Abstract
In diesem Beitrag sollen Wittgensteins Reflexionen über philosophische und religiöse Gewißheit einander gegenübergestellt werden. Ausgehend von seiner Auseinandersetzung mit G.E. Moore's Verteidigung des sogenannten "common sense", untersucht Wittgenstein in zahlreichen Beispielen, inwiefern eine Äußerung wie "Ich weiß" als Wissen betrachtet werden kann. Dabei kommt er zu dem Schluß, daß Äußerungen solcherart im alltäglichen Sprachgebrauch als "Gewißheiten" akzeptiert werden können, die auf Erfahrungen, Annahmen und dergl. beruhen. Im Rahmen eines philosophischen Disputes erfordert ein Wissen objektiven Wahrheitsanspruchs jedoch eine exakte Begründung.
Trotzdem betont Wittgenstein, daß der Zweifel irgendwann zu einem Ende kommen müsse, da Sprachspiele nur auf der Basis von Sicherheit, nicht auf der von Unsicherheit möglich sind. In religiöser Hinsicht spricht Wittgenstein von einem ähnlichen Gefühl der Sicherheit, das zwar rational nicht faßbar oder begründbar ist, sondern vielmehr von Gnade abhängig. Es läßt sich allenfalls anhand von persönlich erlebten Erfahrungen beschreiben, wie Wittgenstein in seinem Vortrag über Ethik darstellt. Das darin angeführte Beispiel absoluter Sicherheit ist eine Art mystische Erfahrung, kann jedoch, wie alle ethischen und religiösen Erfahrungen, nicht sinnvoll ausgedrückt werden.
Table of contents
Obwohl Wittgenstein die uns bekannten Notizen über die Problematik von Gewißheit erst in den letzten anderthalb Jahren seines Lebens niedergeschrieben hat, geben zahlreiche Aufzeichnungen aus früherer Zeit Zeugnis, daß dieses Thema ihn von Beginn seines Philosophierens an beschäftigt hat. Dabei läßt sich eine unterschiedliche Herangehensweise beobachten, den Schwerpunkten seiner Fragestellungen gemäß. D.h., die Grenze zwischen den Möglichkeiten wissenschaftlicher und religiöser Aussagen wird früh gezogen.
Entsprechend diesen zwei Ebenen, möchte ich im folgenden zum einen Wittgensteins Überlegungen über Gewißheit im philosophischen Sinn, zum andern über Gewißheit im Glauben erörtern.
In seinem Vortrag über Ethik nennt Wittgenstein das Gefühl der absoluten Sicherheit als eines der drei Beispiele zum Verständnis von Ethik und spricht dabei über ein selbst erfahrenes Erlebnis, das in ihm dieses Gefühl der Sicherheit bewirkte. Es handelt sich um eine Art mystische Erfahrung des Protagonisten eines Theaterstückes, das Wittgenstein angeblich tief beeindruckte und ihn die Möglichkeit von Religion erkennen ließ (Malcolm, 58).
Es ist nicht auszuschließen, daß dieses Erlebnis Wittgensteins Philosophieren insofern beeinflußt hat, als sich – wie aus dem Tractatus ersichtlich – neben seiner analytisch orientierten Sicht- und Denkweise auch ein mystischer Zugang abzeichnete. Auch Russell bemerkte einen Wandel Wittgensteins und fürchtete, daß dieser "ganz zum Mystiker geworden sei"(McGuinness, 432).
Als Wittgenstein sich nach 1929 der Untersuchung des Gebrauchs von Sprache im alltäglichen Leben widmete und sich seine Philosophie in gewisser Weise in Richtung einer pragmatischen und anthropologischen Angelegenheit entwickelte, wies er immer wieder auf die Bedeutung intuitiver und künstlerischer Fähigkeiten hin, und die im Tractatus angedeutete Kritik an den Wissenschaften verstärkte sich.
Trotzdem spielt sein Streben nach Klarheit hinsichtlich philosophischer Erkenntnisse weiterhin eine entscheidende Rolle und er gibt zahlreiche Beispiele für seine Untersuchungen über die Sicherheit unseres Wissens und unserer Aussagen darüber, wobei er Begriffe wie "Wissen", "Glauben", "Zweifel" und "Sicherheit" einer eingehenden Analyse unterwirft.
