Religiöser Glaube und Zweifel
Religiöser Glaube und Zweifel

Abstract

Die gemeinsame Basis von transzendentalphilosophischer Glaubensverantwortung und reformed epistemology, zwischen foundationalism und anti-foundationalism sowie zwischen römisch-katholischem Lehramt und Wittgensteinianern besteht darin, dass das letzte Ziel jeder Glaubensbegründung die Eliminierung des Zweifels sein muss. Dagegen versucht der Vf. -angeregt durch Überlegungen des späten Wittgenstein -zu zeigen, dass sowohl der intellektuelle als auch der existentielle Zweifel an religiösen Glaubenssätzen unaustilgbares Moment der Grammatik religiöser Rede ist. Erst wenn die weltbildinterne Verankerung des Zweifels im religiösen Glauben konstruktiv aufgenommen wird, ist rationale Glaubensverantwortung in überzeugender Weise möglich.

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    Religiöser Glaube und Zweifel scheinen sich auf den ersten Blick gegenseitig auszuschließen. Wer wirklich glaubt und vertraut, zweifelt nicht. Und wer ernsthaft zweifelt, kommt nicht zum Glauben. Dieser Ausschluss des Zweifels aus dem Feld des Religiösen und seine damit verbundene Stigmatisierung vereint sonst so unterschiedliche Ansätze wie die Wittgensteinianische Religionsphilosophie und den katholischen Weltkatechismus. Zweifel als existentiell begründete Infragestellung gilt vielen Wittgensteinianern als dem Glauben entgegengesetzte Verzweiflung bzw. als weltbildinterne Unmöglichkeit (vgl. Herck 1999, 223) und dem Weltkatechismus als Sünde (vgl. Weltkatechismus Nr. 2088). Nur wer ihn überwindet, kann als religiöser Mensch und guter Christ bezeichnet werden. In universaler Weise betriebener methodischer Zweifel gilt Wittgensteinianern angesichts der besonderen Eigenart religiöser Sprachspiele als nutzloses Unterfangen, während die Hüter der katholischen Glaubenslehre in ihm bereits eine Gefährdung des im ersten Gebot geforderten Gehorsams gegen Gott zu sehen scheinen.

    Besonders diese Frontstellung gegen den methodischen Zweifel scheint den emanzipatorischen Potentialen neuzeitlicher Philosophie zu widersprechen, die sich in ihrem Grundansatz auf ein konstruktives Verhältnis zum Zweifel festgelegt hat. Stellvertretend für viele sei nur an René Descartes erinnert, der im methodischen Zweifel des Subjekts die Grundlage alles Philosophierens und aller Wissenschaft einschließlich der rationalen Rekonstruktion des Gottesbegriffs sieht. In den Fußspuren subjektphilosophischer Ansätze haben sich in der neueren deutschsprachigen Theologie und Religionsphilosophie eine Reihe von Glaubensbegründungsversuchen etabliert, die den methodischen Zweifel in einer ähnlich konstruktiven Weise zu nutzen suchen. Das Zweifeln wird dabei methodisch eingesetzt, um ein nicht mehr bezweifelbares fundamentum inconcussum freizulegen, das durch die Analyse der Elementarstruktur menschlicher Vernunft (H. Verweyen), menschlicher Freiheit (T. Pröpper) oder menschlichen Selbstbewusstseins (K. Müller) eruiert wird (vgl. Müller 1998, 97-100). Der Zweifel wird dabei immer dazu verwendet, eine Grundlage des Glaubens oder seiner rationalen Bewertung zu finden, die selbst nicht mehr bezweifelt werden kann. Trotz der positiven Verhältnisbestimmung zum methodischen Zweifel geht es also auch diesen transzendentalphilosophisch orientierten Versuchen der Verantwortung religiösen Glauben letztlich um die Überwindung des Zweifels, zumindest um die Überwindung des existentiellen Zweifels.

    Religiöser Glaube erscheint in dieser Perspektive dann vor der Vernunft verantwortet, wenn eine unhinterfragbar gültige Glaubensgrundlage ausgewiesen wurde (vgl. Verweyen 1997, 96), und so der Zweifel mit guten Gründen zum Schweigen gebracht wurde. Damit ist zwar ein nicht zu unterschätzender Fortschritt gegenüber Programmen erreicht, die den Zweifel ignorieren oder verbieten wollen. Das Ziel der Eliminierung des Zweifels bleibt aber erhalten, ja wird noch einmal verstärkt, weil sie letztbegründet werden soll.

