Wie man NaturalistInnen (nicht) kontern sollte
Wie man NaturalistInnen (nicht) kontern sollte

Abstract

Nach einem Klassifikationsvorschlag für verschiedene Formen des philosophischen „Naturalismus“ und „Anti-Naturalismus“ skizziere ich zunächst einige defiziente Wege anti-naturalistischer Argumentation. Angelpunkt einer vertretbaren anti-naturalistischen Argumentation könnte die Betrachtung der Einführung der jeweiligen Vokabulare sein. Es lässt sich zeigen, dass das „naturalistische“ Vokabular unter der stillschweigenden Voraussetzung unseres funktionierenden Redens über das Ausgangsphänomen, nämlich Personen, ihre mental-physikalische Doppelaspektigkeit, ihre Handlungen und Absichten eingeführt ist – dies aber ist ein Grund dafür, dieses Reden philosophisch ernst zu nehmen und nicht den aussichtslosen Versuch zu unternehmen, es im Wege der „Naturalisierung“ inhaltlich adäquat auf anderes zurückzuführen.

Table of contents

    1. Einleitung

    Die Vielzahl von Naturalismusbekenntnissen und (teils nur angedeuteten) Naturalismusdefinitionen macht es schwer anzugeben, was den philosophischen Naturalismus eigentlich charakterisiert. Ich schlage vor (ähnlich Grundmann 1996; Moser / Trout 1995, 1), daß philosophischer „Naturalismus“ verstanden werden kann

    • a) als eine methodologische These bezüglich der in der Philosophie zulässigen wissenschaftlichen Methoden; und/oder
    • b) als eine semantische These darüber, welche Merkmale kognitiv sinnvolle Sätze kennzeichnen; und/oder schließlich
    • c) als eine ontologische These darüber, was alles existiert (bzw. darüber, was alles nicht existiert, siehe dazu weiter unten).

    Diese drei Thesen können, müssen aber nicht notwendig miteinander gekoppelt werden. Und innerhalb dieser Grobeinteilung legen sich natürlich weitere Differenzierungen nahe, die ich hier allerdings übergehen muß (Löffler 1998).

    2. Grundtypen antinaturalistischer Strategien

    Auch für die Einschätzung von „nicht-“ oder „antinaturalistischen“ Positionen ist diese Einteilung heuristisch nützlich. Sie kehrt dort sozusagen in negativer Wendung wieder. Als wesentlich an antinaturalistischen Positionen kann angesehen werden:

    • a) die Verteidigung der kognitiven Sinnhaftigkeit bestimmter umstrittener Aussagenklassen (etwa über Qualia etc.) trotz ihrer offenkundigen Unübersetzbarkeit in physikalische Aussagen (semantischer Antinaturalismus); und/oder
    • b) die Verteidigung der ontologischen Unverzichtbarkeit bestimmter Entitäten wie Willensakte, agent causality, cartesianischer Seelen u.a. (ontologischer Antinaturalismus); und/oder
    • c) die Verteidigung der Berechtigung verschiedener Wissens- und Erkenntnisformen jenseits der Naturwissenschaften (methodologischer Antinaturalismus).

    Antinaturalistische Strategien lassen sich weiters in eher direkte bzw. phänomenologische einerseits und eher indirekte bzw. methodologische Strategien andererseits einteilen. Direkte antinaturalistische Positionen legen das Augenmerk auf Gegebenheiten im Bereich des Mentalen, die zwar phänomenologisch deutlich faßbar und schwer aus unserem Weltbild wegzudenken sind, die jedoch notorische Problemfälle für die Naturalisierung darstellen. Verwiesen wird in diesem Zusammenhang meist auf Selbstbewußtsein, Intentionalität, das Phänomen der Kommunikation, das auf Bedeutungsverstehen mit einem gewissen Maß an intersubjektiver Flexibilität beruht, Handlungsfreiheit und insbesondere die sogenannten „Qualia“. Direkte, phänomenologisch orientierte antinaturalistische Standpunkte arbeiten die Unverständlichkeit heraus, wie diese eigentümlichen Eigenschaften des Mentalen jemals aus den mikrostrukturellen Eigenschaften des physikalisch o.ä. Faßbaren erklärt werden können, und begründen aus dieser Sicht, daß naturalistische Auffassungen vom Menschen wesentlichen Aspekten nicht gerecht werden, daß sie daher - bestenfalls - unabgeschlossen sind.

