Autonome Grammatik -Linguistischer Idealismus? Ein Versuch mit Wittgenstein und Peirce
Autonome Grammatik -Linguistischer Idealismus? Ein Versuch mit Wittgenstein und Peirce

Abstract

In den siebziger Jahren haben Elizabeth Anscombe und Bernard Williams überlegt, ob sich Wittgensteins Spätphilosophie als Spielart eines Idealismus auffassen läßt. Ihre Aufsätze provozieren bis heute Reaktionen, die sich an dem Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit bei Wittgenstein abarbeiten. Ich habe den Verdacht, daß Wittgensteins Auffassung von Grammatik, welche in der Forschung weitgehend einhellig als 'autonom' qualifiziert wird, diese Debatte hat aufkommen lassen. Ich werde argumentieren, daß Wittgenstein die Auffassung einer sprachlich konstituierten Wirklichkeit suggeriert, erstens, weil er mit dem zentralen Status des Terminus 'Grammatik' linguistisch-schulgrammatische Konnotationen aufruft, und zweitens, weil er Sprache vor allem synchron untersucht, so daß die Grammatik im vorgefundenen jetzt-Zustand statisch und klar umgrenzt wirkt. Seine wenigen Bemerkungen zur Sprachentwicklung hingegen lassen es mich wagen, Wittgenstein statt mit Kants transzendental-idealistischem Ansatz (wie bei Williams und den Reaktionen auf ihn) mit dem Zeichenmodell von Charles Sanders Peirce in Verbindung zu bringen: Sprachliche Praxis ist demnach ein Prozeß, der nicht nur einer Eigendynamik gehorcht, sondern sich immer wieder und neu an der Realität zu bewähren hat. Eher Störfaktor als begriffene Welt, deren zeichenhafte Bewältigung sich auf ihre Adäquatheit prüfen ließe, ist das Reale eine Größe, die eine Fixierung von Sprachspielen stets aufstört. Damit ist das Problem der Arbitrarität, welches etwa bei Saussure aufkommt, weil Wörter nur durch ihre Beziehungen zu anderen Wörtern und ihre Lokalisierung im Sprachganzen Bedeutung gewinnen, was wiederum die Konsequenzen des Poststrukturalismus auf den Plan ruft, vermieden.

Table of contents

    In den siebziger Jahren haben Elizabeth Anscombe und Bernard Williams überlegt, ob sich Wittgensteins Spätphilosophie als Spielart eines Idealismus auffassen läßt. Ihre Aufsätze provozieren bis heute Reaktionen, die sich an dem Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit bei Wittgenstein abarbeiten. Ich habe den Verdacht, daß Wittgensteins Auffassung von Grammatik, welche in der Forschung weitgehend einhellig als 'autonom' qualifiziert wird, diese Debatte hat aufkommen lassen. Ich werde argumentieren, daß Wittgenstein die Auffassung einer sprachlich konstituierten Wirklichkeit suggeriert, erstens, weil er mit dem zentralen Status des Terminus 'Grammatik' linguistisch-schulgrammatische Konnotationen aufruft, und zweitens, weil er Sprache vor allem synchron untersucht, so daß die Grammatik im vorgefundenen jetzt-Zustand statisch und klar umgrenzt wirkt. Seine wenigen Bemerkungen zur Sprachentwicklung hingegen lassen es mich wagen, Wittgenstein statt mit Kants transzendental-idealistischem Ansatz (wie bei Williams und den Reaktionen auf ihn) mit dem Zeichenmodell von Charles Sanders Peirce in Verbindung zu bringen: Sprachliche Praxis ist demnach ein Prozeß, der nicht nur einer Eigendynamik gehorcht, sondern sich immer wieder und neu an der Realität zu bewähren hat. Eher Störfaktor als begriffene Welt, deren zeichenhafte Bewältigung sich auf ihre Adäquatheit prüfen ließe, ist das Reale eine Größe, die eine Fixierung von Sprachspielen stets aufstört. Damit ist das Problem der Arbitrarität, welches etwa bei Saussure aufkommt, weil Wörter nur durch ihre Beziehungen zu anderen Wörtern und ihre Lokalisierung im Sprachganzen Bedeutung gewinnen, was wiederum die Konsequenzen des Poststrukturalismus auf den Plan ruft, vermieden.

