Träger von "N", auf den gezeigt wird, einen Teil des Zeichens. Denn: /dieser (Pfeil) hat es getan/ = /N hat es getan/.
    Dann heisst "N" der Name von diesem Menschen, nicht vom Zeichen "dieser (Pfeil)", von dem ein Teil auch dieser Mensch ist. ... Und zwar spielt der Träger in dem Zeichen eine ganz besondere Rolle, verschieden von der eines andern Teiles eines Zeichens. (Eine Rolle, nicht ganz ungleich der des Musters). (TS 213, S.55/56, d)

    Die hinweisende Erklärung, so zeigt Wittgenstein, stellt eine Bedeutungsgleichheit zwischen Zeichen fest. Entscheidend ist die Feststellung, daß in der hinweisenden Erklärung der Gegenstand nur als Teil eines Zeichens vorkommt. Für unsere Zwecke wichtig ist weiterhin, daß Wittgenstein hier nicht nur über hinweisende Erklärungen spricht, sondern auch darüber, wie der Hinweis auf einen Gegenstand ein Wort in einem Satz, der etwas beschreibt, vertreten kann. So verstehe ich das Schema in der Mitte der Textstelle, in dem zwei Sätze, jeweils zwischen Schrägstrichen plaziert, durch ein Gleichheitszeichen verbunden sind auf diese Art: Wenn der Name "N" durch Hinweis auf seinen Träger bestimmt ist, dann kann man in dieser Situation die beiden Sätze "dieser (Pfeil) hat es getan" und "N hat es getan" mit der gleichen Bedeutung gebrauchen. Wenn das so ist, dann gilt offensichtlich: Ein Wort vertritt im Satz den Gegenstand in dem Sinn, daß man den Hinweis auf den Träger anstelle des Namens, der den Gegenstand bezeichnet, setzen kann.

    Man muß somit auch in der nicht-funktionalen Lesart zwei Begriffe der Vertretung voneinander unterscheiden. Wenn man sagt, daß ein Wort einen Gegenstand vertritt, so kann das auf zwei Arten gemeint sein:

    (1) Einmal kann es einfach eine andere Art sein zu sagen, daß ein Wort sich auf einen Gegenstand bezieht. Das Wort "vertreten" bedeutet dann "sich im sprachlichen Sinn beziehen auf".

    (2) Das Wort "vertreten" wird gleichbedeutend mit "an die Stelle treten von" verwendet.

    Lediglich in der zweiten Lesart bringt die Behauptung, in der hinweisenden Erklärung werde erklärt, wie Wörter Gegenstände vertreten können, einen Informationsgewinn und nicht eine bloße Reformulierung der Tatsache, daß in der hinweisenden Erklärung der Bezug von Wörtern zu den Gegenständen, auf die sie sich beziehen, bestimmt wird. Dabei gilt für hinweisende Erklärungen dasselbe wie für andere Worterklärungen, bei denen man ein Wort durch eine Definition erklärt. Das bloße Hinschreiben oder Aussprechen einer Definition würde nichts bewirken, wenn es nicht durch das System geregelt wäre, was die Zeichen bedeuten und welche Funktion die Definition hat, daß es folglich, wenn eine solche Definition einmal gegeben ist, in extensionalen Kontexten immer zulässig ist, das Definiendum durch das Definiens zu ersetzen. Das Wichtige an einer Definition ist, daß aus ihr etwas folgt, und zwar für den weiteren Gebrauch der Zeichen im System:

    Die Zuordnung von Gegenstand und Name ist keine andere, als die durch die Worte "das ist ..." oder eine Tabelle erzeugte etc.. Sie ist ein Teil des Symbolismus. ... (TS 213, S.173)

    Zum einen verbindet eine Tabelle nur Zeichen miteinander. Zum anderen, und darauf weist Wittgenstein explizit hin, verbindet eine Tabelle nur dann in einer bestimmten Weise Zeichen mit anderen Zeichen, wenn man sie auf eine bestimmte Art liest. Diese Art, die Tabelle zu lesen, steckt nicht in der Tabelle als einer Ansammlung von längeren schwarzen Strichen, die, teilweise senkrecht, teilweise parallel zueinander, andere Zeichen einrahmen. Zur Tabelle als Zeichen gehört eine bestimmte Art, sie zu lesen. Diesen Sachverhalt drückt Wittgenstein so aus:

    Zu einer Tabelle gehört übrigens wesentlich die Tätigkeit des Nachschauens/Aufsuchens in der Tabelle. (TS 213, S.49)

    So wie eine Tabelle nur Bedeutungen erklärt, wenn geregelt ist, wie man sie beim Nachschauen benutzt, wenn es also eine richtige Art gibt, sie zu benutzen, hat auch die hinweisende Erklärung nur vor dem Hintergrund der Regeln der Sprache eine Funktion. Die Funktionsweise der hinweisenden Erklärung ist durch die Regeln der Sprache bestimmt. Sie beschreibt eine logische Verbindung, und so ist es möglich, daß der einmalige Hinweis in der Erklärung nach den Regeln der Sprache über die Situation hinausweist. Das unterscheidet allerdings die hinweisende nicht von einer verbalen Erklärung. Wer die Regeln der Sprache nicht kennt, der sieht nur schwarze Striche auf dem Papier statt einer Definition. Erst vor dem Hintergrund sprachlicher Regeln hat man es mit einer Definition zu tun. Deutlich wird hierbei auch, daß alle Erklärungen nur parasitär zu einer Sprache mit Regeln funktionieren. Man kann die Sprache nicht "durch die Erklärung gleichsam aufbauen, zum Funktionieren bringen" (TS 213, S.171), wie es Wittgenstein ausdrückt.

