Abstract
Die Möglichkeit des falschen Satzes ist ein Problem, das in der frühen Sprachtheorie Wittgensteins ständig präsent ist. Auf insistente Weise zieht es sich durch die Schriften der ersten Periode hindurch, von den Aufzeichnungen über Logik über die Tagebücher der Jahre 1914-17 bis hin zum Tractatus.
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Die Möglichkeit des falschen Satzes ist ein Problem, das in der frühen Sprachtheorie Wittgensteins ständig präsent ist. Auf insistente Weise zieht es sich durch die Schriften der ersten Periode hindurch, von den Aufzeichnungen über Logik über die Tagebücher der Jahre 1914-17 bis hin zum Tractatus. Die Problemstellung ist kurz gefat folgende.
Nach der Bildtheorie des Tractatus ist ein Satz nur dann sinnvoll, wenn er ein Bild der Wirklichkeit ist. Nun weist aber nicht nur der wahre Satz einen Sinn auf, sondern auch der falsche. Folgen wir der Bildtheorie, mu also auch der Satz, dessen Aussage sich als unrichtig erwiesen hat, etwas darstellen. Das negative Urteil macht jedoch die Annahme einer Übereinstimmung des vom Satz entworfenen Bildes mit der Wirklichkeit zunichte. Was also wird in diesem Fall abgebildet? Anders gewendet kann die Frage auch lauten: Wie mu man das vom falschen Satz hervorgebrachte Bild verstehen? Nach Stenius’ Auffassung kann der beschreibende Inhalt eines Aussagesatzes in ein Bild übersetzt werden, das sich im Falle einer Nichtübereinstimmung mit der Wirklichkeit als falsches erweist. Gemä dieser Lesart wird eine negative Tatsache (das Nichtbestehen gewisser Sachverhalte) durch ein Bild dargestellt, das durch das Negationszeichen als falsches gekennzeichnet ist.
“To indicate a negative fact we produce a false picture and point out by the negation mark that it is to be understood as false.1
Die Bewahrung des Sinnes wird damit erklärt, da die Satzelemente, die den “Schlüssel” zur Interpretation des Satzes geliefert haben, als Bedeutungsträger weiterhin erhalten bleiben. Die Tatsache, da sich ein Satz als falsch erweist, betrifft ja nicht seine Interpretierbarkeit, und damit auch nicht die Gültigkeit der Regeln, die zu seiner Interpretation angewendet wurden. Es ist vielmehr so, da jeder Satz, der artikuliert ist, verstehbar und daher sinnvoll ist. Das aber bedeutet nach Wittgenstein nur, da wir den Satz als einen wahren ansehen können und den Fall zu konstruieren vermögen, der vorgestellt werden müte, wenn er tatsächlich der Wirklichkeit entspräche. Ein Fall kann aber nur konstruiert werden, wenn sich erweist, da seine Elemente eine Bedeutung haben. Dies wird im Tractatus in 4.024 deutlich:
“Einen Satz verstehen, heit wissen, was der Fall ist, wenn er wahr ist. (Man kann ihn also verstehen, ohne zu wissen, ob er wahr ist.) Man versteht ihn, wenn man seine Bestandteile versteht.”2
In Stenius’ Interpretation der Bildtheorie des Tractatus spielen die Bedeutungsträger des Satzes (die Bestandteile des Satzzeichens, die nach Stenius Namen oder Relationen sind) vor dem Sinn die herausragende Rolle. In seiner Lesart vertritt Stenius, der von einer Isomorphie zwischen dem Bild und der abgebildeten Wirklichkeit ausgeht, eine starke realistische Auffassung in Bezug auf die Leistung des Bildes. Ein neuer Sinn kann nach Stenius nur deswegen ausgedrückt werden, da bereits Elemente vorhanden sind, deren Bedeutung bekannt ist. Der Sinn ist in diesem Erklärungszusammenhang also nichts weiter als eine neue Zusammenstellung bereits bestehender Elemente.
