„Eine Menge von Landschaftsskizzen.“ – Zur Bedeutung des Zeichnerischen in Ludwig Wittgensteins Spätphilosophie

Hana Gründler

Abstract


„Die philosophischen Bemerkungen dieses Buches sind gleichsam eine Menge von Landschaftsskizzen, die auf langen und verwickelten Fahrten entstanden sind“, so beschreibt Ludwig Wittgenstein das Resultat seiner langjährigen Denkbewegungen im Vorwort zu den Philosophischen Untersuchungen. Bezeichnenderweise finden sich in Wittgensteins nach 1930 entstandenen Schriften viele Passagen, in denen er Parallelen zwischen seinem philosophischen Denken und künstlerischen Denk- und Verfahrensweisen zieht. In Zusammenhang mit dieser Analogie von Philosophie und Malerei bzw. Zeichnung betont er immer wieder die Bedeutung des anschaulichen und kreativen Denkens. Der Umstand, daß Wittgenstein stellenweise eine eng an der Bildenden Kunst orientierte Sprache verwendet, wurde in der Forschung nur am Rande berücksichtigt. Dabei ergeben sich daraus mehrere Fragen: Aus welchem Grund vergleicht ein Philosoph sowohl die Methode – das Skizzieren, das Malen – als auch die Resultate seines Denkens – eine „Menge Landschaftsskizzen“ oder ein „Album“ – mit denjenigen der Bildenden Kunst? Wieso nennt Wittgenstein den Leser der Untersuchungen einen „Betrachter“ und fordert ihn dazu auf, seine philosophischen Bemerkungen wie ein Album zu durchblättern, in dem immer wieder neue Bilder derselben (Gedanken-)Landschaft entworfen werden? Anliegen dieses Vortrages ist es, diesen Fragen nachzugehen und die Bedeutung des (Landschafts-) Malerischen und insbesondere des Zeichnerischen für Wittgensteins Spätphilosophie herauszuarbeiten. Es gilt genau zu untersuchen wie, wann und weshalb Wittgenstein Begriffe wie „Kontur“, „Linie“, „Unschärfe“, „Zeichnung“, „Landschaftsskizze“ oder „Album“ einsetzt. Aus bildwissenschaftlicher Perspektive muss zudem zwischen den verschiedenen Erscheinungsformen der Zeichnung differenziert werden. Wittgenstein scheint sich nicht auf die klassisch-idealistische Idee der Zeichnung zu beziehen, die mit der Umrisslinie, also der Kontur assoziiert wird. Er spricht von nicht-fixierenden Linien, die durch ihre Offenheit sowie ihren umkreisenden Duktus charakterisiert sind, und von Wittgenstein mit seiner eigenen ‚offenhaltenden’ Denkweise in Verbindung gebracht werden. Das Umkreisen von Gegenstandsbereichen, das Erwandern von Gedankenlandschaften und das nicht-abschließbare Skizzieren verschiedener Ansichten sollte also vielmehr vor dem Hintergrund zeichnerischer und literarischer Strategien der Romantik und der Moderne analysiert werden. Wie gezeigt werden soll, ermöglicht Wittgenstein der Bezug auf das Medium der Zeichnung bzw. der Landschaftsskizze unter anderem, die Vorstellung eines fixierten Sehens oder Denkens in Frage zu stellen, das in einer in sich geschlossenen und vollendeten Form ausgedrückt werden kann, die ganzheitlich zu erfassen ist. Der Problematisierung, ja gar Negation der Kontur, dem Starkmachen (ästhetischer) Polyperspektivität und damit einhergehend die dem Leser/Betrachter zugeschriebene Fähigkeit, die „Gedankenskizzen“ weiterzuentwickeln, also eine aktive Seh- und Denkarbeit zu leisten, kommt somit eine wichtige Rolle zu.

Keywords


20th century philosophy; philosophy; Wittgenstein Ludwig; drawing; metaphor; Philosophical Investigations

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