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  Verschiedene Briefe

VON LUDWIG VON FICKER, 15. 9. 1914
Innsbruck-Mühlau 102
15.IX.1914

Sehr geehrter Herr Wittgenstein!

Hoffentlich ist mein Ietzter Brief, den ich Ihnen vor ungefähr drei Wochen sandte und der meine Vorschläge zur Verteilung der restlichen Summe enthielt, in Ihre Hände gelangt. Mittlerweile ist nun auch die Auskunft über Rilke eingelangt, der nach den Angaben des Professors Sauer in Prag gegenwärtig in sehr beengten, fast drückenden Verhältnissen leben soll, so daß es mir wohl angezeigt schiene, auch den auf ihn entfallenden Betrag mit 20.000 festzusetzen. Vielleicht darf ich Sie bitten, mir mitzuteilen, ob Sie meinen letzten Brief erhalten haben, da ich bis heute ohne Nachricht bin. Ich besorge schon, daß die von Ihnen zuletzt mitgeteilte Adresse inzwischen sich geändert haben könne oder daß sie am Ende nicht genügend vollständig war. Aber Sie haben jetzt wohl einen anstrengenden Dienst und wohl kaum die nötige Muße, sich mit der Angelegenheit zu befassen. Das scheint mir wahrscheinlicher. Trotzdem ­ wenn es Ihnen nur irgend möglich sein sollte, Zeit für ein paar Zeilen zu erübrigen, so bitte ich Sie, wie gesagt, recht bald um eine kurze Verständigung.
Einstweilen wünsche ich Ihnen alles Gute und verbleibe mit herzlichen Grüßen in aufrichtiger Ergebenheit
Ihr
Ludwig v. Ficker

AN LUDWIG VON FICKER, [22. 9. 1914]
Ludwig Wittgenstein
Militär Kommando
Krakau
Feldpost Nº 186

Herrn
Ludwig von Ficker
Innsbruck-Mühlau 102
Tirol

Sehr geehrter Herr v. Ficker! Erst heute erhielt ich Ihre beiden freundlichen Briefe. Vielen Dank! Ich war seit 4 Wochen auf einem Weichsel-Schiff in Russland und bin erst heute nach Krakau zurückgekehrt. Mit Ihrem letzten Vorschlag bezüglich Rilkes bin ich selbstverständlich höchst einverstanden. Bitte veranlassen Sie daß er das Seine so rasch als möglich erhält. Meine Adresse auf der Rückseite. Herzlichsten Dank für Ihre Freundlichkeit und herzlichste Grüße. Ihr ganz ergebener
Ludwig Wittgenstein

AN LUDWIG VON FICKER, [22. 9. 1914]
Ludwig Wittgenstein
Militär Kommando
Krakau
Feldpost Nº 186

Herrn Ludwig von Ficker
Innsbruck-Mühlau 102
Tirol

Sehr geehrter Herr v. Ficker! Dies ist nur eine Nachschrift zu einer Karte die ich heute früh an Sie geschickt habe. Ich vergas zu sagen daß ich überhaupt mit allen Ihren Vorschlägen einverstanden bin. ­ Also Trackl ist auch im Krieg! Es ist vielleicht lächerlich zu denken daß wir uns treffen könnten; aber lieb wäre es mir. Ich wünsche Ihnen das aller Beste.
Ihr ganz ergebener
Ludwig Wittgenstein

VON STANISLAUS JOLLES, 25. 9. 1914
Stanislaus Jolles, Berlin Halensee, Kurfürstendamm Nr. 130

Oesterreich-Galizien
Krakau Feldpost Nš 186
An den Kriegsfreiwilligen
Herrn Ludwig Wittgenstein
Militärkommando
K. K. Oesterr.-Ungar.
Festungsartillerie Regiment Nr. 2
2. Kader
Berlin-Halensee, d. 25. IX. 14
Kurfürstendamm 130III

Lieber Herr Wittgenstein,

Bitte schreiben Sie doch ein Datum auf Ihre Postkarten, da dieses und d. Poststempel auf Ihrer soeben eingetroffenen Karte fehlt, wissen wir garnicht, wann Sie geschrieben u. mit von der "Goplana" nach Krakau zurückgekehrt sind. Ich habe nie so oft und noch dazu mit einer solchen Herzensfreude an Sie gedacht, wie jetzt. So Gott will geht es Ihnen weiter gut! Lassen Sie recht oft und bald von sich wieder hören. Gestern traf die definitive Bestätigung der Freudenbotschaft ein, daß unser Unterseeboot U. 9 drei große Engl. Kreuzer bei [Hoek van] Holland in den Grund durch Torpedos gebohrt hat und heute lese ich aus Engl. Quelle, daß unsere Emden die Oeltanks in Madras zerstört hat u. im Indischen Ozean Engl. Handelsdampfer im Werte von 18 Millionen Mark versenkt hat. Nur so fort!
Herzlichst
Ihr alter Stanislaus Jolles