    Solange eine sprachliche Praxis funktioniert, ist ihre Grammatik die einzig aufschlußreiche Instanz dafür, was an der Wirklichkeit als wesentlich gilt. (Philosophische Untersuchungen (PU) 317 "Das Wesen ist in der Grammatik ausgesprochen.") Doch bereits auf dieser Ebene des normalen Sprachspielens erfordert die Praktizierbarkeit einen Verzicht auf allzu rigide und erschöpfende Standards von Exaktheit und Reglementierung. Wittgensteins Überlegungen zum Regelfolgen beispielsweise enthalten ein Plädoyer für Flexibilität, um Varianten und einen Spielraum für durch die Regel nicht im vorhinein kontrollierte Anwendungsfälle zuzulassen. Bereits diese Orientierung am lebenspraktischen Erfolg sprachspielerischer Aktivitäten lese ich als Forderung, einer widerständigen und sprachlich nicht restlos beherrschten Realität gewachsen zu sein. Vor allem aber wenn sich die geläufige Praxis als unzureichend herausstellt, sind die bestehenden Grammatiken herausgefordert und werden ohne eine den (außersprachlichen) Gegebenheiten geschuldete Änderung kaum überleben. Daß das Reale in das etablierte Bezugsnetz einspielt und Änderungen der Sprachspiele provoziert, hat Wittgenstein zugestanden, wie sich dieser Prozeß vollzieht, bleibt aber unterbelichtet.Mit Peirce lassen sich Sprache, Denken, Handeln und Wirklichkeit als nicht-isolierbare Faktoren eines komplexen Funktionszusammenhanges auffassen. Damit muß die Unhintergehbarkeit von Grammatik nicht heißen, daß alle Realität entweder in sie absorbiert wird oder als sprachfrei Gegebenes unzugänglich bleibt.

    Fast jedes Buch über Wittgenstein beschreibt dessen Auffassung von Grammatik, deshalb erinnere ich nur an die Hauptmerkmale: Die Grammatik nimmt seit den 30er Jahren den Status an, den im Frühwerk die Logik hatte, d.h. sie ist die Verbindung von Sprache und Wirklichkeit. Von ihr lassen sich die Koordinaten des Sinnvollen, Wirklichen und Denkmöglichen ablesen, sie geht allen Fragen nach wahr und falsch voraus. Sie ist unhintergehbar und bedarf keiner außersprachlichen Instanz, die normative Standards für korrektes Sprechen vorgibt.

    "Die Grammatik ist keiner Wirklichkeit Rechenschaft schuldig. Die grammatischen Regeln bestimmen erst die Bedeutung (konstituieren sie) und sind darum keiner Bedeutung verantwortlich und insofern willkürlich." Philosophische Grammatik S.184.

    Die hier virulente Frage nach der Willkür angesichts der Autonomie der Grammatik ist naheliegend, da letztere sogar die Möglichkeitsbedingung von Welt und Erfahrung erst bereitstellt. Bernard Williams sieht ihren Status als transzendental an und meint im 'wir' der Spätphilosophie das kollektiv gewordene solipsistische 'ich' aus dem Tractatus zu finden. Hier wie dort handle es sich um die 'Grenze der Welt', die man nur von innen kennen könne. Die von diesem Vorschlag ausgegangene Diskussion kreist oft um die Frage, ob dieses 'wir' als transzendentale Instanz fungiert, ob Intersubjektivität vor dem Hintergrund des Privatsprachenarguments dazu überhaupt taugen kann, oder ob nicht vielmehr eine konkrete Gruppe von Menschen im Unterschied zu einer anderen gemeint sei. Damit zusammenhängend ist die Frage, ob die eigene Sicht der Dinge jede Alternative nur nach Maßgabe ihrer selbst verstehen kann, also vereinnahmt, oder sie als puren Nonsens weil jenseits der eigenen Grammatik ignorieren muß. Die Analogie zu idealistischen Positionen der Tradition ist jedoch problematisch: Wittgensteins Spätphilosophie kennt keinen wissenden Selbstbezug eines individualpsychologischen Ich oder transzendentalen Subjekts. Auch wenn man Grammatik einen quasi-transzendentalen Status zuerkennen will, da sie die Möglichkeit von Gegenstandserkenntnis liefert, ist dies erstens nicht Wittgensteins Anliegen, ist zweitens Grammatik nicht a priori, sondern drittens vielfältig und viertens veränderbar. Sie ist keine formale Angelegenheit des reinen Denkens und meint nicht das schulgrammatische, normativ verbindliche syntaktische und lexikalische Inventar, sondern begreift Sprache als (verknüpft mit) Handlung in der Welt. Damit ist Sprache nur selten Medium zum Ausdruck von Gedanken über die Welt mit Wahrheitsanspruch, vielmehr ist sie eine Fülle von unterschiedlichen Aktivitäten, d.h. sie ist nur sinnvoll im Kontext gemeinsamer Praxis. Der Übergang von der Logik zur Grammatik ist keine Ersetzung, sondern eine Transformation und Erweiterung: logische Strukturen sind unserer Sprachpraxis implizit, aber nicht einzig ausschlaggebend für sinnvolles Sprechen und glückende Kommunikationsakte. Die Wittgenstein zugeschriebene 'Gebrauchstheorie der Bedeutung' (vgl. PU 43) schließlich läßt die semantischen Gehalte durch Pragmatik determinieren, so daß die strikte Trennung und das Problem der korrekten Zuordnung von Sprache und Außersprachlichem entfällt: Die Frage, ob etwas grün ist, läßt sich nicht diskutieren ohne Rekurs darauf, wann wir etwas 'grün' nennen. Philosophie als grammatische Untersuchung muß daher den Kontext einer Äußerung im umfassenden Sinn einbeziehen, d.h. die lebensweltliche Einpassung in konkreten Situationen. Wir finden Grammatiken nicht nur als sprachliche Strukturen, sondern auch und vor allem als damit verwobene soziale Interaktionsformen.

