115 Band XI Philosophische Bemerkungen, Philosophische Untersuchungen


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Dieses Buch kann allerdings gekürzt werden, aber es ist sehr schwer es richtig zu kürzen. Diese Bemerkung bezieht sich nicht auf den „Versuch einer Umarbeitung”.
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Philosophische

Bemerkungen


XI.


Fortsetzung von Band X.
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1

14.12.33.



Das Bild sagt mir also sich selbst.
Und daß es mir etwas sagt wird etwa darin bestehen, daß ich in ihm Gegenstände in irgend einer charakteristischen Gruppierung wiedererkenne. (Wenn ich sage: „ich sehe in diesem Bild einen Tisch”, so charakterisiert das, wie gesagt, das Bild in einer Weise, die nichts mit der Existenz eines ‚wirklichen’ Tisches zu tun hat. „Das Bild zeigt mir einen Würfel”, kann z.B. heißen: es enthält die Form Graphic.)
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2
Wenn man mich fragt: „hast Du Deinen Schreibtisch wiedererkannt, wie Du heute morgen in Dein Zimmer getreten bist?” so würde ich wohl sagen „gewiß!” und doch ist es irreführend, das was sich da abgespielt hat ein „Wiedererkennen” zu nennen. Gewiß, der Schreibtisch war mir nicht fremd, ich war nicht überrascht ihn zu sehn, wie ich es gewesen wäre wenn ein andrer dagestanden hätte oder ein fremdartiger Gegenstand.
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<!>