    Indirekte, eher methodologische antinaturalistische Standpunkte legen ihr Augenmerk dagegen auf die in den jeweiligen Beschreibungs- und Erklärungsweisen verwendeten Begrifflichkeiten und auf die Frage ihrer Herkunft und methodischen Einführung in die Rede. Damit verbunden ist die Frage nach den Erklärungs-, Beschreibungs- und Verständigungszwecken, die einzelne Redeweisen verfolgen. Das Ziel eines solchen Vorgehens ist nicht etwa, den naturwissenschaftlichen Zugang zum Menschen als grundsätzlich methodisch fehlerhaft darzustellen (ebensowenig wie der introspektiv-phänomenologische oder andere grundsätzlich fehlerhaft wären), sondern der Aufweis, daß allein schon die Wahl bestimmter Begrifflichkeiten und Erklärungsweisen eine methodische Vorentscheidung darüber trifft, welche Art von Fragen im Raum stehen und welche Antworten sinnvollerweise erwartet (bzw. nicht mehr erwartet) werden können. Der philosophischen Anthropologie als „metaphysischer“ Reflexion auf den Menschen könnte aus dieser Sicht die Aufgabe zufallen, auf solche unterschiedliche Zugänge zum Menschen aufmerksam zu machen und ihr gegenseitiges Verhältnis zu klären.

    Die folgende Skizze einer solchen indirekten antinaturalistischen Argumentation ist im Sinne des obigen Einteilungsvorschlags also eine methodologische Strategie, und sie richtet sich demgemäß auch primär gegen methodologische Versionen des Naturalismus. Aus den methodologischen Überlegungen sollte aber ersichtlich werden, warum eine naturalistische Ontologie problematisch ist, und ebenso, warum eine naturalistische Einschränkung des Bereichs kognitiv sinnvoller Aussagen (semantischer Naturalismus) zu eng ist.

    Zunächst sollen jedoch einige antinaturalistische Argumentationsansätze zur Sprache kommen, die ihrerseits kritischen Überlegungen nicht standhalten.

    3. Defiziente Wege antinaturalistischer Argumentation

    3.1 Verweis auf Nichtselbstanwendbarkeit: Altbekannt und naheliegend ist der Einwand der Nichtselbstanwendbarkeit der naturalistischen Kriterien für berechtigte Erkenntnis. Strukturell ähnliche Einwände wurden schon gegen das Verifikationsprinzip als Sinnkriterium erhoben. Ähnlich ist die naturalistische Position, nur die Erkenntnisweise der Naturwissenschaften als Weg zu berechtigter Erkenntnis zu betrachten, selbst kein mögliches Resultat naturwissenschaftlicher Erkenntnis. Sie mag zwar einiges an pragmatischen Gründen für sich haben (etwa, daß in den gesicherten Kernbereichen der Naturwissenschaften ein höherer Grad intersubjektiven Konsenses zu beobachten ist als in den meisten, vielleicht sogar allen anderen kognitiven Betätigungsfeldern des Menschen), sie bleibt aus der innertheoretischen Sicht des Naturalismus aber immer eine unbegründbare metatheoretische Option. Sofern man die Selbstanwendbarkeit einer philosophischen Position, d.h. die Rechtfertigbarkeit (oder zumindest Verteidigbarkeit) ihrer zentralen Aussagen innerhalb ihrer eigenen Rechtfertigungsstandards als ein taugliches metaphilosophisches Kriterium ansieht, ist dies ein antinaturalistisches Argument von gewisser Bedeutung.