“If a sentence is a picture we can communicate a new sense by means of elements the means of which are known, because the meanings of the elements determine only the key of isomorphism, whereas the sense is determined by how the elements are arranged in the picture-field, i. e. the sentence-token.”3
Das Arrangement der Bedeutungsträger ist nach Stenius beim negierten Satz dasselbe wie beim affirmativen Aussagesatz, wobei die Negation des ersteren als Aufforderung verstanden wird, dieses Arrangement als ein falsches Bild anzusehen. Wo bleibt dann aber im Falle des falschen Satzes die Isomorphie zwischen dem Bild und der Tatsache? Stenius versucht sich damit zu behelfen, da er nun die Instanz der Möglichkeit einführt, indem er zwischen “darstellen” (“represent”) und “vorstellen” (“depict”) unterscheidet. Unter “darstellen” mu man seiner Auffassung nach die unter Absehung des Negationszeichens erfolgende Produktion eines Bildes, das sich auf eine Tatsache bezieht, verstehen, unter “vorstellen” dagegen die (fiktive) Bezugnahme auf eine mögliche Sachlage, die eine “andere” ist als die dargestellte Tatsache. Die “Andersheit”, auf die Stenius hinweist, besteht darin, da die dargestellte Tatsache zur Wirklichkeit gehört, die vorgestellte Sachlage dagegen dem Raum der Möglichkeit zuzuordnen ist. Während also der wahre Satz ein im realistischen Sinn “isomorphes” Bild ist, bringt der falsche Satz eine bloe Vorstellung hervor.
“According to Wittgenstein’s terminology a picture represents the same prototype whether it be true or false, but a false picture does not ‘depict’ the real state of affairs but another possible state of affairs.
[…]
If we take ‘describe’ in the sense of ‘represent’, then (5) ‘describes’ the fact that the moon is smaller than the earth, and describes it falsely, but if we take ‘describe’ in the sense of ‘depict’ then it describes a state of affairs which is merely possible.”4
Der Lösungsvorschlag von Stenius scheint mir eine Reihe von Fragen und Problemen zu eröffnen. Denn der Satz wird hier auf zwei verschiedene Weisen erklärt. Auf der einen Seite wird er als im strengen (realistischen) Sinn darstellend angesehen, auf der anderen Seite erscheint er lediglich vorstellend. Der Grund für diese Zweiteilung liegt eindeutig beim Problem der Falschheit, das es aufzulösen gilt. Die Inkongruenz, die damit in Bezug auf die Erklärung des Wesens des Satzes entsteht, ist jedoch nicht befriedigend. Doch selbst wenn wir die Unterscheidung als berechtigt ansehen, ergibt sich ein weiteres Problem. Woher wissen wir denn, ob ein Satz ein Faktum darstellt oder ob er lediglich ein Mögliches vorstellt? Ich denke, Stenius würde darauf antworten, da man dies vor der Beurteilung des Satzes nicht feststellen könne. Denn erst nachdem sich die Wahrheit, bzw. Falschheit des Satzes erwiesen hat, wei man, ob es sich um ein wahres (eine Tatsache darstellendes) Bild handelt oder aber um ein falsches, das lediglich eine Möglichkeit vorstellt. Damit aber kommen wir zum Negationszeichen, das der falsche Satz nun erhält. Der negierte Satz zeigt, da er ein falscher Satz ist, und zwar ist er falsch, insofern er als Tatsachen darstellendes Bild angesehen wird. Der Sinn bleibt ihm nun aber deswegen erhalten, weil er als artikulierter Satz im Raum der möglichen Vorstellungen weiterhin interpretierbar ist.