Dies geschieht auf zwei Ebenen - in der Untersuchung der Bedeutung dieser Begriffe im allgemeinen bzw. alltäglichen Sprachgebrauch und in der Untersuchung ihrer Bedeutung in der Philosophie. Es war Wittgenstein klar, daß zwischen der Feststellung "Ich weiß, daß ...", wie sie beiläufig im gewöhnlichen Leben gebraucht wird, und dieser Äußerung, wenn ein Philosoph sie macht, ein Unterschied besteht, so wie es zwischen den Sätzen der Logik und den Sätzen von der Form der Erfahrungssätze einen Unterschied zu subjektiven Äußerungen eines einzelnen Menschen gibt.
Deshalb auch seine lange und ausführliche kritische Auseinandersetzung mit George Edward Moore, der - als Befürworter des sogenannten "common sense" - von der Sicherheit einer Äußerung wie zum Beispiel "Ich weiß, daß das ein Baum ist" überzeugt war.
Wittgenstein jedoch konstatiert diesbezüglich einen entscheidenden Unterschied, ob diese Äußerung von jemandem ohne philosophische Absichten gemacht wird oder innerhalb einer philosophischen Diskussion. Im ersten - alltäglichen - Fall würde Wittgenstein die Äußerung als richtig und "vernünftig" akzeptieren, im zweiten Fall würde er sie - und damit Moore's Behauptung - jedoch anfechten.
In seiner Untersuchung, wann eine Äußerung wie "Ich weiß" sinnvoll bzw. vernünftig ist, kommt er zu dem Schluß, daß die im alltäglichen Sprachgebrauch als vernünftig zu wertende Behauptung "Ich weiß, daß ich L. Wittgenstein heiße" im Rahmen eines philosophischen Disputes – ohne Angabe von Gründen – nicht genüge.
Moore jedoch, der ohne tiefere Hinterfragung mit Überzeugung behauptete, dies und das einfach zu wissen, argumentiere nicht als Philosoph im Sinne des philosophischen Fragens und Zweifelns. Er beziehe sich nur auf Aussagen, wie sie im alltäglichen Sprachgebrauch verwendet und verstanden werden, aber nicht im Sinne einer erkenntnistheoretischen und damit philosophischen Fragestellung. Seine These über die Sicherheit unseres Wissens hinsichtlich sogenannter Binsenweisheiten kann laut Wittgenstein nicht als "Wissen" bezeichnet werden, sondern vielmehr als Ausdruck von Überzeugungen subjektiver Art, die jedoch jeglichen objektiven Wahrheitsanspruch entbehren. Viele Fälle dieser Überzeugungen stützen sich auf eigene Erfahrung und auf die Erfahrung von Mitmenschen, sowie auf Annahmen wie zum Beispiel die Annahme, daß die Erde schon viele Jahre vor unserer Geburt existiert habe; diese "erfahrungsmäßigen Begründungen" sind die Folge davon, daß wir zu einer Gemeinschaft gehören, deren Angehörige durch Wissenschaft und Erziehung verbunden sind (ÜG, § 298).
Angesichts der Problematik, sinnvolle Aussagen über Wissen, Sicherheit und dergleichen zu machen, die philosophisch relevant sind und trotzdem den normalen Sprachgebrauch berühren, weist Wittgenstein auf die Bedeutung von Gestik und Mimik hin. Mit ihrer Hilfe müsse man "zeigen", daß wir nicht nur Wahrheiten über Sinnesdaten, sondern auch solche über Dinge wissen. Selbst wenn jemand nie die Worte "Ich weiß, ..." gebraucht, kann sein Gebaren das zeigen, worauf es uns ankommt" (ÜG, § 427).
Innerhalb eines bestimmten Kontextes können wir mittels Beschreibung den Grund für unser Wissen anzugeben versuchen. Wichtig ist, ob "ein Unterschied in der Praxis der Sprache damit zusammengeht" (ÜG, § 524), da der Begriff des Wissens mit dem des Sprachspiels zusammenhängt. Das Sprachspiel ist etwas Unvorhersehbares, d.h. es ist nicht begründet. "Es steht da - wie unser Leben" (ÜG, § 559).
In seinen späten Bemerkungen über Gewißheit wird Wittgensteins Abkehr von logischen Überlegungen im Sinne von sprachanalytischen Zerlegungen, wie er sie im Tractatus verfolgte, spürbar. Die Tendenz zur logisch-stringenten Betrachtung der Dinge wird beibehalten, doch die Grenze zwischen Sätzen der Logik und Erfahrungssätzen erscheint ihm nun nicht mehr so scharf, selbst der Begriff "Satz" wird unscharf.