    Allerdings bleibt dieses Argument bei einem negativen Ergebnis - dem Hinweis auf ungerechtfertigte Grundvoraussetzungen - stehen. Es erbringt aber noch keine Hinweise darauf, wie die Naturalisierungsprogramme methodisch einzuschätzen sind, welche Formen unserer Erkenntnistätigkeit durch die naturalistische Option von vornherein als unberechtigt ausgeschlossen werden, und wie die naturwissenschaftliche Redeweise zu anderen möglichen Redeweisen steht. Dies ist nicht unproblematisch: Solange nämlich derlei Zuordnungsfragen nicht geklärt sind, könnte es durchaus als legitime antinaturalistische Strategie erscheinen, einfach auf andere Evidenzen zu pochen und andere Redeweisen vom Menschen - etwa introspektiv-mentalistische, emotionale, existentielle, spiritualistische oder sonstwie spekulativ-metaphysische bis hin zu esoterischen Mystizismen etc. - als ebenso plausibel, ja vielleicht sogar als die einzig angemessene zu präsentieren. Die Frage, wie einzelne Redeweisen über den Menschen zueinander stehen, ist aber philosophisch unabweisbar.

    3.2 Sprachenpluralismus: Eine mögliche, aber problematische Reaktion darauf ist die Behauptung eines nicht weiter aufhellbaren „Sprachenpluralismus“. Solche Thesen werden z.T. als sprachphilosophisch begründete Behauptungen einer prinzipiellen Pluralität vorgebracht, z.T. sind verstehen sie sich auch nur als Diagnosen einer faktischen, aber beklagenswerten Fehlentwicklung unserer wissenschaftlich geprägten Kultur. Teilweise geht damit auch die Relativierung der (natur-)wissenschaftlichen Redeweise als eine von vielen, aber grundsätzlich beliebig austauschbaren „Erzählungen“ über die Wirklichkeit einher, mitunter auch der kulturkritische Appell, den Einfluß der naturwissenschaftlichen „Erzählung“ zugunsten anderer zurückzudrängen.

    3.3 Syntheseversuche: Sprachenpluralistische Situationen werden vielfach als gefährlicher Mangel an Orientierungswissen empfunden. Dies motiviert fragwürdige Versuche, disparate Theoriebereiche doch innerhalb einer Totalerklärung unterzubringen, d.h. einer einzigen großen Theorie über den Menschen, die naturwissenschaftliche, phänomenologische und andere Aspekte vereinigt und damit umfassende Orientierung bietet. Das naturalistische Anliegen einer Einheitswissenschaft kehrt hier also in einer paradoxen Wendung wieder.

    Ein Beispiel für solche wissenschaftstheoretisch unreflektierten Vereinigungskonstrukte sind die Versuche, der menschlichen Willensfreiheit durch Anleihen bei der Quantenphysik und neuerdings der Chaostheorie einen Platz in einer naturwissenschaftlichen Theorie zu geben (Darstellung und Kritik bei Kügler 1998). Chaotische Prozesse im Gehirn könnten (indeterministische) Quanteneffekte so verstärken, daß das Gehirn auch makroskopisch betrachtet indeterministisch funktioniere und somit Raum für die Willensfreiheit bleibe.

    Der wesentliche Einwand gegen solche Theoriekonstruktionen liegt auf der Hand: Selbst wenn es eine zufriedenstellende naturwissenschaftliche Theorie gäbe, die impliziert, daß Gehirnprozesse nicht deterministisch sind, wäre damit noch nicht die Existenz von Willensfreiheit erwiesen. Gehirnprozesse (und damit auch menschliche Handlungen) wären nämlich nichts anderes als etwas komplexere Zufallsprodukte. Ein wesentliches Moment am Freiheitsbegriff ist jedoch die phänomenologisch deutlich faßbare Möglichkeit des Etwas-Wollens-aber-auch-anders-Könnens. Zwischen der Annahme eines Indeterminismus auf irgendeiner physikalischen, biologischen o.ä. Mikroebene und der Erfahrung der Freiheit scheint ein unüberbrückbarer Graben zu klaffen. Jeder rein naturalistische Versuch der „Erklärung“ der Freiheit im Sinne einer Rückführung von „Makroeigenschaften“ auf „Mikroeigenschaften“ scheint von vornherein aussichtslos, und eine sachlich wirklich angemessene Theorie der menschlichen Freiheit scheint an irgendeiner Stelle doch wieder auf die subjektive, phänomenologisch gegebene Freiheitserfahrung und damit auf menschliche Handlungssubjekte rekurrieren zu müssen. In den nächsten Abschnitten soll der Frage nachgegangen werden, warum dies so ist.

