Die Helsinki-Edition der Philosophischen Untersuchungen
Die Helsinki-Edition der Philosophischen Untersuchungen

Abstract

Die von Georg Henrik von Wright und Heikki Nyman herausgegebe Helsinki-Edition erschien 2001 in neuer Bearbeitung von Joachim Schulte als Kritisch-Genetische Edition der Philosophischen Untersuchungen im Frankfurter Suhrkamp-Verlag. Die ursprüngliche Helsinki-Edition wurde nicht veröffentlicht, sondern von den „Herausgebern“ nur wenigen Bibliotheken und Forschungseinrichtungen zur Verfügung gestellt. Um dem Leser einen Vergleich mit der veröffentlichten Kritisch-Genetischen Edition zu ermöglichen, werden in diesem Beitrag die fünf Teile der Helsinki-Edition mit Inhaltsangaben der Einzelbände aufgeführt. Bei der Beschreibung werden vor allem die terminologischen Kennzeichnungen der Typoskripte berücksichtigt.

Table of contents

    Die von Georg Henrik von Wright und Heikki Nyman herausgegebe Helsinki-Edition erschien 2001 in neuer Bearbeitung von Joachim Schulte als Kritisch-Genetische Edition der Philosophischen Untersuchungen im Frankfurter Suhrkamp-Verlag. Die ursprüngliche Helsinki-Edition wurde nicht veröffentlicht, sondern von den „Herausgebern“ nur wenigen Bibliotheken und Forschungseinrichtungen zur Verfügung gestellt. Um dem Leser einen Vergleich mit der veröffentlichten Kritisch-Genetischen Edition zu ermöglichen, werden in diesem Beitrag die fünf Teile der Helsinki-Edition mit Inhaltsangaben der Einzelbände aufgeführt. Bei der Beschreibung werden vor allem die terminologischen Kennzeichnungen der Typoskripte berücksichtigt.

    1. Helsinki-Edition und Kritisch-Genetische Edition

    Das früheste Vorwort der Helsinki-Edition – auch als Nyman/von Wright-Edition bezeichnet – ist auf 1979 datiert, das späteste auf 1981. Georg Henrik von Wright beschäftigte sich seit 1973 mit der Rekonstruktion der Philosophischen Untersuchungen (vgl. Schulte, 2001, S. 10); da seine Forschungsarbeiten – neben denen von Heikki Nyman, Andre Maury, Heikki Kannisto und Erkki Kilpinen – maßgeblich waren, könnte man die Arbeit an der Helsinki-Edition auf etwa 1973 bis 1981 datieren. Die ursprüngliche Helsinki-Edition wurde im eigentlichen Sinne jedoch gar nicht veröffentlicht; bei von Wright heißt es dazu:

    Zu Anfang hatten wir keine Pläne, das (...) Material zu veröffentlichen. Kopien der Nymann/von Wright-Edition wurden einigen Bibliotheken in Europa und den Vereinigten Staaten zur Verfügung gestellt. Einzelne Wittgenstein-Forscher erhielten Teile des Ganzen. Wir gewannen den Eindruck, daß unsere Arbeit der Forschung von Nutzen war. So entstand der Gedanke an eine Veröffentlichung im Druck. (Schulte, 2001, S. 10f.)

    Der Einfluß der Helsinki-Edition sowohl auf die Erforschung als auch auf die Sichtweise des Wittgenstein-Nachlasses ist kaum zu unterschätzen, obwohl, oder vielleicht auch gerade weil diese besonderen Forschungsdokumente bislang nur Spezialisten zugänglich waren, die diese Arbeiten „aus erster Hand“ mit großem Interesse verfolgten. Die Helsinki-Edition glänzte allerdings nicht unbedingt durch Benutzerfreundlichkeit, und für ihre Publikation waren zahlreiche Ergänzungen, Kürzungen und Korrekturen erforderlich. Joachim Schulte erläutert dies in der Kritisch-Genetischen Edition im Kapitel „Zur Entstehung der Edition“:

    Fehler und Versehen mußten korrigiert, neue Erkenntnisse mußten berücksichtigt werden. Vor allem mußte der Text möglichst einheitlich dargeboten werden. Dabei wurde der in der Zwischenzeit erfolgte technologische Wandel spürbar: Die Helsinki-Ausgabe war mit der Schreibmaschine erstellt worden. (...) Der in Bielefeld eingesetzte Computer reizte durch die gegenüber traditionellen Verfahren enorm gesteigerten Vergleichsmöglichkeiten von vornherein zum Streben nach einer gewissen Uniformität. (...) Nach Abschluß dieser Arbeit lag eine ergänzte und in vieler Hinsicht überarbeitete Fassung der ursprümglichen Helsinki-Ausgabe vor. (Schulte, 2001,S. 45)