VON LEOPOLDINE WITTGENSTEIN, [29. 9. 1914]
Poldy Wittgenstein
Wien XVII
Neuwaldeggerstraße 38
[Poststempel: WIEN 29.IX.14]
Herrn Ludwig Wittgenstein
Freiwilliger
Militär Kommando
Krakau
Feldpostnummer 186

Mein teures Kind, ich bin ganz unglücklich aus Deinem Telegramm vom 26. zu erfahren daß Du gar keine Nachricht von mir erhaltest und ich habe Dir schon unzählige Karten geschrieben auch neulich warme Wäsche geschickt. Ich habe von Dir schon 15 Karten, Du schreibst mir ja zu meiner Freude so oft. Wir sind alle vollkommen gesund. Paul klagte wie Du daß er gar keine Nachricht erhält, ich habe aber jetzt über einen Monat keine Nachricht von ihm. In zärtlicher Liebe umarmt Dich Deine
Mama

Onkel Paul und Labor sind auch wohl und schicken Dir viele Grüße. Alles denkt liebend an Dich am Liebendsten Deine Mutter

Kommentar dazu:

VON LUDWIG VON FICKER*, 15. 9. 1914
Brief.
mein Ietzter Brief: vom 21.8.1914*.
Rilke: Rainer Maria Rilke*.
Sauer: August Sauer*.

AN LUDWIG VON FICKER*, [22. 9. 1914]
Feldpostkorrespondenzkarte. Datierung nach einer Tagebucheintragung vom 22.9.: "Erhielt eine Menge Karten und Briefe u.a. von Ficker und Jolles." (MS 101, zit. nach Wittgenstein's Nachlass)
Ihre beiden freundlichen Briefe: vom 21.8.1914*.und vom 15.9.1914*.

Rilke: Rainer Maria Rilke*.

AN LUDWIG VON FICKER*, [22. 9. 1914]
Feldpostkorrespondenzkarte. Vgl. den Kommentar zum vorhergehenden Brief an Wittgenstein.
Karte: datiert mit [22.9.1914]*.
Trackl: Georg Trakl*. Aus Trakls Brief Nr. 128 an Maria Trakl (ca. 7.-10.9.1914, in: Historisch-kritische Ausgabe. Hrsg. v. Walter Killy und Hans Szklenar. Band I. Salzburg: Otto Müller, 1967, S. 620) geht hervor, daß Trakls Einheit nicht sofort zum Einsatz gelangte, wahrscheinlich erst im Zeitraum vom 8.-11. September bei der großen Offensive zur Rückeroberung Lembergs.
Kurt Rawski-Conroy ist in diesen Tagen Georg Trakl begegnet (Georg Trakl. Ein Gedenkblatt zum vierzigsten Todestag von einem Kriegskameraden. In: österreichische Apothekerzeitung 8, 1954, S. 665, Zit. nach. Erinnerung an Georg Trakl, 3. Aufl. Salzburg 1966, S. 201): "Ich sah, wie Trakl mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen an der Bretterwand der Scheune lehnte. Die Kappe war seinen Händen entglitten. Er merkte es nicht und ohne auf Zuspruch zu hören, keuchte er: 'Was kann ich tun? Wie soll ich helfen? Es ist unerträglich.' ­ An der Uniform hatte ich erkannt, daß es ein engerer Kamerad war, der da in heller Verzweiflung zusammenzubrechen drohte. Ich wollte zu helfen suchen, hatte aber das Empfinden, daß der Bedauernswerte kaum auf meinen Zuspruch achtete, obwohl er seinen Namen murmelte, als ich den meinen nannte. Ich mußte weiter und hatte die beste Absicht, meinem Versprechen gemäß ärztliche Hilfe nach Möglichkeit herbeizuschaffen. Es gelang leider nicht."
In der Erinnerung an Georg Trakl (3. Aufl.), S. 200f. hat Ficker die mündlichen Mitteilungen Trakls festgehalten:
"In der Schlacht von Grodek, kurz vor der Entscheidung und schon im Rückschlag einer an der Front ausbrechenden Panik, war die Sanitätskolonne, der er angehörte, zum ersten Male eingesetzt worden. In einer Scheune, nahe dem Hauptplatz des Ortes, hatte er ohne ärztliche Assistenz die Betreuung von neunzig Schwerverwundeten zu übernehmen und machtlos, selber hilflos, diese Marter durch zwei Tage ausstehen müssen. Noch habe er das Stöhnen der Gepeinigten im Ohr und ihre Bitten, ihrer Qual ein Ende zu machen. Pötzlich, kaum hörbar in dem Jammer, sei eine schwache Detonation erfolgt: Einer mit einem Blasenschuß hatte sich eine Kugel durch den Kopf gejagt, und unversehens klebten blutige Gehirnpartikel an der Wand. Da hatte er hinaus müssen. Aber so oft er in das Freie trat, immer habe ihn ein anderes Bild des Grauens angezogen und erstarren gemacht. Da standen nämlich auf dem Platz, der wirr belebt und dann wieder wie ausgekehrt schien, Bäume. Eine Gruppe unheimlich regungslos beisammenstehender Bäume, an deren jedem ein Gehenkter baumelte. Ruthenen, justifizierte Ortsansässige. Einer von ihnen, der zuletzt Aufgeknüpfte, hatte sich, wie Trakl erfuhr (oder hat er's noch miterlebt?), die Schlinge selbst um den Hals gelegt. Tief habe er sich den Anblick eingeprägt: der Menschheit ganzer Jammer, hier habe er einen angefaßt! Nie könne er das vergessen, und auch den Rückzug nicht; nichts nämlich sei so schrecklich als ein Rückzug in Verwirrung."

