Abstract
In meinem Beitrag möchte ich einige Auffassungen Wittgensteins zur philosophischen Psychologie, oder wie man heute auch sagt, zur "philosophy of mind" untersuchen. Ein erster Einwand gegen ein solches Projekt liegt auf der Hand und soll deshalb gleich zu Beginn angesprochen werden: Die Bedeutung Wittgensteins für die philosophy of mind sei rein historisch. Wittgensteins Philosophie habe zwar insofern Verdienst, also sie einschlägige Debatten in Gang gesetzt habe, z.B. über die Semantik mentaler Ausdrücke. Auch mag es sein, daß man durch Verweis auf Wittgenstein manche klassischen Probleme in diesem Bereich, z.B. das Leib-Seele-Problem, endgültig als Scheinprobleme beiseite legen könne. Insgesamt sei Wittgenstein und seine Schule aber überholt: zu dominierend sei der main-stream "realistischer" Deutungen des Mentalen und Geistigen; jener Auffassungen, die, im Gefolge der Erfolge von Neurowissenschaften und AI-Forschung, nach Mentalem und Geistigem als solchem fragen, und sich nicht mit sprach-analytischen Vorfelduntersuchungen begnügen. Wittgenstein ist tot. Seit 50 Jahren.
Table of contents
- 1. Die "Identität" mentaler Zustände
- 2. Die Referenz mentaler Ausdrücke
- 3. Kritik am Qualia-Problem - eine Anwendung
- 4. Zum Abschluß: Ein Sinnkriterium für Naturalismuskritik
In meinem Beitrag möchte ich einige Auffassungen Wittgensteins zur philosophischen Psychologie, oder wie man heute auch sagt, zur "philosophy of mind" untersuchen. Ein erster Einwand gegen ein solches Projekt liegt auf der Hand und soll deshalb gleich zu Beginn angesprochen werden: Die Bedeutung Wittgensteins für die philosophy of mind sei rein historisch. Wittgensteins Philosophie habe zwar insofern Verdienst, also sie einschlägige Debatten in Gang gesetzt habe, z.B. über die Semantik mentaler Ausdrücke. Auch mag es sein, daß man durch Verweis auf Wittgenstein manche klassischen Probleme in diesem Bereich, z.B. das Leib-Seele-Problem, endgültig als Scheinprobleme beiseite legen könne. Insgesamt sei Wittgenstein und seine Schule aber überholt: zu dominierend sei der main-stream "realistischer" Deutungen des Mentalen und Geistigen; jener Auffassungen, die, im Gefolge der Erfolge von Neurowissenschaften und AI-Forschung, nach Mentalem und Geistigem als solchem fragen, und sich nicht mit sprach-analytischen Vorfelduntersuchungen begnügen. Wittgenstein ist tot. Seit 50 Jahren.
Wenn ich im folgenden Auffassungen Wittgensteins zur philosophy of mind erörtere, tue ich das, weil ich derartige Einwände für falsch halte. Deshalb, weil man, allgemein gesprochen, aus der Feststellung, daß es seit einer Theorie weitere Entwicklungen im Bereich der Theorie gegeben hat, nicht schon auf die sachliche Irrelevanz der Theorie schließen darf. Weil Wittgenstein vor der Etablierung dessen, was heute als philosophy of mind vorliegt, geschrieben hat, folgt m.E. keineswegs, daß das, was er zu diesem Bereich geschrieben hat, nicht Relevanz auch für die aktuelle Debatte hat. Und genau darüber möchte ich handeln.