    Die „Umarbeitung“ der Helsinki-Edition war sicherlich mit einem kaum zu unterschätzenden redaktionellen Arbeitsaufwand verbunden. Über 2500 Seiten mußten am Computer neu erfasst werden, die Korrekturen und Kontrollen führten im Grunde genommen zu einer neuen Transkription der Originale. Die Vereinheitlichung der heterogenen formalen Prinzipien der Helsinki-Edition, des komplizierten Systems der Kommentare und der Methoden der wechselseitigen Referenzierung einzelner Stücke erforderten neue Editionsprinzipien und deren praktische Umsetzung den Vergleich Tausender von Bemerkungen auf feinste Abweichungen. Von Wright faßt das Verhältnis der beiden Editionen wie folgt zusammen:

    Die von Schulte angefertigte Ausgabe fußt auf der Edition, die wir in Helsinki erstellt haben, ist aber stilistisch wie sachlich ein neues Werk. (Schulte, 2001, S. 11)

    2. Allgemeine Beschreibung der Helsinki-Edition

    Das Exemplar der Helsinki-Edition am Wittgenstein Archiv der Universität Bergen besteht aus insgesamt zehn, recht umfangreichen, in blauen und beigen Karton gebundenen Bänden im Format Din A4.1 Die einzelnen Bände bestehen aus Kopien von Schreibmaschinenseiten, denn die Helsinki-Edition wurde nicht am Computer, sondern noch mit der Schreibmaschine erstellt. Diese schwergewichtigen Konvolute maschinenschriftlich getippter Seiten sind Dokumente der Grundlagenforschung und waren in dieser ursprünglichen Form nicht zur Publikation bestimmt.

    Die Unterteilung der Helsinki-Edition in fünf „Teile“ folgt jenen Erläuterungen, die von Wright nicht innerhalb der Edition, sondern an anderer Stelle gegeben hat, ohne dort allerdings die Edition unter diesem Titel zu nennen (von Wright, 1986, S. 17-21). Alle fünf Teile der Helsinki-Edition enthalten ein Vorwort der Herausgeber mit entstehungsgeschichtlichen Erläuterungen, den maschinenschriftlich transkribierten Text der entsprechenden Stücke aus dem Nachlaß und ein sehr umfangreiches System von Einzelstellenkommentaren. Im zweiten, dritten und vierten Teil finden sich zusätzliche „Anhänge“, die aus Listen, Konkordanzen und seltener aus Kopien von Originalen bestehen. Hinsichtlich ihres formalen Aufbaus weichen alle fünf Teile voneinander ab. Die maßgeblichen editorischen Prinzipien veränderten sich offenbar sowohl hinsichtlich der jeweiligen Anforderungen der einzelnen Teile als auch hinsichtlich der während des Editionsprojektes gewonnenen praktischen Erfahrungen.

    Im ersten und dritten Teil wird mit jeder neuen Bemerkung Wittgensteins eine neue Seite begonnen. Der Kommentar folgt auf separaten Seiten im Anschluß an jede Bemerkung, d.h. transkribierter Text und Kommentar wechseln sich hier auf separaten Seiten ab. Im vierten und fünften Teil folgen die Bemerkungen durch Leerzeilen getrennt unmittelbar hintereinander und der Kommentar zu jeder einzelnen Bemerkung folgt erst im Anschluß an den gesamten Text. Im zweiten Teil enthält der erste Band den edierten Text, der zweite Band den Kommentar. Ähnliche Unterschiede gibt es auch bei der Seitenzählung. Die Bände der ersten drei Teile enthalten keine eigenständige Paginierung. Diese wird durch die Bemerkungsnummerierung ersetzt. Auf den Seiten mit transkribiertem Text kommen die Nummern vor jeder Bemerkung zu stehen, auf den Kommentarseiten rechts oben am Seitenrand. Wo Text oder Kommentar mehrere Seiten umfassen, bleiben zusätzliche Textseiten ohne Nummer, auf den Kommentarseiten wird die Nummer wiederholt. Erst der vierte und fünfte Teil enthalten eine eigenständige Seitenzählung.

