Das Problem des metaphysischen Subjekts im Wittgensteins „Tractatus”
Das Problem des metaphysischen Subjekts im Wittgensteins „Tractatus

Abstract

In diesem Vortrag wurden zwei Wege dargestellt, auf denen die Analyse des Subjektbegriffes im Tractatus Wittgensteins durchgeführt wurde:(1). Der erkenntnistheoretische Weg, auf dem Subjekt als Grenze der Welt und als Konsequenz des Transzendentalismus und Solipsismus dargestellt wird. Und (2). Der ontologische Weg, auf dem der Zusammenhang zwischen der Problematik des Subjekts und der Frage nach den Gegenständen und der logischen Form deutlich wird. Die Überlegungen dieser zwei Wege führen den Autor zu einer Interpretation, die auf die Philosophie Schopenhauer und Kants zurückführt. Das Subjekt des Willens und die transzendentale Vorstellung können als das absolute Subjekt verstanden werden. Solche eine Interpretation lässt, wie es scheint, die Bemerkungen/Aussagen Wittgensteins bezüglich des Mystizismus und des Unaussprechbaren besser verstehen.

Table of contents

    Das Problem des Subjekts erscheint erst in letzten Teilen des Tractatus, in denen auch transzendentale und mystische Motive auftreten. Die Anwesenheit dieser Motive weist darauf hin, dass das Problem des Subjekts - in der Auffassung von Wittgenstein - sehr eng mit dem Begriff der Grenze der Welt zusammenhängt. In diesem Vortrag stelle ich zwei Auffassungen zum Thema des Subjekts dar. Im ersten Teil analysiere ich (werde ich analysieren) die Konzeption des Subjekts als philosophisches Ich, die aus den Bemerkungen Wittgensteins über Transzendentalismus, Solipsismus und Realismus hervorgeht. Dies geschieht auf dem Weg der erkenntnistheoretischen Überlegungen. Im zweiten Teil untersuche ich (werde ich untersuchen) hingegen dieses Problem von der ontologischen Seite. Der Ausgangspunkt ist die Analyse des Begriffs des Gegenstands und der logischen Form. Mein Ziel ist, eine Interpretation zu finden, die die Übereinstimmung dieser zweien Wege darstellen soll. Der Punkt, zu dem diese zwei Wege führen, ist die Konzeption des Willens als das absolute Subjekt. Dieses Ergebnis weist auf den Einfluss von Schopenhauer auf das Schaffen des jungen Wittgenstein hin, in Tagebücher 1914-1918 und in Tractatus.

    1.

    Wittgenstein beginnt seine Untersuchungen des Subjekts mit der Ablehnung der These von der Existenz des Subjekts im psychologistischen Sinne (vgl. 5.5421 u. 5.631). Wittgenstein leitet diesen Schluss von der Kritik der traditionellen Konzeption des Urteils ab. Überlegend den Akt des Urteils bemerkt er, dass die Formel ‘A glaubt, dass p’ dasselbe wie ‘p glaubt p’ sagt (vgl. 5.542). Daraus lässt sich schließen, dass A mit p identisch ist und jedes Mal, d.h. im jeden darauf folgenden Akt des Urteils, etwas anders. Das Subjekt, das von ‘A” und ‘p’ symbolisiert wird, wird sich als ein immer wechselnder komplexer Zustand herausstellen. Also lehnt Wittgenstein dieses psychologische Verstehen des Subjekts bzw. der Seele ab, denn:

    Eine zusammengesetzte Seele wäre nämlich keine Seele mehr (5.5421)

    Das grundsätzliche Überlegen der Ansichten Wittgensteins auf das Thema des Subjekts kann man mit dem Zitat aus Tagebücher illustrieren:

    Der Weg, den ich gegangen bin, ist der: Der Idealismus scheidet aus der Welt als unik die Menschen aus, der Solipsismus scheidet mich allein aus, und endlich sehe ich, dass auch ich zur übrigen Welt gehöre, auf der einen Seite bleibt also nichts übrig, auf der anderen als unik die Welt. So führt der Idealismus streng durchdacht zum Realismus. <15.10.1916>

    Im Licht dieser Notiz wird die Analyse des Subjekts auf drei Ebenen durchgeführt:

    • 1. transzendental-idealistisch;
    • 2. solipsistisch;
    • 3. realistisch.

