Die Kritik der Metaphysik im Werk L. Wittgensteins „Philosophische Untersuchungen“
Die Kritik der Metaphysik im Werk L. Wittgensteins „Philosophische Untersuchungen“

Abstract

Im Artikel wird die Frage betrachtet: wäre es möglich, als Kritik jenes Mittel des Umdenkungsprozesses des „metaphysischen Denkens“ zu bezeichnen, das unzweifelhaft von L. Wittgenstein in seinem Werk „Philosophische Untersuchungen“ verwirklicht wird.

Table of contents

    Zu Beginn des 21. Jahrhunderts gibt es eine Menge von bedeutenden wissenschaftlichen Arbeiten, die einem solchen Phänomen der Philosophiegeschichte gewidmet sind, wie „Metaphysik“ in ihrem negativen Sinne bzw. „metaphysisches Denken“. Insgesamt wird das „metaphysische Denken“ als ein solches Denken erfasst, das „immer der Grundlage zugewandt ist und sich mit Suche nach dieser Grundlage befasst“ (Kerimow 2007), die Grundlage wird als Existenzursache des Gegenstandes der Sinngebung erfasst, dabei erhält die Grundlage selbst notgedrungen die Züge des Absoluten (des Wesens eines höchsten Grades der Bestimmtheit und Vollendung, die keine Ergänzung, Präzisierung und Erklärung braucht, aber selbst als eine legitimierende Grundlage und ein unmenschliches Mass des Menschlichen auftritt). Woher und warum gewinnt dieses Denken seine Macht und warum ist es den Philosophen nicht recht?

    Es wurde mehrmals unterstrichen, dass Metaphysik ihre tiefen Wurzeln wahrscheinlich in der Besonderheit der indogermanischen Sprachen hat. Das Wesen (eine andere objektive Realität ) fixierend und hypostasierend, das dazu berufen ist, als Grundlage zu gelten, wobei diese Grundlage äusserst konkret und gleichzeitig universell sein soll, Grundlage der Existenz (und der Erkenntnis) eines anderen Wesens, wird eine gewisse Vollendung, Geschlossenheit und Unveränderbarkeit geschaffen. Eine solche Unveränderbarkeit tritt jedoch ständig in Widerspruch mit dem Streben (oder mit der inneren Notwendigkeit dieser Vollendung) über die Grenzen der Macht der Grundlage, des Zentrums hinauszugehen, die Freiheit zu gewinnen, dem Zwang seitens eines Prinzips oder Gesetzes abzuweichen und das Neue zu sehen. Eine solche Vollendung deckt selbst ihre Unmöglichkeit auf – man denke beispielsweise an das Einheitliche von Plato im Dialog „Parmenides“, das als selbstidentifiziert nicht über die Grenzen dieser Identifizierung hinausgeht und sogar nicht existiert.

    Unser klassisches Philosophieren ist vorwiegend dem Wunsch untergeordnet, das fixierte System der Wechselbeziehungen von Ursache und Folge, Basis und Überbau zu bestimmen und aufzudecken, in diesem Zusammenhang wenden wir uns an spekulative Schemas und Modelle. Beim Lesen einer wissenschaftlichen Arbeit stellen wir im Kopf gewöhnlich ein gewisses „Bild“ auf, um Wahrnehmung und Verständnis zu erleichtern. Ohne dies wäre das Textverständnis unmöglich gewesen.

    Viele geben vielleicht zu, dass der Gedanke Wittgensteins in „Philosophischen Untersuchungen“ ständig der einheitlichen theoretischen Struktur entgleitet; und bezieht sich bald auf ein bald auf ein anderes philosophisches Problem, zusammenhängend, aber systemlos. Dieses Entgleiten dem System veranschaulicht Vorstellungen Wittgensteins von unseren Erkenntnismöglichkeiten. Er weicht den Untersuchungen der allgemeinen Form des Satzes und der Sprache aus, weil er meint, dass alle gleichen „Erscheinungen keinen gewissen gemeinsamen Zug haben“, deswegen kann man sie nicht mit einem gemeinsamen Wort bezeichnen, aber sie sind miteinander verwandt durch vielfältige Mittel“ (Wittgenstein 1994). „Wir sehen ein kompliziertes Netz der Analogien, die auf einander gelegt und miteinander verflochten sind, der Ähnlichkeiten im Grossen und Kleinen“ (Wittgenstein 1994) einem Faden gleich, und die Festigkeit des Fadens wird dadurch geschaffen, dass sich in ihm mehrere Fasern zusammen verflochten und nicht dadurch, dass eine Faser die Gesamtlänge des Fadens durchzieht“ (Wittgenstein 1994). Für die Erläuterung dieser Metapher unserer Erkenntnis des „Allgemeinen“ führt Wittgenstein eine ausreichende Menge von Beispielen an.