    Die Abweichungen im formalen Aufbau der Kommentarsysteme der unterschiedlichen Bände sind so kompliziert, daß diese hier nicht beschrieben werden sollen. Der Leser ahnt vermutlich bereits, wie mühevoll die Arbeit mit der Helsinki-Edition sich gestalten konnte. Vergleichende Arbeiten zwischen unterschiedlichen Vorstufen der Philosophischen Untersuchungen wurden mitunter zu gymnastischen Übungen, denn hierfür war es bisweilen erforderlich, vier bis fünf der schweren Bände gleichzeitig zu „wälzen“, die zudem ganz unterschiedliche Formen der Bemerkungsnumerierung, der Seitenzählung und des Kommentars enthielten.

    3. Die fünf Teile der Helsinki-Edition

    Die von Georg Henrik von Wright und Heikki Nyman für die Helsinki-Edition getroffene Auswahl einzelner Stücke des Nachlasses und deren terminologische Kennzeichnung prägt die Erforschung des Wittgenstein-Nachlasses bis heute. Rückblickend benennt von Wright die wichtigsten Aufgaben der Edition:

    Die erste Aufgabe, die es zu lösen galt, war das Auffinden der ‚Quellen’ im handschriftlichen Teil des Nachlasses. (...) Noch schwieriger war die Rekonstruktion der verschiedenen Fassungen und Vorstufen des als ‚Teil I’ gedruckten Typoskripts – von der Frühfassung der Vorkriegsjahre über die von uns so bezeichnete Zwischenfassung von 1945 bis hin zur abschließenden Zusammenstellung der Bemerkungen eines im Grunde druckfertigen Texts. (Schulte, 2001, S. 10)

    Im folgenden werden die fünf Teile der Edition aufgeführt, Inhaltsangaben und Terminologie folgen bewußt ausschließlich der Helsinki-Edition. Nach den für die vorliegende Darstellung vereinheitlichten „Kapitelüberschriften“ folgen die Originaltitel und Inhaltsangaben zu den einzelnen Bänden. Kursive Schrift wird für zitierte Inhaltsangaben aus der Edition verwendet, Normalschrift für Ergänzungen, die sich nicht in der Edition finden. Danach folgen Erläuterungen zu den einzelnen Stücken und deren terminologischer Kennzeichnung.

    3.1. Frühversion

    Philosophische Untersuchungen. Frühversion 1937-1938. TS 225, TS 220, TS 221 mit MS 141 als Anhang. Mit Kommentaren.– 1. Band, S. 1-9, 1-3 paginiert (256 Seiten); Vorwort der Herausgeber (Helsinki, Mai 1979), S. 1-9 (2-10); Philosophische Untersuchungen. Frühversion. Vorwort (TS 225), S. 1-3 (11-15); Philosophische Untersuchungen. TS 220. Edierter Text mit Kommentaren, TS 220, Nr. 1-106 (16-256). – 2. Band (256 Seiten); Philosophische Untersuchungen TS 220. Edierter Text mit Kommentaren, TS 220, Nr. 107-161 (1-130); TS 221. Edierter Text mit Kommentaren, TS 221, Nr. 162-221 (131-256). – 3. Band (459 Seiten); TS 221. Edierter Text mit Kommentaren, TS 221, Nr. 222-442 (1-459).

    TS 220 und TS 221 werden als „Frühversion“ der Philosophischen Untersuchungen bezeichnet. TS 225, das dritte in diesen Teil aufgenommene Typoskript, ist ein Vorwort von 1938. Die „Frühversion“ wird im Nachlaßverzeichnis auch als „Vorkriegsfassung“ bezeichnet. In der Helsinki-Edition werden TS 220 und TS 221 als „zwei Hauptteile“ der „Frühversion“ bezeichnet, im Nachlaßverzeichnis als „Erste Hälfte“ und „Zweite Hälfte“ der „Vorkriegsfassung“. TS 220 entstand vermutlich 1937 und endet mit Seite 137, TS 221 beginnt mit Seite 138 und entstand vermutlich 1938/39.