    4. Hinweise auf Zirkularität: handlungstheoretische Aufladungen im naturalistischen Vokabular

    Das methodische Problem, das im vorigen Abschnitt am Beispiel des Versuches herausgearbeitet wurde, eine Theorie der menschlichen Willensfreiheit zu entwerfen, die sowohl dem naturalistischen als auch einem größeren weltanschaulichen Anliegen gerecht wird, kehrt in ganz ähnlicher Form auch bei der Naturalisierung anderer mentaler Gegebenheiten wieder: Naturalisierungsprogramme wollen den Bereich des Mentalen aus den naturwissenschaftlich faßbaren Eigenschaften auf der Mikroebene und ohne Rekurs auf Erklärungsmuster aus dem geistigen Bereich rekonstruieren. An irgendeiner Stelle des Naturalisierungsvorhabens muß aber doch wieder (explizit oder implizit) auf ein Vokabular zurückgegriffen werden, das offensichtlich unserem Reden über Personen als freie Handlungssubjekte, ihre Ziel- und Zwecksetzungen und ihre Interpretationspraxis, unserem Reden über „vernünftige“ Überzeugungen, Handlungen und Begründungen etc. entstammt. Ähnlich relativiert Quine in seiner naturalisierten Erkenntnistheorie den Unterschied zwischen Fragen der kausalen Genese und der Rechtfertigung unserer Erkenntnis, und in den naturalistischen Explanantia kommt durchaus begründungstheoretisches Vokabular wie „evidence“, „meaning“, „information“ vor; Quine hält die Zirkularität aber für unproblematisch und unvermeidbar. Bei externalistischen und evolutionären Erkenntnistheorien muß zur Antwort auf die Frage nach der „eigentlichen“ Bedeutung von Repräsentationen und zur Lösung des Problems der Fehlrepräsentation auf in der Natur eingebaute Zwecke hinter den „proper functions“ rekurriert werden. Zwecke im engeren Sinne des Wortes gibt es aber nur dort, wo es auch Handlungssubjekte und ihre Zwecksetzungen gibt. „Proper functions“ werden immer relativ zu „Normalbedingungen“, „typischen Kausalketten“, „passenden Erkenntnisumgebungen“ etc. definiert - alles sind normative Begriffe, die ihre Einführung Situationen verdanken, wo vernünftige Beobachter die (Ab-)Normalität von Situationen einschätzen (Koppelberg 1994).