    Ob es noch eine höhere Ebene existiert, bleibt zurzeit als eine offene Frage.

    Die transzendentale Auffassung des Subjekts tritt in den darauf folgenden Thesen auf:

    Das Subjekt gehört nicht zur Welt, sondern es ist eine Grenze der Welt. (5.632)

    Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt (5.6)

    Die Logik erfüllt die Welt; die Grenze der Welt sind auch ihre Grenzen (5.61)

    Die Logik ist transzendental (6.13)

    Das Subjekt, in der transzendentalen Auffassung, bildet die Grenze der Welt im Sinne von einer Sammlung der Bedingungen, die alle möglichen Erfahrungen bestimmen, d.h. die Welt. Dass dieser Idealismus/Transzendentalismus „scheidet aus der Welt als unik die Menschen aus”, soll auf diese Weise verstanden werden, dass diese Grenzen von Inneren, d.h. von Inneren der Welt bestimmt werden, so werden diese Grenzen vom Menschen als Gattung bestimmt. Die Grenze der Sprache soll als die Grenze der Gedanken verstanden werden. Die Gedanken soll man dann als objektiv gelten lassen, weil sie von der ganzen Menschengattung geteilt werden. Das Subjekt wird demzufolge aus dem Zentrum der Welt in deren Peripherie verschoben. Um das in der Sprache Kants ausdrücken zu wollen, kann man sagen, dass dies ein Übergang von einem empirischen Ich zum transzendentalen Ich ist, d.h. zur transzendentalen Einheit der Apperzeption ist. Die transzendentale Einheit der Apperzeption als Subjekt zeigt in der Philosophie Wittgensteins ein neues Gesicht als Logik oder als die Grenze der Sprache. Demzufolge soll hier die Logik nicht als die Sprache, sondern als ihre Grenzen verstanden werden; mit anderen Worten: das transzendentale „Gerüst” der Welt (vgl. 4.023 u. 6.124). Die letzte Formulierung entdeckt eine andere Seite der Logik - ihre Immanenz, weil sie (die Logik) „erfüllt die Welt” (vgl. 5.61). Dasselbe gilt für das transzendentale Subjekt - das ist die Grenze der Welt und durchdringt die Welt zugleich, denn diese wird von der Welt geprägt.

    Es gibt eine gewisse Schwierigkeit, die mit dem transzendentalen Subjekt als Grenze der Welt, verbunden ist. Sie besteht darin, dass Wittgenstein die Welt vom logischen Raum unterscheidet. Die Welt ist nur ein winziger Bruchteil des logischen Raumes. Die Welt ist „eine Insel im Meer der Möglichkeiten”. Demzufolge wenn Subjekt, d.h. die Logik, die Grenze der Welt wäre, bliebe so der enorme Teil des logischen Raumes außerhalb ihrer Grenze. So wäre das transzendentale Subjekt die Grenze zwischen der Welt, d.h. zwischen den verwirklichten Sachverhalten und dem anderen Teil des logischen Raumes, d.h. den nicht verwirklichten Sachverhalten. Das transzendentale Subjekt würde so die Bedingungen für einen Übergang von der Möglichkeit zur Aktualität bestimmen. Nur dann kann man rechtsgemäß sagen, dass die Aussagen über das transzendentale Ich/Subjekt sinnvoll sind. Allerdings andererseits, wenn die Logik als Grenze der Welt verstanden werden soll, so - dem Hauptgedanke des Tractatus zufolge – gibt es außerhalb der Logik gar nichts. D.h. es gibt keine möglichen Sachverhalte, keinen logischen Raum außer Welt. Auf jeden Fall kann man darüber nicht sprechen, Wie es scheint, kann man diese Aporie nur in dieser Weise überwinden, und zwar, der logische Raum wird als die Grenzen der Welt anerkannt, d.h. als das transzendentale Subjekt.