    Er sieht die Lösung der Schwierigkeiten und Probleme der Philosophie (und vor allem ihrer Metaphysik, des „Leerlaufs“ der Sprache der Philosophie) nicht im Versuch eine gewisse Ganzheit aufzudecken (in derem Mittelpunkt eine notwendige Ursache steht) und ihre Ursache zu beseitigen, oder anders gesagt – das Wesen des Problems für seine Lösung aufzudecken, (genauso sieht er das Wesen der Philosophie nicht in der Suche nach Gründen – Ursachen und Erklärung der Phänomene). Auf die Haltlosigkeit der Aussprüche unseres Denkens hinweisend, genauer gesagt, auf illusionäre Vorstellungen von der Universalität des durch Denken gewonnen Wissens, versteht er die Berufung der Philosophie nur als eine phänomenologische Beschreibung der Sprache, die alle Versuche vermeidet, die Wirklichkeit mit den vorhandenen Schemas, Wesen, Ideen, Prinzip und Methode in Einklang zu bringen.

    Die Sprache, im weitesten Sinne verstanden – als Realität der Tätigkeit des Menschen, seines Lebens, seiner Kommunikation und Erkenntnis, ist der einzige Bereich seines Seins (Lebensform). Wenn es unmöglich ist, etwas ausserhalb der Realität der Sprache (d. h. einer beliebigen Form der von den anderen zu verstehenden Tätigkeit) zu wissen und zu verstehen, so ist die beliebige Komplikation der Realität (ihre Teilung in die geistige und materielle Welt, in das Innere und Äussere, in Subjektives und Objektives) nur ein Teil der gleichen Realität des Sprachgebrauchs: „dort, wo unsere Sprache die Existenz des Körpers meint, obwohl er nicht vorhanden ist; dort ist man geneigt, über die Existenz des Geistes zu sprechen“ (Wittgenstein 1994), aber nur zu sprechen.

    Die Teilung (Schaffung) der Welten hat eigentlich Recht, den Ausgang über die Sprachgrenzen hinaus (sie macht das im Rahmen ihres Sprachspiels und seiner Regeln) zu beanspruchen, aber jeder gleiche Ausgang wird immer ein Ausgang nur in eine andere Sprache und ein Sprachspiel sein, denn ausserhalb der Sprache gibt es keine Welt. Die Sprache ist jetzt nicht nur eine verbale Tätigkeit oder ein Zeichensystem, sondern eine beliebige Tätigkeit des Menschen, eine Form, in der sein Leben verläuft und in dieser Form gibt es Platz für beliebige Phänomene der menschlichen Existenz.

    Die Wiedergabe der Sprache in Aktion und Erläuterung ihrer Arbeit hält Wittgenstein für eine wirklich effektive Strategie bei der Lösung der nachhaltigen philosophischen Probleme.

    Das Ziel der echten Philosophie besteht jedoch nicht in der Erklärung (durch „authentische“ und verborgene Ursachen) oder Änderung (der objektiven Realität entsprechend dem „objektiv Echten“), sondern in der Erläuterung des Sinns eines uns im Gebrauch gegebenen Wortes und Heilung des Sprechenden selbst von Illusion, die durch die Verwirklichung der Bedeutungen aus verschiedenen Kontexten, Lebensformen und Sprachspielen entstanden sind. Eben diese Verwirklichung ist die Quelle der Entstellungen im Verständnis, der Probleme und Schwierigkeiten. Die Verwirklichung selbst wird anscheinend aus der unüberlegten Sicherheit geboren, dass das Zeichen eine universelle Bedeutung haben sollte, die in einem beliebigen Sprachspiel richtig sein wird, und nicht nur in jenem, in dem es gewöhnlich gebraucht wird. Eine solche Sicherheit, ihrerseits, ist mit einer gewissen Hypostasierung der Bedeutung oder mit seiner Ontologisierung, Theologisierung verbunden (als ob die Bedeutung objektiv existiere, in einer separaten Welt, unveränderlich), hier tritt auch die Problemhaftigkeit zutage – die Bedeutung und ihren Referenten in Wechselbeziehung zu bringen, hier entsteht eine ernsthafte Frage nach der Möglichkeit des persönlichen – unverkennbar wahren Wissens (und der Sprache) etc.1