    Hier droht ein anderes Mißverständnis, es ist gleichsam Folgeschaden eines Idealismus, der dem Charakter der Sprache als verkörperter, sozialer und konkreter Aktivität Rechnung tragen will: David Bloor schließt sich Elizabeth Anscombes Diagnose eines 'linguistischen Idealismus' bei Wittgenstein an, behauptet aber darüber hinaus: "The so-called idealist strands in Wittgenstein (...) are really the sociological strands in his thinking under another name." (S.356) Anders als Williams legen Anscombe und Bloor großen Wert auf die soziale und konventionelle Verwurzelung der Sprache und deren institutionellen Charakter. Verbindlichkeit und Gültigkeit der Grammatik sind weder notwendig noch allgemein; sie sind Produkt kommunikativen Handelns, das zur Gewohnheit geworden ist, sich etabliert hat und selbst-referentiell funktioniert: jede neue Handlung nach den Regeln dieser Praxis bestärkt und beglaubigt diese. Anders als Anscombe sieht Bloor dies auch bei empirischer Referenz, denn die gelänge nur mit Hilfe eines Paradigma, welches wiederum aus gemeinsamem Sprachhandeln hervorgehe. Die Prominenz von Wittgensteins Spielanalogie deute darauf hin, daß Sprache die Gültigkeit ihrer Reglements aus ihren eigenen Operationen gewinnt; folglich handle es sich um einen performativen Prozeß, der die Wirklichkeit, auf die er sich bezieht, selbst hervorbringe. Letzte Instanz mit wirklichkeitskonstitutiven Konsequenzen seien die Vollzüge der Sprachgemeinschaft.

    Diese konventionalistische Lesart scheint es mit der autonomen Grammatik ernst zu meinen und begegnet dem Problem der Willkür mit sozialer Interaktion. Doch scheint mir, daß damit die entscheidenden Faktoren aus der Sprachphilosophie in die Soziologie verwiesen werden; auffällig ist, daß Bloor Durkheim und Mauss in die Diskussion bringt und Wittgensteins PU insgesamt einen "sociological thrust" unterstellt. Wie Lear (S.238) feststellt, schwindet das 'wir' entweder durch eine transzendentale Interpretation, oder es wird das der Soziologie. Der Verweis auf die bloße Faktizität des gemeinschaftlichen Handelns als Grundlage aller Sinnhaftigkeit mit wirklichkeitskonstitutiver Relevanz läßt auch die Diagnose eines 'praxeologischen Fundamentalismus' (Haller, S.166f.; vgl. PU 217 "So handle ich eben.") aufkommen. Solche Lesarten sind der Versuch, ein Erstes festzustellen, das als Basis aller grammatischen Strukturen fungiert -freilich ohne sie zu legitimieren. Es handelt sich um Versuche, einen Faktor zu finden, den man als grundlegenden oder ausschlaggebenden privilegieren kann. Ich glaube nicht, daß sich eine autonome Grammatik mit einem solchen Fundierungsverhältnis beschreiben läßt und schlage vor, stattdessen ein Wechselspiel anzunehmen. Der Verzicht auf ein unilaterales Modell läßt auch solche Bemerkungen Wittgensteins zu, in denen er fragt, ob nicht die Natur, Tatsachen oder Ereignisse auf unsere Praxis zurückwirken:

    "Ja aber hat denn die Natur hier gar nichts mitzureden?! Doch - nur macht sie sich auf andere Weise hörbar.
    "Irgendwo wirst du doch an Existenz und nicht-Existenz anrennen!" Das heißt aber doch an Tatsachen, nicht an Begriffe." (Zettel 364)