    3.2. Umarbeitung der Frühversion

    Philosophische Untersuchungen. TS 239. Edierter Text mit Kommentaren. – 1. Band, S. 1-2 paginiert (223 Seiten); Vorwort der Herausgeber (Helsinki, Juli 1979), S. 1-2 (2-3); TS 239. Philosophische Untersuchungen. Edierter Text, TS 239, Nr. 1-206 (4-223). – 2. Band (209 Seiten); Philosophische Untersuchungen. TS 239. Kommentar (1-209); in Form loser Seiten, S. 1-6, 1-8 paginiert (16 Seiten): Anhang I. Die Entsprechungen zwischen den Bemerkungen in der Frühversion der PU (TS 220) und im TS 239 der PU, S. 1-6 (2-7); Anhang II. Die Entsprechungen zwischen Bemerkungen im TS 239 der PU, in der Frühversion (TS 220) und in der endgültigen Fassung der PU, S. 1-8 (9-16).

    TS 239 wird als „Umarbeitung der ersten Hälfte der Frühversion“ der Philosophischen Untersuchungen bezeichnet. Im Nachlaßverzeichnis wird TS 239 als „Typoskript einer bearbeiteten Fassung von TS 220“ bezeichnet. TS 239 entstand vermutlich 1943, Teile der Umarbeitung vielleicht auch schon früher. TS 239 ist eine teils zerschnittene und neu collagierte Kopie – genauer: eine Kombination aus Originalseiten und Durchschlägen – des TS 220 mit handschriftlichen Ergänzungen und neuer Numerierung der Bemerkungen. TS 222, gewissermaßen eine „Umarbeitung der zweiten Hälfte der Frühversion“, wurde nicht in die Helsinki-Edition aufgenommen, obwohl eine Verbindung zwischen den beiden „Umarbeitungen“ von TS 220 in TS 239 und von TS 221 in TS 222 durchaus nahe liegt. TS 222 wurde aber später nicht für die Philosophischen Untersuchungen verwendet.

    3.3. Mittelversion

    Philosophische Untersuchungen. Mittelversion 1945. Mit Kommentaren. – 1. Band, S. 1-4, 1-3 paginiert (340 Seiten); Vorwort der Herausgeber (Helsinki, August 1979), S. 1-4 (2-5); Motto, Vorwort, S. 1-3, unpaginierte Kommentarseiten (6-14); edierter Text der Mittelversion Nr. 1-156 mit Kommentaren (15-340). – 2. Band (214 Seiten), edierter Text der Mittelversion Nr. 157-300 mit Kommentaren (1-207); Anhang I. Entsprechungen zwischen den Bemerkungen in der Mittelversion (MV) der PU und in der endgültigen Fassung der PU, S. 1-5 (208-212); Anhang II. Entsprechungen zwischen den Bemerkungen in der Mittelversion (MV) der PU und in den Bemerkungen über die Grundlagen der Mathematik (BGM) (213-214).

    Das Typoskript der „Mittelversion“ erhielt keine Nachlaßnummer. Dieses Stück entstand 1944 oder 1945 und bestand aus einer maschinenschriftlichen Abschrift von TS 239 sowie weniger Bemerkungen vom Beginn des TS 221, und aus einer Abschrift des TS 241 von 1944. Die Seiten der „Mittelversion“ wurden fast alle zur Herstellung des Textträgers TS 227 verwendet, wo sie um neu getippte Seiten ergänzt wurden. Die aussortierten Seiten erhielten die Nummer TS 242, im Nachlaßverzeichnis als „Typoskript einiger Seiten zwischen S. 149 und 195 der sogenannten Zwischenfassung der Untersuchungen“ bezeichnet. Die „Mittelversion“ wird demnach auch als „Zwischenfassung“ bezeichnet. Von Wright nennt die „Mittelversion“ eine „Rekonstruktion“. In der Forschung ging man deshalb häufig von einem verschollenen Typoskript aus. Tatsächlich sind alle Seiten des Stücks erhalten, und um den maschinenschriftlichen Text der „Mittelversion“ zu „rekonstruieren“ genügt es, die in TS 227 verwendeten mit den aussortierten Seiten (TS 242) zu verbinden.