Theoretische Überlegungen weichen in zunehmendem Maße der Betonung auf "Praxis". In ähnlicher Weise wie Sprache durch Praxis bzw. Handlung bestimmt ist, kennzeichnet Religiosität eine Haltung, die sich in einer bestimmten Lebensweise "zeigt". Voraussetzung dafür ist eine Sicherheit jenseits allen Zweifels. Dies gilt auch für die Sicherheit vom Wissen bzw. der Gewißheit alltäglicher Erfahrungen, wo Wittgenstein nach schier endlos scheinenden Untersuchungen zu dem Schluß kommt, daß es so etwas wie fundamentale Dinge geben müsse, über die man derart sicher ist, daß kein Zweifel mehr besteht. Denn sonst könnte nichts mehr "wahr" oder "falsch" sein. Das Sprachspiel sei eigentlich nur möglich, wenn man sich auf etwas verläßt, was aber nicht heißen soll, daß man sich auf etwas verlassen kann. Daß Gewisses in der Tat nicht angezweifelt wird, gehöre zur Logik unserer wissenschaftlichen Untersuchungen (ÜG, § 342).
In seinen Reflexionen über "Ursache und Wirkung. Intuitives Erfassen" betont Wittgenstein, daß die primitive Form des Sprachspiels die Sicherheit sei, nicht die Unsicherheit. Denn die Unsicherheit könnte nicht zur Tat führen. Zuerst sei immer das Einfachere, dann erst folge das Kompliziertere und insofern sei auch unsere Sprache eine "Verfeinerung", die sich aus einfachen Formen zu komplizierteren entwickelt hat - "auf dem Grund fester Lebensformen, regelmäßigen Tuns" (URWI, 115).
Die Funktion der Sprache ist vor allem durch Handlung bestimmt, d.h. das Wesentliche des Sprachspiels ist eine praktische Methode - "keine Spekulation, kein Geschwätz" (URWI, 116).
Da die Grundform des Sprachspiels eine sei, in der gehandelt wird, könne man auch nicht mit dem Zweifel beginnen. Irgendwo müsse der Zweifel aufhören und wir müssen - ohne zu zweifeln - sagen können, daß dies oder jenes aus dieser oder jener Ursache geschehe. Denn die einfache Form bzw. Urform des Ursache-Wirkung Spiels sei die der Bestimmung der Ursache, nicht des Zweifels (URWI, 115).
Wittgenstein unterscheidet zwischen der "beruhigten" Sicherheit und der "noch kämpfenden" Sicherheit.
Die erste ist die des "vernünftigen", nicht-philosophischen Menschen, der sozusagen über gesunden Hausverstand verfügt und nicht von philosophischen Fragen gepeitscht wird. Die beruhigte Sicherheit, die sich in der Feststellung "Ich weiß..." ausdrückt, stellt für Wittgenstein eine Lebensform dar, die aber nicht als der "Oberflächlichkeit" verwandt anzusehen sei, sondern als etwas "Animalisches" (ÜG; § 359). Sie ist der Unerschütterlichkeit eines Gläubigen zu vergleichen, dessen Lebensform von einem Nichtgläubigen nicht verstanden werden kann, doch aus Wittgensteins Sicht keineswegs als etwas Lächerliches abzutun ist.
Während die beruhigte Sicherheit ihrem Charakter nach irrational ist, sucht die noch kämpfende Sicherheit nach rationaler Begründung und beunruhigt sozusagen den Geist.
Obwohl Wittgenstein unsere "Sicherheit" anhand von zahlreichen Beispielen bzw. unterschiedlichen Situationen, in denen wir die Ausdrücke "ich weiß.." oder "ich glaube..." verwenden, untersucht, kommt er letztlich doch zu keiner befriedigenden Antwort, wenn es um eine alles erschöpfende Begründung geht. Denn es sei immer von Gnaden der Natur, etwas zu wissen (ÜG, § 505).
Auch das Gefühl der Sicherheit im religiösen Glauben ist von einer Art "Gnade" abhängig und beginnt dort, wo rationales Denken aufhört oder zu einem Ende kommen muß, da es keine weitere Begründung gibt.
Es ist das im Vortrag über Ethik beschriebene Gefühl der absoluten Sicherheit im Gegensatz zur relativen Sicherheit, die sich auf den Tatsachenraum beschränkt, wo sinnvolle Aussagen gemacht werden können.