    Interessant ist, dass auch die derzeit prominenteste Gegenbewegung zu dieser Form des Begründungsbemühens, die sich im Umfeld derreformed epistemology etabliert hat, eine ähnliche Verhältnisbestimmung religiösen Glaubens zum Zweifel vornimmt. Die Vertreter der reformed epistemology kritisieren zwar den Versuch des foundationalism, eine unhintergehbare, unbezweifelbare Grundlage allen Philosophierens zu rekonstruieren (vgl. Plantinga 2000, 81-107). Aber in Bezug auf den religiösen Glauben versuchen sie dennoch nachzuweisen, dass interne Zweifel an ihm unberechtigt sind.

    Grundlage dieser Bemühungen ist dabei beispielsweise bei Alvin Plantinga die Behauptung der epistemischen Basalität religiöser Glaubenssätze. Mit dieser Einschätzung möchte Plantinga religiöse Sätze zwar nicht gegenüber Zweifelsmöglichkeiten immunisieren. Er betont mehrfach ausdrücklich, dass der Zweifel auch an epistemisch basalen Überzeugungen berechtigt sein kann oder durch veränderte Umstände Berechtigung erlangen kann, so dass die eigentlich basalen Überzeugungen begründungsbedürftig werden (vgl. etwa Plantinga 2000, 344; Plantinga 1998, 322-324). Auch die Rechtfertigung basaler Überzeugungen kann durch sog. „defeaters“ außer Kraft gesetzt werden. Aufgabe der Theologin ist es in diesem Fall aber, die „defeaters“ durch „defeaters defeaters“ zu widerlegen und damit den Zweifel aus der Welt zu schaffen (vgl. Runggaldier 2001, 297). Rational gerechtfertigt ist der Glaube in dieser Perspektive nicht erst, wenn eine Letztbegründung für die Ausräumung des Zweifels gegeben ist, sondern bereits dann, wenn alle vorgebrachten Einwände widerlegt und der faktisch aufgekommene Zweifel zur Ruhe gekommen ist. „Our beliefs are rational unless we have reason for refraining; they are not nonrational unless we have reason for believing. They are innocent until proved guilty, not guilty until proved innocent“ (Wolterstorff 1983, 162f.).

    Mit dieser Inversion der Begründungsanforderungen ist eine gravierende Kehrtwende religiöser Epistemologie angestoßen, deren Berechtigung in meinen Augen zu Recht sehr umstritten ist (vgl. Müller 1998, 83-88). Aber bei allem Streit über Ausrichtung und Tragweite des Begründungsprogramms in der Auseinandersetzung zwischen foundationalism und anti-foundationalism ist doch diese Übereinstimmung beider Denkrichtungen frappierend: Ob mit oder ohne Letztbegründung, ob in Abwehr konkreter Einwände oder in der Konstruktion einer unhintergehbaren Argumentationsbasis, in beiden Fällen besteht das Ziel darin, den Zweifel vom religiösen Glauben fernzuhalten. Religiöser Glaube gilt als gerechtfertigt, wenn der Zweifel keinen Angriffspunkt mehr an ihm findet.

    Die gemeinsame Basis von transzendental-philosophischer Glaubensverantwortung und reformed epistemology, zwischen foundationalism und anti-foundationalism sowie zwischen römisch-katholischem Lehramt und Wittgensteinianern besteht also darin, dass das letzte Ziel jeder Glaubensbegründung die Eliminierung des Zweifels sein muss. Im folgenden will ich durch einige von Wittgenstein inspirierte Überlegungen zeigen, dass dieses Ziel nicht nur unerreichbar, sondern auch vollkommen verfehlt und unreligiös ist.

    Grundlegend für diese Positionierung ist dabei die von Wittgenstein her rekonstruierbare Einsicht in die doppelte Kontingenz des regulativen Status‘ religiöser Glaubenssätze (vgl. Stosch 2002, 331-340). Wenn Wittgenstein religiösen Glaubenssätzen grundsätzlich einen regulativen Status zubilligt, vertritt er eine Position, die sehr an Plantingas Behauptung der epistemischen Basalität religiöser Überzeugungen erinnert. Und tatsächlich könnte Wittgenstein sich mit Plantingas Grundanliegen einverstanden erklären, dass der religiöse Glaube nicht inferentiell herzuleiten ist, sondern auf sprachspielpraxeologisch verwurzelte epistemisch basale Gegebenheiten zurückgreifen kann, bzw. dass er – in Plantingas an dieser Stelle calvinistisch geprägter Terminologie – auf durch den sensus divinitatis spontan gebildeten Grundüberzeugungen aufruht (vgl. Plantinga 2000, 175-177). Auch Plantingas Betonung der durch Änderung des Kontextes gegebenenen Möglichkeit der Bezweiflung von Elementen des Weltbild-Glaubens ließe sich noch mit Wittgenstein vereinbaren.