    Vom Standpunkt des Solipsismus aus präsentiert sich die Frage nach dem Subjekt etwas anderes. In den folgenden Thesen stellt Wittgenstein fest:

    Dass die Welt meine Welt ist, das zeigt sich darin, dass die Grenzen der Sprache (der Sprache, die allein ich verstehe) die Grenzen meiner Welt sind. (5.62)

    Die Welt und das Leben sind Eins (5.621)

    Ich bin meine Welt. (Der Mikrokosmos) (5.63)

    Hier beginnt Wittgenstein mit dem Ich als Zentrum im psychologischen Sinne und dann übergeht zur Beschreibung der Welt als „meine Welt”. Das ist „die Methode, das Subjekt zu isolieren” (5.631). Diese beschreibt, dass in der Welt, d.h. im Bereich der Tatsachen, es kein Subjekt gibt. Dieses Verschwinden von Subjekt kann zweierlei verstanden werden. (1) als Auflösendes Ichs/Subjekts in der Welt; im Sinne, dass es eine strenge Identität des Ich und der Welt dargestellt wird; oder (2) als Zusammenschrumpfen des Ich zu einem „ausdehnungslosen Punkt” (5.64). Wenn es um den (1) Fall geht, kann dieses Auflösen des Ich/Subjekts gemäß dem neutralen Monismus interpretiert werden. Der neutrale Monismus, der beispielsweise von W. James und B. Russell vertreten wird, lautet, dass das Subjekt/Ich nur eine andere Art und Wiese der Ordnung des neutralen Stoffes, d.h. das reine Gegebene, ist. Das Subjekt/Ich und die Welt sind demzufolge zwei Seiten des Gleichen: die Welt ist die objektive Seite, das Ich ist hingegen die subjektive Seite. Das Ergebnis wurde von Wittgenstein als „Realismus” bezeichnet, der als „das Verschwinden des Subjekts” wohl interpretiert werden soll. Es scheint jedoch, dass das erreichte Ergebnis als Naturalismus bzw. als Reduktionismus bezeichnet werden soll. Denn das in beiden Fällen erschienene Bild der Wirklichkeit unterscheidet sich von der Beschreibung der Wirklichkeit, die durch die Naturwissenschaften gegeben wird, nicht.

    Zusammenfassend kann man sagen: Der Idealismus ergibt sich im gewissen Sinne als Realismus, d.h. wird wesentlich zum Naturalismus. Wittgenstein versucht Solipsismus als eine Version des Idealismus darzustellen, die kein traditioneller Subjektivismus, sondern Naturalismus ist. Was kann darüber hinaus gesagt werden? Das ist die Wiederholung des Wegs von Hume, - das Subjekt verschwindet. Es soll aber betont werden, was allerdings Wittgenstein selbst folgendermaßen formulierte:

    Was der Solipsismus nämlich meint, ist ganz richtig, nur lasst es sich nicht sagen, sondern es zeigt sich (5.62)

    Der Hauptgedanke des Solipsismus, der auf die Identität des Ich und der Welt zurückführt, kann Wittgenstein zufolge nicht ausgesprochen werden. Wittgenstein beruht sich hier auf dem Grundunterschied zwischen dem, was man sagen kann, und dem, was sich nur zeigen lässt. Die Identität zwischen Ich und der Welt ist eine innere Relation. Diese Relation kann nicht ausgesprochen werden. Es ist der gleiche Fall, wenn wir die logische Form als etwas Gemeinsames für den Satz und die Tatsache auszusprechen versuchen. Es ist so, als müssten wir außerhalb des Satzes und der Welt stehen können, um die logische Form zu erfassen, so müssten wir annehmen, dass wir eine Fähigkeit besitzen, über sich selbst und der Welt hinauszugehen. Allerdings lautet die These 5.641 vollkommen anderes:

    Es gibt also wirklich einen Sinn, in welchem in der Philosophie nichtpsychologisch vom Ich die Rede sein kann.

    Das Ich tritt in der Philosophie dadurch ein, dass die Welt meine Welt ist. (5.641)

    Die These 5.62 scheint über das Ich im Solipsismus zu sprechen, nicht zu erlauben, die These 5.641 lässt hingegen solche Aussagen zu. Es gibt also die Aporie. Es wird in diesem Kontext (Zusammenhang) die Doppelsinnigkeit der letzten These des Tractatus markant:

    Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.

    Otto Neurath bemerkte bereits, dass es nicht bekannt ist, was eigentlich die These 7 ausschließt (Haller R., 1989). Es sieht danach aus, dass die Thesen 7 und 6.54 (vorletzte These des Tractatus) davon zeugen, dass die einzelnen Thesen des Tractatus miteinander nicht übereinstimmen. Wittgenstein würde somit einen minimalen Grad von Inkohärenz zulassen. (Burckhardt A., 1990).