Stenius ist so über den falschen Satz zur Negation gekommen. Das Negationszeichen, das einem Aussagesatz gegeben wird, weist ihn als falschen aus. Nun aber macht Stenius keine Unterscheidung mehr zwischen einem verneinten (=falsifizierten) Satz und einem Satz, der von vornherein, also bereits vor seiner Beurteilung das Bestehen von Sachverhalten verneint. Da der verneinende Satz sich auf eine negative Tatsache bezieht, kann diese in Stenius Modell nur noch über das falsche Bild erklärt werden. Damit aber ist die Möglichkeit genommen, die negative Tatsache eigens aufzufassen und als gleichwertig neben der positiven Tatsache zu erkennen.
Es ist aber meines Erachtens notwendig, den verneinenden Satz nicht mit dem verneinten gleichzusetzen. Der wesentliche Unterschied zwischen beiden besteht in dem, was sie jeweils ansprechen. Während nämlich der negierte Satz die Beurteilung betrifft, die negativ ausgefallen ist, zeigt der negierende Satz lediglich an, da er sich auf eine Sachlage bezieht, die wir in einem noch zu klärenden Sinn “negativ” nennen können. Mit anderen Worten: Der verneinende Satz zielt direkt auf einen ihm entsprechenden logischen Ort, während der verneinte Satz diesen nur indirekt „bestimmt“, d. h. als beurteilter Satz die Umkehrung seines Sinnes (der Sachlage, auf die er sich vor der Beurteilung bezogen hat) fordert. Dies kommt im Tractatus in 4.0641 deutlich zum Ausdruck:
„Man könnte sagen: Die Verneinung bezieht sich schon auf den logischen Ort, den der verneinte Satz bestimmt.
Der verneinende Satz bestimmt einen anderen logischen Ort als der verneinte.“
Nach dieser Lesart wäre mit dem Sinn nicht nur die Art der Zusammenstellung der Satzelemente gemeint, sondern gleichzeitig auch die Fixierung des Satzes auf “ja” oder “nein”. Denn nur so wird die Umkehrung des Sinnes möglich. Die Fixierung wird im Tractatus in 4.023 gefordert:
„Die Wirklichkeit muß durch den Satz auf ja oder nein fixiert sein.”
Man könnte auch sagen, da der Satz als positives oder als negatives Bild bestimmt werden mu, was aber nicht heit, da “positiv” “wahr” und “negativ” “falsch” bedeutet. Der Umstand, da ein “wahrer”, bzw. “falscher” Satz nicht mit “p”, bzw. “~p” gleichgesetzt werden darf, wird schon aus folgenden Bemerkungen in 4.062 des Tractatus deutlich:
“Kann man sich nicht mit falschen Sätzen, wie bisher mit wahren, verständigen? Solange man nur wei, da sie falsch gemeint sind. Nein! Denn, wahr ist ein Satz, wenn es sich so verhält, wie wir es durch ihn sagen; und wenn wir mit “p” ~p meinen, und es sich so verhält wie wir es meinen, so ist “p” in der neuen Auffassung wahr und nicht falsch.”
Stenius nun scheint gerade den Fehler zu begehen, vor dem Wittgenstein in 4.061 warnt:
“Beachtet man nicht, da der Satz einen von den Tatsachen unabhängigen Sinn hat, so kann man leicht glauben, da wahr und falsch gleichberechtigte Beziehungen von Zeichen und Bezeichnetem sind.
Man könnte dann z. B. sagen, da ‘p’ auf die wahre Art bezeichnet, was ‘~p’ auf die falsche Art, etc.”