Worin aber sehe ich die Relevanz Wittgensteins? Ich sehe sie darin, daß sich ausgehend von seinen einschlägigen Thesen Kritikpunkte am sogenannten Naturalisierungsprogramm des Mentalen und Geistigen formulieren lassen. Es sind drei Aspekte, anhand derer ich das zeigen möchte: Erstens an Wittgensteins Überlegungen über Kriterien der Identität für mentale Zustände; zweitens, damit zusammenhängend, an seinen Ausführungen über die (vermeintliche) Referenz mentaler Ausdrücke; drittens, als Anwendung, anhand einer Kritik des "Qualia-Problems", frei nach Wittgenstein.1
1. Die "Identität" mentaler Zustände
Bekanntlich lehnt es Wittgenstein in den Philosophischen Untersuchungen (PU) ab, mentale Zustände als etwas aufzufassen, über das wir genauso reden könnten, wie wir über physikalische Zustände unserer alltäglichen Lebenswelt sprechen. Mehr noch: Es habe überhaupt keinen Sinn, den Bereich des Psychischen als eine Art "innere Bühne" aufzufassen, die wir durch Introspektion erfassen und in der Folge spezifisch beschreiben könnten. Ich möchte eine Begründung dieses Standpunkts herausgreifen. In PU stellt Wittgenstein immer wieder in Abrede, daß wir für mentale Zustände überhaupt ein "Kriterium für ihre Identität" angeben können. Darin unterscheiden sich s.E. mentale Zustände von physikalischen signifikant. Oft, so Wittgenstein in PU 253, verwechselte man die emphatische Betonung des Wortes "diesen" z.B. in "Aber der Andre kann doch nicht DIESEN Schmerz haben" mit der Angabe eines solchen Kriteriums. Oft vergesse man schlicht und einfach, wie wichtig es überhaupt ist, Fragen zu stellen wie: "Wie vergleichen wir diese Erlebnisse; was legen wir fest als Kriterium der Identität des Geschehnisses?" (PU 322) Wenn nun die Angabe von Kriterien der Identität eine unabdingbare Voraussetzung unseres Redens über mentale Zustände ist, die Angabe solcher Kriterien aber ausbleibt, dann fehlt uns eben eine unabdingbare Voraussetzung unseres Redens über mentale Zustände.
Wittgenstein gibt selbst keine Auskunft darüber, was er für adäquate Kriterien für die Identität von (mentalen) Zuständen halten könnte; ja nicht einmal darüber, welche Form die Angabe solcher Kriterien habe. Aus dem Kontext seiner Ausführungen in den PU wird aber zumindest klar, daß es sich nicht um Kriterien für numerische Identität handelt. Es handelt sich vielmehr um Kriterien, die es erlauben, mentale Zustände als qualitativ die gleichen, sprich als Vorkommnisse derselben Art oder desselben Typs aufzufassen. Heute würde man von solchen Kriterien deshalb nicht als von Kriterien für die (numerische) Identität oder Identitätskriterien sprechen, sondern besser als Identifizierungs- bzw. Re-Identifizierungskriterien. Das sind eben Kriterien, die es gestatten, etwas als Vorkommnis eines bestimmten Typus zu bestimmen bzw. über eine Zeit hinweg wieder zu bestimmen.
Was aber hat das mit Naturalismuskritik zu tun? - Was naturalistischen Auffassungen in der philosophy of mind, seien sie eliminativ, reduktionistisch oder Supervenienz- bzw. Emergenztheorien, allesamt kennzeichnet, ist die Meinung, daß Mentales (numerisch) identisch sei mit Physikalischem. Daraus folgt aber, daß man Mentalem, qua Physikalischem einen ontologischen Stellenwert beimißt. Es gibt mentale Zustände als physikalische Entitäten. Nicht nur das: Mentales gibt es "im Inneren" (ist man Internalist: nur im Inneren) seines Trägers, es ist Bestandteil des Nervensystems. Weiterhin ist es naturalistisches Gemeingut, daß man über Mentales, qua Physikalisches, reden kann. (Wie sollte es auch etwas geben, über das man nicht reden könnte?) Unterschiede zwischen naturalistischen Positionen betreffen lediglich die Art, wie man über Mentales redet. Extrempositionen nach unterscheiden sich mentale von physikalischen Redeweisen nicht, mentale Redeweisen sind deshalb vollkommen verzichtbar. Moderateren Positionen, z.B. Supervenienztheorien nach, hat die mentale Rede, sprich die Rede über mentale Zustände, irreduzible Eigenarten.
Nimmt man aber an, daß man über mentale Zustände als inneren Vorgängen zu reden vermag, setzt man nach Wittgensteins Einsicht aber voraus, für mentale Zustände auch (Re-)Identifizierungskriterien angeben zu können. Und zwar, im Falle naturalistischer Extrempositionen, dieselben wie für innere physikalische Zustände (das sind neuronale Basis-Zustände mentaler Zustände); im Falle moderaterer Versionen eben andere. Ich behaupte nun, daß die Meinung, es gäbe solche Kriterien, falsch, oder polemisch gesagt, ein naturalistischer Mythos ist. Nicht einmal für innere physikalische Zustände gibt es, allgemein akzeptierte, (Re-)Identifizierungskriterien. Weder Kriterien, die sich aus raum-zeitlicher Kontinuität ergeben, noch solche aus der kausalen Rolle von Zuständen, oder andere, haben sich als wirklich plausibel erwiesen. Wenn es für innere physikalische Zustände keine, zumindest keine allgemein akzeptierten (Re)Identifizierungskriterien gibt, dann auch nicht für mentale Zustände. Für naturalistische Extrempositionen liegt das auf der Hand. Auch für moderate Positionen ist klar, daß man keine (Re-)Identifizierungskriterien für mentale Zustände angeben kann, ohne sie an jene für neuronale Basis-Zustände anzukoppeln - sonst hörten sie auf, naturalistisch zu sein.
