Abstract
Wittgensteins These aus dem Tractatus, es gebe ein unmittelbares Verhältnis von Wirklichkeit und Aussprechbarkeit sowie seine spätere Theorie der regelbestimmten Konventionalität der Sprache stehen am Anfang vieler Analysen über die Möglichkeit und Vereinbarkeit dieser Thesen. Ich will im Folgenden zeigen, dass beide Annahmen in einer Theorie, die die Gesetzmäßigkeit bestimmter Begriffe postuliert, vereinbar sind.
Table of contents
I.
Wittgensteins These aus dem Tractatus, es gebe ein unmittelbares Verhältnis von Wirklichkeit und Aussprechbarkeit sowie seine spätere Theorie der regelbestimmten Konventionalität der Sprache stehen am Anfang vieler Analysen über die Möglichkeit und Vereinbarkeit dieser Thesen. Ich will im Folgenden zeigen, dass beide Annahmen in einer Theorie, die die Gesetzmäßigkeit bestimmter Begriffe postuliert, vereinbar sind.
John Searle hat in der Anwendung seiner Sprechakttheorie die Tatsache des Humeschen Problems als Defizit der Sprachtheorie identifiziert und konstatiert, dass der Übergang von Deskriptionen zu Werturteilen möglich sei. Die Richtigkeit von Deduktionen sei nicht durch semantische Referenzen, sondern in der begrifflichen Explikation zu begründen, d.h. durch logische Relationen "analytisch, folgt aus, widersprüchlich". Auf diese Weise könnten Wert- bzw. Qualitätsurteile durch eine bestimmte Anzahl von Kriterien erfasst werden. Werte und Qualitäten seien objektivierbar. (Searle 1983, 202). Am Beispiel des Versprechens versuchte Searle, seine Theorie zu exemplifizieren. Er zeigte, dass das Versprechen und die Übernahme der Verpflichtung analytisch verknüpft seien und dass dabei weder moralische noch wertende Ableitungsprämissen notwendig seien (88 ff, 270). Searle hat allerdings seinen analytischen Definitionsanspruch relativiert, indem er seine Erläuterungen zum Versprechen für nicht vollständig erklärte, insofern mit der Bedeutung des Wertausdrucks - der analytisch ableitbar ist - noch nicht bekannt sei, unter welchen objektiven Bedingungen die Aussage anwendbar und nicht anwendbar sei. Dafür kann es nach Searle nie eine Bestimmung geben, da eine Regel für diese Anwendbarkeit von einem neutralen Standpunkt aus geschehen müsse, den es de facto nicht gebe. Er zieht daraus das Fazit, dass die tatsächliche Geltung der Versprechensverpflichtungen institutionell bedingte Tatsachen sind. Bedeutungskonstitutiv für das Versprechen ist nach Searle die dem Wort implizite Übernahme einer Verpflichtung; der Geltungsraum dieser Bedeutung dagegen sei davon unabhängig und institutionell, d.h. kontingent geordnet.
II.
Zahlreiche Einwände richten sich gegen Searles Trennung des richtigen Wortgebrauchs von der Wortbedeutung. Searle begründet die Wortbedeutung analytisch und ihren Gebrauch in der Intention des Sprechers. Gegen Searles Theorie des regelgeleiteten Konventionalismus wendet sich der bedeutungstheoretische Instrumentalismus von Ruth Millikan. Nach ihrer Auffassung begründen biologische Funktionen die Sprachkonventionen und deren Bedeutung. Abweichungen davon, ein willkürlicher institutioneller Einfluss auf die Sprache habe im Grunde nichts mit echter Sprachkonvention zu tun, eben so wenig wie die Anweisung, wahr zu sprechen, so ihre Behauptung. Das schließe allerdings nicht aus, dass echte Konventionen institutionalisiert und reguliert werden. (1998, 175).
Die funktionalistische Argumentation kann manche Antwort auf die Frage geben, in welchen Fällen Versprechen verpflichtend, in welchen sie es nicht sind. Warum macht sich Searle - und nicht nur er - problemlos von dem Versprechen frei, wenn er sein Erscheinen auf einer Party zugesagt hat, aber nicht, wenn es sich dabei um ein Versprechen handelt, das als "gewichtig" einzuschätzen ist und wofür stets das Heiratsversprechen als Beispiel angeführt wird? Ist seine funktionale Bedeutung in einem gesellschaftlichen Zusammenhang so wichtig, dass seine Einhaltung mit dem Versprechen besiegelt wird? Sicherlich nicht, denn nach wie vor ist die Bedeutung des Versprechens für viele Handlungen konstitutiv, obwohl es für das Zusammenleben von Menschen offenbar mancherorts nicht mehr wichtig ist, wohl aber für Handlungen, deren funktionaler Kontext zu mindest problematisch ist, wie etwa das Versprechen, "wir fliegen zum Mars".