Der Fehler liegt also gerade darin, wie Stenius zu glauben, “p” enthalte ein wahres Bild, während “~p” ein falsches biete. Wo liegt die Crux bei dem Problem? An der eben zitierten Stelle betont Wittgenstein ausdrücklich die Unabhängigkeit des Sinnes von den Tatsachen. Dies stellt zunächst auch für Stenius keine Schwierigkeit dar, denn nach seiner Auffassung ist es ja nicht der Sinn, der den Bezug zur Wirklichkeit herstellt. Wie wir angedeutet haben, ist in seinem Erklärungsmodell der Satz nur insofern mit der Tatsache verbunden, als in ihm Bedeutungsträger auftreten müssen, die bereits einen starken Realitätsbezug haben. Nimmt man Wittgensteins These ernst, der Satz habe einen von den Tatsachen unabhängigen Sinn, und beachtet man gleichzeitig, da der Sinn die einzig hinreichende Bedingung des Satzes ist, während das Verstehen seiner Bestandteile lediglich eine notwendige Bedingung desselben darstellen, dann kann es jedoch gar keinen wahren oder falschen Bezug zur Wirklichkeit geben. Denn der Wirklichkeitsbezug ist nur punktuell, und zwar über die Namen gegeben, die aber nicht wahr oder falsch sind, sondern entweder etwas vertreten oder nicht, d. h. eine Bedeutung haben oder eben keine aufweisen. Nur der Satz kann als sinnvolles, d. h. einen Gedanken (=ein logisches Bild) enthaltendes Zeichen wahr oder falsch sein, doch als solches bezieht er sich gar nicht auf eine Tatsache, sondern auf eine mögliche Sachlage, wie Wittgenstein in 4.031 anzeigt:
“Im Satz wird gleichsam eine Sachlage probeweise zusammengestellt. Man kann geradezu sagen – statt: dieser Satz hat diesen und diesen Sinn -: Dieser Satz stellt diese und diese Sachlage dar.”
Wahr ist der Satz dann, wenn die Form des (logischen) Bildes, das er enthält, mit der logischen Form der abgebildeten Sachlage übereinstimmt, und falsch, wenn sie nicht übereinstimmt. Vgl. folgende Aussagen in 2.18 des Tractatus:
“Was jedes Bild, welcher Form immer, mit der Wirklichkeit gemein haben mu, um sie überhaupt – richtig oder falsch – abbilden zu können, ist die logische Form, das ist, die Form der Wirklichkeit.”
Die Verbindung des Satzes zur Tatsachenwirklichkeit erfolgt einzig über den logischen Raum der Möglichkeit, das heit dadurch, da die faktische Sachlage zugleich eine mögliche Sachlage ist, welche dieselbe ist, auf die sich der Satz bezieht. Wenn das aber so ist, dann hat die Unterscheidung, die Stenius zwischen “darstellen” und “vorstellen” macht, keine Grundlage mehr. Der Satz ist vielmehr ein Bild in dem Sinne, als er der physische (Wittgenstein würde sagen “verkleidete”) Ausdruck des Gedankens ist. Der Gedanke aber ist nichts anderes als das logische Bild. Zwar hat Stenius’ Übersetzung des “deskriptiven Inhalts” eines Satzes in ein Diagramm, das als isomorphes Bild funktioniert, den Vorteil, da der Bildcharakter des Satzes anschaulich wird. Dennoch darf man meines Erachtens das isomorphe, anschauliche Bild nicht mit dem logischen Bild, das nämlich ein nicht anschaulicher Gedanke ist, gleichsetzen. Der Satz ist vielleicht in ein anschauliches Bild übersetzbar, doch auch dieses mu interpretiert und verstanden werden. Auch hier mu also der Sinn erst erfat werden. Und das geschieht dadurch, da man das logische Bild in ihm erkennt, d. h. da man seinen Sinn denkt. Der wesentliche Unterschied, der nach Wittgenstein zwischen “Sinn” und “Bedeutung” besteht, ist, da ersterer gerichtet ist, während letztere ein punktuelles (Vertretungs-) Verhältnis betrifft. Vgl. Tractatus 3.144
“[...] Namen gleichen Punkten, Sätze Pfeilen, sie haben Sinn.”
Mit der Gerichtetheit kommt bereits der Denkprozess, den der Satz qua Bild erfordert, zum Ausdruck. Wohin richtet sich der Sinn?