Wenn meine Behauptung stimmt, und weiterhin Wittgenstein darin recht hat, daß die Angabe von (Re-)Identifizierungskriterien unabdingbare Voraussetzung unseres Redens über etwas ist, ist das Naturalisierungsprogramm obsolet. Daß Wittgenstein recht hat, scheint klar zu sein. Das Problem ist die Rechtfertigung meiner Behauptung, es gäbe keine plausiblen (Re-)Identifizierungskriterien für innere (mentale) Zustände. Und zwar deshalb, weil ich eine solche hier nicht einmal im Ansatz leisten kann. Somit begnüge ich mich damit, darauf hinzuweisen, daß das Problem der Angabe solcher Kriterien für Autoren im Kontext des Naturalisierungsprogramms schwer wiegt. Pointierter gesagt: Identitätstheorien über Mentales erzeugen eine immanente Inkonsistenz, solange sie nicht stichhaltige Auskunft geben über solche Kriterien. Sie geben dann nämlich vor, über etwas zu reden, ohne eine unverzichtbare Voraussetzung des Redens über dieses etwas zu gewährleisten.
2. Die Referenz mentaler Ausdrücke
Das bislang Gesagte läßt sich unter Berücksichtigung eines weiteren Gesichtspunktes ergänzen. Allgemein bekannt ist Wittgensteins Auffassung, daß man sich bei der Verwendung mentaler Ausdrücke, etwa für Empfindungen, nicht referierend, gleichsam auf Vorkommnisse einer "inneren Bühne" bezieht. Die Bedeutung mentalen Redens ergibt sich vielmehr daraus, daß es Teil von spezifischen Verhaltensweisen ist (Vgl. u.a. PU 244ff), die Wittgenstein auch als "Muster" bezeichnen sollte. Es wäre wohl ein Mißverständnis, wenn man diese These Wittgensteins als Folge seiner Ablehnung oder seiner Ignoranz des referierenden Sprachgebrauchs insgesamt auffassen würde. Und zwar deshalb, weil Wittgenstein den referierenden Sprachgebrauch, auch in PU, gerade nicht einfachhin ablehnt oder ignoriert. Natürlich verwenden wir auch seines Erachtens manche Ausdrücke, allen voran Namen, um auf Gegenstände Bezug zu nehmen. Was Wittgenstein in den PU nur deutlich zum Ausdruck bringt ist, daß wir die Deutung des Sprachgebrauchs insgesamt nicht an dieser einen, der bezugnehmenden Funktion der Sprache, aufhängen dürfen. Referieren ist ein Sprachspiel unter anderen (vgl. u.a. PU 7, 37). Und als eigenes Sprachspiel hat es spezifische Regeln und Erfolgsbedingungen (u.a., und damit können wir an das vorherige anknüpfen, daß man den jeweiligen Referenten (re-)identifizieren kann.)
Wenn wir dies beachten, können wir Wittgensteins These, daß wir mentale Ausdrücke nicht referierend verwenden, auch so verstehen, daß die naive Übertragung des Referenzmodells der Sprache auf die mentale Sprache unstatthaft ist. Das Sprachspiel des mentalen Redens dürfen wir nicht verwechseln mit dem Sprachspiel des Benennens, etwa äußerer physikalischer Zustände. Wir müssen es uns hier versagen, auf die vielfältigen Begründungen Wittgensteins für diese These einzugehen. Um nicht wieder auf das bereits ausgeführte Problem mangelnder (Re-) Identifizierungskriterien für mentale Zustände zurückzukommen, sollen Wittgensteins Hinweise auf den Modus, wie wir uns mentale Ausdrücke aneignen, angesprochen sein. (Vgl. PU 256, 263, 258, 265; NL 287) Der springende Punkt ist, daß wir die Verwendung mentaler Ausdrücke nicht einfach über hinweisende Definitionen lernen können. Und zwar deshalb nicht, weil sich für mentale Ausdrücke, und darin unterscheiden sie sich von "physikalischen", kein Verfahren hinweisender Definition angeben läßt. Der Grund dafür ist darin zu sehen, daß es einfach keine Kriterien gibt, nach denen sich die Richtigkeit von Verbindungen zwischen mentalen Ausdrücken und mentalen Empfindungen gewährleisten ließe. Wenn es aber keine solchen Richtigkeitskriterien geben kann, dann auch keine referierende Verwendung mentaler Ausdrücke. Wie sollte man auch einen Ausdruck referierend verwenden, ohne angeben zu können, wie man das richtigerweise tut? Es ist nicht notwendig, dies hier auszufalten. Wir wollen nur festhalten, daß wir nach Wittgenstein das Referenzmodell nicht auf mentales Reden übertragen dürften. Mentales Reden ist vielmehr erfolgreich, sprich bedeutungsvoll, wenn man es als Teil spezifischer Verhaltensweisen oder Muster verstehen kann.