Stimmt es, wie Searle anführt, dass hier immer der Kontext, also die institutionellen Normen für die Bewertung ausschlaggebend sind? Muss man nicht vielmehr feststellen, dass die Institutionen und alle von ihr sanktionierten Regeln nur deshalb gelten, weil sie auf einem grundsätzlichen Versprechen oder Vertrag beruhen? Hat Barry Smith recht, wenn er sagt, dass Versprechen, Regeln, Verpflichtungen, Ehrlichkeit selbst Konzepte sind, durch die Ordnung und Autorität überhaupt zustande kommen und ist es wahr, dass sie "éxpriment des nécessités matérielles irréductibles", ist es also richtig, dass es sich auch im Falle des Versprechens um ein Konzept handelt, das a priori gelten muss? (Smith 2000, 198, vgl. auch 1992).
III.
Mich interessiert die Frage nach dem Verhältnis von materialen Notwendigkeiten und Wortbedeutungen. Dass es eine Übereinstimmung von Wortbedeutung und materialer Wirklichkeit geben muss, scheint mir daraus zu rechtfertigen zu sein, weil sich nur in diesem Zusammenhang definiert, was unter einer sinnvollen Begriffsbedeutung zu verstehen ist. Um meine These zu begründen, wie die Begriffsbedeutung auch die Bestimmung materialer Notwendigkeiten und Funktionen mitdefiniert, erläutere ich zuerst die Gesetzmäßigkeit des Begriffs. Daraus leite ich meine Begründung ab, inwiefern das Konzept Versprechen mit materialen Notwendigkeiten in Übereinstimmung steht.
IV.
Nach Searle sind die Sprechakte den Intentionen nachgeordnet, so dass die wirkliche Begründung der Sprachbedeutung in den Intentionen zu suchen ist. Schon im Zusammenhang mit dem Versprechen und seiner möglichen Geltung spielt die Intention bei Searle eine wichtige Rolle. So unterscheidet sich das aufrichtige vom unaufrichtigen Versprechen allein durch die Intention des Sprechers, ja, selbst die Unaufrichtigkeit der Handlung begründet Searle an dieser Stelle in der täuschenden Absicht: "Um die Möglichkeit eines unaufrichtigen Versprechens erklären zu können, brauchen wir nur die Bedingung 6 so zu verändern, dass in ihr nicht mehr verlangt wird, dass der Sprecher die Ausführung von A beabsichtigt, sondern dass er die Intention zur Ausführung von A anerkennt" (1983, 96). Searle meint, die 5. Regel, die er die wesentliche Regel nennt und die die Übernahme der Verpflichtung von A durch S formuliert, aufrecht erhalten zu können, wenn die Intention der Verpflichtung durch eine Anerkennung der Handlungsabsicht relativiert wird.
Searle löst damit die Bedeutungskonstitution des Versprechens auf; die analytische Deduktion wird kontingent, wenn an die Stelle der Intention des Sprechers zur Übernahme der Verpflichtung nur noch die grundsätzliche Anerkennung, dass es diese Bedeutungsimplikation gibt, erfolgt. Praktisch gesehen hat Searle allerdings Recht; für die Praxis reicht die Tatsache, dass der Person, die das Versprechen abgibt, bewusst ist, dass die Bedeutung des Wortes die Handlung impliziert. Searle sieht klar, dass die Bedeutung des Versprechens "nur von der Absicht des Sprechers" abhängt, "denn wenn ein Sprecher zeigen kann, dass er bei seiner Äußerung jene Absicht nicht im Sinn hatte, so gilt das als Beweis dafür, dass seine Äußerung gar kein Versprechen war" (1983, 93).
V.