„Was heißt es: ‚dieser Gegenstand ist mir wohlbekannt?” – „Nun, ich weiß daß er ein Tisch ist.” Das kann aber alles mögliche heißen, u.a.: „ich weiß, wie er gebraucht wird”, „ich weiß er sieht wie ein Tisch aus, wenn man ihn aufklappt”, „ich weiß, daß man das einen ‚Tisch’ nennt”.
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Was ist das Wesen des ‚ Wohlbekanntseins’? Worin besteht es, daß ein Anblick mir wohlbekannt ist? (Schon diese Frage ist eigentümlich; sie klingt nicht wie eine grammatische Frage.)
Ich möchte sagen: „Ich sehe was ich sehe. Und die Wohlbekanntheit kann nur darin liegen, daß ich in dem Anblick ruhe.
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„Ich sehe, was ich sehe”, das sage ich darum, weil ich nicht benennen will, was ich sehe. Ich will nicht sagen, „ich sehe eine Blume”, denn das setzt ein Sprachübereinkommen voraus und meine Ausdrucksweise will sich nicht auf die Geschichte des Eindrucks beziehen.
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Das Wohlbekanntsein bestehe darin, daß ich erkenne: was ich sehe sei eine Blume. Ich sage nun: Das Aussprechen der Worte „das ist eine Blume” ist die Reaktion des Erkennens; aber das Kriterium des Erkennens ist nicht, daß ich den Gegenstand richtig benenne, sondern daß ich bei seinem Anblick eine Lautverbindung mit bestimmtem Erlebnis ausspreche. Denn daß die Lautverbindung das richtige deutsche Wort ist, oder überhaupt ein Wort einer bestehenden Sprache liegt nicht in dem Erlebnis beim Aussprechen.
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<!> „Wohlbekannt ist das, wovon ich weiß, was es ist”.
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Ich will alles ‚Geschichtliche’ aus meiner Betrachtungsweise des Bekanntseins ausschalten. Es bleiben dann Eindrücke (Erlebnisse, Reaktionen), und auch wo die Sprache in unsere Erfahrungen eintritt betrachten wir sie nicht als bestehende Einrichtung.
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Die Multiplizität des Wohlbekanntseins, wie ich es verstehe, ist also die des Ruhens in einem Anblick. Es könnte darin bestehen daß mein Blick auf dem Gegenstand nicht unruhig (suchend) umherschweift, daß ich den Aspekt des Gesehenen nicht wechsle sondern sogleich einen Aspekt ergreife und festhalte.1
1 [mich in einem Aspekt niederlasse und bleibe.| sogleich einen Aspekt ergreife und festhalte.]
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Ich sehe das Bild eines dicken Rockes und habe ein Gefühl der Wärme und Behaglichkeit, ich sehe das Bild einer winterlichen Landschaft und friere. Diese Reaktionen, könnte man sagen, sind durch frühere Erfahrung gerechtfertigt. Aber wir bekümmern uns jetzt nicht um die Geschichte unserer Erfahrungen und also auch nicht um eine solche Rechtfertigung.
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Niemand wird sagen, daß jedesmal wenn ich in mein Zimmer komme, in die altgewohnte Umgebung, sich ein Wiedererkennen alles dessen was ich sehe, und hunderte Male gesehen habe, abspielt.
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Wenn wir an unser Verstehen eines Bildes etwa eines Genrebildes denken, so sind wir vielleicht geneigt anzunehmen, daß es da ein bestimmtes Phänomen des Wiedererkennens gibt und wie die gemalten Menschen als Menschen, die gemalten Bäume als Bäume erkennen, etc.
Aber vergleiche ich denn beim Anblick eines Genrebildes die gemalten Menschen mit wirklichen, etc.?
Soll ich also sagen ich erkenne die gemalten Menschen als gemalte Menschen? Und also auch die wirklichen Menschen als wirkliche?
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Freilich gibt es das1 Phänomen des Erkennens, wenn wir, etwa nach einem Vorgang des Suchens, eine Zeichnung als Darstellung eines Menschen erkennen; aber was sich hier abspielt geschieht eben nicht, wenn ich die Zeichnung sogleich als Darstellung eines Menschen sehe.
1 [ein| das]
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Das Bild einer menschlichen Gestalt
sowie die menschliche Gestalt selbst sind uns wohlvertraute Gegenstände. Von einem Wiedererkennen aber ist hier keine Rede.
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Von den Vorgängen, die man „Wiedererkennen” nennt haben wir leicht einen falschen Begriff; als bestünde das Wiedererkennen immer darin daß wir zwei Eindrücke miteinander vergleichen. Es ist als trüge ich ein Bild eines Gegenstandes bei mir und agnoszierte danach einen Gegenstand als den, welchen das Bild darstellt. Unser Gedächtnis scheint uns so einen Vergleich zu vermitteln, indem es uns ein Bild des früher Gesehenen aufbewahrt oder uns erlaubt (wie durch ein Rohr) in die Vergangenheit zu blicken.
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In den meisten Fällen des Wiedererkennens findet kein solcher Vergleich statt.
Jemand kommt mir auf der Gasse entgegen dessen Gesicht meinen Blick auf sich zieht; vielleicht frage ich mich „wer ist das?”; plötzlich ändert sich der Aspekt des Gesichtes in bestimmter Weise, „es wird mir bekannt”; ich lächle gehe auf ihn zu und begrüße ihn beim Namen; jetzt reden wir von der vergangenen Zeit und dabei schwebt mir vielleicht auch ein Erinnerungsbild von ihm vor, ich sehe ihn in einer bestimmten Situation.
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Man sagt vielleicht: hätte ich nicht sein Bild in der Erinnerung bewahrt, so könnte ich ihn nicht erkennen. Aber hier gebraucht man eine Metapher, oder man spricht eine Hypothese aus.
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Man könnte sagen: „der Anblick war erinnerungsbetont”.
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Man sagt auch: „wir könnten Worte gar nicht gebrauchen, wenn wir nicht sie und die Gegenstände die sie bezeichnen wiedererkennten”. Wenn wir die Farbe Grün nicht als solche wiedererkennten (wohl wegen Mangels an Gedächtnis), so könnten wir also das Wort „Grün” nicht anwenden. Aber haben wir denn irgend eine Kontrolle dieses Wiedererkennens, so daß wir wissen daß es wirklich ein Wiedererkennen ist? Wenn wir von einem Wiedererkennen reden, so meinen wir, daß wir etwas als das erkennen, was es, nach andern Kriterien, wirklich ist. „Erkennen” heißt: erkennen, was ist.
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Die Wohlbekanntheit bestätigt den Anblick1 ohne ihn aber mit etwas Anderem zu vergleichen. Sie stempelt ihn gleichsam ab.
1 [Aspekt| Anblick]
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Anderseits möchte ich sagen: „was ich hier vor mir sehe, ist doch nicht irgend eine Form, die ich auf bestimmte Weise sehe, sondern es sind eben meine Schuhe, die ich kenne. Aber hier bekämpfen sich eben zwei Ausdrucksweisen.
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Diese Form, die ich sehe – möchte ich sagen – ist nicht einfach eine Form, sondern sie ist eine von den mir bekannten Formen; sie ist eine im vorhinein ausgezeichnete Form. Sie ist eine von den Formen deren Bild schon früher in mir war und nur weil sie so einem Bild entspricht, ist sie die wohlbekannte Form. (Ich trage gleichsam einen Katalog solcher Formen mit mir herum und die Gegenstände die dort abgebildet sind, sind dann die wohlbekannten.)
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Aber daß ich das Bild schon früher mit mir herumgetragen habe wäre nur eine kausale Erklärung des gegenwärtigen Eindrucks. Es ist, als sagte man: diese Bewegung geht so leicht, als wäre sie eingeübt worden.
Und es ist ja nicht so sehr als vergliche ich den Gegenstand mit einem neben ihm stehenden Bild sondern als deckte er sich mit dem Bild. Ich sehe also nur Eines und nicht zwei.
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Man sagt: „dieses Gesicht hat einen ganz bestimmten Ausdruck”, und sucht etwa nach Worten, die ihn charakterisieren.
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Hier ist es leicht in jene Sackgasse des Philosophierens zu geraten, wo man glaubt die Schwierigkeit der Aufgabe liege darin, daß schwer erhaschbare Erscheinungen1, die schnell entschlüpfende gegenwärtige Erfahrung, oder dergleichen, von uns beschrieben werden sollten. Wo die gewöhnliche Sprache uns zu roh erscheint; und es scheint als haben wir es nicht mit den Phänomenen zu tun, von denen der Alltag redet, sondern „mit den leicht entschwindenden, die mit ihrem Auftauchen und Vergehen jene ersteren annähernd erzeugen”.
1 [Erhaschbares| erhaschbare Erscheinungen]
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Und da muß man sich daran erinnern, daß alle die Phänomene, die uns nun so merkwürdig vorkommen, die ganz gewöhnlichen sind, die, wenn sie geschehen, uns nicht im geringsten auffallen. Sie kommen uns erst in der seltsamen Beleuchtung merkwürdig vor, die wir nun auf sie werfen, wenn wir philosophieren.
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„Das Bild sagt mir sich selbst”, möchte ich sagen. D.h., daß es mir etwas sagt, besteht in seiner eigenen Struktur in seinen Formen und Farben.
So ein Fall wäre es z.B., wenn „es sagt mir etwas” oder „es ist ein Bild” hieße: es zeigt irgend eine Kombination von Würfeln und Zylindern.
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„Es sagt mir etwas” kann heißen: es erzählt mir etwas, es ist eine Erzählung.
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Es sagt mir sich selbst, wie ein Satz, eine Erzählung mir sich selbst sagt.
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Ist denn der Begriff des erzählenden Bildes nicht ähnlich dem des Genrebildes (oder Schlachtenbildes)? Und wenn ich beschreiben wollte, was ein Schlachtenbild ist, so brauchte ich mich nicht auf eine Realität außerhalb des Bildes zu beziehen sondern nur von gemalten Menschen, gemalten Pferden, gemalten Kanonen etc. zu reden.