    Trotz dieser Parallelen scheint mir aber ein entscheidender Unterschied zwischen beiden Denkern zu bestehen, bzw. ein von der reformed epistemology zu wenig beachteter Aspekt auszumachen zu sein, der aus einer von Wittgensteins deskriptivem Anliegen geschärften Perspektive ins Auge fällt. Wittgensteins Betrachtungs-weise führt nämlich in meinen Augen gerade nicht dazu, dass religiöse Glaubenssätze und andere Glaubenssätze unseres Weltbildes in ihrem epistemischen Status gleichzusetzen sind. Genau dies tut aber Plantinga, wenn er die Existenz der Außenwelt epistemologisch auf der gleichen Stufe wie den Glauben an Gott sieht (vgl. Plantinga 1967) oder wenn er religiöse Sätze wie „Gott spricht zu mir“ oder „Gott vergibt mir“ als ebenso berechtigterweise basal ansieht wie Propositionen wie „Ich sehe einen Baum“ oder „Ich habe vor mehr als einer Stunde gefrühstückt“ (vgl. Plantinga 1998, 325).

    Mit Wittgensteins Instrumentarium kann man Plantinga zwar getrost zugeben, dass religiöse Glaubenssätze ebenso wie die zuletzt genannnten Propositionen (und die bei Wittgenstein ausführlich diskutierten Mooreschen Sätze) auf regulativer Ebene anzusiedeln sind. Jedenfalls gibt es bei Wittgenstein eine Reihe von Bemerkungen, die deutlich machen, dass er dem religiösen Glauben weltbildkonstitutive Bedeutung zumisst und dass er ihn als Teil der Grammatik religiöser Menschen versteht. Aber es gibt keinen Grund anzunehmen, dass Wittgensteins Instrumentarium deswegen nicht dazu hinreichen würde, zwischen unterschiedlichen Formen regulativer Sätze zu unterscheiden.

    Bei einer mit der Methodik Wittgensteins betriebenen Analyse religiöser Glaubenssätze scheint es mir jedenfalls belegbar zu sein, dass religiöse Glaubenssätze sich in einem grundlegenden Punkt von anderen weltbildkonstitutiven Sätzen unterscheiden. Während uns andere weltbildkonstitutive Überzeugungen als unbezweifelbar gewiss erscheinen können, bzw. nur dann bezweifelbar sind, wenn sie ihren regulativen Status verlieren, ist der Zweifel an religiösen Überzeugungen nicht nur niemals ausgeschlossen, sondern auch dann möglich, wenn die religiösen Überzeugungen auf regulativer Ebene weiterhin in Kraft sind. Eben darin liegt es begründet, dass es als verfehlt anzusehen ist, die Zweifelsmöglichkeit an religiösen Glaubenssätzen eliminieren zu wollen. Denn der Zweifel wird bei religiösen Elementen von Weltbildern nicht erst in externer Perspektive möglich, sondern kann bereits glaubens- und weltbildintern artikuliert werden.

    Ein Paradebeispiel für die Möglichkeit eines solchen internen Zweifels an religiösen Glaubenssätzen scheint mir das Gebet zu sein. Denn im Gebet ist es möglich, in der Anrede an Gott alle Glaubensgewissheit hinter sich zu lassen und in der Klage oder der Rückfrage an Gott existentiellem Zweifel Ausdruck zu verleihen, ohne deshalb die grundlegende Bindung des eigenen Weltbildes an den Gottesglauben aufzugeben.