    Ein weiteres mögliches Mißverständnis sollte noch erwähnt werden: Die Behauptung, daß man ein Wort durch eine Geste ersetzen kann, ist wieder nicht im Sinne funktionaler Ersetzbarkeit zu verstehen. Diese Vertretung baut üblicherweise auf nicht-symbolischen Eigenschaften eines Gegenstandes auf. Demgegenüber hat man es bei einer Vertretung im Sinne einer Definition überhaupt nicht mit Eigenschaften der Zeichenformen zu tun. Für das Zeichen sind nur die symbolischen Eigenschaften wichtig. Diese Tatsache drückt Wittgenstein, etwas überspitzt, so aus:

    Ja am Schluss sagen wir überhaupt keine Eigenschaften von den Zeichen aus ─ denn diese interessieren uns nicht, sondern nur die (allgemeinen) Regeln ihres Gebrauchs. ... (TS 213, S.192, d)

    Es gibt einen weiteren wichtigen Unterschied zwischen einer funktionalen Vertretung und der Vertretung im Sinne sprachlicher Ersetzbarkeit. Wenn man es erreichen will, daß ein Gegenstand einen anderen funktional vertritt, dann ist dazu nur zweierlei nötig: Man braucht einen Vertreter mit den geeigneten funktionalen Eigenschaften. Es muß also funktionale Substituierbarkeit gegeben sein. Und dann muß man diesen Vertreter dort einsetzen, wo der vertretende Gegenstand hingehört. Wenn man in einer Lokomotive ein Aggregat A durch ein anderes Aggregat B ersetzen will, dann braucht man dazu ein Bauteil, das dafür geeignet ist, und man muß es einbauen. Dann gilt: Aggregat B ersetzt A. Für die Etablierung einer Vertreter-Funktion genügt es nicht, daß ein Wort einmal den Hinweis auf einen Gegenstand vertritt. Vielmehr funktioniert diese Vertretung nur vor dem Hintergrund sprachlicher Regeln, aufgrund derer man das eine Wort anstelle des anderen gebrauchen darf, und nur dann ist es bestimmt, was es bedeutet, daß ein Wort den Hinweis auf einen Gegenstand vertritt. Die Beziehung, in der das Wort und der Gegenstand, auf den es sich bezieht, stehen, ist also nicht durch eine funktionale Erklärung beschreibbar, sondern durch die Regeln der Sprache.9

    Mit diesem Wissen über hinweisende Erklärungen kann man jetzt daran gehen, die bildhafte Ausdrucksweise, man trete mit der hinweisenden Erklärung nicht aus der Sprache heraus, zu deuten. Da ist zunächst eine Interpretation dieser Stelle, die offensichtlich falsch ist:

    (A) Man zeigt bei der hinweisenden Erklärung nicht auf Gegenstände, die nicht zur Sprache gehören.

    Das kann man dann umformen in:

    (B) Die Gegenstände, auf die man bei der hinweisenden Erklärung zeigt, gehören zur Sprache.

    Diese Behauptung ist offensichtlich falsch. Wenn ich auf ein Haus zeige und sage: "Das ist eine Villa", so wird diese dadurch nicht zu einem Teil der Sprache. Den Sprachbegriff so umzumodeln, daß die Villa ein Teil einer Sprache wäre, ist nicht überzeugend.

    Dann gibt es eine zweite Lesart, die zu schwach ist. Sie lautet:

    (C) Man verläßt mit einer hinweisenden Definition nicht den Bereich der Handlungen, die durch sprachliche Regeln bestimmt sind.

    Diese Behauptung macht deutlich, daß eine Geste, lediglich als Handbewegung ohne geregelte Bedeutung betrachtet, nicht die Rolle spielen kann, die sie in der hinweisenden Erklärung hat. So bestimmen Regeln, daß das Heben des Arms und der Hand überhaupt eine Zeigegeste ist. Sie legen fest, worauf sie sich bezieht. So wie die Regeln nun einmal sind, richtet sich die Zeigegeste auf etwas, was in der gedachten Verlängerung des Unterarmes über die Hand hinaus zu finden ist. Sie könnte sich genauso auf das beziehen, was hinter der gedachten Verlängerung des Unterarms in die andere Richtung über den Ellenbogen hinaus zu sehen ist. Sprachliche Regeln legen weiterhin fest, welche Grenzen der bezeichnete Gegenstand haben soll und welche formale Struktur er hat. Diese Lesart ist allerdings zu schwach, weil man so den Bezug auf Gegenstände in hinweisenden Erklärungen nicht vom Bezug auf Gegenstände insprachlichen Äußerungen unterscheiden kann, und das möchte Wittgenstein:

    Ist nicht der Grund, warum wir glauben, mit der hinweisenden Erklärung das Gebiet der Sprache, das Zeichensystem zu verlassen, dass wir dieses Heraustreten aus den Schriftzeichen mit einer Anwendung der Sprache, etwa einer Beschreibung dessen, was (d: ich sehe)/wir sehen/, verwechseln. (TS 213, S.43/44)

    Wenn man beschreibt, was man sieht, so ist das nur möglich, wenn man das, was man sieht, bereits, wie Wittgenstein es ausdrückt, artikuliert sieht. Er meint damit, daß man die Sprachregeln kennen muß, die es erlauben zu erkennen, welche Beschreibung auf das zutrifft, was man sieht. So spielt Wittgenstein in einem Zusammenhang den Gedanken durch, die Bedeutung von Sätzen sei dadurch bestimmt, auf welche Tatsachen sie sich beziehen, und kommt dort zu dem Schluß:

    ... man kann nicht auf einen Satz und auf eine Realität deuten und sagen: "das entspricht dem". Sondern, dem Satz entspricht nur wieder das schon Artikulierte. ... (TS 213, S.189, d)

    Um zu erkennen, welcher Sachverhalt dem Satz entsprechen soll, müßte man genau die Regeln schon kennen, deren Inhalt auf diese Art erst erklärt werden soll. Es gilt:

    Man kann nicht amorph sehen, dass etwas der Fall ist ... (TS 213, S.355)

    Das Wort "amorph" ist für Wittgenstein ein anderer Ausdruck für "unartikuliert". Und so besagt diese Textstelle, daß man ohne die Kenntnis sprachlicher Regeln zwar etwas sehen kann, aber um das, was man sieht, zu beschreiben, bzw. es als Tatsache unter einer Beschreibung zu sehen, benötigt man die Kenntnis sprachlicher Regeln. Man muß, wie es Wittgenstein an anderer Stelle bildhaft ausdrückt "... die Wirklichkeit nach grammatischen Regeln in die Sprache des Satzes übersetzen ..." (TS 213, S.204).

    Er erkennt also, das zeigen diese Textstellen, daß die Beschreibung dessen, was man sieht, eine durch sprachliche Regeln bestimmte Handlung ist. Wenn er eine hinweisende Erklärung von einem solchen Fall unterscheiden möchte, indem er behauptet, im Fall der hinweisenden Erklärung verlasse man nicht das Gebiet der Sprache, so muß er damit mehr meinen, als daß die hinweisende Erklärung eine geregelte Handlung ist, insofern die Bedeutung der hinweisenden Geste von sprachlichen Regeln bestimmt ist. Das gilt ebenso, wenn man mit Worten beschreibt, was man sieht, und dabei verläßt man, um es mit Wittgensteins Worten auszudrücken, "das Gebiet der Sprache". In die richtige Richtung weist die Tatsache, daß das Wort "Schriftzeichen" im Text von Wittgenstein selbst hervorgehoben wurde. Zusammen mit dem, was bereits über die Rolle des Gegenstandes in der hinweisenden Erklärung gesagt wurde, kann man daraus schließen, was gemeint ist:

    (D) In der hinweisenden Erklärung taucht der Gegenstand als Teil eines Zeichens auf, das aus der Geste und der Art, wie sie gemeint ist, besteht.

    Wer meint, die Deutung im Sinn von (D) berechtige zur Umformung in die Deutung im Sinn von (B), der verkennt, was Wittgenstein selbst bemerkt, wenn er schreibt:

    ... Aber ferner bildet hier auch der Träger von "N", auf den gezeigt wird, einen Teil des Zeichens. ... (TS 213, S.56, d)

    Der Gegenstand kommt zwar als Teil des Zeichens vor. Er wird dadurch allerdings nicht zu einem permanenten Teil der Sprache:

    Und zwar spielt der Träger in dem Zeichen eine ganz besondere Rolle, verschieden von der eines andern Teiles eines Zeichens. (Eine Rolle, nicht ganz ungleich der eines Musters). (TS 213, S.56, d)

    Es ist ein wichtiges Merkmal der hinweisenden Erklärung, daß der Gegenstand, der benannt wird, oder ein Gegenstand, der die Eigenschaft exemplifiziert, die das hinweisend erklärte Wort bezeichnet, als Teil des Zeichens vorkommt, ohne daß er dadurch selbst zu einem Zeichen wird, das zum Inventar der Sprache gehört. Sicherlich könnte man auch Regeln haben, nach denen etwa die Bedeutung des Wortes "rot" dadurch erklärt wird, daß man auf einen Gegenstand zeigt, der eine andere Farbe hat, oder die Bedeutung eines Wortes wie "geschickt" dadurch erklärt wird, daß man auf einen ungeschickten Menschen zeigt. Der zweite Vorschlag könnte didaktisch vielleicht brauchbar sein. Er entspricht allerdings nicht der Logik der hinweisenden Erklärung, wie wir sie in der Sprache haben. Danach gehört es zur Bedeutung eines Wortes, das beobachtbare Gegenstände bezeichnet, daß man auf einen bestimmten Gegenstand zeigt, auf den das Wort zutrifft, wenn man die Bedeutung dieses Wortes durch Hinweis bestimmt.10 Auf der Ebene der logischen Erklärung, nicht der didaktischen Erklärung, muß der Gegenstand selbst, als Teil der Realität, in das Zeichen eingehen, das aus der Geste, dem Gegenstand und der Art, wie die Geste gemeint ist, besteht.