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„Das Bild sagt mir etwas”: es gebraucht, sozusagen, Worte; hier sind Augen, Mund, Nase, Hände, etc. etc.. Ich vergleiche das Bild mit einer Kombination sprachlicher Formen.
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Aber das System der Sprache ist nicht von der Kategorie eines Erlebnisses. Das typische Erlebnis beim Gebrauch eines Systems nicht das System. (Vergleiche: Bedeutung des Wortes „oder” und Oder-Gefühl.)
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„Jetzt sagt mir diese Zeichenfolge etwas; früher, ehe ich die Sprache lernte, hat sie mir nichts gesagt”. Nehmen wir an wir meinen1 damit, daß der Satz jetzt mit einem bestimmten Erlebnis gelesen wird. Gewiß, diese Zeichenfolge hat, ehe ich die Sprache verstehen lernte, nicht diesen Eindruck gemacht. Der Eindruck ist natürlich, wenn wir vom Kausalen absehen vom System der Sprache ganz unabhängig. – Und nun wehrt sich etwas in mir dagegen, zu sagen: daß der Satz etwas sagt, besteht darin, daß er mir diesen Eindruck macht.
„Etwas ist ein Satz nur in einer Sprache”, will ich sagen.
1 [meinten| meinen]
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‚Sprache’, das sind doch die Sprachen. Auch solche die ich nach Analogie bestehender erfinde. Die Sprachen sind Systeme.
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„Ein Satz ist ein Satz einer Sprache”. Aber das heißt eben: „Sätze” nenne ich Glieder der Sprachen.
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Aber achten wir auf den Gebrauch des Wortes „deutsche Sprache”, sonst fragen wir etwa: „Was ist die Sprache? alle ihre Sätze die je gesprochen worden sind? die Klasse ihrer Regeln und Wörter? etc. etc.”. Was ist das System? Wo ist es? Was ist das Schachspiel? alle Partien? Das Regelverzeichnis?
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Satz ist das Glied einer Sprache”. „Es ist doch offenbar die Kombination von Wörtern die auch anders kombiniert werden können1, was den Satz ausmacht”. D.h. aber: was ihn für mich ausmacht. So betrachte ich die Sprache.
1 [könnten| können]
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Wir wollen eben auf das System der Sprache achten.
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Gewiß, ich lese eine Geschichte und kümmere mich den Teufel um ein System der Sprache. Ich lese einfach, habe Eindrücke, sehe Bilder vor mir, etc.. Ich lasse die Geschichte an mir vorüberziehen wie Bilder, wie eine Bildergeschichte. (Damit will ich natürlich nicht sagen, daß jeder Satz in mir ein visuelles Bild oder mehrere hervorruft, und daß das etwa der Zweck des1 Satzes sei.)
1 [eines| des]
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Denken wir uns eine Bildergeschichte in schematischen Bildern, also ähnlicher der Erzählung in einer Sprache als eine Folge realistischer Bilder. Man könnte in so einer Bildersprache etwa insbesondere den Gang von Schlachten festgehalten haben. (Sprachspiel.) Und ein Satz unserer Wortsprache kommt so einem Bild dieser Bildersprache viel näher als man meint.
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Denken wir auch daran, daß1 wir uns solche Bilder [Graphic] nicht erst in realistische übertragen, um sie zu ‚verstehen’, sowenig wir uns je Photographien oder die Bilder des Films in färbige Bilder übertragen obwohl uns schwarz-weiße Menschen oder Pflanzen etc. in der Wirklichkeit unsagbar fremd und schrecklich vorkämen.
Wie, wenn wir nun hier sagten: „ein Bild ist etwas nur in einer Bildersprache”?
1 [wie| daß]
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Ein Satz einer Erzählung gibt uns dieselbe Befriedigung, wie ein Bild.
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Wir können uns anderseits eine Sprache denken, in deren Verwendung der Eindruck, den wir von den Zeichen erhalten,1 keine Rolle spielt; in der ein Verstehen im Sinne eines solchen Eindrucks nicht in Frage kommt.2 Die Zeichen werden uns etwa geschrieben übermittelt und wir können sie uns nun merken. (D.h. der einzige Eindruck von dem da die Rede ist, ist das Bild des Zeichens.) Wenn es nun ein Befehl ist, so übertragen wir nach Regeln, Tabellen, das Zeichen in Handlung. Zum Eindruck ähnlich dem eines Bildes kommt es gar nicht und man schreibt auch nicht Geschichten in dieser Sprache. Es gibt aber etwa eine Art Unterhaltungslektüre, die darin besteht, daß man gewisse Zeichenfolgen in Körperbewegungen übersetzt die eine Art Tanz bilden. (Vergleiche die Bemerkung über Verstehen und Chiffre.)
1 [, den ein Zeichen uns macht,|, den wir von den Zeichen erhalten,]
2 [; in der es ein Verstehen im Sinne eines solchen Eindrucks nicht gibt.|; in der ein Verstehen im Sinne eines solchen Eindrucks nicht in Frage kommt.]
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Es wäre natürlich auch denkbar, daß wir einen Satz der Wortsprache, um von ihm einen Eindruck zu erhalten, nach Regeln in ein gezeichnetes Bild übertragen müßten. (Daß erst dies Bild eine Seele hätte.)
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(Ich könnte meinem Schüler sagen: Du wirst anders denken, wenn Du durch diese Übungen gegangen bist.)
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In diesem Fall könnte man wirklich sagen: „Das Zeichen lebt nur im System.”1
1 [„Die Zeichenfolge ist tot ohne das System”.| „Das Zeichen lebt nur im System.”]
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Aber auch in unserer gewöhnlichen Sprache können wir von dem Eindruck des Satzes oft ganz absehen und wichtig ist nur, wie wir mit dem Satz operieren. (Freges Auffassung der Logik.)
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„Es gibt keinen alleinstehenden Satz”. Denn was ich „Satz” nenne ist eine Spielstellung in einer Sprache.
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Ist das Verwirrende nicht, daß ich eine Spielstellung betrachten kann so genau ich will, aber dadurch nicht herausfinde, daß es eine Spielstellung ist? Es verwirrt uns hier etwas an1 der Grammatik des Wortes „Spielstellung”.
1 [in| an]
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Das Denken heißt eine Tätigkeit, wie das Rechnen. Niemand würde Rechnen einen Zustand nennen, oder Schach spielen.
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Denken wir uns eine Art Vexierbild, worin nicht ein bestimmter Gegenstand aufzufinden ist, sondern das uns auf den ersten Blick als ein Gewirr nichtssagender Striche erscheint und nach einigem Suchen erst als, sagen wir, ein Landschaftsbild. – Worin besteht der Unterschied zwischen dem Anblick des Bildes vor und nach der Auflösung1? Daß wir es beide Male anders sehen ist klar. Inwiefern aber kann man nach der Auflösung sagen, jetzt sage uns das Bild etwas, früher habe es uns nichts gesagt?
1 [Lösung| Auflösung]
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Wir können diese Frage auch so stellen: Was ist das allgemeine Charakteristikum dafür, daß die Lösung gefunden ist?
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Ich will annehmen, daß ich, sobald es gelöst ist, die Lösung dadurch kenntlich mache1, daß ich gewisse Striche des Vexierbildes stark nachziehe und etwa Schatten eintrage. Warum nennst Du nun das Bild das Du eingezeichnet hast eine Auflösung?
a) Weil es die klare Darstellung einer Gruppe räumlicher Gegenstände ist.
b) Weil es die Darstellung eines regelmäßigen Körpers ist.
c) Weil es eine symmetrische Figur ist.
d) Weil es eine Figur ist die mir einen ornamentalen Eindruck macht.
e) Weil es die Darstellung eines Körpers ist der mir bekannt vorkommt.
f) Weil es eine Liste von Auflösungen gibt und diese Figur (dieser Körper) auf der Liste steht.
g) Weil es eine Art von Gegenstand darstellt, die ich wohl kenne: denn er macht mir den augenblicklichen Eindruck der Wohlbekanntheit, ich verbinde augenblicklich alle möglichen Assoziationen mit ihm, ich weiß, wie er heißt, ich weiß, daß ich ihn oft gesehen habe, ich weiß, wozu man ihn gebraucht, etc. etc.
h) Weil es ein Gesicht darstellt, welches mir bekannt vorkommt.
i) Weil es ein Gesicht darstellt welches ich erkenne: &agr;) es ist das Gesicht meines Freundes so und so &bgr;) es ist ein Gesicht welches ich oft abgebildet gesehen habe. etc.
k) Weil es einen Gegenstand darstellt, den ich mich erinnere, einmal gesehen zu haben.
l) Weil es ein Ornament ist das ich gut kenne (obwohl ich nicht weiß, wo ich es gesehen habe).
m) Weil es ein Ornament ist das ich gut kenne: ich kenne seinen Namen, weiß wo ich es schon gesehen habe.
n) Weil es einen Einrichtungsgegenstand meines Zimmers darstellt.
o) Weil ich instinktiv diese Striche nachgezogen habe und mich nun beruhigt fühle.
p) Weil ich mich erinnere, daß mir dieser Gegenstand beschrieben worden ist.
g1) Weil ich den Gegenstand wohl zu kennen scheine2: es fällt mir sogleich ein Wort als sein Name ein (obwohl das Wort keiner bestehenden Sprache angehört), ich sage mir: „natürlich das ist ein &agr; wie ich es oft in &bgr; gesehen habe. Man &ggr;t damit die &dgr; bis sie εen.” So etwas kommt z.B. im Traum vor.
u.s.w.
1 [darstelle| kenntlich mache]
2 [meine| scheine]
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(Wer nicht versteht, warum wir über diese Dinge reden, muß, was wir sagen, als leere Spielerei empfinden.)
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Der Eindruck ist Eins, und die Bestimmtheit des Eindrucks etwas Anderes.
Was ich den Eindruck der Wohlbekanntheit nenne hat die Multiplizität einer Bestimmtheit.