    Jetzt übergehe ich zur metaphysischen Interpretation des Subjekts. Diese hängt sehr eng mit Mystizismus Wittgensteins zusammen. Dieser Auffassung zufolge ist das metaphysische Subjekt keine bequeme Konstruktion mehr, die über den gewissen Standpunkt sprechen lässt, oder die Perspektive, die man annehmen kann. Sie wird mehr zu einem außerwelten, beinahe göttlichen Standpunkt. Die These 6.45 setzt so das interpretierte metaphysische Subjekt voraus:

    „Die Anschauung der Welt sub specie aeterni ist ihre Anschauung als - begrenztes - Ganzes.

    Das Gefühl der Welt als begrenztes Ganzes ist das mystische” (6.45)

    Das metaphysische Subjekt ist bereits keine Grenze der Welt, aber etwas vollkommen außerhalb der Welt. Also ist es kein transzendentales Subjekt mehr, sondern ein transzendentes Subjekt. Es ist bemerkenswert, dass die mystische Erfahrung eine Art des Erlebnisses - eine Tatsache ist -, die nicht so einfach ignoriert werden kann. Deshalb kann diese Erfahrung ein wichtiges Argument für die Anerkennung des metaphysischen Subjekts (im strengen Sinne) sein.

    Die Interpretation, die hier vorgeschlagen wird, ist folgendermaßen: das metaphysische Ich ist ursprünglich und wesentlich das Subjekt des Willens. Dieses Subjekt ist eine kosmische Kraft. Diese ist blind und unbewusst, jedoch schöpferisch. Deshalb kann diese Kraft bilden.. Dies, was diese Kraft bildet, ist die Welt, d.h. die Tatsachen. Die Welt soll als phänomenale Beschränkung dieser Kraft, ihrer Grenzen und auch gleichzeitig als ihre Repräsentation verstanden werden. Die Welt und Tatsachen sind die „Objektivation des Willens”*. Die nächste Etappe der Entwicklung des Willens ist eine Art des dialektischen Spiels zwischen dem Subjekt des Willens und der Welt/Tatsachen. In dieser gegenseitigen Beziehung zwischen ihnen erscheint das Niveau des Bewusstseins (und Selbstbewusstseins). Wittgenstein schweigt darüber, wie es zur Erscheinung des Bewusstseins kommt. Dagegen finden wir eine spekulative Lösung dieses Problems bei Schopenhauer. Er bedient sich einer Metapher des Erzeugens von Ton. Schopenhauer vergleicht „die vibrierende Seite” zum Subjekt des Willens, und „das Resonanzboden” zur Welt (Schopenhauer A., 1924, B.2, 195). Den entstandenen Ton vergleicht er mit dem Bewusstsein. Dann wird das Subjekt des Willens zum transzendentalen Ich, d.h. die transzendentale Einheit der Apperzeption als die Bedingungen der Möglichkeit der Welt, die bewusst werden. Auf diese Art und Weise enthüllt sich der doppelte Aspekt des metaphysischen Subjekts: (1) als Subjekt des Willens und (2) als erkennendes Subjekt. Das erkennende Subjekt ist etwas sekundär, deshalb betont Wittgenstein, dass es kein solches Subjekt gibt; das ist nur ein Schein (vgl. Tgb. 5.08. 1916; u. Tr. 5.631).

    Um den doppelten Aspekt des metaphysischen Subjekts zu enthüllen, ist es notwendig die Welt als die Grenze zu betrachten. Die erstaunliche Analogie kann man zwischen der Formulierung von Wittgenstein und dieser von Schopenhauer beobachten (feststellen): (1) die Welt als Spiegel des Willens (Schopenhauer); (2) die Logik als Spiegel der Welt (Wittgenstein). Hier kommt zum Vorschein, dass der Wille ursprünglich und die Logik hingegen sekundär ist. Schopenhauer bemerkte jedoch, dass die Identität des Subjekts des Willens und des erkennenden Subjekts etwas ist, was wir am Ende nicht verstehen können. Diese Identität ist wesentlich „das Wunder (kat egzechon)” (Schopenhauer A. 1924, B. II, 195). Das ist somit ein Postulat oder R. Collingwood zufolge, eine absolute Prasupposition. Die Anerkennung dieser Identität könnte von Wittgensteins Standpunkt aus, als eine Konsequenz der mystischen Erfahrung gelesen werden. Mit anderen Worten, diese Identität wäre die Konsequenz „der Anschauung der Welt sub specie aeterni (...) als - begrenztes - Ganzes”. Erst angesichts dieser Erfahrung könnte man über die Relation der Identität von den Subjekten sprechen.