    Die Liste der Beispiele ließe sich leicht verlängern. Altbekannt ist etwa das Problem, daß das Vokabular des psychologischen Behaviorismus ebenfalls nicht ohne handlungstheoretische bzw. mentalistische Begriffe auskommt; nicht einmal die behavioristischen Explananda sind ohne Begriffe wie „Vermeidungsverhalten“, „Verstärkung“ etc. zu identifizieren (Keil 1993, 39). Um dem allzu offenkundigen Einfließen solchen handlungstheoretischen Vokabulars auszuweichen, verwenden zeitgenössische externalistische Theorien meist „Information“, „Anzeichen (indication)“ oder „Repräsentation“ als scheinbar rein „kausale“ Grundbegriffe, postulieren die Existenz „natürlicher Repräsentationen“ und rekonstruieren mentale Phänomene als komplexe Arten von Informationsverarbeitung etc. (Dretske 1998, Papineau 1993 u.v.a.m.). Auf den zweiten Blick erweisen sich allerdings auch diese Begriffe als implizit handlungstheoretisch aufgeladen (Keil 1993, besonders 150-159): Ein „Anzeichen“ ist ein Anzeichen-für-jemanden, der es berücksichtigen, verstehen und evtl. danach handeln kann, von „Repräsentation“ kann begrifflich nur dort die Rede sein, wo es einen Interpretierenden gibt, der das Repraesentans als Repraesentans eines Repraesentatum versteht und für den die Repräsentation in irgendeiner Hinsicht handlungsrelevant sein kann, und auch eine rein naturalistische Definition von „Anzeichen“ oder „Information“ (d.h. ohne Bezug auf irgendwelche Kommunikationskontexte und Informationsbenützer, auf ein gemeinsames Zeichenrepertoire u.a. Verstehensvoraussetzungen ) gibt es nicht (zur Kontextabhängigkeit des Informationsbegriffs in der Biologie Küppers 1995). Die bekannten Suggestivbeispiele für offensichtliche Repräsentations-, Anzeichen- oder Informationsverhältnisse sind daher erst treffend, wenn man den Kontext mitberücksichtigt: Ein Tachometer repräsentiert „an sich“ nichts, sondern erst für den Beobachter oder ein weiterverarbeitendes System, mit dem es eine gemeinsame Sprache, die Maßeinheiten etc. teilt. Ähnlich kann von zielgerichtetem Verhalten oder Informationsverarbeitung im engeren Sinne nur dort die Rede sein, wo der Informationsempfänger aufgrund des Anzeichens oder der Information so-oder-anders handeln, d.h. aus mehreren möglichen Zuständen einen verwirklichen kann. Ein Thermostat, um ein altes Beispiel zu gebrauchen, zeigt an sich noch kein selbstregulierendes oder zielgerichtetes Verhalten, weil er - sofern er seiner „proper function“ gemäß arbeitet - keine Verhaltensmöglichkeiten hat; von „Selbstregulierung“, „Zielen“ etc. kann erst die Rede sein, wenn die Absichten des Konstrukteurs etc. mitberücksichtigt werden.

    Überhaupt kann mit guten Gründen bezweifelt werden, ob ein „rein kausales“ Vokabular ohne jede handlungstheoretische Aufladung grundsätzlich möglich ist: Georg Henrik von Wright u.a. haben gezeigt, daß die Bedingung der Möglichkeit sinnvoller Rede von Kausalität, von Ursache und Wirkung, von naturgesetzlich determiniertem Wirken die Erfahrung unserer Fähigkeit zum manipulierenden Eingriff ist, daß also die Rede von naturgesetzlicher Kausalität gegenüber der Rede von Handlungskausalität eine abgeleitete Redeweise darstellt (Von Wright 19913, Runggaldier 1996; Zum Stand der Kausalitätsdebatte Falkenburg / Pätzold 1998).

    5. „Mentalistische“ und „physikalistische“ Begrifflichkeiten als Abstraktionsprodukte