Wieder steht die Frage im Raum, was denn das alles mit Naturalismuskritik zu tun habe? Wie schon oben erwähnt, ist es allgemeines naturalistisches Glaubensgut, daß es mentale Zustände als Referenten mentaler Rede im Inneren ihrer Träger gibt. Worin sich naturalistische Positionen unterscheiden, ist die Deutung der Referenz mentaler Ausdrücke. Extrempositionen nach sind mentale Ausdrücke starre Designatoren. Durch einzelne Ausdrucks-"tokens" eines Typs nehme man stets auf physiologische Konstellationen desselben Typs Bezug. Moderatere Positionen lehnen das ab. Durch einzelne Ausdrucks-"tokens" eines Typs könne man sich auf ganz verschiedene physiologische Konstellationen beziehen. Worauf es aber ankommt, ist das angesprochene naturalistische Glaubensgut, daß man sich mit mentalen Ausdrücken, genauso wie mit physikalischen, auf etwas, eben auf mentale Zustände beziehe. Die mentale Sprache funktioniere nach den Regeln referierenden Sprachgebrauchs, eben nach dem Referenzmodell. Wertend gesprochen kommen verschiedene Varianten des Naturalismus darin überein, naiv das Referenzmodell auf die mentale Sprache zu übertragen.
Diese Wertung begründe ich damit, daß die Meinung, es gäbe Kriterien der Richtigkeit für Verbindungen zwischen mentalen Ausdrücken und mentalen Zuständen falsch, oder polemisch gesagt, ein naturalistischer Mythos ist. Wenn meine Behauptung stimmt, und weiterhin Wittgenstein darin recht hat, daß die Angabe solcher Kriterien Voraussetzungen sinnvollen referierenden Sprachgebrauchs ist, ist das Naturalisierungsprogramm obsolet. Auch hier ist natürlich die Rechtfertigung meiner Behauptung das Problem. Auch hier kann ich sie nicht leisten. Auch hier muß ich mich damit begnügen, darauf hinzuweisen, daß das Problem der Angabe solcher Kriterien gerade für Autoren im Kontext des Naturalisierungsprogramms schwer wiegt. Identitätstheorien über Mentales erzeugen eine immanente Inkonsistenz, wenn sie nicht stichhaltige Auskunft geben über solche Kriterien. Sie geben dann nämlich vor, über etwas zu reden, ohne eine unverzichtbare Voraussetzung des Redens über dieses etwas zu gewährleisten.
3. Kritik am Qualia-Problem - eine Anwendung
Vor dem Hintergrund des Naturalisierungsprogramms wird das Sprechen über mentale Zustände in strenger Analogie zur Rede über physikalische Zustände gedeutet. Wittgensteins Naturalismuskritik, so können wir zusammenfassend festhalten, besteht nun gerade darin, daß dies schlicht unsinnig ist. Im Unterschied zu physikalischen Zuständen können wir für mentale keine (Re-) Identifizierungskriterien angeben. Auch für die Referenz mentaler Ausdrücke, also die Beziehung zwischen mentalen Ausdrücken und ihren Referenten (was immer die auch sein mögen), haben wir keine Kriterien für Richtigkeit. (Es tut der Stichhaltigkeit der Kritik keinen Abbruch, daß das zweite auch als Folge des ersten verstanden werden kann.)
Im folgenden soll kurz angedeutet werden, wie diese Einsichten Wittgensteins auf eines der "hard-problems" der philosophy of mind angewendet werden können, das sogenannte Qualia-Problem. Dieses Problem erhält sich bekanntlich deshalb hartnäckig am Leben, weil sich Naturalisten v.a. damit schwer tun, mit dem Wie, sprich der subjektiven Qualität, in der wir mentale Zustände erleben, umzugehen. Solche Qualitäten oder Qualia sind von Natur aus privat und subjektiv. Wie sollte man da intersubjektiv, ja objektiv über sie theoretisieren, wie es das Naturalisierungsprogramm vorsieht? Soll man Qualia eliminieren zugunsten irgendwelcher physikalischer Basisvorgänge? - wie naturalistische hard-liner das vorschlagen. Oder soll man sie, etwa unter Berücksichtigung des Seelenlebens von Fledermäusen, in eine naturalistische Weltsicht integrieren?