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Wir können in ein menschliches Gesicht schauen das wir genau kennen ohne irgend einen Eindruck zu haben1, sozusagen ganz stumpfsinnig; und von da bis zu einem starken Eindruck gibt es alle Stufen.
1 [erhalten| haben]
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Denken wir uns der Anblick eines Gesichts ergriffe uns stark1 es flößt uns etwa Furcht ein. Soll ich dann sagen: vor allem muß da der2 Eindruck der Wohlbekanntheit statthaben3, die Form des menschlichen Gesichts als solche muß mir den Eindruck der Bekanntheit machen; und zu diesem Eindruck kommt nun der der Furcht? – Ist es nicht so, daß, was ich den Eindruck der Artbekanntheit nenne, ein Charakteristikum eines jeden starken Eindrucks ist den ein Gesicht auf mich macht? Etwa das Charakteristikum der Bestimmtheit. Ich sagte ja der Eindruck der Wohlbekanntheit bestehe etwa darin daß wir in einem Anblick ruhen, den Aspekt nicht wechseln und dergleichen.
1 [brächte einen starken Eindruck auf uns hervor| ergriffe uns stark]
2 [ein| der]
3 [sein| statthaben]
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Kann ich mir den Eindruck der individuellen Bekanntschaft wegdenken, wo er ist, und hinzudenken wo er nicht ist? Und was heißt das? Ich sehe z.B. das Gesicht eines Freundes an und frage mich: wie schaut dieses Gesicht aus wenn ich es als ein mir unbekanntes Gesicht sehe (als sähe ich es etwa jetzt zum ersten Mal)? Was bleibt sozusagen von dem Anblick des Gesichts wenn ich den Eindruck der Bekanntheit wegdenke, abziehe? – Hier bin ich nun geneigt zu sagen: „es ist sehr schwer die Bekanntheit von dem Eindruck des Gesichts zu trennen”. Aber ich fühle auch daß das eine irreführende Ausdrucksweise ist. Ich weiß nämlich gar nicht wie ich es auch nur versuchen soll diese beiden zu trennen. Der Ausdruck „sie trennen” hat für mich gar keinen klaren Sinn.
Ich weiß was es heißt: „stelle Dir diesen Tisch vor aber schwarz, obwohl er braun ist” das heißt etwas Ähnliches wie: „male ein Bild dieses Tisches aber schwarz statt braun”; oder analog: „zeichne diesen Menschen aber mit längeren Beinen als er hat”.
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Wie, wenn man sagte: „denke Dir diesen Schmetterling, genau so wie er ist, aber häßlich statt schön”?!
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„Es ist sehr schwer ... wegzudenken”: hier scheint es als handle es sich um eine psychologische Schwierigkeit, eine Schwierigkeit der Introspektion oder dergleichen. (Dies trifft für ein großes Gebiet von philosophischen Problemen zu: Denke an das Problem der genauen Wiedergabe, Beschreibung, des im Gesichtsfeld Gesehenen; an die Beschreibung der immer fließenden Erscheinung; auch daran: „wieviel Regentropfen siehst Du, wenn Du in den Regen schaust”.)
Vergleiche: „Es ist schwer diesen Tisch aus der Ferne bewegen zu wollen”.
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Wir haben in diesem Fall nicht bestimmt, was es heißen soll sich die Wohlbekanntheit wegzudenken.
Es könnte etwa heißen, sich des Eindrucks zu entsinnen den ich hatte als ich das Gesicht zum ersten Male sah. Und hier wieder muß man wissen was es heißt zu „versuchen” sich an den Eindruck zu erinnern. Denn das hat mancherlei Bedeutung. Fragen wir uns: welche Tätigkeiten nennen wir „versuchen uns an etwas zu erinnern”; was tun wir wenn wir uns daran erinnern wollen was wir gestern zu Mittag gegessen haben; gibt es diese Methode auch für die frühen Kindheitserinnerungen eines Erwachsenen; kann man versuchen, sich an die eigene Geburt zu erinnern?
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Ich sage mir: ich will versuchen ein gedrucktes deutsches Wort anzuschauen und es so zu sehen als hätte ich nicht lesen gelernt und als seien die schwarzen Figuren auf dem Papier sonderbare Zeichnungen deren Zweck ich mir nicht denken kann, oder nicht ahne. Da geschieht nun dies, daß ich das gedruckte Wort nicht anschauen kann ohne daß mir das Lautbild des Wortes oder der Buchstaben die ich gerade anschaue vorschwebt.
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Eine zeichnerische Darstellung des Innern eines Radioempfängers wird für den der keine Kunde von solchen Dingen hat, ein Gewirr sinnloser Striche sein. Hat er aber den Apparat und seine Funktion kennengelernt so wird jene Zeichnung für ihn ein sinnvolles Bild sein.
Gegeben irgend eine mir jetzt1 sinnlose körperliche Gestalt (etwa im Bild), kann ich nach Belieben sie sinnvoll vorstellen? Das wäre, als fragte man: kann ich mir einen beliebig geformten Körper2 als Gebrauchsgegenstand vorstellen? Aber zu was für einem Gebrauch?
Nun man kann ja wenigstens eine Klasse von Körperformen sich methodisch als Wohnungen von Tieren oder Menschen denken. Eine andere Klasse als Waffen. Eine etwa als Modelle von Landschaften etc. etc.. Und hier weiß ich also, wie ich einer sinnlosen Form Sinn andichten3 kann.
1 [Gegeben nun eine bestimmte mir jetzt| Gegeben irgend eine mir jetzt ]
2 [Gegenstand| Körper]
3 [geben| andichten]
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Wenn ich sage, dieses Gesicht hat den Ausdruck der Milde, Güte, Feigheit, so scheine ich nicht nur zu meinen daß wir die und die Gefühle mit dem Anblick des Gesichts assoziieren, sondern ich bin versucht zu sagen, daß das Gesicht ein Aspekt der Feigheit, Güte, etc., selbst ist. (Vergleiche z.B. Weininger.) – Man kann sagen: ich sehe die Feigheit in dieses Gesicht hinein (und könnte sie auch in ein anderes hineinsehen), aber jedenfalls scheint sie mit dem Gesicht nicht bloß assoziiert, äußerlich verbunden, sondern die Furcht hat die Multiplizität der Gesichtszüge. Und wenn sich z.B. die Züge ein wenig ändern, so können wir von einer entsprechenden Änderung der Furcht reden. Würden wir gefragt: „kannst Du Dir dieses Gesicht auch als Ausdruck des Mutes denken”, so wüßten wir, gleichsam, nicht, wie wir den Mut in diesen Zügen unterbringen sollten. Ich sage dann etwa: „Ich weiß nicht was das hieße, wenn dieses Gesicht ein mutiges Gesicht ist”. [Diesen Satz kann man nicht richtig stellen indem man statt „wenn” „daß” setzt, oder statt „ist” wäre”.] Aber wie sieht die Lösung so einer Frage aus? Man sagt etwa: „Ja, jetzt versteh' ich es:1 das Gesicht ist sozusagen gleichgültig gegen die Außenwelt”. Wir haben also Mut hineingedeutet. Der Mut, könnte man sagen, paßt jetzt wieder auf das Gesicht. Aber was paßt hier worauf?
1 [;|:]
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Es ist ein verwandter Fall (obwohl es vielleicht nicht so scheinen möchte) wenn wir uns z.B. darüber wundern, daß die Franzosen nicht einfach sagen „der Mann ist gut” sondern ein attributives Adjektiv dorthin setzen, wo ein prädikatives stehen sollte; und wenn wir das Problem uns dann dadurch lösen daß wir sagen sie meinten „der Mensch ist ein guter”.
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Könnten verschiedene Deutungen eines Gesichtsausdrucks nicht darin bestehen, daß ich mir zu ihm jedesmal eine andere Weise der Fortsetzung1 denke? So ist es gewiß oft. Ich sehe ein Bild das einen lächelnden Kopf darstellt. Was tue ich, wenn ich das Lächeln einmal als freundliches einmal als böses auffasse? Stelle ich es mir dann nicht in einer räumlichen und zeitlichen Umgebung vor die ich freundlich oder boshaft nenne? So könnte ich mir zu dem Bild vorstellen daß der Lächelnde auf ein spielendes Kind herniederlächelt oder aber auf das Leiden eines Feindes.
Daran wird nichts geändert dadurch, daß ich mir auch die auf den ersten Blick liebliche Situation durch eine weitere Umgebung wieder anders deuten kann. Ein gewisses Lächeln werde ich, wenn keine besondern Umstände meine Deutung umstellen, als freundliches auffassen, ein freundliches nennen, entsprechend reagieren.
1 [eine andere Fortsetzung| eine andere [Art| Weise] der Fortsetzung]
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Was heißt es: „Freundlichkeit in das Lächeln hineinlesen”?
Es heißt vielleicht, ich mache ein dem lächelnden Gesicht auf eine bestimmte Weise koordiniertes Gesicht. Ich ordne etwa dem andern Gesicht meines in der Weise zu daß es den einen oder andern Zug des andern übertreibt.
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Ein freundlicher Mund, ein freundliches Auge. Wie denkt man sich eine freundliche Hand? – Wahrscheinlich geöffnet und nicht als Faust. – Und könnte man sich die Haarfarbe des Menschen als Ausdruck der Freundlichkeit, oder des Gegenteils, denken? Aber, so gestellt, scheint diese Frage1 zu fragen, ob uns das gelingen kann2. Die Frage sollte3 lauten: Wollen wir etwas eine freundliche, oder unfreundliche Haarfarbe nennen? Wollen wir solchen Worten Sinn geben, so würden wir uns etwa einen Menschen denken dessen Haare dunkel werden, wenn er zornig4 wird. Das Hineinlesen des bösen Ausdrucks in die dunklen Haare aber geschähe mittels einer schon fertigen Idee.
Man kann sagen: das freundliche Auge der freundliche Mund, das Wedeln des Hundes sind unter anderm primäre und voneinander unabhängige Symbole der Freundlichkeit, ich meine damit: sie sind Teile der Phänomene die man Freundlichkeit nennt. Will man sich andere Erscheinungen als Ausdruck der Freundlichkeit denken so sieht man jene Symbole in sie hinein. Wir sagen „er macht ein finsteres Gesicht”; vielleicht weil die Augen durch die Augenbrauen stärker beschattet werden; und nun übertragen wir die Idee der Finsternis auf die Haarfarbe. Er macht finstere Haare. Fragte man mich ob ich mir einen Sessel mit freundlichem Ausdruck denken kann, so würde ich mir ihn gewiß vor allem mit einem freundlichen Gesichtsausdruck vorstellen wollen, ein freundliches Gesicht in ihn hineinlesen.
1 [dies| diese Frage]
2 [gelingen wird| gelingen kann]