    Die Beispiele handlungstheoretischer Aufladungen sollten nicht etwa die Berechtigung solcher Redeweisen in Abrede stellen. Erst recht nicht sollte bestritten werden, daß es Verhältnisse in der Natur gibt, die man zweckmäßigerweise und erfolgreich mit derlei Redeweisen erforschen und beschreiben kann. Zweck der vorstehenden Beispiele war es vielmehr, den folgenden Vorschlag zu motivieren: „Mentalistische“ und „physikalistische“ Begrifflichkeiten sind bereits Abstraktionsprodukte, und der eigentliche erkenntnistheoretische Ausgangspunkt und die konstitutionstheoretische Wurzel, von der ausgehend diese in der philosophy of mind verwendeten Begrifflichkeiten eingeführt werden, ist die Rede über menschliche Personen mit ihren Handlungen und Absichten. Personen haben im Unterschied zu anderen Gegenständen der Lebenswelt zwar die Eigentümlichkeit, daß ihnen mentale und physikalische Prädikate zugesprochen werden können, dies bedeutet aber nicht, daß wir unseren Personbegriff erst unter Zugrundelegung mentaler und physikalischer Begriffe (als grundlegenderer Begriffe) konstruieren müßten. Vielmehr ist der Begriff der Person - als derjenigen Entität, der sowohl mentale als auch physikalische Eigenschaften zukommen - ein Basisbegriff unseres Weltbildes, und es lassen sich überzeugende Argumente dafür entwickeln, daß wesentliche Züge unseres Weltbildes unverständlich bleiben würden (etwa unsere Fähigkeit des „Einsteigens“ in ein gemeinsames Raum-Zeit-Schema und des Bezugnehmens auf Gegenstände darin, unsere Annahme der Identität dieser Gegenstände durch die Zeit etc.), wenn wir nicht über diesen Begriff der Person als einer Entität mit dem eigentümlichen mental-physikalischen Doppelaspekt verfügten (Strawson 1972).

    Freilich können wir aus diesem „doppelaspekthaften“ Reden über Personen Aspekte herausheben und abstahierend von reinen „mentalen“ und „physikalischen“ Phänomenen sprechen. Und für bestimmte Zwecke sind derlei Abstraktionen sogar unabdingbar, etwa wenn im Rahmen der Neurobiologie nur biologisch faßbare Aspekte des Menschen berücksichtigt werden, oder wenn bei manchen wahrnehmungspsychologischen Versuchen nur die Innenperspektive berücksichtigt wird, und wenn dabei von anderen Aspekten jeweils methodisch abgesehen wird. Auf diese Weise entstehen unterschiedliche „regionale Ontologien“, also Gegenstandsbereiche einzelner Frage- und Wissensgebiete, sowohl im wissenschaftlichen als auch im außerwissenschaftlichen Bereich.

    6. Reziproke Begriffsbildung

    Ein methodischer Fehler wäre es jedoch, die so erhältlichen Abstraktionsprodukte als erkenntnismäßig primär zu betrachten und zu versuchen, aus ihnen das ursprüngliche Ausgangsphänomen in seiner ganzen inhaltlichen Fülle - also Personen mit ihren Handlungen, Absichten, Interpretationsweisen etc. - zu rekonstruieren. Man könnte diesen methodischen Fehler „Trugschluß aufgrund reziproker Begriffsbildung“ nennen: Unter methodischer Abstraktion von bestimmten Eigenschaften E am Ausgangsphänomen wird ein Gegenstandsbereich B konzipiert, der sich als nützlicher ontologischer Rahmen für bestimmte Zwecke erweist. In einem zweiten Schritt wird unter Zugrundelegung von B versucht, eine Erklärung für die Eigenschaften E zu geben - also gerade jenen Eigenschaften, von denen vorher abgesehen wurde. An dieser methodologischen Grenze scheitern etwa Versuche, Erklärungen für mentale Gegebenheiten im Wege einer Rückführung von Makroeigenschaften auf Mikroeigenschaften zu liefern. Ein damit verwandter methodischer Fehler wäre es, Abstraktionsprodukte der einen Abstraktionsrichtung unter Zugrundelegung der Abstraktionsprodukte einer anderen Abstraktionsrichtung erklären zu wollen.

    Naturalisierungsprogramme im Bereich der philosophischen Anthropologie scheinen jedoch gerade diesen Grundstrukturen zu folgen: (a) Ausgehend von den mit den Methoden der Naturwissenschaften faßbaren Gegenständen (Elementarteilchen, Felder, Neuronen etc.) oder ausgehend von dem, was man als einen zweckmäßigen ontologischen Rahmen für die Physik ansieht (etwa Formen von Ereignis- oder anderen Ontologien) soll versucht werden, eine Erklärung für Aspekte am Menschen zu finden, von denen im Zuge der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung gerade methodisch abgesehen wurde. Den Hintergrund für solche methodische Fehler bilden jeweils stark realistische Deutungen der von physikalischen Theorien vorausgesetzen Gegenstände. Dieser Bereich theoretischer Gegenstände wird - unter Ausklammerung der damit verbundenen erkenntnistheoretischen Problematik - als der ontologisch primäre Bereich vorausgesetzt. (Für eine ähnliche Kritik siehe Ryle 1970; Hartmann 1998).