    Man darf Wittgenstein also nicht so verstehen, als begehe er den Fehler, das Defizit der Gegenposition überzukompensieren. Während die Vertreterkonzeption behauptet, daß der Gegenstand, wie er ist, also pur ohne sprachlichen Beitrag, in die hinweisende Erklärung eintritt, behauptet Wittgenstein, man verlasse mit der hinweisenden Erklärung das Zeichensystem nicht. Das ist nicht nur insofern richtig, als man mit der hinweisenden Geste nicht den Bereich der durch sprachliche Regeln bestimmten Handlungen verläßt, was auch für eine Anwendung der Sprache gilt. Allerdings verläßt man mit dieser, wie Wittgenstein sich ausdrückt, das Gebiet der Sprache. Gemeint ist vielmehr: Die Gegenstände tauchen in der hinweisenden Erklärung nur als Teil eines zusammengesetzten Zeichens auf. So verbindet man in dieser Erklärung nicht Zeichen mit Gegenständen, sondern nur Zeichen mit anderen Zeichen, und zwar sprachliche Zeichen mit einem zusammengesetzten Zeichen, daß aus einer Geste und einem in einer bestimmten Weise gemeinten Gegenstand besteht. In diesem Sinn verläßt man nicht das Gebiet der Sprache, weil der Gegenstand nur als Teil eines Zeichens in der Erklärung auftritt. Man darf allerdings nicht so weit gehen anzunehmen, daß der Gegenstand aus diesem Grund zu einem Teil der Sprache wird. Es ist gerade ein wichtiges Merkmal der hinweisenden Erklärung, daß der Gegenstand, der benannt wird, oder ein Gegenstand, der die Eigenschaft exemplifiziert, die das hinweisend erklärte Wort bezeichnet, als Teil des Zeichens vorkommt.

    3. Die Relevanz des Arguments: Bedeutungsholismus statt eines Fundaments

    Die Zurückweisung der Auffassung, die Stellvertretung sei eine fundamentale Beziehung, die das Wesen sprachlicher Bedeutung ausmacht und sich grundsätzlich von Wort-Wort-Verbindungen unterscheidet, ist für Wittgenstein in mehrfacher Weise relevant:

    ─ Er widerlegt damit seine im TLP geäußerte Auffassung. Eineherausragende Motivation für Wittgensteins Überlegungen im TLP war der Gedanke, daß die Anbindung der Sprache an die Welt und die Bedeutung von Sätzen sichergestellt werden müsse: Sätze lassen sich in Elementarsätze analysieren, in denen Namen vorkommen, die zu den Gegenständen, die sie benennen, in einer nicht weiter analysierbaren Beziehung stehen. Sätze haben also Bedeutung, weil in ihnen Zeichen vorkommen, die in letzter Analyse für Gegenstände stehen. Wittgenstein spricht in diesem Zusammenhang explizit von Vertretung (TLP 3.22, 4.0312) und weist dieser Verbindung eine besondere Rolle zu:

    Die Gegenstände kann ich nur nennen. Zeichen vertreten sie. Ich kann nur von ihnen sprechen, sie aussprechen kann ich nicht ... (TLP, 3.221)

    Es gibt also am Grund der Sprache Worte, die ein Fundament der Sprache bilden, insofern sie in einer direkten Verbindung zu den Gegenständen stehen.

    ─ Wittgensteins Argument gegen die Auffassung, die Vertretung von Gegenständen durch Worte sei irreduzibel, direkt und von besonderer Art, zeigt exemplarisch, inwiefern diese Konzeption eine Spielart eines bestimmten Typs der reduktiven Erklärung von Bedeutung ist und was falsch an solchen Erklärungen der Bedeutung ist. In ihrem Zentrum steht folgende Sicht der Dinge: In der Sprache gibt es eine Menge von basalen Wörtern. Diese verdanken ihre Bedeutung einer Relation zu Gegenständen, die keine sprachlichen Zeichen sind. Sie vertreten sie. Diese Verbindung erscheint auf den ersten Blick naturalistisch oder funktional erklärbar, in jedem Fall ohne wieder semantische Begriffe wie "Bedeutung", "Übersetzung", "Satz" oder änliches vorauszusetzen. So beschreibt Wittgenstein diese Relation im TS 213 mit Wörtern wie "Übereinstimmung" (TS 213, S.201-205), "Passen" (TS 213, S.91, 205) bzw. dem Bild einer Form, die in die entsprechende Hohlform paßt (TS 213, S.205), oder wie an der hier betrachteten Textstelle mit dem Wort "Vertretung". Wenn das funktionieren würde, dann hätte man semantische Relationen auf nicht-semantische Beziehungen zurückgeführt, wie man in der Physik Makro- durch Mikroeigenschaften erklärt. Den Leser, der hier stockt, weil er eine Unklarheit wahrgenommen zu haben glaubt, möchte ich kurz darauf hinweisen, daß diese nur scheinbar besteht. Die gegenstandstheoretische Sichtweise schwankt zwischen zwei auf den ersten Blick schwer zu vereinbarenden Bildern: Da ist einmal der Gedanke, man könne Bedeutung aus nicht-bedeutungsvollen Relationen aufbauen. Dem steht die Annahme gegenüber, es gebe so etwas wie basale bedeutungsvolle Zeichen. Beide sind allerdings, so erkennt man bei näherem Hinsehen, zwei Aspekte des gegenstandstheoretischen Bildes, die sich ergänzen: Weil basale Zeichen in einer nicht-semantischen Relation zu den Dingen stehen, haben sie basale Bedeutung. Bildhaft ausgedrückt könnte man sagen: In der Verbindung zwischen den basalen Zeichen und den Gegenständen, auf die sie sich beziehen, vollzieht sich die Metamorphose von der Nicht-Bedeutung zur Bedeutung. Die Sprache hat also nach dieser Auffassung ein Fundament, insofern Zeichen zu Gegenständen in einer Verbindung stehen, die irreduzibel und von anderer Art ist, als die, in der Zeichen untereinander stehen.