3 [soll| sollte]
4 [böse| zornig]
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Ich sage: „dieses Gesicht (das zuerst den Eindruck der Furchtsamkeit macht) kann ich mir auch als ein mutiges denken”. Damit meinen wir nicht, daß ich mir vorstellen kann, wie jemand mit diesem Gesicht etwa einem Andern das Leben retten kann (das kann man sich natürlich zu jedem Gesicht vorstellen). Ich rede vielmehr von einem Aspekt des Gesichtes selbst. Was ich meine ist auch nicht, ich könne mir vorstellen, daß dieser Mensch sein Gesicht in ein mutiges, im gewöhnlichen Sinn, verändern wird1; wohl aber, daß es auf eine ganz bestimmte Art in ein solches übergehen kann. Die Umdeutung eines Gesichtsausdrucks ist wohl2 zu vergleichen mit der Umdeutung eines Akkordes in der Musik, wenn wir ihn einmal als Überleitung in diese einmal in jene Tonart empfinden3. (Vergleiche auch den Unterschied Mischfarbe, Zwischenfarbe.)
1 [kann| wird]
2 [aber| wohl]
3 [hören| empfinden]
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<!> Das hängt mit dem Gegensatz von sagen und meinen zusammen.
„Jeder Ausdruck kann doch lügen”: Aber denke doch nur was Du mit „lügen” meinst. Wie stellst Du Dir die Lüge vor? setzt Du nicht einen Ausdruck einem andern entgegen? Doch gewiß dem Ausdruck einen Vorgang, der auch Ausdruck sein könnte.
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Wenn wir uns fragen „welcher Personenname würde den Charakter dieses Menschen treffen” – klanglich abbilden – so steht gleichsam die Projektionsmethode, nach der wir abbilden, fest (So könnte sich etwa ein Dichter fragen welchen Namen er einer Person geben will.). Manchmal aber projizieren wir den Charakter in den gegebenen Namen. So scheint es uns, daß die großen Meister die Namen haben die einzig zu dem Charakter ihrer Werke passen.
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Erlebnis der wirklichen Größe. Wir sähen ein Bild das die Form eines Sessels zeigt; man sagt uns, es stelle eine Konstruktion von Hausgröße vor. Nun sehen wir es anders.
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Was geschieht wenn wir lernen den Schluß einer Kirchentonart als Schluß zu empfinden?
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Denke an die Vielgestaltigkeit dessen was wir „Sprache” nennen. Wortsprache, Bildersprache, Gebärdensprache, Tonsprache.
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„‚Diesen Gegenstand kenne ich wohl’, das ist als sagte ich: ‚dieser Gegenstand ist in meinem Katalog abgebildet’”. Dann bestünde es also darin, daß so ein Bild in einem bestimmten Umschlag mit andern zusammengebunden wäre; in dieser Lade läge. – Aber wenn ich mir das wirklich vorstelle, und denke ich vergliche einfach den gesehenen Gegenstand mit Bildern in meinem Katalog und fände, daß er mit einem von ihnen übereinstimmt, so wäre das eben nicht ähnlich dem Phänomen der Wohlbekanntheit. Man nimmt nämlich an das Bild in unserem Katalog sei uns wohlbekannt. Wäre es uns fremd, so würde die Tatsache daß es in diesem Umschlag, in dieser Lade liegt1 gar nichts für uns bedeuten.
1 [ist| liegt]
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Wenn ich nun von dem Vorbild im Katalog meines Geistes rede oder dem Futteral in welches1 der Gegenstand paßt, wenn er mir wohlbekannt ist, so möchte ich, daß das Futteral in meinem Geist sozusagen als „Form der Vorstellung” ist, sodaß ich nicht sagen kann, ein Vorbild sei in meinem Geiste, welches wirklich nicht dort ist. – Das Vorbild zieht sich sozusagen in meinen Geist zurück, ist also kein Objekt mehr für ihn. Das aber heißt nur:2 Es3 hatte keinen Sinn von einem Vorbild überhaupt zu reden. ( Die Raumbrille die wir nicht ablegen können.)
1 [worein| in welches]
2 [Das heißt aber nur:| Das aber heißt nur:]
3 [es| Es]
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Wenn wir von der Wohlbekanntheit als von einem Passen des Gegenstandes in ein Futteral reden, so ist das nicht ganz so als verglichen wir das Gesehene mit einem Abbild. Wir meinen dann eigentlich das Gefühl, wenn der Gegenstand ohne Widerstand in die Form des Futterals gleitet. Aber dieses Gefühl könnten wir auch haben, wenn gar kein genau passendes Futteral vorhanden wäre.
Wir können uns auch jeden Gegenstand in einem unsichtbaren Futteral denken und das ändert gar nichts an unseren Erfahrungen und ist nun eine leere Form der Darstellung.
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(Die Darstellung der Philosophie kann nur gedichtet werden.)
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(Philosophie dürfte man eigentlich nur dichten. Daraus muß sich, scheint mir, ergeben, wie weit mein Denken der Gegenwart, Zukunft oder der Vergangenheit angehört: Denn ich habe mich damit auch als einen bekannt, der nicht ganz kann, was er zu können wünscht.)
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<!> Die Beruhigung in der Philosophie tritt ein, wenn das erlösende Wort gefunden ist.
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Es sollte eigentlich nicht heißen: „ja, ich erkenne es, es ist ein Gesicht” sondern: „ich erkenne es, ich sehe ein Gesicht”1. (Das Wort Gesicht könnte für mich hier das bloße Ornament Graphicbedeuten (ohne irgend eine Beziehung zum Gesicht des Menschen), wäre also auf gleicher Stufe wie irgend eine andere uns bekannte Figur, z.B. ein Hakenkreuz.) Denn die Frage ist: Was erkenne ich als was? Denn, „ein Ding als es2 selbst erkennen” heißt nichts.
1 [sehe es als Gesicht”| sehe ein Gesicht”]
2 [sich| es]
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Das Gedächtnis mit einem Notizbuch verglichen: Einerseits dient dieser Vergleich als Bild dessen was bewußt vorgeht; anderseits gibt er ein psychologisches Modell. (Und das Wort „bewußt” verweist hier auf einen Abschnitt der Grammatik und ist nicht der eine Teil des psychologischen Gegensatzes „bewußt” – „unbewußt”.)
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Die Vorgänge des Erinnerns sind sehr mannigfach.
„Bist Du in Deinem Zimmer gewesen?” – „Ja.” – „Bist Du sicher?” – „Ich wüßte doch wenn ich gestern nicht hier gewesen wäre!” Dabei brauche ich mich keinen Augenblick in der Erinnerung in meinem Zimmer sehen. Aber nehmen wir an ich sähe mich während ich so spräche in meinem Zimmer am Fenster stehen; wie zeigt mir das Bild daß es gestern war? Freilich, das Bild könnte das auch zeigen, wenn ich in ihm etwa einen Wandkalender mit dem gestrigen Datum sähe. Wenn das aber nicht der Fall war, wie las ich dann aus dem Erinnerungsbild oder der Erinnerung ab daß ich gestern so am Fenster stand, wie übersetzte ich das Erlebnis der Erinnerung in Worte? – Aber übersetzte ich denn ein Erlebnis in Worte? Sprach ich nicht einfach die Worte aus; und zwar in bestimmtem Tonfall und dergleichen Erlebnissen der Sicherheit? War das nicht aber das Erlebnis der Erinnerung? (Das Erlebnis der Überzeugung ist von der Art des Erlebnisses des Tonfalls.) Aber was machte Dich so sicher als Du diese Worte sprachst? Nichts; ich war sicher.
Ich kann freilich, was ich so aussprach, nun auf andere Weise – wie man sagen würde – nachprüfen. Das heißt: ich kann nun versuchen mich an spezielle Geschehnisse des gestrigen Tages zu erinnern und mir Bilder vors Auge zu rufen etc.. Aber das mußte jedenfalls nicht geschehen sein ehe ich antwortete.
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Wenn wir einen Vorgang aus der Erinnerung erzählen so sehen wir wohl manchmal Erinnerungsbilder vor uns; meistens aber sind sie nur in der Erinnerung verstreut wie Illustrationen in einem Märchenbuch.
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Es sagt mir jemand: „stelle Dir auf dieser weißen Wand einen Fleck vor von der Farbe die man ‚rot’ nennt”. Ich tue es; – soll ich nun sagen ich habe mich daran erinnert welche Farbe ‚rot’ heißt? Wenn ich von diesem Tisch rede, erinnere ich mich, daß dieser Gegenstand ‚Tisch’ genannt wird.
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Könnte man nicht einwenden: „So kann also der gewisse Erinnerungen nicht haben, der keine Sprache gelernt hat?” Freilich, – er kann keine sprachlichen Erinnerungen, sprachlichen Wünsche, etc. haben. Und Erinnerungen, etc., in der Sprache sind ja nicht bloß die fadenscheinigen Darstellungen für eigentliche Erlebnisse; ist denn das Sprachliche kein Erlebnis?1 (Worte sind Taten.)
1 [Und [sprachliche Erinnerungen, etc., sind| Erinnerungen in der Sprache, etc. sind ] ja nicht bloße fadenscheinige Schemata; ist denn das sprachliche Erlebnis kein Erlebnis?| Und Erinnerungen, etc., in der Sprache sind ja nicht bloß die fadenscheinigen Darstellungen [eigentlicher| für eigentliche] Erlebnisse; ist denn das Sprachliche kein Erlebnis?]
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Manche Menschen erinnern sich an ein musikalisches Thema in der Weise, daß das Notenbild vor ihnen auftaucht und sie es herunterlesen.
Es wäre denkbar daß, was wir das „Erinnern” bei einem Menschen nennen, darin bestünde, daß er sich im Geiste ein Notizbuch1 nachschlagen sähe und daß was er in diesem Buch liest eben das Erinnerte wäre. (Wie reagiere ich auf eine Erinnerung?)
1 [Buch| Notizbuch]
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Übrigens, denke ich denn, wenn ich die Gegenstände meiner Umgebung als wohlbekannte behandle, an diesen Vergleich? Natürlich nicht. Das tue ich erst, wenn ich den Akt des Erkennens (Wiedererkennens) nachträglich betrachte; und zwar nicht so sehr indem ich zu sehen trachte, was dabei tatsächlich vorgegangen ist, als indem ich es durch ein vorgefaßtes Schema betrachte. (Fluß der Zeit.) (Das Problem vom Wesen der Zeit und dem Fluß der Zeit ist diesem sehr ähnlich.)