    3.4. Philosophische Untersuchungen I

    Philosophische Untersuchungen I. (TS 227) Der edierte Text mit Kommentaren und Anhängen. – 1. Band, S. 1-5, 1-303 paginiert (309 Seiten); Vorwort der Herausgeber. (Helsinki, Juni 1981), S. 1-5 (2-6); Motto, Vorwort, S. 1-3 (7-9), edierter Text, TS 227, Nr. 1-693, S. 3-240 (9-246); Kommentar, S. 241-303 (247-309). – 2. Band, S. 1-29, 1-7, 1-5, 1-15 paginiert (118 Seiten); Anhänge: Anhang I. Die Manuskriptquellen der Bemerkungen im Teil I der PU. Ein Verzeichnis (auf Englisch) hergestellt von Dr. Andre Maury, S. 1.-29, (2-30); Anhang II. Die Seiten des früheren TS, die Wittgenstein entfernt und durch Seiten des späteren TS ersetzt hat. Faksimilekopien von Seiten der Mittelversion (31-54); Anhang III. Die Seiten im TS 227, die dem früheren TS angehört haben. Faksimilekopien von Seiten der Mittelversion (55-84); Anhang IV. TS 241, die Mittelversion und die endgültige Fassung der PU. Entsprechungen zwischen den Bemerkungen, S. 1-7 (85-92); Anhang V. Entsprechungen in der Numerierung der Bemerkungen in der ’Mittelversion’ und in der endgültigen Fassung der PU, S. 1-5 (93-98); Anhang VI. MS 182 und die Erläuterungen zu dem Übergang von der Mittelversion zu der endgültigen Fassung der PU; Faksimilekopien des MS 182 (99-101) und Kommentar zu MS 182, S. 1-16 (102-118).

    TS 227 wird hier als „Philosophische Untersuchungen I“ bezeichnet. Die Bezeichnung des TS 227 als „Erster Teil“ folgt der Entscheidung der Nachlaßverwalter, dieses Stück in der posthumen Veröffentlichung der Philosophischen Untersuchungen um einen „Zweiten Teil“ (TS 234) zu ergänzen. Die Bezeichnung des TS 227 als „Erster Teil“ der Philosophischen Untersuchungen, kompliziert die Kennzeichnung aller vorausgehenden Vorstufen. Diese beziehen sich dann nämlich genau genommen „nur“ auf „Teil I“. Die Orientierung der Helsinki-Edition am publizierten Text der Untersuchungen kommt auch in der Bezeichnung des TS 227 als „Endfassung“, „Drucktyposkript“, „endgültige Fassung“ oder „endgültiger Text“ zum Ausdruck. Im Nachlaßverzeichnis wird TS 227 als „Typoskript des ersten Teils der Endfassung derUntersuchungen“ bezeichnet. Dies ist doppelt irrefühernd: Es gibt keinen „Zweiten Teil“ der „Endfassung“, es sei denn man verstünde unter diesem Begriff die gesamte Publikation der Untersuchungen in zwei Teilen. In der Forschung wird TS 227 häufig als die „Endfassung“ der Philosophischen Untersuchungen bezeichnet, obwohl diesem Begriff eher die Vorstellung eines „Endpunkts“ der Publikation zugrunde liegt, als Wittgensteins Schreibprozesse, die es kaum nahelegen dürften, TS 227 als ein „abgeschlossenes“ Werk anzusehen. TS 227 entstand vermutlich Ende 1945 oder Anfang 1946. Das Stück besteht aus der „Mittelversion“ und zusätzlich getippten Seiten, die auf Bemerkungen aus TS 228 zurückgehen. TS 227 ging offenbar nach der Drucklegung verloren und gilt seitdem als verschollen. Zwei Durchschläge des TS 227 sind erhalten.

    3.5. Philosophische Untersuchungen II

    Philosophische Untersuchungen. Teil II (MS 144) der edierte Text mit Kommentaren. – 1. Band, S. 1-5, 1-135 paginiert (142 Seiten); Vorwort der Herausgeber (Helsinki, September 1980), S. 1-5 (2-6); Philosophische Untersuchungen II. MS 144. Edierter Text, MS 144, S. 1-106, S. 1-110 (7-117); Kommentar. Philosophische Untersuchungen II. MS 144, S. 111- 135 (118-142).

    TS 234 wird hier als „Philosophische Untersuchungen. Teil II“ bezeichnet. Um diesen „Zweiten Teil“ wurde TS 227 in der posthumen Veröffentlichung der Philosophischen Untersuchungen ergänzt. TS 234 trug offenbar keinen Titel. Die Bezeichung als „Teil II“ steht nicht in Verbindung zu den beiden „Teilen“ oder „Hälften“ der „Frühversion“, sondern soll indirekt Wittgensteins mögliche Absicht einer Fortsetzung des TS 227 zum Ausdruck bringen. TS 234 entstand vermutlich 1949 oder 1950. TS 234 ging offenbar nach der Drucklegung verloren und gilt seitdem als verschollen. Durchschläge des TS 234 sind nicht erhalten. Deshalb wurde in der Helsinki-Edition die Manuskriptvorlage des TS 234 ediert, MS 144. Dieses Stück steht in keiner unmittelbaren textgenetischen Beziehung zu den vorausgehenden vier Teilen der Helsinki-Edition.