    In der Annährung Wittgensteins zum Problem des Subjekts können zwei gegensätzliche Wege angedeutet werden; (1) von innen (der immanente Weg); (2) von außen (der transzendente Weg). Auf dem ersten Weg erfolgt das Markieren der Grenzen von innen (vgl. 4.114). Diese Methode wurde von J. Hintikka „ der semantische Solipsismus” genannt, weil man auf diesem Wege die Grenze erreicht, welche die Logik ist (Hintikka J, 1996, 98). Der zweite Weg dagegen beruht sich auf die mystische Erfahrung und gründet in der Anschauung der Welt von außen. Aus diesen zwei Wegen ergeben sich zwei verschiedene Konzeptionen des Subjekts. Mit anderen Worten, diese zwei Wege, zwei Auffassungen setzen zwei verschiedene Weise des Verstehens des Subjekts voraus. Der semantische Solipsismus - könnte man vermuten schließt den Mystizismus aus, und umgekehrt. Ist es möglich, diese beiden Auffassungen zu vereinbaren?

    Versuchen wir uns noch diese Auffassungen anzusehen. Der semantische Solipsismus (A) erlaubt nur Grenzen zu erreichen, aber sie können nicht überschritten werden, weil die Logik es nicht erlaubt. Andererseits setzt der Mystizismus (B) die Möglichkeit des Überschreitens der Grenzen voraus. Wie soll das Problem entschieden werden? Das ist die Alternative ‘A v B’ und wir könnten eine Frage stellen: welches Glied dieser Alternative soll man wählen -A oder B? Den semantischen Solipsismus oder Mystizismus? Soll man überhaupt zwischen ihnen wählen? Allerdings hat Wittgenstein absichtlich diese zwei Wege im Tractatus dargestellt. Also wenn wir voraussetzen würden, dass er der Mystizismus und den Solipsismus gleich ernst nimmt, und seine Stellung kohärent ist, dann soll man beide Glieder der Alternative akzeptieren. Mit anderen Worten, soll man die ganze Alternative annehmen, weil das gerade keine non-exclusive Alternative ist.

    Dank des Hinweisens auf diese zwei Wege wollte Wittgenstein zeigen, dass das Denken, das auf der Logik stützt, seine Grenze hat. Das, was innerhalb diesen Grenzen sich befindet, schöpft das Ganze nicht aus. Um es deutlicher darstellen zu wollen, worum es sich hier handelt, muss an dieser Stelle auf Schopenhauer erneut zurückgegriffen werden. Die Lösung auf Grund der Interpretation des „Die Welt als Wille und Vorstellung” ist folgendermaßen: Der Auffassung von dem semantischen Solipsismus, d.h. der immnanenten Auffassung entspricht das reine erkennende Subjekt. Dieses Subjekt existiert nicht im eigentlichen Sinne des Wortes. Was dies betrifft, sind sich Wittgenstein und Schopenhauer einig. Dieses Subjekt ist nur eine Konstruktion, eine Perspektive, „das geometrische aber keine physische Auge” (Pears D., 1993). Der mystischen Auffassung entspricht hingegen das Subjekt des Willens. Beide Philosophen behaupten, dass das Subjekt im starken Sinne existiert. Daraus kann man schließen, dass das Subjekt des Willens für die mystische Auffassung verantwortlich ist, die hingegen der Logik widerspricht. Diese Auffassung existiert jedoch. Die mystische Erfahrung von Überschreiten der Welt der Tatsachen, d.h. die Welt als Vorstellung, kann auf dem Weg erreicht werden, der sich selbst auf etwas beruht, was allein keine Vorstellung ist. Dieses „etwas” ist genau genommen der Wille, das Subjekt des Willens. Denn dieser Weg kann nicht vorgestellt werden, kann man darüber lediglich außerhalb der Logik „sprechen”. Man darf also diesen Konflikt zwischen der Logik und dem Mystizismus nicht vergessen.