<!>
34DIPLO



<!> Ich nenne Regeln der Darstellung nicht Konventionen, wenn sie sich dadurch rechtfertigen lassen, daß die Darstellung, wenn sie ihnen gemäß ist, mit der Wirklichkeit übereinstimmt. So ist die Regel, „male den Himmel heller als irgend etwas, was von ihm sein Licht empfängt” keine Konvention.
Die Regeln der Grammatik lassen sich nicht dadurch rechtfertigen, daß man zeigt, ihre Anwendung führe zu einer Übereinstimmung der Darstellung mit der Wirklichkeit. Denn diese Rechtfertigung müßte das Dargestellte selbst beschreiben.
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<!> Kann aber die Rechtfertigung nicht einfach auf die Wirklichkeit zeigen?
Inwiefern ist dieses Zeigen aber eine Rechtfertigung? Hat es denn die Multiplizität einer Rechtfertigung? Es mag freilich die Ursache sein, warum wir1 diesen Satz statt jenes sagen. Aber gibt es einen Grund dafür? Nennen wir das „Rechtfertigung”?
1 [Ursache davon sein, daß wir| Ursache sein, warum wir ]
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<!> „Sprache” das ist ein Wort wie „Tastatur”. Es gibt Maschinen die eine Tastatur enthalten. Nun könnte ich mich aus irgendwelchen Gründen für Formen von Tastaturen interessieren ( solche die im Gebrauch sind und auch andere bloß von mir ersonnene). Und eine Tastatur erfinden könnte heißen etwas erfinden was die gewünschte Wirkung hat; aber auch neue Formen ersinnen die den alten auf mannigfache Weise analog sind.
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<!> „Die Regeln eines Spiels sind willkürlich” heißt: der Begriff „Spiel” ist nicht durch die Wirkungen, die das Spiel auf uns haben soll, definiert.
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<!> Ist die Philosophie ein Geschöpf der Wortsprache? Ist die Wortsprache eine Bedingung für die Existenz der Philosophie? Richtiger würde man fragen: Gibt es außerhalb des Gebietes unserer Wortsprachen auch etwas der Philosophie Analoges? Denn die Philosophie, das sind die philosophischen Probleme, d.i. die bestimmten individuellen Beunruhigungen, die wir „philosophische Probleme” nennen. Das ihnen Gemeinsame reicht soweit wie1 das Gemeinsame zwischen verschiedenen Gebieten unserer Sprache.
Betrachten wir nun ein bestimmtes philosophisches Problem, etwa das: „Wie ist es möglich einen Zeitraum zu messen, da doch Vergangenheit und Zukunft nicht gegenwärtig und die Gegenwart nur ein Punkt ist” –; so ist das Charakteristische daran, daß sich hier eine Verwirrung in Form einer Frage äußert, die2 diese Verwirrung nicht anerkennt. Daß der Frager durch eine bestimmte Änderung seiner Ausdrucksweise von seinem Problem erlöst wird.
1 [als| wie]
2 [welche| die]
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<!> Ein dem philosophischen analoges Problem, oder eine Beunruhigung, könnte etwa dadurch entstehen, daß jemand auf allen Tasten des Manuals spielte, daß das Ergebnis nicht wie Musik klänge, und daß er doch versucht wäre zu denken1, es müsse Musik sein. etc..
1 [glauben| denken]
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[Etwas, was auf den ersten Blick ausschaut wie ein Satz und keiner ist.] <!>
Der folgende Vorschlag zur Konstruktion einer Straßenwalze wurde mir mitgeteilt und scheint mir philosophisches Interesse zu haben. Der Irrtum des Erfinders hat mit einem philosophischen Irrtum Verwandtschaft. Die Erfindung besteht darin, daß der Motor sich im Inneren der hohlen Walze befindet. Die Kurbelwelle läuft durch die Mitte der Walze und ist an beiden Enden durch Speichen mit ihr1 verbunden. Der Zylinder des Benzinmotors ist an der Innenseite der Walze befestigt. Auf den ersten Blick sieht diese Konstruktion wie eine Maschine aus. Tatsächlich aber ist sie2 ein starres System und der Kolben kann sich im Zylinder nicht aus und ein bewegen. Wir haben ihn3 selbst der4 Bewegungsmöglichkeit beraubt und wissen es nicht.
Graphic
1 [dem Walzenrand| ihr]
2 [Aber sie ist| Tatsächlich aber ist sie]
3 [sie| ihn]
4 [jeder| der]
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Wir sagen: „der Hahn ruft die Hühner durch sein Krähen herbei”; aber liegt dem nicht schon der Vergleich mit unserer Sprache (Wortsprache) zugrunde? – Wird der Aspekt nicht ganz verändert, wenn wir uns vorstellen durch irgend eine physikalische Einwirkung ziehe das Krähen die Hühner an?
Wenn aber gezeigt würde in welcher Weise die Worte „komm zu mir!” auf den Angesprochenen einwirken, so daß, unter gewissen Bedingungen, am Schluß gewisse Muskeln innerviert werden und er zu mir kommt, – würde damit jener Satz den Charakter des Satzes verlieren?
DIPLO
Unsere Sprache, unsere Wortsprache, ist vor allem das was wir „Sprache nennen”, und dann Anderes nach seiner Analogie oder Vergleichbarkeit mit ihr.
DIPLO
Das Achselzucken, wenn wir es (etwa in einem Gespräch) meinen, als Antwort geben, wird allerdings anders erlebt als dieselbe Bewegung wenn sie durch1 einen Schmerz in der Schulter bewirkt wird. Und wir fragen etwa2: „war das als Achselzucken gemeint, oder war es nur eine zufällige Bewegung?” – Würden wir aber das Achselzucken ein Zeichen nennen, wenn wir es nicht in Verbindung mit der Wortsprache gebrauchten?
1 [ein Achselzucken das etwa durch| dieselbe Bewegung wenn sie durch ]
2 [auch| etwa]
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Die Fälle1: „jemandem ein Zeichen geben wollen”. – Ich bedeute jemand mit einer Bewegung der Hand, daß er sich setzen soll; unmittelbar neben ihm steht ein Anderer; aus der Richtung meines Blicks und meiner Gebärde ist nicht zu entnehmen welchem von Beiden ich ein2 Zeichen gebe. Nun fragt man mich: „welchen hast Du gemeint”, und ich antworte: „den A”. Worin bestand3 dieses Meinen? Oder: Worin lag der Unterschied zwischen den Vorgängen, mit diesem Zeichen den A und den B zu meinen?
1 [Der Fall| Die Fälle]
2 [das| ein]
3 [lag| bestand]
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Mache diesen Versuch: Sage „hier ist es kalt” und meine „hier ist es warm”. Kannst Du es? – Und was tust Du dabei? Und gibt es nur eine Art das zu tun?
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„Der Hund meint etwas damit, wenn er mit dem Schwanz wedelt”. Wie könnte man das begründen?1
1 [ Wie können wir das begründen?| Wie könnte man das begründen?]
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Wir würden kaum fragen, ob das Krokodil etwas damit meint, wenn es mit offenem Rachen auf einen Menschen zukommt. Und wir würden erklären: das Krokodil könne nicht denken und darum sei eigentlich hier von einem Meinen keine Rede.
DIPLO
Wenn wir die Achsel zucken, so sind dabei die seelischen Erlebnisse,1 was man die Meinungserlebnisse nennen könnte,2 nicht wesentlich verschieden von denen beim Aussprechen eines Wortes oder Satzes: „vielleicht – ”, „ich weiß nicht”, „weiß Gott” etc. – Diese Worte können gewiß so unwillkürlich (ich meine aber nicht papageienhaft) ausgesprochen werden wie eine Geste gemacht werden kann.
1 [die begleitenden psychischen Erlebnisse,| dabei die seelischen Erlebnisse, ]
2 [ die Meinungserlebnisse,| was man die Meinungserlebnisse nennen könnte,]
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Ad hoc „erfunden” sind natürlich meine Wörter und Gesten nicht; aber nicht alles, was nicht erfunden ist, ist von früher vereinbart.
„Contrat social”. Auch hier ist in Wirklichkeit kein Vertrag geschlossen worden; aber die Situation ist mehr oder weniger ähnlich, analog, der, in welcher wir wären, wenn .... Und sie ist vielleicht mit Nutzen unter dem Gesichtspunkt eines solchen Vertrages zu betrachten.
DIPLO
Was heißt es, zu wissen, was eine Pflanze ist? Was heißt es, es zu wissen und es nicht sagen zu können?
(Sokrates: „Du weißt es und kannst hellenisch reden, also mußt Du es doch sagen können.”)
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Hat dieses Wissen die Multiplizität eines Satzes, der nicht ausgesprochen wurde? So daß, wenn der Satz ausgesprochen würde, ich ihn als den Ausdruck meines Wissens anerkennen würde? – Ist es nicht vielmehr so, daß jede exakte Definition als Ausdruck unseres Verstehens abgelehnt werden müßte? D.h.: müßten wir nicht von so einer sagen, sie bestimme zwar einen, dem unsern verwandten Begriff, aber nicht diesen selbst? Und die Verwandtschaft sei etwa die zweier Bilder, deren eines aus unscharf begrenzten Farbflecken, das andere aus ähnlich geformten und verteilten, aber scharf begrenzten bestünde? Die Verwandtschaft wäre dann ebenso unleugbar, wie die Verschiedenheit.
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Vergleiche:
1 „Wissen was eine Pflanze ist”
3 „Wissen wie hoch der Stephansturm ist”1
4 „Wissen wie eine Klarinette klingt”
2 „Wissen wie man das Wort ‚Pflanze’ gebraucht”.
Wenn wir uns darüber wundern daß Einer etwas wissen, und es nicht sagen kann, werden wir da nicht durch eine scheinbare Analogie mit einem Fall wie No 3 geleitet?
1 [wieviel 25 x 25 ist”| wie hoch der Stephansturm ist”]
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„Ich weiß, was Pflanzen sind:1 ich kann Dir welche2 zeigen, aufzeichnen, beschreiben.”
1 [, was eine Pflanze ist:|, was Pflanzen sind:]
2 [Pflanzen| welche]
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Was nennen wir denn eine „Antwort auf die Frage: ‚was ist eine Pflanze’”? Nun etwa: „Siehst Du, das, das, und das sind Pflanzen”. Auch eine Verbaldefinition der Botanik etwa, würden wir eine Antwort nennen; aber sie wäre eine andere Antwort und nicht mit der ersten äquivalent. Sowenig, wie die Erklärung des Schrittmaßes, die etwa vor einigen hundert Jahren ein Vater seinem Sohn gegeben hat mit der: „ein Schritt = 75 cm”. Diese Antworten sind verwandt aber nicht äquivalent und die zweite ist nicht vielleicht die eigentlich richtige, die die erste ungenaue selbstverständlich ersetzt wenn wir nur einmal die richtige kennen.
DIPLO
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Ich sage: „der Boden war ganz mit Blumen bedeckt”. Wollte jemand eine Erklärung dessen was ich meine so wäre etwa die gemäßeste ich könnte ihm ein gemaltes Bild eines solchen Bodens zeigen. Und ich würde ihm sagen: „siehst Du, so hat es ausgesehen”. Will ich nun, daß er verstehe, jede Blüte und jedes Gras sei genau in der Lage gewesen, wie sie auf dem Bild zu sehen sind? – Und wenn das nicht, ist das1 ein Fehler des Bildes und meine ich, daß ein anderes möglich wäre welches die genauen Lagen zeigte?
1 [es| das]
DIPLO
„Ist ein verschwommener Begriff überhaupt ein Begriff?”. Ist eine unscharfe Photographie ein1 Bild eines Menschen? Kann man ein unscharfes Bild immer2 mit Vorteil durch ein scharfes ersetzen? Ist das unscharfe oft nicht gerade das was man braucht3?
1 [das| ein]
2 [überall| immer]
3 [wir brauchen| man braucht]
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„Was ist eine ‚exakte’ Definition im Gegensatz zu einer unexakten?” Nun etwa, eine Definition in der nicht das Wort „ungefähr”, „beiläufig”, oder1 ähnliche vorkommen.
1 [und| oder]
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Denken wir an ein anderes Beispiel: den Gebrauch des Wortes „eiförmig” oder „Osterei”. Wir würden einen Gegenstand von dieser Gestalt Graphicnicht als Osterei gelten lassen und doch nicht sagen können bei welchem Verhältnis der Länge und Breite etwas anfängt ein Osterei zu sein. Ja, wenn Einer nun ein solches Verhältnis angäbe, so könnten wir es nie als die richtige Begrenzung unseres Begriffes anerkennen. Sondern wir würden entweder sagen: „Nein, das nenne ich kein Osterei, es ist zu schlank (oder zu dick, etc.)” – oder: „ja, das ist ein Osterei, aber der Grenzfall ist es nicht gerade”. Diesen gibt es eben nicht in unserem Kalkül und wer einen Grenzfall einführte, führte einen neuen Kalkül ein.
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Fürs1 Preisschießen gibt es Statuten, welche bestimmen wie die Preise nach der Lage der Schüsse auf der Scheibe zu verteilen sind. Muß es nun für alle vorstellbaren2 Grenzfälle Regeln geben? Würde man sagen, die Preisverteilung gelte nicht, weil für diesen Fall in den Regeln nicht vorgesorgt3 war; selbst wenn dieser Fall beim Preisschießen gar nicht eingetreten ist?
1 [Beim| Fürs]
2 [denkbaren| vorstellbaren]
3 [vorgesehen| vorgesorgt]
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Wenn man sagt „Moses hat nicht existiert, so kann das verschiedenerlei bedeuten. Es kann heißen: die Israeliten haben nicht einen Führer gehabt als sie aus1 Ägypten ausgezogen sind – oder: ihr Führer hat nicht „Moses” geheißen – oder: es hat keinen Menschen gegeben der alles das vollbracht hat, was die Bibel von Moses erzählt. etc., etc.. – Russell würde sagen, daß der Name „Moses” durch verschiedene Beschreibungen definiert sein2 kann. Z.B.: „der Mann welcher zu dieser Zeit und an diesem Ort lebte und damals ‚Moses’ genannt wurde”, „der Mann, welcher die Israeliten durch die Wüste führte”, „der Mann, welcher als Kind von der Tochter Pharaos3 aus dem Nil gezogen4 wurde” etc.. Und je nachdem wir die eine oder andere Definition annehmen bekommt der Satz „Moses hat existiert” einen andern Sinn und ebenso jeder andere Satz der von Moses handelt.
Man wird auch, wenn uns jemand sagt „N existiert nicht”, fragen: „Was meinst Du? willst Du sagen, daß ..., oder daß ..., etc.?”
Oder wenn ich sage5 „N ist gestorben”, so kann es mit der Bedeutung6 des Namens ‚N’ etwa diese Bewandtnis haben: Ich glaube, daß ein Mensch gelebt hat, den ich 1.) dort und dort gesehen habe, der 2.) so und so ausschaut, 3.) das und das getan hat und 4.) in der bürgerlichen Welt den Namen ‚N’ führt. Gefragt, was ich unter ‚N’ verstehe, würde ich Alles das, oder Einiges davon, und bei verschiedenen Gelegenheiten Verschiedenes aufzählen. – Meine Definition von ‚N’ wäre also etwa: „der Mann, von dem alles das stimmt”. Wenn aber etwas davon sich als falsch erwiese, – werde ich nun den Satz „N ist gestorben” für falsch erklären auch wenn sich nur etwas mir ganz Nebensächliches, was ich in die Erklärung des Namens ‚N’ hineingenommen habe, als falsch herausstellt? Ich werde dann meistens wohl bereit7 sein die Definition etwas abzuändern.
Das kann man nun so ausdrücken, daß ich den Namen ‚N’ ohne eine feste Bedeutung gebrauche. (Was seinem Gebrauch so wenig Eintrag tut wie einer Brücke, daß sie kein absolut starrer Körper ist.) Soll man nun sagen das heiße, daß ich ein Wort gebrauche dessen Bedeutung ich nicht kenne8, daß also, was ich sage Unsinn ist?
1 [von| aus]
2 [werden| sein]
3 [des Pharao| Pharaos]
4 [gefischt| gezogen]
5 [Wenn ich nun z.B. sage| Oder wenn ich sage]
6 [dem Gebrauch| der Bedeutung]
7 [ohne weiteres bereit| wohl bereit ]
8 [Heißt das nun daß ich nicht ein Wort gebrauche dessen Bedeutung ich kenne| Soll man nun sagen das heiße, daß ich ein Wort gebrauche dessen Bedeutung ich nicht kenne]
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Und hier erinnere ich mich daran, daß Ramsey einmal betont hat, die Logik sei eine „normative Wissenschaft”. Ich weiß nicht die genaue Idee, welche ihm dabei vorgeschwebt hat.1 Sie war aber zweifellos eng verwandt mit der, welche mir erst später klar wurde, daß wir nämlich in der Philosophie den Gebrauch der Worte mit Kalkülen nach festen Regeln2 vergleichen, aber nicht sagen können, wer die Sprache gebrauche, müsse irgend einen Kalkül nach festen Regeln betreiben. – Sagt man nun aber, daß unser Sprachgebrauch sich solchen Kalkülen nur nähert, so steht man3 damit unmittelbar am Rande einer Reihe von Konfusionen.
Denn nun kann es scheinen, als redeten wir in der Logik von einer idealen Sprache. Als wäre unsre Logik gleichsam eine Logik für den luftleeren Raum. Während die Logik doch nicht von einer Sprache redet (wie die Physik von einer Naturerscheinung), und man also höchstens sagen kann, wir konstruierten ideale Sprachen. Aber hier ist wieder das Wort „ideal” irreführend, denn es scheint nun als wären diese Sprachen besser, vollkommener, als die Umgangssprache und als brauchte es also den Logiker damit der den Menschen endlich zeige, wie ein richtiger Satz ausschaut.4
1 [Die genaue Idee, welche ihm dabei vorgeschwebt hat, kann ich nicht sagen.| Ich weiß nicht die genaue Idee, welche ihm dabei vorgeschwebt hat.]
2 [Spielen nach niedergelegten Regeln| Kalkülen nach festen Regeln]
3 [stehen wir| steht man]
4 [wie sie einen richtigen Satz sprechen sollen.| wie ein richtiger Satz ausschaut.]
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Unsere Untersuchung trachtet nicht die eigentliche, exakte Bedeutung der Wörter zu finden; wohl aber geben wir den Wörtern im Verlauf unsrer Untersuchung oft exakte Bedeutungen.
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Denn was soll ich die ‚Regel’ nennen, ‚nach der er vorgeht’? Die Hypothese, welche seine Spielhandlungen, soweit ich sie kenne, zufriedenstellend beschreibt, – oder die Regel, die er beim Spielen nachschlägt, – oder die Regel die er mir, wenn ich ihn nach seiner Regel frage, zur Antwort gibt? Wie aber, wenn man aus der Beobachtung des Spiels keine klare Regel entnimmt1 und die Frage keine zu Tage fördert? Denn er gab mir zwar auf meine Frage, was er unter ‚N’ verstehe, eine Erklärung, war aber bereit diese Erklärung zu widerrufen und abzuändern. Wie soll ich also die Regel bestimmen, nach der er spielt? er weiß sie selbst nicht. Oder richtiger: Was soll der Ausdruck „Regel nach welcher er spielt” hier noch besagen?
1 [, wenn die Beobachtung des Spiels keine klare Regel [zeigt| erkennen läßt]|, wenn man aus der Beobachtung des Spiels keine klare Regel entnimmt]
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Wir können uns doch sehr wohl vorstellen, daß sich Menschen auf einer Wiese damit unterhielten, mit einem Ball zu spielen und zwar so, daß sie verschiedene geregelte Spiele anfingen, manche davon nicht beendeten, dazwischen den Ball planlos in die Höhe würfen und auffingen, dann wieder versuchten, wie hoch sie den Ball werfen können oder einander mit dem Ball im Scherz bewerfen etc.. Und nun sagte Einer: die ganze Zeit hindurch spielen die Leute ein Ballspiel und richten sich daher bei jedem Wurf nach bestimmten Regeln. Und wäre es anderseits richtig zu sagen: „sie spielen also nicht mit dem Ball.”?
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Welches ist die Bedeutung eines Wortes wenn der Redende sie nicht angeben kann? Nun, wir werden vielleicht sein tatsächliches Verhalten als ein Schwanken zwischen mehreren verwandten Bedeutungen beschreiben können. Ich frage ihn: „was hast Du eigentlich gemeint?” – und als Antwort wird er mir Verschiedenes angeben und sich vielleicht an mich wenden, daß ich ihm ein Regelverzeichnis einrichte, das seinem Zweck entspricht. – Es wird sich dann in unserm Gespräch oft die Redensart finden: „Du wolltest also eigentlich sagen ...”. Und diese kann leicht ganz mißverstanden werden: sie muß nämlich keine Beschreibung eines Vorgangs sein der darin besteht daß man das eine sagt während man das andere sagen will; als wäre, was man „eigentlich sagen wollte” damals schon irgendwie, wenn auch nicht in lauten Worten, ausgedrückt gewesen.
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<!>