VON STANISLAUS JOLLES*, 25. 9. 1914
Feldpostkarte, Poststempel: "BERLIN-HALENSEE, 25.9.14" mit dem Vermerk "ZENSURIERT" gestempelt. Von fremder Hand wurde die Adresse ergänzt: "Weichselschiff 'Goplana'".
Karte: nicht überliefert.
mit von: sic!
nach Krakau zurückgekehrt: Wittgenstein kam am 21.9. mit der "Goplana" in Krakau an und notierte am 22.9. in sein Tagebuch: "Erhielt eine Menge Karten und Briefe u.a. von Ficker und Jolles." Und am 28.10: "Auch von Ficker und der Jolles liebe Nachricht." (MS 101, zit. nach Wittgenstein's Nachlass). Diese Zuschriften von Stanislaus und Adele Jolles sind verschollen.
Unterseeboot U.9: Das Unterseebot U 9 versenkte am 22.9.1914 die britischen Panzerkreuzer Aboukir, Hogue und Cressey.
unsere Emden: Der Kleine Kreuzer SMS Emden war der erfolgreichste deutsche Auslandskreuzer. Am 22.9. schoß die Emden mindestens 2.000 Tonnen öl im Hafen von Madras in Brand. Am 28.10. beschoß sie die Hafenanlagen von Penang und zerstörte einen russischen Kreuzer und einen französischen Zerstörer. Insgesamt brachte die Emden 19 Schiffe mit insgesamt 82.938 Bruttoregistertonnen auf. Am 9.11.1914 wurde die Emden von einem australischen Kreuzer zerstört.

VON LEOPOLDINE WITTGENSTEIN*, [29. 9. 1914]
Feldpostkorrespondenzkarte, mit dem Vermerk "ZENSURIERT" gestempelt.
Telegramm vom 26.: nicht überliefert.
gar keine Nachricht von mir: Am 21.9.1914 erhielt Wittgenstein eine Karte seiner Mutter, die sie bereits am 20.8. geschrieben hatte, wie aus seiner Tagebucheintragung vom 21.9. hervorgeht: "Heute erhielt ich eine Karte von Mama die sie am 20.8. schrieb." (MS 101, zit. nach Wittgenstein's Nachlass) Und am 4.10. erhält er eine Karte vom 9.9.: "Erhielt heute eine Karte die Mama an mich am 9. des vorigen Monats geschrieben hat. Sie enthält nichts Wichtiges." (MS 101) Das Datum der Karte, die er tags darauf, d.h. am 5.10. bekommt, liegt weniger weit zurück: "Soeben erhielt ich eine Karte von Mama vom ersten des Monats. Alles wohl! Nun also!" (MS 101) Diese drei Karten vom 20.8., 9.9. und 1.10 sind jedoch nicht überliefert.


15 Karten: nicht überliefert. Nur eine Feldpostkorrespondenzkarte vom 29.8.1914* ist überliefert.

Paul: Paul Wittgenstein (Bruder)*.
Paul: Paul Wittgenstein (Onkel)*.
Labor: Josef Labor*.
Chronik
14.8.-20.9. Auf der Goplana durch Rußland (Geheime Tagebücher, S. 17-24)
1.9. Beginn der Tolstoi-Lektüre (Geheime Tagebücher, S. 20)
21.9.-6.10. Krakau (Geheime Tagebücher, S. 24-27)

 
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