Searles These, mit dem Begriff des Versprechens gehe eine Verpflichtung einher, dieses Versprechen zu halten, und diese sei logisch begründet, scheint mir wesentlich stärker zu sein, als Searle selbst ausführt. Denn Searle relativiert diese Bedeutung, erstens, indem er die Regularität der unaufrichtigen Versprechen den aufrichtigen gleichsetzt und zweitens, indem er die konstitutive Rolle der Institutionen für das Versprechen aus den Einwänden gegen den Objektivismus und Subjektivismus von Versprechungen ableitet. Er meint, sie relativieren zu müssen, weil aus den Wörtern keine Verpflichtung hervorgehen könne, wenn es keinen Bezug auf objektive Fakten gibt und weil Versprechen nicht gelten können, da sie bloß subjektiv sind (1983, 265-272).
Deuten wir die Begründung der Sprachhandlung in der Intention und überprüfen wir diese im Hinblick auf ihre Pragmatik, um die "Wertigkeit" von Versprechen zu begründen. Die Wortbedeutung des Versprechens kommt aus dem impliziten Zusammenhang von Versprechen und Übernahme einer Verpflichtung, wie Searle gezeigt hat. Es scheint einerseits kein Problem zu sein, diesen Zusammenhang analytisch zu definieren. In der Tat darf zwischen den beiden Momenten kein Widerspruch auftreten und dies geschieht auch nicht, solange wir die Verpflichtung als einen analytisch verknüpften Teil des Versprechens ansehen. Nun soll nach Searle ein unaufrichtiges Versprechen dieselbe Wortbedeutung konstituieren. Dagegen sind zwei Einwände vorzubringen. Wesentlich bei einem aufrichtigen Versprechen ist der analytische widerspruchsfreie Zusammenhang von Versprechen und Verpflichtung; dieser Zusammenhang wird aber beim unaufrichtigen Versprechen aufgebrochen. Die Handlung, die dem Versprechen folgen soll, wird ja ausdrücklich in der Intention des Sprechers negiert. Eine analytische Bedeutungskonstitution ist damit unmöglich. Der zweite Einwand bezieht sich darauf, dass die unaufrichtige Handlung sich nolens volens - siehe Einwand 1 - stets auf die erste nämlich analytisch widerspruchsfreie Bedeutungskonstitution beziehen muss, um überhaupt gelten zu können. Der Sprecher muß diese Absicht vortäuschen (Searle 1983, 95).
Wer verspricht und zugleich gewillt ist, das Versprechen nicht zu halten, vollzieht einen Widerspruch in seiner Intention. Die Intention hebt sich auf; also kann sie nicht bedeutungskonstitutiv für das Versprechen sein. Dass unaufrichtige Versprechen im Einzelfall als Versprechen aufgefasst werden, liegt nicht an der Intention des Sprechers, der diese doch negiert hat, sondern daran, dass die Hörer das Versprechen für ein aufrichtiges Versprechen halten. Searle kann unmöglich die "Bedeutung" des unaufrichtigen Versprechens im Gewirr der Intentionen des Sprechers klären. Richtig ist hingegen, dass jedes unaufrichtige Versprechen, dem eine Bedeutung zugemessen wird, für ein aufrichtiges Versprechen gehalten werden muss, damit es überhaupt eine Bedeutung haben kann.
VI.
Da Widersprüche nur logisch bedeutsam sind, ist die materiale Durchführung dieser gegenläufigen Absichten praktisch irrelevant, so scheint es auf den ersten Blick und so meint auch Searle. M. E. ergeben sich aber materiale Konsequenzen aus der "nur" logischen Stringenz der Begriffsbedeutung. Wer unaufrichtig oder falsch verspricht, kann dies nur dann realisieren, wenn sein Versprechen für ein wahres Versprechen gehalten wird. Das heißt, dass in der praktischen Umsetzung des Versprechens die der Sprachhandlung voraus gesetzte Intention entscheidend ist. Niemand wird ein Versprechen, das unter Zwang gegeben wurde, anerkennen und niemand wird ein Versprechen als solches bezeichnen, für das die Schwierigkeit der Handlungsverpflichtung nicht ebenso konstitutiv wäre. Diese Schwierigkeit bezieht sich wiederum nur auf die praktischen Möglichkeiten und Bedingungen, denen der Versprechende unterliegt. Es ist kein echtes Versprechen, die Sterne vom Himmel holen zu wollen, da es die praktischen Möglichkeiten überschreitet; und es handelt sich nur dann um ein Versprechen, auf einer Party zu erscheinen, wenn der Konflikt, diese Handlung auch durchzuführen, Teil des Versprechens ist. Folglich lassen sich Schlussfolgerungen hinsichtlich der materiellen Bedingungen des Versprechens aufzeigen und diese müssen so sein, dass die Gesetzmäßigkeit der Handlung eine Voraussetzung ist, die für den Sinn der Handlung konstitutiv ist.