    Zusammenfassung

    In dieser summarischen Beschreibung erscheint die Terminologie der Helsinki-Edition und des von Wright-Nachlaßverzeichnisses zur Kennzeichnung der einzelnen Stücke zwar etwas uneinheitlich, doch will man die Stücke nicht nur mit Nummern benennen, so führt tatsächlich kein Weg an solchen oder ähnlichen Bezeichnungen vorbei. Auch die komplizierte Gliederung der Helsinki-Edition schuldet sich nicht zuletzt der Kompliziertheit des Nachlasses selbst. DieHelsinki-Edition bildet einen unschätzbar wertvollen Grundstock zur Erschließung der genetischen Beziehungen zwischen den textgeschichtlichen Vorstufen der Philosophischen Untersuchungen. Mit Ausnahme der von Michael Nedo herausgegebenen Wiener Ausgabe gibt es bislang keine vergleichbar detaillierten Darstellungen vollständiger Texte und genetischer Verhältnisse zwischen den bedeutendsten Stücken des Nachlasses nach 1929. Die Orientierung der Helsinki-Edition an „Teil I“ und Teil II“ der posthumen Publikation der Philosophischen Untersuchungen erscheint durch die erstrangige Bedeutung dieser Publikation für die internationale philosophische Rezeption Wittgensteins begründet; von Wright selbst stand dieser Unterteilung kritisch gegenüber. Die Grundlagenarbeit der Helsinki-Edition, deren Studium bislang nur einem kleinen Kreis an Forschern vorbehalten war, wurde der allgemeinen Forschung erst durch die Kritsch-Genetische Edition zugänglich. Wer jemals selbst mit den über 2500 Seiten umfassenden Bänden der Helsinki-Edition gearbeitet hat, dem erscheint diese neue Bearbeitung als ein Muster an Ökonomie und als ein ausgesprochen handliches Forschungswerkzeug. Sparsamer, zuverlässiger und kompakter ist eine Edition dieser Vorstufen der Philosophischen Untersuchungen in Buchform kaum zu haben. Nicht nur die Texte, sondern auch die editorischen Methoden und die Terminologie der Helsinki-Edition wurden von ihrer früheren Sperrigkeit und Unhandlichkeit so weit wie möglich befreit, so daß die für die Nachlaßforschung maßgeblichen Grundsätze nun allgemein klar nachvollzogen und dadurch in der Zukunft auch teilweise modifiziert oder für neue Zielsetzungen weiter entwickelt werden können.

    Literaturangabe

    1. Von Wright, Georg Henrik 1969 “The Wittgenstein Papers”, in The Philosophical Review, Nr. 78, S. 181-192, Ithaca: Cornell University.
    2. Von Wright, Georg Henrik und Nyman, Heikki (Hg.) 1979-1981,Ludwig Wittgenstein. Philosophische Untersuchungen, sog. Helsinki-Edition, Helsinki (unveröffentlicht).
    3. Von Wright, Georg Henrik 1986 Wittgenstein, Frankfurt am Main: Suhrkamp.
    4. Nedo, Michael (Hg.) 1994ff. Ludwig Wittgenstein. Schriften. Wiener Ausgabe, Wien New York: Springer.
    5. Schulte, Joachim, von Wright, Georg Henrik, Nymann, Heikki und von Savigny, Eike (Hg.) 2001 Ludwig Wittgenstein. Philosophische Untersuchungen. Kritisch-Genetische Edition, Frankfurt am Main: Suhrkamp.
    Notes
    1.
    Diese der vorliegenden Beschreibung zugrundeliegende Fassung der Helsinki-Edition könnte zwar von weiteren Fassungen an anderen Forschungseinrichtungen leicht abweichen, doch im wesentlichen dürfte sie vollständig sein und eventuell fehlende Dokumente betreffen vermutlich nur einzelne Anhänge.
    Peter Keicher. Date: XML TEI markup by WAB (Rune J. Falch, Heinz W. Krüger, Alois Pichler, Deirdre C.P. Smith) 2011-13. Last change 18.12.2013.
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