Welche Lösung auch immer angestrebt wird. Jede beruht auf der Voraussetzung, daß man nicht nur über das Daß bzw. über das Was mentaler Zustände reden kann wie über das Daß bzw. über das Was physikalischer, sondern auch über das Wie, die subjektive phänomenale Qualität, wie uns mentale Zustände gegeben sind. Hat Wittgenstein recht, ist das, ja gerade das, in den Bereich des naturalistischen Mythos zu verbannen. Erst recht für subjektive Qualitäten kann es keine kommunizierbaren (Re-) Identifizierungskriterien geben, (somit) auch keine Möglichkeit, die Referenz von Ausdrücken für solche Qualitäten in den Griff zu bekommen. Wittgenstein opponiert deshalb massiv gerade dagegen, unser Reden über solche Qualitäten nach dem Referenzmodell der Sprache zu analysieren, in der Folge diese Qualitäten als "innere Entitäten" zu erachten. Die Grammatik unseres Redens über Qualia ist eine andere, als die unseres Redens über physikalische Zustände. Ich kann das nicht weiter ausführen, muß das angesichts der Bekanntheit von Wittgensteins Psychologie auch nicht tun. Ich beschränke mich auf den kritischen Hinweis Wittgensteins, daß derjenige, der das nicht begreift, und naiv das Referenzmodell insbesondere auf das Reden über Qualia anwendet "eine Unklarheit über die Grammatik von Wörtern in der Form einer naturwissenschaftlichen Frage ausdrücken" wird. (Blaues Buch, 63) M.E. kann man nicht deutlicher machen, warum Lösungen des Qualia-Problems inadäquat sind, bzw. warum das Qualia-Problem überhaupt entsteht: Man macht aus grammatikalischen Problemen quasi-naturwissenschaftliche.
4. Zum Abschluß: Ein Sinnkriterium für Naturalismuskritik
Natürlich können diese bescheidenen Überlegungen niemanden widerlegen, schon gar nicht das gesamte Naturalisierungsprogramm. Zu wenig "wasserdicht" müssen manche meiner Behauptungen bleiben. Dennoch sollte zumindest im Ansatz klar werden, daß man Wittgensteins grundlegende semantische Einsichten durchaus in die aktuelle Naturalismusdebatte einbringen kann. Man kann sie nicht einfach mit der Bemerkung abtun, daß sie bereits vor einigen Jahrzehnten geäußert wurden und deshalb sachlich irrelevant seien. Auch heute gilt m.E., daß man, übernimmt man das Referenzmodell für die mentale Sprache, auch die Verpflichtungen dieser Übernahme einlösen muß, sprich zeigen muß, inwiefern mentales Sprechen die Erfolgsbedingungen referierenden Sprachgebrauchs erfüllt.
Möglicherweise sind diese Überlegungen aber nicht nur geeignet, Probleme des Naturalismus anzudeuten, sondern auch Schwierigkeiten mancher Formen der Naturalismuskritik. So z.B. könnte man nach Wittgenstein als ein Kriterium sinnvoller Naturalismuskritik annehmen, daß sie nicht selbst jene grundlegenden semantischen Irrtümer begeht, die den Ausgang naturalistischer Scheinfragen und Fehlschlüsse markieren. Dies wäre etwa der Fall, wenn man, etwa im Sinne dualistischer Annahmen, unser mentales Reden wiederum als Sprechen über eine irgendwie geartete innere Bühne verstünde. Auch für Dualisten stellten sich die Probleme naiver Übernahme des Referenzmodells auf die mentale Sprache.
Vielleicht muß die philosophy of mind in Zukunft kreativer nach Auswegen suchen, als dies in einer einfachen Naturalismus-Antinaturalismus bzw. Monismus-Dualismus-Debatte geschehen kann. Und damit können wir unmittelbar an Wittgenstein anknüpfen, dessen philosophische Psychologie genau unter diesem Motto steht.
Literatur
- BB: L. Wittgenstein, Das Blaue Buch. Suhrkamp, Frankfurt/Main 11984.
- NL: Wittgenstein´s Notes for Lectures on "Private Experience" and "Sense Data". Hrsg. v. R. Rhees. In: The Philosophical Reviews 77(1968), 271-320.
- PU: L. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen. Suhrkamp, Frankfurt/Main 11977.
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