    Tatsächlich gilt: In einer überzeugenden und informativen Lesart der Behauptung, daß Worte etwas vertreten, vertreten sie im Satz den Hinweis auf den Gegenstand. Wenn so die Verbindung von Gegenständen und Zeichen von derselben Art wie die von Zeichen untereinander ist, dann ist diese Beziehung nicht grundlegend und sie kann nur im Rahmen einer Konzeption sprachlicher Bedeutung verstanden werden, die erklärt, worin die Bedeutung sprachlicher Zeichen besteht und wodurch sie diese bekommen. Bedeutung, so zeigt Wittgenstein, kann nicht im logischen Sinn aus Gegenständen entwikelt werden, die keine Bedeutung haben. Es gibt im logischen Sinn keine letzte Erklärung der Bedeutung. Ebensowenig gibt es im didaktischen Sinn eine letzte Erklärung. Der Eindruck, bloßes Hinschauen genüge für das Verständnis einer hinweisenden Erklärung, ist falsch. Die Geste und der Gegenstand, auf den gezeigt wird, bilden vielmehr zusammen ein komplexes Zeichen, das seinerseits wieder verstanden werden muß. Wittgensteins Hinweis auf die Verbindung von Definiens und Definiendum macht das deutlich: Wenn es keine primären, also unmißverständlichen und logisch fundamentalen, Zeichen gibt, dann kann jedes Wort, das in einer Definition auftritt, seinerseits wieder definiert werden. Dies darf nicht so verstanden werden, als hänge Wittgenstein im TS 213 der Meinung an, Worte hätten Definitionen. Er weist vielmehr bereits dort die Auffassung, daß Worte exakte Bedeutungen haben und alle Fälle ihrer Anwendung eindeutig geregelt sind, zurück (Vgl. TS 213, S.248-259, S.66-69), hängt allerdings der Meinung an, man könne ihre Bedeutung durch logische Erklärungen wiedergeben, die den Grad an Unschärfe erfassen, den die Bedeutung tatsächlich hat. Jedes Wort, das in einer solchen Erklärung auftaucht, kann seinerseits wieder erklärt werden. Die Regeln, die sich in den Erklärungen der Bedeutung ausdrücken, bilden die Grammatik einer Sprache. Die Sprachkompetenz der Sprecher besteht in der impliziten Kenntnis der Regeln, die Worte mit anderen Worten und mit Gegenständen verbinden. Kompetente Sprecher können Gegenstände wie Tische und Eigenschaften wie Farben unter normalen Umständen sprachlich klassifizieren. Auch solche Urteile funktionieren nur vor dem Hintergrund grammatischer Regeln, die sich in Erklärungen ausdrücken. Es gibt, wie festgestellt, keine letzte Bedeutungserklärung im logischen Sinn. Das ist allerdings kein Problem, weil das Verstehen der Sprache nicht in einem Deuten (vgl. TS 213, S.6, 18) bzw. Erklären der Bedeutung, sondern in der Fähigkeit besteht, die Sprache entsprechend den grammatischen Regeln zu gebrauchen.11

    4. Ein Blick über das Argument hinaus: Die Autonomie sprachlicher Regeln

    Mit dem Hinweis auf die Grammatik einer Sprache ist ein zentraler Gedanke von Wittgensteins Konzeption sprachlicher Bedeutung angesprochen, den ich in diesem Zusammenhang nur andeuten kann, ohne ihn wirklich en détail darzustellen: Worte und Sätze mit sprachlicher Bedeutung gibt es nur in einer Sprache. Die Bedeutung wird durch die grammatischen Regeln konstituiert. Worte haben nicht Bedeutung, weil sie etwas vertreten, seien es Gegenstände oder Gedanken bzw. das vom Sprecher Gemeinte (vgl. vor allem TS 213, S.143-158, 211-226, 277-286), oder weil man mit ihnen bestimmte Wirkungen zustandebringen kann, die man prinzipiell auch anders erzielen könnte (vgl. TS 213, vor allem S.38-41, 191-195). All das geht am Wesen sprachlicher Bedeutung vorbei. Die Sprache ist nicht das Medium, in dem vorher bereits vorhandene Bedeutungen ausgedrückt werden können, sondern sie ist das Medium, in dem Bedeutungen erst entstehen. Die Sprache vertritt nicht, sondern sie schafft Bedeutung. Diese Bedeutung ist autonom, wie Wittgenstein im folgenden Bild schreibt:

    Es ist ein Unterschied, ob ein System auf ersten Prinzipien ruht, oder ob es bloss von ihnen ausgehend entwickelt wird. Es ist ein Unterschied, ob es, wie ein Haus, auf seinen untersten Mauern ruht oder ob es, wie etwa ein Himmelskörper, im Raum frei schwebt und wir bloss unten zu bauen angefangen haben, obwohl wir es auch irgendwo anders hätten tun können. (TS 213, S.540/541)

    Wittgenstein beschreibt mit diesem Bild die Autonomie grammatischer Regeln, die er im TS 213 bereits explizit in dieser Formulierung (TS 213, S.237) anspricht. In der Überschrift des entsprechenden Abschnitts formuliert er: "Die Grammatik ist keiner Wirklichkeit Rechenschaft schuldig" (TS 213, S.233, Überschrift). Er erkennt im TS 213 bereits, daß diese Regeln im Verhalten der Sprecherfundiert sind. Überzeugend ausgearbeitet ist dieser Gedanke, vor allem was die Rolle der Sprechergemeinschaft angeht, im "Brown Book". Es ist zwar, so erkennt der Leser, noch ein weiter Weg von der Zurückweisung des Gedankens, was sprachliche Bedeutung ist, erschließe sich, wenn man sich anschaut, wie Worte Gegenstände vertreten, bis zu einer umfassenden Erklärung, wie sich Sprache im geregelten Handeln einer Sprechergemeinschaft konstituiert. Dennoch weist das in einiger Ausführlichkeit dargestellte Argument bereits auf einen zentralen Aspekt von Wittgensteins Konzeption sprachlicher Bedeutung im TS 213 hin: Sie ist holistisch und antifundamentalistisch. Zu zeigen, daß sie im TS 213 bereits in ihren Grundzügen entwickelt ist, und wie sie in allen Details aussieht, ist in diesem Zusammenhang nicht möglich. Ich hoffe allerdings, dem Leser deutlich gemacht zu haben, wie durch Wittgensteins Zurückweisung einer bestimmten Erklärung sprachlicher Bedeutung bereits tragende Pfeiler seiner eigenen Konzeption davon, was sprachliche Bedeutung ist, hindurchschimmern.