    So kann ich beispielsweise nicht ernsthaft daran zweifeln, ob ich unter den von Plantinga immer wieder beschworenen normalen Bedingungen tatsächlich einen Baum vor mir sehe. Der Zweifel an einer solchen unmittelbaren Sinneswahrnehmung käme einem Zweifel an meiner geistigen Gesundheit gleich. Dagegen ist es auch einem religiösen Menschen möglich, daran zu zweifeln, dass Gott mit ihm geredet oder ihm vergeben hat. Dieser Zweifel ist bereits aufgrund der Pluralität religiöser und nichtreligiöser Weltbilder immer faktisch möglich, ohne dass man an der eigenen geistigen Gesundheit zweifeln müsste. Die eigentliche Pointe scheint mir nun allerdings darin zu bestehen, dass der Zweifel an allen religiösen Glaubenssätzen auch dann möglich ist, wenn die Existenz Gottes faktisch aufgrund der Anrede Gottes bejaht wird. Denkt man an das Ringen Ijobs mit Gott, an Jesu Schrei am Kreuz und an sein Gebet in der Ölbergnacht, so wird deutlich, dass in biblischer Tradition der existentielle Zweifel an epistemisch basalen Elementen des religiösen Weltbildes innerhalb des religiösen Weltbildes artikuliert werden kann. In seiner letzten Verzweiflung kann Ijob Gott gegen Gott anrufen (vgl. Ijob 19,25), und Jesus kann das Gefühl totaler Verlassenheit von Gott als letzten Anruf an Gott artikulieren (vgl. Mk 15,34). Insofern gilt gerade von den normativen Grundlagen christlichen Glaubens her: „Auch das Gebet ist vom Zweifel in Mitleidenschaft gezogen. Es kann und darf ihm sein Wohnrecht nicht versagen; der Gebetsglaube hebt den Gotteszweifel nicht auf. Das Gebet ist der Ort der Wahrheit, die Stunde der Wahrheit – und gerade deshalb nicht der Ort der fraglosen und fragenlosen Gewissheit.“ (Werbick 2001, 32)

    Ein philosophisches sowie ein theologisches Argument scheinen mir diese Position zusätzlich zum bisher Gesagten nahe zu legen. Zunächst das philosophische: Es lässt sich zeigen, dass die sprachspielpraxeologische Begründungsstruktur für epistemisch basale Sätze bei Sätzen über das Unbedingte nicht so greifen kann, dass der interne Zweifel an ihr ausgeschlossen wird. Denn die bei anderen grammatischen Sätzen gegebene selbstverständliche Gründung der regulativen Kraft der Sätze in bestimmten Handlungsweisen verliert dann notwendig ihre Selbstverständlichkeit, wenn per definitionem bedingte Handlungsweisen epistemische Gewähr für eine unbedingte Wirklichkeit übernehmen müssen. Denn das Unbedingte kann im Bedingten nur auf symbolische und damit bezweifelbare Weise Gestalt annehmen. Wenn nach Wittgenstein die epistemische Basalität von Sprachspielen in ihrer praxeologisch ausweisbaren weltbildinternen Unhintergehbarkeit beruht, gilt für alle Elemente von Sprachspielen über etwas Unbedingtes, dass diese nicht von bedingten Wesen auf der Handlungsebene als epistemisch basal ausgewiesen werden können. Dies ist auch der philosophische Grund dafür, warum religiöse Glaubenssätze in ihrem weltbildkonstitutiven Charakter nicht nur aus faktischen, sondern auch aus grammatischen Gründen kontingent sind.

    Doch es gibt in meinen Augen auch einen guten theologischen Grund für die Notwendigkeit der internen Bezweifelbarkeit und wirklichen Bezweiflung aller Glaubenssätze. Dieser hängt mit der Theodizee-problematik zusammen. Denn nur wenn es möglich ist, die Zweifel an Gottes heilvoller Wirklichkeit in der Gottesanrede zum Ausdruck zu bringen, bleibt die Möglichkeit erhalten, die sittlich gebotene Anerkennung des kategorischen Nichtseinsollens absurden Leidens ohne Aufgabe des Gottesglaubens zu artikulieren. „Wo die Schwierigkeit, Ja und Amen zu sagen, im Gebet nicht vorkommen darf, wo sie überholt werden soll durch eine Identifikation, die kontingenzbewältigend hinnimmt, was da komme, weil es von einem guten Willen zugefügt sei, da wird der, mit dem man sich – betend? – identifiziert, zum Inbegriff der Entwichtigung des Leidens, der Desensibilisierung für das Unglück, das Gottes ‚guter‘ Wille für die Menschen bereithält.“ (Werbick 2001, 73) Will man diese Desensibilisierung in Bezug auf die Theodizeeproblematik vermeiden, darf der Zweifel auf glaubens- bzw. weltbildinterner Ebene nicht eliminiert werden.