    2.

    Die Überlegungen, die sich auf das metaphysische Subjekt beziehen, blieben allerdings unvollständig und einseitig, wenn sie mit der Frage nach den Gegenständen und nach der logischen Form nicht verbunden wären. Wir beginnen mit der Frage, was für ein Verhältnis zwischen Gegenständen und dem metaphysischen Subjekt besteht. Wittgenstein äußert hierzu folgendermaßen: „Die Gegenstände bilden die Struktur der Welt” (2.021). Die Gegenstände bestimmen die Grenze der Welt. „Die Grenze zeigt sich wieder in der Gesamtheit der Elementarsätze” (5.561). Diese Übereinstimmung ist nicht zufällig, dass - einerseits - die Gegenstände die Grenze der Welt bilden und - andererseits - das Subjekt die Grenze der Welt ist. Daraus ergibt sich, dass die Gegenstände das Subjekt sind. Mit anderen Worten, die Substanz (=Gesamtheit der Gegenstände) ist die Grenze der Welt und deren Subjekt. Darüber hinaus sagt Wittgenstein: die Grenze der Welt und deren Subjekt ist die Logik. Die Logik ist auch a priori und transzendental (vgl. 5.552). Die Gegenstände sind ebenfalls a priori und transzendental. Welcher Zusammenhang ist zwischen den Gegenständen und der Logik? Die Logik ist eine Entwicklung von dem, was a priori und transzendental in den Gegenständen steckt. Das, was in den Gegenständen steckt, ist ihre logische Form. Die logische Form der Welt ist eine Summe der logischen Formen der Gegenstände. Also bestimmt diese Summe alle Konfigurationen der Gegenstände, d.h. der Sachverhalte. Der Logik ist „der Spiegel der Welt” (vgl. 6.13) daher ist die Welt im gewissen Sinne in einem großen Spiegel enthalten. Die Logik bestimmt also die äußeren Grenzen, in Form eines Raumes, in dem sich die Sachverhalte befinden. Die Gegenstände bilden dagegen, als Quelle der Sachverhalten wahrscheinlich die Grundlage, also die innere Grenze der Welt/Wirklichkeit. Das Bild stimmt im Allgemeinen mit der Aristotelischen Interpretation der Metaphysik Wittgensteins überein. Eine andere Auffassung vom Problem der Relation: Logik - Gegenstände kann aufgrund der Bemerkungen von J. Hintikka formuliert werden. Hintikka bemerkte, dass die Gegenstände neben der: (1)Apriorität und (2) Transzendentalität auch von der (3) direkten Bekanntschaft (by acquaintance) charakterisiert werden können (Hintikka J. 1996, 106). Vorgeschlagene Interpretation besteht darin, dass die Gegenstände für die Kantianische Kategorien gelten. Die Kategorien sind bei Kant dies, was dem Intellekt direkt gegeben ist. Deshalb scheint Kant zu sagen, dass sich Kategorien weder ausdrücken noch definieren lassen können; sie können lediglich genannt werden. Die Einfachheit und die direkte Bekanntschaft entscheiden darüber, dass sich die Gegenstände bzw. Kategorien nicht ausdrücken lassen. Deshalb befinden sich die Logik und Gegenstände (als Kategorien) auf derselbe Seite: die Gegenstände sind Punkte in einem großen Spiegel der Logik. Wenn Wittgenstein sagt, dass die Logik transzendental ist, versteht er damit, dass die Logik des Trakatus die Logik der Kategorien ist. Die transzendentale Interpretation der Gegenstände weist auch eine Ähnlichkeit mit Standpunkt Platons nach. Wir lesen in Sophistes: „Aus der Mitwirkung der Ideen haben wir Logos” (vgl. Sophistes, 259e 5-6). Die Analogie wird hier deutlich: Gegenstände als Ideen und Logos als die Form der Welt. Diese Motive im Tractatus, die auf das Denken von Platon und Kant hinweisen, sind Argumenten dafür, Ontologie Wittgensteins als Ontologie Platons und Kants zu sehen. Die Gegenstände als ewige unveränderte und einfache Objekte sind keine Aristotelische Substanze. Sie ähneln hingegen Ideen und Kategorien. Wenn die Gegenstände a priori und transzendental sind, so befinden sie sich wohl ‘außerhalb” der Welt und bilden deren äußere Grenze. Die Welt der Tatsachen beschrieben im Tractatus ist im Sinne von Aristoteles’ Lehre nicht substanziell Die Welt ist also eine Projektion von dem Transzendentalen, d.h. eine Projektion von Gegenständen und Logik in einer empirischen Sphäre (die in ihrem Wesen leer ist).