    Literatur

    1. Baker, G.P., und Hacker, P.M.S.: "Critical Notice: Philosophical Grammar", in: Shanker, Stuart (Hrsg.): Ludwig Wittgenstein. Critical Assessments, Band 1, London, Sydney, Dover (N. H.), 1986, S.323-351.
    2. Hilmy, Stephan: The Later Wittgenstein. The Emergence of a New Philosophical Method. Oxford, 1987.
    3. Krüger, Wilhelm: "Die Entstehung des ’Big Typescript’", in: K. Puhl: Akten des 15. Internationalen Wittgenstein-Symposiums, Teil 2, Wien, 1993, S.303-312.
    4. Sedmak, Clemens: Kalkül und Kultur: Studien zu Genesis und Geltung von Wittgensteins Sprachspielmodell. Amsterdam, 1996.
    5. Wittgenstein, Ludwig: Brown Book, in: The Blue and Brown Books, Oxford, 1972.
    6. - : Philosophische Grammatik, in: Werkausgabe, Bd. 4, Frankfurt a. Main, 1984. (PG)
    7. - : Philosophische Untersuchungen, in: Werkausgabe, Bd. 1, Frankfurt a. Main, 1984. (PU)
    8. - : Tractatus logico-philosophicus, in: Werkausgabe, Bd. 6, Frankfurt a. Main, 1984. (TLP)
    9. - : MS 114, Band X. Philosophische Grammatik. Erster Eintrag am 27. Mai 1932. 288 S. (Dieser und die folgenden Texte zitiert nach von Wrights Nachlaßkatalog, 1986)
    10. : MS 115, Band XI. Philosophische Bemerkungen. Erster Eintrag am 14. Dezember 1933. Philosophische Untersuchungen. August 1936. 292 S.
    11. - : MS 140, Großes Format. Um 1934. Große Blätter. 42 S. - : TS 213, Sog. Big Typescript. Wahrscheinlich 1933. viii + 768 S.
    Notes
    1.
    Ich werde bei der Detailinterpretation einige Worte dazu sagen, welcher Teil des Textes des zentralen Gedankenganges in die Philosophische Grammatik übernommen wurde. Das in allen Einzelheiten zu zeigen und die Unterschiede vorzuführen, kann allerdings nicht der Inhalt dieser Arbeit sein.
    2.
    Man könnte einwenden, daß im Zentrum der Gegenstandskonzeption diese Behauptung stehe und nicht die oben genannte Annahme, daß die Verbindung zwischen Wort und Gegenstand das Wesen sprachlicher Bedeutung ausmacht. Tatsächlich gibt es, streng genommen, unterschiedliche Spielarten der Gegenstandskonzeption, und die von mir genannte Annahme in den Mittelpunkt zu stellen bietet den Vorteil, daß man mit ihrer Widerlegung auch abgeschwächte Formen dieser Konzeption trifft wie etwa die Ausprägung im TLP, daß am Ende von Definitionsketten Namen stehen (Vgl. TLP, 3.261 und unten Abschnitt 4). Zudem ist der Namenskonzeption mit der Annahme allein, daß alle Worte Namen sind, wenig gedient. Wenn man den Bedeutungsbegriff nur hinreichend abstrakt faßt, läßt sich diese Annahme immer aufrecht erhalten. Interessant wird diese Position erst, wenn man sie so liest, daß man von der Name-Gegenstandsrelation ausgehend erklären kann, was sprachliche Bedeutung ist. Andernfalls wäre es auch nicht zu verstehen, wie das Lernen der Sprache allein darin bestehen könnte zu lernen, welche Worte welche Gegenstände bezeichnen.
    3.
    Das TS 213 in der im Nachlaß vorliegenden Fassung besteht aus unterschiedlichen Textschichten. In den getippten Text hat Wittgenstein handschriftlich Korrekturen eingefügt: Er hat Abschnitte durchgestrichen und Bemerkungen unterschiedlicher Länge neu hingeschrieben. Diese finden sich auf den Typoskriptseiten und teilweise auf deren Rückseiten. Manche der handschriftlichen Einfügungen sind ihrerseits wieder durchgestrichen. Man hat es also mit Sicherheit mit zwei, vermutlich mit drei Textebenen zu tun. Weil es mir um die Überzeugungskraft von Argumenten geht und nicht um Wittgensteins nicht immer zutreffende Einschätzung der Güte seiner Gedanken, verwende ich an einigen Stellen auch Text, den er selbst durchgestrichen hat und kennzeichne ihn mit einem "d". Was den Umgang mit handschriftlich eingefügten Bemerkungen bei der Deutung des TS 213 angeht, so möchte ich einen wenig puristischen Ansatz empfehlen: Eine idealisiert synchrone Betrachtung des getippten Textes und der handschriftlichen Einfügungen bietet sich an, insofern man in den handschriftlichen Einfügungen keine Gedanken findet, die man nicht mit einigem Aufwand aus dem getippten Text rekonstruieren könnte. Teilweise handelt es sich nur um stilistische Korrekturen oder das Einfügen offensichtlich vergessener Worte. Inhaltliche Erwägungen lassen es zudem naheliegend erscheinen, daß Wittgenstein die handschriftlichen Einfügungen vor der Niederschrift der Manuskripte MS 114, Teil 2, MS 115, Teil 1 und MS 140, in denen er die Bemerkungen des TS 213 überarbeitete, zu Papier gebracht hat. Diese sind vor dem "Brown Book" zu datieren, so daß eine zeitliche Obergrenze gegeben ist.
    4.
    Zwar ist Wittgensteins Gedankengang innerhalb der einzelnen Abschnitte an manchen Stellen assoziativ. Im großen und ganzen findet man jedoch dort Überlegungen zu den Fragen und Themen ausgeführt, die durch die jeweilige Abschnittsüberschrift angesprochen sind. Allerdings muß man manchmal Bemerkungen umgruppieren. Daß man teilweise, um ein Argument zu vervollständigen, Gedanken aus anderen Teilen des TS 213 heranziehen muß, unterscheidet diese Schrift nicht von Werken anderer Philosophen, die niemand mit einer Sammlung von Zetteln vergleicht.
    5.