    Wittgensteins Methodik kann nach allem bisher Gesagten den Blick für die konstruktive Rolle des Zweifels für den religiösen Glauben schärfen. Dabei geht es Wittgenstein nicht um eine Indienstnahme des Zweifels zur Begründung religiösen Glaubens. Es ist oft genug völlig zu Recht betont worden, dass Wittgenstein das cartesianische Verständnis an dieser Stelle umkehrt, indem er deutlich macht, dass der Zweifel den Glauben voraussetzt und nicht etwa begründen kann. „Der Zweifel kommt nach dem Glauben“ (Wittgenstein 1997, Nr. 160; vgl. ebd., 170, 449). Denn Zweifeln ist nach Wittgenstein immer nur innerhalb von Sprachspielen und dem entsprechenden jeweiligen Bezugssystem sinnvoll (vgl. ebd., 221f., 323, 370, 467). Zweifel kann sich nicht universal auf meinen ganzen Bezugsrahmen beziehen. „Wer an allem zweifeln wollte, der würde auch nicht bis zum Zweifel kommen. Das Spiel des Zweifelns selbst setzt schon die Gewißheit voraus“ (ebd., 115)¨. Ohne feststehendes Bezugssystem hätte der Zweifel gar keinen Angriffspunkt (vgl. ebd., 356), d.h. ich muß irgendwo „anfangen zu trauen ... (und; Vf.) mit dem Nichtzweifeln anfangen“, weil sonst das Urteilen unmöglich wird (ebd., 150).

    Doch gerade die Einsicht in die Unmöglichkeit der Feststellung eines (lebensweltlich relevanten) fundamentum inconcussum durch die Verwendung des methodischen Zweifels erlaubt es Wittgenstein, dem Zweifel eine Rolle zuzuweisen, die seine sonst zu beobachtende Eliminierung aus dem Feld des religiösen Glaubens zu vermeiden hilft. Dabei geht es Wittgenstein nicht um den stets möglichen, aber eben fruchtlosen paper doubt des Skeptikers oder an ihm orientierten Transzendentalphilosophen, der nur zu der trivialen Einsicht führen kann, dass es auf diesem Feld zu jedem Grund einen stichhaltigen Gegengrund gibt (vgl. Wittgenstein 1992, 490f.). Wittgenstein will, im Gegensatz zu einigen Wittgensteinianern, auch nicht darauf hinaus, jeden weltbildinternen Zweifel aufgrund der epistemischen Basalität religiöser Überzeugungen ad absurdum zu führen, oder wie Plantinga durch defeaters aus der Welt zu schaffen. Angesichts der oben gemachten Ausführungen wird vielmehr deutlich: Es gibt nicht nur den internen methodischen Zweifel oder den existentiellen Zweifel, der schließlich zur Verzweiflung führt. Es gibt auch Formen eines intellektuellen Zweifels, der nicht methodisch universalisiert, sondern der in der Hinwendung zum Einzelfall durch Hinzuziehung von Vergleichsobjekten ausgetragen wird. Und vor allem gibt es auch Formen existentiellen Zweifelns, die weltbildintern ausgetragen werden und die immer wieder zu Flexibilisierungen und Dynamisierungen religiöser Weltbilder führen. Diese beiden Formen des Zweifels gründen in der unaustilgbaren Kontingenz religiöser Weltbilder. Ihre Respektierung scheint mir aus philosophischen und theologischen Gründen für jede Glaubensverantwortung unverzichtbar zu sein.

    Literatur

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    6. Runggaldier, E. 2001 Rationalität und der Glaube der „religiös Eingweihten“, in B. Brogaard und B. Smith (Hg.) Rationality and irrationality, Wien: öbv & hpt Verlagsgesellschaft, 294-300.
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    11. Wittgenstein, L. 91997 Über Gewißheit, Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
    12. Wolterstorff, N. 1983 Can belief in God be rational if it has no foundations?, in A. Plantinga/ N. Wolterstorff (Hg.) Faith and rationality, Notre Dame-London, 135-186.
    Klaus von Stosch. Date: XML TEI markup by WAB (Rune J. Falch, Heinz W. Krüger, Alois Pichler, Deirdre C.P. Smith) 2011-13. Last change 18.12.2013.
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