    Oder (b): Es werden zwei Gegenstandsbereiche als Voraussetzung für die Fragestellung angenommen (etwa: „physikalische“ und „mentale“ Gegenstände), wobei der eine als unproblematisch, der andere als ontologisch dubios und erklärungsbedürftig angesehen wird, und es wird gefragt, wie der problematische (mentale) Bereich aus dem unproblematischen (physikalischen) heraus erklärt werden kann. Dabei wird jedoch übersehen, daß es sich in beiden Fällen bereits um Abstraktionsprodukte handelt, allerdings in verschiedenen Richtungen, sodaß ein solcher Erklärungsversuch - quer über Abstraktionsrichtungen hinweg - von vornherein fragwürdig ist. Scheinbar unverdächtige Fragestellungen wie „Welche Art von Ereignissen sind mentale Phänomene?“ sind ein Anzeichen dafür, daß unterschiedliche Abstraktionsprodukte in eine Erklärungsbeziehung gesetzt werden sollen.

    7. Schluß

    Versucht man dennoch, eine inhaltlich adäquate Theorie vom Menschen auf diesem „rekonstruktiven“ Weg von der Mikro- auf die Makroebene zu erzielen, so ist zu erwarten, daß dieser Versuch mit den erwähnten unbefriedigenden Begleiterscheinungen belastet sein wird: Entweder müssen wesentliche Aspekte dessen, was wir als für Personen charakteristisch annehmen, als unrekonstruierbar und damit letztlich nicht real weginterpretiert werden (z.B. im eliminativen Materialismus); oder die Erklärung des für Personen Typischen muß zu mehr oder minder metaphorischen Formulierungen ohne viel Erklärungswert greifen (wie etwa dem Postulat der „Emergenz“ oder „Supervenienz“ mentaler Eigenschaften in hinreichend komplexen physikalischen Systemen). Oder manche inhaltliche Gehalte, die eigentlich entscheidende Teile des Explanandums ausmachen, werden bereits durch die verwendete Begrifflichkeit („Repräsentation“, „Information“ etc.) stillschweigend ins Explanans eingebaut.

    Eine adäquate philosophische Reaktion auf den Naturalismus scheint also weder in der simplen Forcierung alternativer Redeweisen vom Menschen noch in irgendwelchen fragwürdigen Theoriesynthesen zu bestehen. Die hier skizzierte Strategie der methodologischen Klärung verschiedener Redeweisen und Begrifflichkeiten dürfte ein aussichtsreicherer Weg sein, die Berechtigung, die Erklärungsmöglichkeiten und auch die Erklärungsgrenzen verschiedener Zugänge zum Menschen aufzuzeigen. Von der oben abgelehnten Pluralismuslösung unterscheidet sie sich dadurch, daß auf die gemeinsame Wurzel unserer jeweiligen Begriffsbildungen besonderer Wert gelegt wurde - nämlich unsere Rede von handelnden Personen.

    Literatur

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    12. Ryle, G. 1970 Begriffskonflikte,Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
    13. Runggaldier, E. 1996 Was sind Handlungen? Stuttgart u.a.: Kohlhammer.
    14. Strawson, P. F. 1972 Einzelding und logisches Subjekt, Stuttgart: Reclam.
    15. von Wright, G.H. 19913 Erklären und Verstehen, Meisenheim: Hain.
    Winfried Löffler. Date: XML TEI markup by WAB (Rune J. Falch, Heinz W. Krüger, Alois Pichler, Deirdre C.P. Smith) 2011-13. Last change 18.12.2013.
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