    Diese Textstelle findet sich mit einer, wie ich meine, für die Rekonstruktion des Argumentes relevanten Änderung in der Philosophischen Grammatik, S.89. Statt des Textteils, der mit den Worten beginnt "Aber wie seltsam ...", findet man in der Philosophischen Grammatik: "Aber wie ist denn diese Vertretung möglich? Ich kann doch nicht ein beliebiges Ding ein anderes vertreten lassen. ─ Es ist dann eben bedeutsam, daß diese Vertretung möglich ist; denn das Vertretende muß, in bestimmten Fällen wenigstens, ebenso gut taugen wie das Vertretene." Wie ich zeigen werde, geben die beiden Beispiele im Text des TS 213 deutliche Hinweise darauf, daß Wittgenstein hier auf eine funktionale Stellvertretung aus ist. Demgegenüber ist die entsprechende Formulierung in der Philosophischen Grammatik weniger überzeugend. Ich sehe darin eine Bestätigung dafür, daß man keinesfalls davon sprechen kann, daß die Philosophische Grammatik in jeder Hinsicht ein durchdachteres oder besser strukturiertes Werk ist als das TS 213. Der weitere Gedankengang in der Philosophischen Grammatik unterscheidet sich insofern von dem des TS 213, als Wittgenstein im unmittelbaren Anschluß auf die Unterscheidung zwischen primären und sekundären Zeichen eingeht und dann den entscheidenden Hinweis als Frage formuliert: "Ist es richtig, und in welchem Sinne, von der hinweisenden Definition zu sagen, sie setze wie die Verbaldefinition ein Zeichen für ein anderes; das Wort für den Hinweis?" (Philosophische Grammatik, S.90) Auf diese Weise wird anders als im TS 213 nicht deutlich, daß bestimmte Probleme erst durch einen mehrdeutigen Gebrauch des Wortes "vertreten" entstehen.
    6.
    Die Erklärung, ein Satz sei etwas, das mit der Wirklichkeit übereinstimmen oder zu ihr passen könne, ist aus demselben Grund falsch. Sie macht sich dieselbe Mehrdeutigkeit der Wörter "übereinstimmen" und "passen" zunutze. (Vgl. TS 213, S.38, 39 und 201-205)
    7.
    Was den zweiten Teil des Satzes an der gerade betrachteten Textstelle angeht, so macht Wittgenstein in ihrem Umfeld deutlich, daß Muster ebenfalls Zeichen sind, insofern sie einen geregelten Gebrauch haben, den man verstehen kann oder nicht (TS 213, S.47). Dieser Fall kann also parallel zu dem, in dem man auf einen roten Gegenstand hinweist, behandelt werden.
    8.
    Diese Formulierung darf nicht im Sinn einer intentionalistischen Konzeption verstanden werden, sondern in dem Sinn, daß der Gegenstand Teil eines komplexen Zeichens ist, wie ich im folgenden zeige. Wittgenstein weist an anderer Stelle im TS 213 explizit darauf hin, daß man eine hinweisende Definition nur dann richtig versteht, wenn man bereits weiß, ob etwa eine Farbe, ein Mensch oder eine Tonhöhe benannt werden soll (vgl. TS 213, S.32). Auf der Rückseite von S.31 findet man handschriftlich eingefügt ein weiteres Beispiel dafür, wie dieselbe Geste die Bedeutung "von Worten verschiedener Art" erklärt, womit Wittgenstein etwas weiter ist als im getippten Text. Wer bei der Deutung des TS 213 die Verwendung von handschriftlichen Einträgen ablehnt, der wird erkennen, daß der Hinweis auf die Mehrdeutigkeit der hinweisenden Definition bereits im getippten Text deutlich ist.
    9.
    Einem ebenfalls naheliegenden Fehlverständnis soll auch noch vorgebaut werden: Wenn Wittgenstein von der Funktion eines Wortes oder Satzes redet, so meint er nicht eine Funktion im Sinne einer funktionalen Erklärung, sondern, wie ich oben gezeigt habe, ist mit der Funktion in der Sprache der Platz eines Wortes oder Satzes gemeint, der durch die Sprachregeln beschrieben wird.
    10.
    Irreführend drücken sich Baker und Hacker in diesem Zusammenhang aus. So schreiben sie an der folgenden Textstelle: "So ostensive definition does not take us beyond the realm of representing and into the realm of represented." (Baker und Hacker, 1986, S.328) Diese Deutung ist falsch, insofern es gerade wesentlich für eine hinweisende Erklärung ist, daß der Gegenstand, auf den das Wort sich bezieht, selbst, also ein Teil der Welt, als Teil des Zeichens vorkommt. Baker und Hacker verfehlen diese Tatsache, daß der Gegenstand, auf den man in einer hinweisenden Erklärung zeigt, dadurch nicht zu einem Teil der Sprache wird, und versäumen es, die zweite exakt herauszuarbeiten: Der Gegenstand, auf den man hinweist, ist in der hinweisenden Erklärung ein Teil des Zeichens. Er wird dadurch allerdings nicht zu einem permanenten Bestandteil der Sprache. Bedenklich ist in diesem Zusammenhang auch, wie Baker und Hacker Welt und Sprache einander gegenüberstellen: "Samples, though naturally thought of as "part of the world", are best conceived as belonging to the method of representation, as parts of the symbolism." (Baker und Hacker, 1986, S.328) Wieder erwähnen Baker und Hacker nicht die doppelte Rolle von Mustern. Zwar ist es eine Frage der Regeln, für welche Eigenschaften ein Gegenstand als Muster dient, er muß diese Eigenschaften allerdings tatsächlich haben. Es dürften solche und ähnliche Überlegungen sein, die Baker und Hacker dann zu Feststellungen wie der folgenden veranlassen: "Thirdly, meaning lies within language, it is determined by grammar and does not reach out to reality." (Baker und Hacker, 1986, S.327) Man kann das mit einigem guten Willen als eine Formulierung der Autonomie sprachlicher Regeln lesen. Die Ausdrucksweise ist allerdings ungeschickt, insofern man so den wirklichen Zusammenhang zwischen Sprache und Welt leicht mißverstehen kann. Die Tatsache, daß sprachliche Regeln bestimmen, was als Gegenstand, Eigenschaft oder Sachverhalt zählt, ändert dennoch nichts daran, daß diese Gegenstände wie letztlich die Sprache selbst Teile der Wirklichkeit sind.
    11.
    Die Tatsache, daß es im didaktischen Sinn keine letzte Erklärung gibt, ist für Wittgenstein ebenfalls kein Problem. Erklärungen der Bedeutung gibt man nur Sprechern, die schon die Sprache der Erklärung verstehen. Das Lernen einer ersten Sprache geschieht nicht durch Erklärungen, sondern durch Abrichtung. (Vgl. TS 213, S.173)
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