VII.
Die gesetzmäßige Bedeutung muss folglich der materialen Notwendigkeit voraus gesetzt sein und diese mitdefinieren. Dies lässt sich am besten indirekt aufzeigen. Man stelle sich vor, die Bedeutung des Versprechens beruhe nicht auf seiner logischen Konsistenz. Wäre die vorausgesetzte widerspruchsfreie Intention nicht wesentlich, könnte jeder beliebig Versprechen geben, halten oder brechen, ohne die notwendige Bedeutungsreferenz. Ohne die unbedingte Voraussetzung, dass die im Versprechen übernommene Verpflichtung auch eingehalten wird, würde sich die Bedeutung des Begriffes "Versprechen" alsbald auflösen oder es gäbe sie gar nicht.
Nun soll aber auch noch deutlich werden, dass die logische Konsistenz des Begriffes im Falle des Versprechens, d.h. gerade wegen der impliziten Übernahme einer Verpflichtung seinen Geltungsraum definiert. Um zu verdeutlichen, was mit dem Geltungsraum gemeint ist, soll die allgemeine und widerspruchsfreie Geltung des Begriffs am Beispiel dargestellt werden. Versprechen ist kein empirischer Begriff und kann nicht sinnlich wahrgenommen werden. Seine Geltung ist abhängig von der Intention des Sprechenden, ferner von der Übereinkunft zwischen den Menschen, die den Sinn des Versprechens aus der Allgemeinheit und Widerspruchsfreiheit ableiten. Den Versprechungen kommt eine große Bedeutung in unserem Leben zu; Versprechen sind nur wiederholbar, wenn sie auch eingehalten werden. Wer sich selbst und anderen stets falsche oder unaufrichtige Versprechen macht, wird bald mit der Widersprüchlichkeit seiner Aussagen konfrontiert werden, seine Versprechen werden als solche nicht mehr anerkannt. Die Diskrepanz zwischen Rede und Sachverhalt tritt hervor, deren Einheit elementar für die Wortbedeutung ist. Die Begriffsbedeutung besteht in der widerspruchsfreien Beziehung zwischen dem Versprechen und der Übernahme der Verpflichtung, wobei die Verstöße dagegen nicht die Bedeutung des Versprechens schlechthin aufheben, sondern nur die konkrete, nämlich ausgebliebene Verwirklichung einer Handlung. Der Begriff ist nur in dieser Abhängigkeit von seinem Bezugssystem wirklich und sinnvoll. Allein in diesem Bezugssystem kann sich Widersprüchlichkeit oder Widerspruchsfreiheit der Begriffsanwendung in ihrem Geltungsbereich zeigen. Praktisch gesprochen heißt dies, dass Gemeinschaften oder Institutionen eben nicht abhängig von materialen Bedingungen begründet werden, sondern aus der Zustimmung zu bestimmten Begriffsbedeutungen hervorgehen. Man kann sagen, eine Gemeinschaft von Begriffsverständigen entsteht nicht aufgrund territorialer oder anderer funktional definierter Zusammengehörigkeiten, sondern sie definiert den Zusammenhang von Funktionen und materialen Gegebenheiten stets im Rückgriff auf die widerspruchsfreie Anwendung von Handlungsfolgen (Vgl. Hagengruber 2000, 193-203). Nur wenn die Bedeutung des Versprechens von dem Teil der Gemeinschaft Zustimmung erfährt, der relevant für die Beurteilung konsistenter Handlungskonsequenzen ist, können soziale Institutionen entstehen und kommt ihren Regeln eine Bedeutung zu.
Referenzen
- Hagengruber, R. (2000) Nutzen und Allgemeinheit. Überlegungen zu grundlegenden Prinzipien der praktischen Philosophie, St. Augustin: Academia.
- Millikan, R. (1998) "Language Conventions Made Simple", The Journal of Philosophy, XCV 4, 161-180.
- Searle, J. (1983) Sprechakte, Frankfurt a.M., Suhrkamp.
- Smith, B. (1992) "An Essay on Material Necessity", in: P. Hanson and B. Hunter (eds.), Return of the A Priori, Canadian Journal of Philosophy, Supplementary Volume 18.
- Smith, B. (2000) " L'ontologie de la Réalité sociale. Une critique de John Searle". L'enquête ontologique, Paris, Éditions de l'EHESS, 185-198.
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