Um diese Frage beantworten zu können, ist es notwendig, sich eines wesentlichen Charakteristikums des Satzes zu erinnern. Gemeint ist die Bipolarität des Satzes. In den Aufzeichnungen über Logik sagt Wittgenstein:
“Jeder Satz ist wesentlich wahr-falsch: Um ihn zu verstehen, müssen wir sowohl wissen, was der Fall sein mu, wenn er wahr ist, und was der Fall sein mu, wenn er falsch ist. So hat der Satz zwei Pole, die dem Fall seiner Wahrheit und dem Fall seiner Falschheit entprechen. Dies nennen wir den Sinn des Satzes.”5
Die Bipolarität, die hier angesprochen wird, bleibt im Tractatus erhalten. Im Gegensatz zu dieser frühen Schrift macht der Tractatus aber eine scharfe Unterscheidung zwischen den “positiv”-“negativ”-Polen einerseits und den “wahr”“falsch”-Polen andererseits, indem letztere, wie oben bereits gezeigt, sich auf das Urteil und die Drehbarkeit des Sinnes beziehen, während erstere die direkte Bezugnahme auf einen gewissen Ort im logischen Raum betreffen. Es ist nun ein letzter Schritt hinsichtlich der Bestimmung des Sinnes zu machen, um Wittgensteins Lösung des Problems des falschen, sowie des verneinenden Satzes zu Ende zu führen.
Die Bipolarität des Satzes ist im Tractatus in Form der Bipolarität des Sinnes erhalten geblieben. Was besagt diese nun? Als erstes mu man festhalten, da noch nichts damit bestimmt ist, wenn man einen Satz lediglich auf “ja” oder “nein” fixiert. Vgl. 4.0621
“Da aber die Zeichen ‚p’ und ‚~p’ das gleiche sagen können, ist wichtig. Denn es zeigt, da dem Zeichen ‚~’ in der Wiklichkeit nichts entspricht. Da in einem Satz die Verneinung vorkommt, ist noch kein Merkmal seines Sinnes (~~p=p).
Die Sätze ‚p’ und ‚~p’ haben entgegengesetzten Sinn, aber es entspricht ihnen eine und dieselbe Wirklichkeit.“
Solange man den entgegengesetzten Sinn eines Satzes nicht versteht, versteht man auch nicht den im Satz angezeigten Sinn, sei dieser nun positiv oder negativ. Wenn wir nun die Entgegensetzung (und damit Drehbarkeit) des Sinnes verstehen wollen, müssen wir beachten, da den Sätzen mit entgegengesetztem Sinn „eine und dieselbe Wirklichkeit“ entspricht. Was also geschieht, wenn der Sinn eines Satzes festgelegt wird?
Wenn wir uns ein weies Rechteck mit einer schwarz schraffierten Umgebung vorstellen und rechts daneben ein schwarz schraffiertes Rechteck mit weier Umgebung, so können wir uns vor Augen führen, wie Wittgenstein sich den entgegengesetzten Sinn zweier aufeinander bezogener Sätze vorgestellt hat (vgl. Wittgensteins Zeichnung in seiner Tagebucheintragung vom 14.11.14). Zunächst ist festzuhalten, da die weie Fläche zusammen mit der schwarz schraffierten Fläche den gesamten Raum von Möglichkeiten darstellt, die für die Figur des Rechtecks in Frage kommen. Es ist nun der freien Wahl überlassen, ob wir „wei“ als „positiv“ und „schwarz“ als „negativ“ bestimmen wollen, oder „wei“ als „negativ“ und „schwarz“ als „positiv“. Wichtig ist nur, da diese Fixierung geschieht. Bestimmen wir den positiven Sinn als „wei“, den negativen als „schwarz“, dann bezieht sich der Satz, der das Bestehen des Rechtecks behauptet, auf das linke, weie Rechteck. Die schwarz gebliebene Umgebung umfat also alle Möglichkeiten des Rechtecks (=alle möglichen Sachlagen), die in diesem Bild nicht in Anspruch genommen wurden und die als solche