Die "beruhigte" Sicherheit, die etwas "Animalisches", Irrationales an sich hat, entspricht dem, was man einen blinden, instinktiven Glauben an etwas nennen könnte – in einem Bereich, wo alle Sprach-, Erklärungs- und Begründungsversuche scheitern.
Der Zusammenhang zwischen instinktivem und - religiösem - Glauben hinsichtlich des Begriffs der Sicherheit ist wiederholt feststellbar, wenn auch meist nur verborgen, in Form von Anspielungen:
"ich WEISS, daß dies mein Fuß ist. Ich könnte keine Erfahrung als Beweis des Gegenteils anerkennen. - Das kann ein Ausruf sein; aber was folgt daraus? Jedenfalls, daß ich mit einer Sicherheit, die den Zweifel nicht kennt, meinem Glauben gemäß handeln werde" (ÜG, § 360).
Und Wittgenstein fährt fort: "Ich könnte aber auch sagen: Es ist mir von Gott geoffenbart, daß das so ist. Gott hat mich gelehrt, daß das mein Fuß ist. Und geschähe also etwas, was dieser Erkenntnis zu widerstreiten scheint, so müßte ich das als Trug ansehen" (ÜG, § 361).
Die Annahme eines solchen Wissens geht jedoch mit einer "Entscheidung" einher, der Entscheidung, mit Vertrauen zu glauben oder weiterhin zu zweifeln – so wie auch der religiöse Glaube eine Frage der Entscheidung ist. Einer Entscheidung zu einer Änderung der Lebensweise.
Zwischen den Worten "Wissen" und "Glauben" trifft Wittgenstein allerdings eine wesentliche begriffliche Unterscheidung. Während wir keine Gründe anzugeben brauchen, warum wir etwas glauben, erfordert die Äußerung "Ich weiß..." eine exakte Begründung durch den objektiv feststellbaren Beweis von der Unmöglichkeit eines Irrtums. Moore's Fehler sieht Wittgenstein deshalb darin, seinen Überzeugungen mit den Worten "Ich weiß, ..." anstatt mit "Ich glaube, ..." Ausdruck verliehen zu haben.
Der Schwierigkeit, Begriffe wie Sicherheit, Wissen und dergl. zu definieren, ist sich Wittgenstein bereits im alltäglichen Leben bewußt. Umso schwerer findet er es, den Glauben zu begründen, da am Grunde des begründeten Glaubens der unbegründete Glaube liegt (ÜG, § 253).
Das Problem liegt vor allem darin, daß der Wissenschaftler stets nach Begründung fragt, es aber in den wesentlichen Fragen keine Begründung, keine Erklärung gibt, somit die Schwierigkeit darin besteht, die Grundlosigkeit unseres Glaubens einzusehen. Da es nicht einmal möglich ist, sicher zu sein, warum sollte es dann möglich sein, einen Grund zum Glauben zu haben? (ÜG, § 373).
Der Unterschied zwischen "Glauben" und "wissenschaftlichen Beweisen" kommt insbesondere in Wittgensteins Einstellung zum religiösen Glauben zum Ausdruck, wo er von vornherein jegliche wissenschaftliche Begründung ablehnt und - ähnlich Pascals Diskurs von der "logique du coeur" - vom Wissen und Erkennen des Herzens spricht:
Wenn ich aber WIRKLICH erlöst werden soll, - so brauche ich Gewißheit - nicht Weisheit, Träume, Spekulation - und diese Gewißheit ist der Glaube. Und der Glaube ist Glaube an das, was mein Herz, meine Seele braucht, nicht mein spekulierender Verstand. Denn meine Seele, mit ihren Leidenschaften, gleichsam mit ihrem Fleisch & Blut muß erlöst werden, nicht mein abstrakter Geist. Man kann vielleicht sagen: Nur die Liebe kann die Auferstehung glauben. Oder: Es ist die Liebe, was die Auferstehung glaubt. (VB, 74f.)
Wittgensteins Erkenntnis der Grenzen rationaler Erklärung, sein "Wissen um das Nichtwissen", - die "docta ignorantia" – worin Parallelen zu Augustinus, Bonaventura, Nikolaus von Kues und anderen zu beobachten sind, erfährt eine Antwort durch die Liebe. Sicherheit und Gewißheit im Glauben können demnach nur mit dem Herzen, nicht durch den Verstand erfahren werden.