    "Ich würde durch gewisse Ereignisse in eine Lage versetzt, in der ich das alte Spiel nicht mehr fortsetzen könnte. In der ich aus der Sicherheit des Spiels herausgerissen würde.
    Ja, ist es nicht selbstverständlich, daß die Möglichkeit des Sprachspiels durch gewisse Tatsachen bedingt ist?" (Über Gewißheit (ÜG) 617)

    Ohne dem viel Aufmerksamkeit zu schenken, räumt Wittgenstein hier ein, daß die Veränderung von Sprachspielen eine Reaktion darauf ist, daß sie sich schlecht mit gewissen Tatsachen vereinbaren lassen. Wittgenstein ist weit davon entfernt, hier eine Kausalität anzunehmen, wie dieser Zusammenhang zu denken ist, bleibt undiskutiert wahrscheinlich steckt seine selbstgewählte Abstinenz Erklärungen gegenüber dahinter. Ich werde im folgenden einen Vorschlag machen, der durch die Semiotik von Peirce inspiriert ist.

    Bekanntlich denkt Peirce ein Zeichen als irreduzibel triadische Relation mit drei Korrelaten: das (materiale) Zeichen bezieht sich auf sein (reales) Objekt, was durch den (mentalen) Interpretanten geregelt wird. Alles kann zum Zeichen werden, wenn es ein Objekt repräsentiert und die Hinsicht dieser Relation geregelt ist. Eine solche zeichenhafte Vermittlung trägt aber nicht der vollen Komplexität des Objektes Rechnung: Peirce unterscheidet zwischen dem realen 'dynamischen Objekt', welches (noch) nicht in die Semiose eingegangen ist und unabhängig von ihr bleibt, und dem 'unmittelbaren Objekt', das Teil des Zeichens und von diesem durch den Interpretanten hervorgebracht ist: "(...) we have to distinguish the Immediate Object, which is the Object as the Sign itself represents it, and whose Being is thus dependent upon the Representation of it in the Sign, from the Dynamical Object, which is the Reality which by some means contrives to determine the Sign to its Representation." (Collected Papers (CP) 4.536)

    Weil das dynamische Objekt viel reichhaltiger ist als das, was von ihm durch das Zeichen repräsentiert werden kann, veranlaßt es weitere Zeichen. Dies geschieht, indem ein Zeichen zum Objekt einer neuen Triade wird, d.h. jede Referenz ist zeichenvermittelt. Isoliert ist jedes Zeichen unbestimmt und vage, es ist offen für weitere Bestimmung durch andere Zeichen und Anwendung auf konkrete Einzelfälle.(CP 5.505+5.447) Ein vollkommen bestimmtes Zeichen wäre unverbunden mit allen anderen und nicht kommunizierbar. (CP 4.583+5.506) Zwei Leute gebrauchen dann ein Zeichen in derselben Bedeutung, wenn sie zur Erklärung dieselben Folgezeichen heranziehen würden. Deutlich wird, daß Selbigkeit hier ein gradueller Prozeß ist; wenn neues Wissen hinzutritt, muß ein Begriff nicht ersetzt werden. (vgl. die Flußbettmetaphern bei Wittgenstein in ÜG 97+99) Auf Wittgenstein übertragen: was jenseits meienr Grammatik liegt, ist nicht unbedingt Nonsens für mich, ich kann es teilweise verstehen, beschreiben, oder zumindest als anders und fremd anerkennen. (vgl. Malcolm)

    Die Semiose ist eine Kette von Zeichen und Folgezeichen, die sich an ihrem Objekt abarbeiten und immer mehr von ihm in die Vermittlung einholen. So nähert man sich zeichenbildend der Erkenntnis des realen Objekts, der Wahrheit (CP 5.506), die nie anders als vermittelt zugänglich wird, aber den Vermittlungsprozeß als äußere Grenze steuert. ("But an endless series of representations, each representing the one behind it, may be conceived to have an absolute object at its limit." CP 1.339. Der Gedanke einer finalen Gerichtetheit als Annäherung an die Wahrheit ist Wittgensten freilich fremd.)