(Eine der irreführendsten Redeweisen ist die Frage „was meine ich damit?” – Man könnte in den meisten Fällen darauf antworten: „Gar nichts – ich sage ...”)
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[Gehört nicht hierher] Was geschieht, wenn wir uns bemühen, etwa beim Schreiben eines Briefes, den richtigen Ausdruck unserer Gedanken zu finden? Diese Redeweise vergleicht den Vorgang dem einer Übersetzung oder Beschreibung: die Gedanken sind da, etwa schon vorher und wir suchen nur noch nach ihrem Ausdruck. Dieses1 Bild trifft in verschiedenen Fällen mehr oder weniger zu. – Aber was kann hier nicht alles geschehn! Etwa: ich gebe mich einer Stimmung hin, und der Ausdruck kommt; oder: es schwebt mir ein Bild vor, das ich zu beschreiben trachte2; oder: es fiel mir ein englischer Ausdruck ein und ich will mich auf den entsprechenden deutschen besinnen; oder: es kommt mir eine Gebärde und ich frage mich, „welches ist denn der Satz, der dieser Gebärde entspricht?” Endlich fällt mir einer ein und scheint der Gebärde angemessen; etc. etc..
Wenn man nun fragte: „hast Du den Gedanken, ehe Du den Ausdruck hattest”, was müßte man da antworten? Und was auf die Frage: „worin bestand der Gedanke, wie er vor dem Ausdruck vorhanden war?”
1 [Und dieses| Dieses]
2 [ und ich trachte es zu beschreiben|, das ich zu beschreiben trachte]
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[Ich glaube, dieser Satz, oder ein ähnlicher gehört zu einer Untersuchung was er @..@..@..@.. Frage des augenblicklichen Verstehens etc.] <!> gehört zu: „Was ist ein Satz? Was ist ein Wort? Unsere alltäglichen Begriffe „Satz”, „Wort” etc. sind viel zu wüst, zu ungeklärt. Sollte man nicht von den Sinnesdaten der Sätze etc. reden?
Hier ist es schwer gleichsam den Kopf oben zu behalten, – zu sehen, daß wir bei den Dingen des alltäglichen Denkens bleiben müssen und nicht auf den Abweg zu geraten, wo es scheint, als müßten wir die letzten1 Feinheiten beschreiben, die wir doch wieder mit unsern Mitteln gar nicht beschreiben könnten. Es ist uns, als sollten wir ein zerstörtes Spinnennetz mit unsern Fingern wieder in Ordnung bringen.2 {Diese Bemerkung bezieht sich auf den Fall, wenn wir scheinbar von den Dingen des Alltags zu immer schwerer faßbaren hinabsteigen und in den brauenden Nebeln zu ertrinken drohen.}
1 [letzte| die letzten]
2 [[zurecht richten| in Ordnung bringen].| wieder richten.| wieder in Ordnung bringen.]
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Was versteht man unter „allen Regeln des Tennisspiels”? Alle Regeln die in einem bestimmten Buche stehn, oder alle, die der Spieler im Kopf hat, oder alle, die je ausgesprochen wurden, oder gar, alle, die sich angeben lassen? – Daher wollen wir lieber nicht so vag von ‚allen Regeln’ reden, sondern nur von bestimmten Regeln, oder allen Regeln eines Verzeichnisses; und dergleichen. Und das Gleiche gilt von den Regeln über die Verwendung eines Wortes.
DIPLO
Es ist nicht unsere Aufgabe, die Wortsprache1 zu verbessern, exakter zu machen, oder gar zu versuchen, an ihre Stelle eine ‚ideal exakte’ zu setzen. Wir haben von einer solchen gar keinen Begriff. Damit sage ich nicht, daß wir für unsere Zwecke nicht auf präziseren Ausdruck dringen müssen als2 den gebräuchlichen3.
1 [unsere Sprache| die Wortsprache]
2 [dringen, als| dringen müssen als ]
3 [üblichen| gebräuchlichen]
DIPLO
Die Verkehrsregelung in den Straßen erlaubt und verbietet gewisse Handlungen (der Fahrer und Fußgänger); aber sie versucht nicht ihre sämtlichen Bewegungen durch Regeln zu leiten1. Und es wäre unsinnig von einer idealen Verkehrsordnung zu reden, die das täte; wir wüßten nicht, was wir uns unter diesem Ideal zu denken hätten2. Wünscht Einer die Verkehrsordnung in irgendwelchen Punkten strenger zu gestalten, so bedeutet das nicht, er wünsche sie so einem Ideal anzunähern3.
1 [durch Vorschriften zu regeln| durch Regeln zu leiten]
2 [; wir wüßten nicht, wie wir uns dieses Ideal zu denken hätten |; wir wüßten nicht, was wir uns unter diesem Ideal zu denken hätten]
3 [sich so einem Ideal zu nähern| sie so einem Ideal anzunähern]
DIPLO
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Wir verstehen was es heißt: eine Taschenuhr wird auf die genaue Stunde gestellt, – oder: sie wird gerichtet daß sie genau geht.
Wie aber wenn man fragte: ist diese Genauigkeit eine ideale Genauigkeit, oder, wie nahe kommt sie ihr?1 – Wir können freilich von Zeitmessungen reden, bei welchen es eine andere und, in einem gewissen Sinne, größere Genauigkeit gibt als bei der Zeitmessung mit der Taschenuhr. Wo die Worte „die Uhr auf die genaue Stunde stellen” eine andere (wenn auch verwandte) Bedeutung haben, und die Uhr ablesen ein anderer Prozeß ist, etc.. Wenn ich nun jemandem sage: „Du solltest pünktlicher zum Essen kommen, Du weißt daß es genau um 1 Uhr anfängt”, – wird man sagen, daß die Genauigkeit, von der hier die Rede ist, hinter der idealen, zurücksteht, der sich die Zeitmessung im Laboratorium nähert? Gibt es ein Ideal der Genauigkeit?
1 [, wie weit nähert sie sich ihr?|, wie nahe kommt sie ihr?]
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Gibt es ein komplettes Regelverzeichnis für die Verwendung eines Wortes? Wie hat man sich das vorzustellen?
Gibt es ein komplettes Regelverzeichnis für die Verwendung einer Figur im Schachspiel? Könnten wir uns nicht Zweifelsfälle konstruieren die das normale Regelverzeichnis nicht entscheidet1? Denke etwa an so eine Frage:2 wie ist es festzustellen wer zuletzt gezogen hat, wenn die Zuverlässigkeit des Gedächtnisses der Spieler angezweifelt wird? Macht aber die Möglichkeit eines solchen Zweifels das Schachspiel zu einem nicht ganz idealen Spiel? und welchen Begriff haben wir von diesem Ideal?
Es scheint da als wäre alles was wir ‚Ideal’ nennen nur ein angenähertes Ideal gegen das ideale Ideal.
1 [nicht Zweifel konstruieren die das normale Regelverzeichnis nicht beseitigt| nicht [zweifelhafte Fälle| Zweifelsfälle] konstruieren [in denen das| die das ] normale Regelverzeichnis nicht entscheidet]
2 [Fragen wir etwa:| Denke etwa an so eine Frage:]
DIPLO
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Man kann fragen: Wenn wir nicht eine ideale Exaktheit im Gegensatz zu der alltäglichen anstreben, wozu arbeiten wir an der Grammatik unserer Sprache überhaupt herum? Und die Antwort ist: Wir wollen Verwirrungen und Beunruhigungen beseitigen die aus der Schwierigkeit entspringen, das System unsrer Ausdrucksweise zu übersehen. Wir werden dazu Unterscheidungen hervorheben, die in den Formen unserer gewöhnlichen Notation1 nur einen schwachen, schwer sichtbaren Ausdruck finden.
Dadurch kann es allerdings den Anschein haben als setzten wir uns vor die Sprache zu reformieren.
1 [unserer Sprache| unserer gewöhnlichen Notation]
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So eine Reform für bestimmte praktische Zwecke, die Verbesserung unserer Terminologie zur Vermeidung von Mißverständnissen [kein Beistrich] ist wohl denkbar. (Wenn zwei Mitglieder einer Familie ‚Paul’ heißen, so ist es oft zweckmäßig, den einen von ihnen bei einem andern Namen zu nennen.) Aber das sind nicht die Fälle, mit denen wir es zu tun haben. Die Konfusionen die uns beschäftigen entstehen, gleichsam, wenn die Sprache feiert, nicht wenn sie arbeitet. (Man könnte sagen: „wenn sie leerläuft”.)
DIPLO
53
Wir wollen nicht das Regelsystem in unerhörter Weise verfeinern oder vervollständigen.1
<!>
1 [komplettieren.| vervollständigen.]
DIPLO