    Wenn die Gegenstände mit der in ihnen gründeten Logik das Subjekt als die äußere, d.h. transzendentale Grenze der Welt bilden, dann bleibt noch eins festzulegen. Und zwar: gibt es noch ein Subjekt des Willens, das sich von dem Subjekt unterscheidet, das als Gegenstände zusammen mit Logik verstanden wird? Es ist merkwürdig, dass Wittgenstein eine wesentliche Frage nicht beantwortet und zwar: Warum folgt ein Übergang von einem Zustand der Welt in einen neuen anderen? Man kann annehmen, dass die Summe der logischen Formen eine Handlung ist, die den Wandel des Zustands der Welt erzwingt. Das Subjekt des Willens spielt diese Rolle gerade in der Metaphysik Schopenhauers. Es ist nicht eindeutig, ob Wittgenstein diesen Teil der Lehre Schopenhauers wirklich akzeptiert. In Tagebüchern findet sich doch eine Notiz, die diese Ansicht wohl bestätigt:

    „Es gibt wirklich nur eine Weltseele, welche ich vorzüglich meine Seele nenne, und als welche allein ich das erfasse, was ich die Seelen anderer nenne” <23.05. 1915>

    Möglicherweise versteht Wittgenstein die Seele der Welt als das Subjekt des Willens und als die Form der Welt zugleich. Wie es scheint, gibt es ein wichtiges Argument gegen die Unterscheidung zwischen dem Subjekt des Willens und der Form der Welt. Diese Unterscheidung würde zum Regressus ad infinitum führen. Und zwar, die Form der Welt als die wechselnde den Zustand der Welt Handlung würde von dem Willen als die Handlung der höheren Ordnung bestimmt. Das wäre die Lage, die man als die Handlung der Handlung definieren kann, was fraglich erscheint.

    Andererseits besinnt sich Wittgenstein auf die Möglichkeit des Bereichs, der sich noch weiter und tiefer befinden könnte. In Tagebücher finden wir die folgende Notiz:

    Aber könnte es nicht etwas geben, was durch einen Satz sich nicht ausdrücken lässt (und auch kein Gegenstand ist)? Das liesse sich eben durch die Sprache nicht ausdrücken; und wir können auch nicht daran fragen.

    Wie, wenn es etwas außerhalb der Tatsachen gibt? Was unsere Sätze nicht ausdrücken vermögen? Aber da haben wir ja z.B. die Dinge, und wir fühlen gar kein Verlangen, sie in Sätzen auszudrücken.

    Was sich nicht ausdrucken lässt, das drücken wir nicht aus -. Und wie wollen wir fragen, ob sich DAS ausdrücken lässt, was sich nicht AUSDRÜCKEN lässt?

    Gibt es kein Bereich Außerhalb der Tatsachen? <27.5.1915>

    Eine ähnliche Äußerung Wittgensteins gibt es in Vermischten Bemerkungen:

    Das Unaussprechbare (das, was mir geheimnisvoll erscheint und ich nicht auszusprechen vermag) gibt vielleicht den Hintergrund, auf dem das, was ich aussprechen könnte, Bedeutung bekommt. <VB, 38>

    In dieser Notiz versucht Wittgenstein das Problem der Existenz außerhalb der Tatsachen in Frage zu stellen. Das Unbestimmte kann mit dem Willen oder Subjekt des Willens identifiziert werden. Diese Interpretation Gedanken Wittgensteins weist darauf hin, dass das Subjekt des Willens etwas anders als Gegenstände ist. Denn die Gegenstände und die Logik lassen sich bis zu einem gewissen Grade bestimmen. Der Wille entwischt hingegen jedem Versuch ihn zu bestimmen. Dieser zweiten Interpretation zufolge gibt es zwei Stufen des metaphysischen Subjekts: (1) das transzendentale Subjekt als die Grenze der Welt und (2) das Subjet des Willens. Das letzte kann „das absolute Subjekt” genannt werden. Die These 6.43 bestätigt die obige Interpretation:

    Wenn das gute oder böse Wollen die Welt ändert, so kann es nur die Grenzen der Welt ändern, nicht die Tatsachen; nicht das, was durch die Sprache ausgedrückt werden kann. Kurz, die Welt muss dann dadurch überhaupt eine andere werden. Sie muss sozusagen als Ganzes abnehmen oder zunehmen. (6.43)

    Die Unterscheidung des Subjekts des Willens von der Summe der Formen der Gegenstände ergibt sich als eine vielmehr überzeugende Hypothese als eine gegensätzliche, die ihre Identität voraussetzt. Wittgenstein nennt als Formen beispielsweise: Farbe, Raum und Zeit (vgl. 2.0251). Wenn in diesem Sinne Formen als der endgültige Grund und Ursprung der Welt gelten sollten, dann scheinen diese nicht genügend zu sein. Es ist durchaus wahrscheinlicher, dass Wittgenstein eine Kraft berücksichtigt, welche die Gegenstände und deren Formen beeinflusst oder aus welcher die Gegenstände entstehen. Daher kann man dieser Kraft, die den Hintergrund für Gegenstände und logische Formen bildet, die Rolle des Subjekts des Willens zuschreiben. Diese Interpretation der Ontologie des Tractatus ähnelt der Metaphysik des Willens bei Schopenhauer.

    Die Interpretation, in der das Subjekt des Willens den Gegenständen und der Logik gegenüber als ursprünglich gilt, stimmt nicht nur mit der Metaphysik Schopenhauers überein, sondern sie bildet auch eine Unterstützung für ein transzendentales Merkmal der Gegenstände wie Kantianische Kategorien. Es soll hier erinnert werden, dass Kant, indem er die Kategorien, Formen der Anschauung und die transzendentale Einheit der Apperzeption erwähnt, endet damit seine Erzahlung über die transzendentalen Bedingungen der möglichen Erfahrung noch nicht. Er lässt noch einen Platz für die transzendentale Einbildungskraft. Diese Einbildungskraft bleibt im Hintergrund, fungiert aber zugleich als Koordinationsfunktion und führt die Synthese durch. Die Synthese tritt auf zwei Ebene auf: auf der Ebene der Logik und auf der Ebene der Formen der Anschauung. Die transzendentale Einbildungskraft, ebenso wie das Subjekt des Willens, bildet also einen absoluten Hintergrund. Als dieser Hintergrund aktiviert die Einbildungskraft eine elementare Handlung, die Kategorien (Gegenstände im Sinne Wittgensteins) und in ihnen versteckte Formen. Allerdings kann man sich die Einbildungskraft nicht vorstellen; mit anderen Worten, sie kann nicht ausgedrückt und nicht dargestellt werden. Auf diese Weise erlangt die transzendentale Kantianische - Schopenhauersche Interpretation des Tractatus eine Bestätigung, insbesondere die Konzeption des metaphysischen Subjekts als Subjekt des Willens.

    Literatur

    1. Burkhardt A., 1990: ‘Wittgenstein und die Grenzen der Sagbarkeit’, in: Grazer Philosophische Studien, vol. 38, s. 65-98
    2. Haller R., 1989: ‘Bemerkungen zur Egologie Wittgensteins’, in: Grazer Philosophische Studien, vol. 33/34, s. 353-373
    3. Hintikka J., Hintikka M., 1996: Untersuchungen zu Wittgenstein, Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, Frankfurt am Main
    4. Pears D., 1993: ‘The Ego and the Eye: Wittgenstein’s Use of an Analogy, in: Grazer Philosophische Studien, vol. 44, s. 59-68
    5. Schopenhauer A., 1924: Die Welt als Wille und Vorstellung, Hans Heinrich Tillger - Verlag, Berlin und Wien
    6. Wittgenstein L., 1984: Wittgenstein - Tractatus logico-philosophicus. Werkausgabe Band 1: Tractatus logico-philosophicus, Tagebucher 1914-1916, Philosophische Bemerkungen; Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, Frankfurt am Main
    7. Wittgenstein L., 1987: Vermischte Bemerkungen, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main
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