Selbst das Wort "Denken" scheint Wittgenstein in Zusammenhang mit Glauben nicht das richtige Wort; im religiösen Glauben wird Denken völlig ausgeschaltet, in der allgemeinen Bedeutung des Wortes "Glauben" erfährt Denken eine Art "Abschwächung". Während Wittgenstein zwischen Glauben, Erwarten und Hoffen eine gewisse Affinität sieht, wird Denken als "artfremd" dazu betrachtet, der Glaube allenfalls als ein "Farbton der Gedanken" beschrieben (PU I, § 578).
Wittgensteins Hinweis, daß seine Bemerkung "Glauben ist nicht Denken" eine grammatische Bemerkung sei, stellt den Bezug zur Religion her. Wie auch Luther geschrieben hätte, daß die Theologie die "Grammatik des Wortes Gottes, der heiligen Schrift" wäre (DB, 203), so bedeutet bei Wittgenstein die Grammatik mehr als bloße Grammatik der Sprache: wie der Ethik und der Logik, so obliegt es der Grammatik, das "Wesen der Dinge" zu erforschen.
Für Luther war der Glaube eine Sache des Herzens; Wittgenstein verwies darauf:
"Ich habe mich in meinem Herzen dazu entschlossen." Und man ist dabei auch geneigt, auf die Brust zu zeigen. Diese Redeweise ist psychologisch ernst zu nehmen. Warum sollte sie weniger ernst zu nehmen sein als die Aussage, der Glaube sei ein Zustand der Seele? (Luther: "Der Glaube ist unter der linken Brustzitze.") (PU, § 589).
Bezeichnend für Wittgenstein ist der häufige Hinweis auf Farben - auf Sinnliches, auf Leidenschaft, auf Irrationales – dies vor allem hinsichtlich des religiösen Glaubens, wo er immer wieder von der Leidenschaft des Herzens spricht. Während Wissenschaft und Weisheit für ihn kalt und tot sind, beschreibt er das Leben und die Religion als "farbenreich" und sieht diese, wie Kierkegaard, als "eine Leidenschaft" (VB, 106).
Im Sinne Kierkegaards erfordert der religiöse Glaube nach Wittgenstein ein leidenschaftliches Sich-Entscheiden zu einem Bezugssystem, ein leidenschaftliches "Ergreifen dieser Auffassung"(VB, 125), das immer auch ein "Sprung ins Ungewisse" ist.
Die Existenz der Welt, der Wittgenstein in einer Haltung des philosophischen Staunens begegnet, ist für ihn eine Art "Brücke" zur "Welt außerhalb des Tatsachenraumes" und damit Ausgangspunkt zu einem Weltbild, das ohne religiösen Glauben keinen Sinn hat.
Somit berührt der Blick auf die sichtbaren Erscheinungen der Welt den Blick auf das Nicht-Sichtbare: Die Auseinandersetzung mit der phänomenalen Welt wird zum Sprungbrett für ein Ahnen ethischer und religiöser Fragen – für das Gefühl einer religiösen Sicherheit, das sich verbaler Erfassung und philosophischer Gewißheit entzieht.
Bibliographie
- McGuinness, B. 1988 Wittgensteins frühe Jahre, übersetzt von Joachim Schulte. Frankfurt/Main: Suhrkamp
- Malcolm, N. 1984 A Memoir with a Biographical Sketch by G.H. von Wright Oxford: Oxford University Press.
- Pascal, B. 1980Gedanken. Stuttgart: Reclam.
- Pichler, A. und von Wright, G. H. (eds.) 1994 Vermischte Bemerkungen. Eine Auswahl aus dem Nachlaß. Frankfurt/Main: Suhrkamp.
- Schulte, J. (ed.) 1989 Vortrag über Ethik und andere kleine Schriften. Frankfurt: Suhrkamp.
- Somavilla, I. (ed.) 1997 Ludwig Wittgenstein. Denkbewegungen. Tagebücher 1930-32/1936-37). Innsbruck: Haymon.
- Wittgenstein, L. 1990 Über Gewißheit. Frankfurt/Main: Suhrkamp.
- Wittgenstein, L. 1990 Philosophische Untersuchungen. Frankfurt/Main: Suhrkamp.
- Wittgenstein, L. 1990 Tractatus-logico-philosophicus. Frankfurt/ Main: Suhrkamp.
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