auerhalb der gemeinten Figur bleiben. Wie kommen wir nun zum verneinenden Satz, also demjenigen, der das Nichtbestehen des Rechtecks behauptet? Dies geschieht durch die Umkehrung unser positiv-negativ-Fixierung, mit anderen Worten: durch die Negierung unserer ursprünglichen Festlegung. Das Urteil, da das Bild falsch ist, bewirkt, da wir die schwarze Schraffierung, die die Aussparung gewisser Sachverhalte betrifft, in das Rechteck hineinnehmen. Damit aber gehen wir zum negativen Pendant unseres Bildes über, dem rechten, schwarz schraffierten Rechteck. Wir beziehen uns jetzt auf das negierte Rechteck von einem anderen logischen Ort her. Dieser ist deswegen ein anderer, da dort, wo zuvor eine Besetzung stattfand, jetzt ein „Loch“, eine Nichtbesetzung entstanden ist. Nun könnte man sich aber fragen, was man durch dieses gesamte Erklärungsmodell gewinnt. Kommt man zuletzt nicht auch hier zu demselben „falschen Bild“, auf das Stenius sich bezogen hat?
Der Unterschied ist insofern von Bedeutung, als er die Inkongruenz bezüglich des Wesens des Satzes, die Stenius machen mu, vermeidet. Stenius mu, wie wir gesehen haben, seine starke realistische These bezüglich der Leistung des Bildes beim negierten Satz (negierenden Satz) wieder zurücknehmen und für diesen etwas anderes gelten lassen, als für den Satz, der sich als wahr erweist. In unserem bipolaren Modell eröffnet der Aussagesatz einen Raum möglicher Sachverhalte, der zweigeteilt ist. Die Wirklichkeit, die Eine, ist, wird durch die Festlegung des Satzsinnes in „positive“ und in „negative“ Tatsachen unterteilt. In einem Teil wird das Bestehen, im anderen das Nichtbestehen von Sachverhalten behauptet. Der Sinn erweist sich insofern als unabhängig von den Tatsachen (Vgl. 4.061), als er eine Unterteilung vornimmt, die als gekennzeichneter Unterschied nicht in der Wirklichkeit vorzufinden ist. Gerechtfertigt ist diese Unterteilung dennoch, da die Wirklichkeit das Bestehen und Nichtbestehen von Sachverhalten ist, also denselben logischen Raum möglicher Sachverhalte voraussetzt, den der Satz eröffnet.
Erweist sich der Satz, der sich auf einen bestimmten Ort des logischen Raumes bezieht, als falsch, so kommt nun durch Drehung seines Sinnes nicht nur zum Ausdruck, da die Sachlage (vgl. das schwarze Rechteck) nicht der Wirklichkeit entspricht, sondern gleichzeitig, da möglicherweise etwas anderes der Fall ist, das sich im Raum der „ausgesparten“ Sachverhalte (vgl. die weie Umgebung des schwarzen Rechtecks) befindet. Während Stenius den wahren Satz auf die Wirklichkeit (den Raum der Darstellung) bezieht, den falschen Satz dagegen auf die Möglichkeit (den Raum der Vorstellung), bezieht sich Wahrheit und Falschheit in unserem Modell einzig auf den Sinn des Satzes, welcher wiederum einerseits als bipolare Instanz von den Tatsachen unabhängig ist, andererseits aber als logisches Bild, das eine mögliche Sachlage bezeichnet, mit der Wirklichkeit zusammenhängt.
Literatur
- Stenius, Erik (1964), Wittgenstein’s Tractatus. A Critical Exposition of its Main Lines of Thought. Oxford: Blackwell
- Wittgenstein, Ludwig (1984), Tractatus logico-philosophicus. Tagebücher 1914-1916. Philosophische Untersuchungen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp
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