<!> „Du wolltest also eigentlich sagen” mit dieser Redeweise leiten wir jemand von einer Ausdrucksform zu einer andern. Man ist, wie gesagt, versucht zu meinen, das, was er eigentlich „sagen wollte”, was er „meinte” sei noch ehe wir es aussprachen in seinem Geist ausgedrückt gewesen. (Man sagt in gewissen Fällen, es habe ihm vorgeschwebt: auch dieser Ausdruck beschreibt sehr Mannigfaches1.) Was uns dazu bewegt einen Ausdruck aufzugeben und an seiner Stelle2 einen andern anzunehmen kann von mannigfacher Art sein. Das zu verstehen, ist es nützlich das Verhältnis zu betrachten, in welchem die Lösungen mathematischer Probleme zum Anlaß und Ursprung der Fragestellung stehen.3 Das Verhältnis der Begriffe ‚Dreiteilung des Winkels mit Lineal und Zirkel’, wenn Einer nach der Dreiteilung sucht, und anderseits, wenn bewiesen ist4, daß sie unmöglich ist.
1 [mannigfache Vorgänge| Mannigfaches]
2 [statt seiner| an seiner Stelle]
3 [ Das zu verstehen, ist es nützlich, das Verhältnis der Lösung eines mathematischen Problems zum ursprünglichen Sinn der Fragestellung zu betrachten.| Das zu verstehen, ist es nützlich das Verhältnis zu betrachten, in welchem die Lösungen mathematischer Probleme [zum ursprünglichen Sinn| zum Anlaß und Ursprung] der Fragestellung stehen.]
4 [wird| ist]
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54
Nehmen wir an, es fragt mich jemand (wie oben): „was verstehst Du unter ‚Moses’?”
Ich erkläre nun: „unter ‚Moses’ verstehe ich den Mann, wenn es einen solchen gegeben hat, der die Israeliten aus Ägypten geführt hat, wie immer er damals genannt worden sein mag und was immer er sonst getan oder nicht getan haben mag”. Aber über den Gebrauch der Worte dieser1 Erklärung sind ganz ähnliche2 Zweifel möglich wie über den Gebrauch des Namens3 „Moses”. (Was nennst Du „Ägypten”; wen, „die Israeliten”? etc..) Ja diese Fragen kommen auch nicht zu einem Ende, wenn wir etwa bei Wörtern, wie „rot”, „dunkel”, „süß”, angelangt wären. „Aber wie hilft mir dann eine Erklärung zum Verständnis, wenn sie doch nicht die letzte ist? Ich verstehe also noch immer nicht, und nie, was er meint.” „Verständnis” nenne ich aber gerade, was mir eine Erklärung gibt. Als ich nach einer Erklärung fragte, fragte ich gerade nach einer solchen Antwort. Sie hat4 die Schwierigkeit beseitigt, die ich hatte.
1 [über die Worte dieser| über den Gebrauch der Worte dieser ]
2 [analoge| ähnliche]
3 [den Namen| den Gebrauch des Namens]
4 [war es das, was ich brauchte. Die Antwort hat| fragte ich gerade nach einer solchen Antwort. Sie hat ]
DIPLO
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Ist der Begriff ‚rot’ undefinierbar? „Undefinierbar”, darunter stellt man sich etwas vor wie unanalysierbar; und zwar so, als wäre hier ein Gegenstand unanalysierbar (wie ein chemisches Element). Dann wäre die Logik also doch eine Art sehr allgemeiner Naturwissenschaft. – Aber die Unmöglichkeit der Analyse entspricht einer von uns angenommenen Art und Weise1 der Darstellung.
1 [Weise| Art und Weise]
DIPLO

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Wir könnten fragen: Wie denn, ‚undefinierbar’! Können1 wir denn versuchen es zu definieren? Und wie?–
1 [Könnten| Können]
DIPLO
<!>

Es ist von der größten Bedeutung, daß wir uns zu einem Kalkül der Logik immer ein Beispiel denken, auf welches der Kalkül eine Anwendung findet, und daß wir nicht Beispiele geben und sagen, sie seien eigentlich nicht die idealen, diese aber hätten wir noch nicht. Das ist das Zeichen einer falschen Auffassung. (Russell und ich haben, in verschiedener Weise an ihr laboriert. Vergleiche was ich in der „Log. phil. Abh.” über Elementarsätze und Gegenstände sage.) Kann ich den Kalkül überhaupt verwenden, dann ist dies auch die ideale Verwendung, und die Verwendung um die es sich handelt. Einerseits will man nämlich das Beispiel nicht als das eigentliche anerkennen, weil man in ihm eine Mannigfaltigkeit sieht, der der Kalkül nicht Rechnung trägt. Anderseits ist es doch das Urbild des Kalküls und er davon hergenommen, und auf eine geträumte Anwendung kann man nicht warten. Man muß sich also eingestehen, welches das eigentliche Vorbild1 des Kalküls ist.
Nicht aber, als habe man damit einen Fehler begangen, den Kalkül von daher genommen zu haben. Der Fehler2 liegt darin, dem Kalkül seine eigentliche3 Anwendung jetzt nicht zuzugestehen, sondern sie4 für einen idealen Fall5 zu versprechen.
1 [Urbild| Vorbild]
2 [; sondern der Fehler|. Der Fehler ]
3 [wirkliche| eigentliche]
4 [ und sie|, sondern sie]
5 [eine nebulose Ferne| einen idealen Fall]
DIPLO
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Denken wir Spengler sagte: „Ich vergleiche verschiedene Kulturperioden dem Leben von Familien; innerhalb einer Familie gibt es eine Familienähnlichkeit, während es auch zwischen Mitgliedern verschiedener Familien Ähnlichkeiten gibt; die Familienähnlichkeit unterscheidet sich von der andern so und so. etc..” Das Vorbild1, der Gegenstand, von welchem diese2 Betrachtungsweise abgezogen ist, soll uns angegeben werden, damit die Betrachtung nicht ungerecht wird. Denn nun wird alles was vom Vorbild gilt auch vom Gegenstand unserer Betrachtung behauptet; und behauptet: es müsse immer .... Das ist der Ursprung einer Art von Dogmatismus. Man vergißt die Stellung des Urbilds in der Betrachtung: Es ist die Maßeinheit mit3 der wir das Betrachtete messen. Der Dogmatismus aber behauptet, daß jeder gemessene Gegenstand genau eine ganze Zahl von Maßeinheiten lang sein muß. Es ist allerdings wahr, daß eine4 Maßeinheit für einen Zweck gut gewählt war, wenn sie viele der Längen, die wir messen wollen, in ganzen Zahlen ausdrückt.
1 [Vergleichsobjekt| Vorbild]
2 [eine| diese]
3 [mittels| mit]
4 [die| eine]
DIPLO


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Page last updated: 10. July 1996

   Franz Hespe