    Wichtig für meinen Zusammenhang ist, daß die bedeutungskonstitutiven Relationen nicht nur zwischen den Zeichen, sondern auch zur Realität bestehen, ohne daß es sich um ein Abbild-Verhältnis handeln muß. Weder ist die Wirklichkeit anders als zeichenvermittelt, also interpretiert, zu haben, noch kann der Prozeß der Interpretation, also die Ausbildung neuer Zeichen, losgelöst von Ihrem Objekt stattfinden oder dieses erst hervorbringen ("the real is that which insists upon forcing its way to recognition as something other than the mind's creation" CP 1.325). Peirce bietet nicht nur einen Ausweg aus den (post)strukturalistischen Mißlichkeiten (vgl. Sheriff, S. 53f.+71f.) sondern erweist sich als (teil-)kompatibel mit Wittgenstein: Abgesehen von der bereits erwähnten Unbestimmtheit der Zeichen liegt eine wichtige Parallele darin, daß Peirces Semiose wie Wittgensteins Grammatik eine Angelegenheit sozialer und gewohnheitsmäßiger Praxis ist. Bei beiden ergibt sich die Bedeutung der Zeichen aus dem nicht-verbalen Handlungszusammenhang; an Wittgensteins regelgeleiteten Aktivitäten, die die 'Lebensformen' ausmachen, sowie Peirces 'habit' (CP 5.397) zeigt sich, welche Übereinstimmungen in den Überzeugungen der Sprachgemeinschaft vorliegen. Der Unbestimmtheit der Zeichen wird Abhilfe geschaffen (CP 5.491), weil ihr lebenspraktischer Kontext für Vereindeutigung sorgt. Doch kann genausowenig wie Denken oder linguistische Konstellationen 'bloßes' Handeln maßgeblicher Endpunkt oder Basis des Prozesses sein. (CP 5.429) Der Zusammenhang von Sprache, Denken, Handeln und Wirklichkeit läßt sich nicht auf einen dieser Faktoren reduzieren, der Primat liegt bei der Komplexität ihres Verwobenseins als Ensemble heterogener Instanzen. Obschon Sprache und Wirklichkeit bei Peirce und Wittgenstein nicht voneinander isolierbar sind, gehen sie auch nicht unterschiedslos ineinander auf, sie werden nicht von ihrem Zusammenspiel (Grammatik bzw. Semiose) absorbiert, sondern bleiben eigenständige, widerständige Entitäten. Doch eignen sie sich nicht als neutrale Bezugsgröße mit der man unsere sprachspielerischen Aktivitäten beurteilen könnte; weder Wittgensteins noch Peirces Ansatz läßt sich monistisch oder dualistisch reformulieren.

    Autonomie der Grammatik ist keine referenzlose Selbstgenügsamkeit von Zeichen, sie involviert nicht nur Interaktion innerhalb einer Sprachgemeinschaft, sondern auch mit der Realität.

    Literature

    1. Anscombe, G.E.M. 1976 "The Question of Linguistic Idealism", in Acta Philosophica Fennica 28, 188-215. Wiederabgedruckt in Collected Philosophical Papers Vol.1, Oxford 1981, 112-133.
    2. Bloor, D. 1996 "The question of linguistic idealism revisited", in H. Sluga and D. Stern (eds.) The Cambridge Companion to Wittgenstein, Cambridge, 354-382.
    3. Haller, R. 1986 "War Wittgenstein ein Neo-Kantianer?" in Fragen zu Wittgenstein und Aufsätze zur österreichischen Philosophie, Den Haag, 155-169.
    4. Hutto, D. 1996 "Was the later Wittgenstein a transcendental idealist?" in P.Coates and D.Hutto (eds.) Current Issues in Idealism, Bristol.
    5. Lear, J. 1984 "The Disappearing 'We'", The Aristotelian Society, London, 219-242.
    6. Malcolm, N. 1982 "Wittgenstein and Idealism", in G. Vesey (ed.) Idealism - Past and Present, Cambridge, 249-267.
    7. Moore, A.W. 1985 "Transcendental Idealism in Wittgenstein and Theories of Meaning" in The Philosophical Quarterly Vol. 35 no.139, 134-155.
    8. Peirce, Ch.S. 1931-5+1958 Collected Papers C. Hartshorne and P. Weiss (eds.Vols. 1-6), A.Burks (ed. Vols. 7-8).
    9. Sheriff, J. 1989 The Fate of Meaning, Princeton.
    10. Williams, B. 1974 "Wittgenstein and idealism" in G. Vesey (ed.) Understanding Wittgenstein. London. Wiederabgedruckt in: Moral Luck. Philosophical Papers 1973-1980, Cambridge 1981, 144-163.
    11. Wittgenstein, L. 1984 u.ö. Werkausgabe, Frankfurt.
    Mariele Nientied. Date: XML TEI markup by WAB (Rune J. Falch, Heinz W. Krüger, Alois Pichler, Deirdre C.P. Smith) 2011-13. Last change 18.12.2013.
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