    Es geht wahrscheinlich sogar nicht darum, ähnliche Entstellungen (Vermischungen) der Bedeutungen in verschiedenen Sprachspielen oder in den Diskursen (z. B. Vermischung der Bedeutung des Namens und Genannten) zu vermeiden, weil Bestimmtheit und Eindeutigkeit der Bedeutung (seine Nichtentstellung) im Rahmen eines Sprachspiels bedingt ist (und ist ein Teil der Forderungen historisch und sozial bedingter Regeln eines Sprachspiels). Die Zielsetzung – die Vermischung zu vermeiden stellt erneut irgendwelches transzendentale Prinzip, universelles apriori dar, die Grundlage bringt erneut den metaphysischen Fundamentalismus oder ein neues ähnliches Sprachspiel. Hier ist Wittgenstein tief und präzis: ein beliebiges existierendes Sprachspiel hat das Recht zu existieren, samt allen seinen Regeln. Oder noch genauer – es ist seltsam zu behaupten, dass das Bestehende Recht hat, zu existieren, es braucht keine Erlaubnis von irgendeiner Behörde für Verantwortung oder Verpflichtung, keinen Grund für seine Existenz: es existieren Sprachspiele – das ist alles, was wir in unserem Sprachspiel sagen können. „Das, was notwendig existierend zu sein scheint, gehört zur Sprache. In unserem Spiel ist es ein Paradigma: etwas, wodurch ein Vergleich verwirklicht wird. Und diese Festlegung kann man für eien wichtige Konstatierung halten, aber eine zu unserem Sprachspiele gehörende Konstatierung...“ (Wittgenstein 1994). In einem Spiel ist die Vermischung notwendig, in einem anderen aber nicht, aber worin besteht die Besonderheit der Position von Wittgenstein? Er beschreibt doch selbst faktisch die Sprache, präzisiert sie: da ist ein Sprachspiel des metaphysischen Denkens, da ist ein Schachspiel und da ist nichtmetaphysisches Denken.2 Die Besonderheit besteht in der Fähigkeit, die Regeln seines Spiels zu erkennen, wenn sie eben als Regeln präzisiert werden – historisch und kontextuell im regelmässigen Gebrauch herausgebildet.

    Wittgenstein verzichtet nicht im Rahmen des Erfassens des Problems des Wissens auf seine „Objektivität“ (dies betrifft auch die Möglichkeit der Wahrnehmung der Ganzheit des zu erfassenden aufgrund eines Allgemeinen (einer Grundlage), denn sonst wären wir gezwungen, sogar auf die Möglichkeit des Begreifens und der Erkenntnis verzichten). Aber diese „Objektivität“ des Wissens trägt einen besonderen Charakter: sie appelliert nicht an das Anderssein, an tief verborgenes Wesen oder an das, was „noch realer“ ist, die dazu berufen sind, die Glaubwürdigkeit des Wissens zu begründen (denn eine solche Grundlage würde eine neue Grundlage fordern und das bekannte Problem des Grundlagenregresses oder die Metaphysik des grundlagenlosen Über-Wesentlichen – die Theologie) zur Welt bringen, sie wendet sich an niemanden, ausser Wissen – Bedeutung selbst: sie ist ein Ergebnis der Regelmässigkeit des Gebrauchs eines Wortes oder eines Zeichens in einem bestimmten Kontext. Das Zeichen oder das Wort, samt ihrer Bedeutung, können an das Göttliche appellieren, sich auf die Tiefe stützen (oder sie brauchen die Eindeutigkeit der Auslegung und Begründung gar nicht), aber sie selbst schaffen nur durch ihren Gebrauch (als Wort Gott oder Stimme des unbewussten ES), durch ihr Vorhandensein in der Tätigkeit des Menschen eine Regel, Richtigkeit ihres Begreifens und ihre „soziale Objektivität“. Das Konzept „Bedeutung des Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache“ (Wittgenstein 1994) lehnt also die Stabilität der Bedeutung nicht ab. Sie sickert nicht durch die Finger der Relativität, ihre Lage wird immer fester, sie ist das Ergebnis, das vom Wortgebrauch erwartet wird – ein anderes Wort oder als Zeichen auftretendes Verhalten, die eine Beziehung zwischen den Kommunikanten erscheinen lassen, die nicht notwendig, aber erwünscht und erwartet ist.3

    Ohne auf das Denken zu verzichten, das auf die Suche nach den Ursachen und Grundlagen gerichtet ist, entdecken wir, dass eine solche Suche, Intention, Streben und vermutliches Resultat ein Teil des bestimmten Spiels mit seinen Regeln, nicht mehr und nicht weniger ein Teil der Lebensform ist.

    Ob man über die Kritik des metaphysischen Denkens unter dem Gesichtswinkel der oben beschriebenen Ideen der „Philosophischen Untersuchungen“ sprechen darf? Die Antwort ist nein. Die Philosophie, vom Standpunkt des späteren Wittgenstein her, soll die „Frage heilen“, ihre Berufung ist, die Sprache eher zu präzisieren und die Metaphysik zu befragen und sie nicht zu kritisieren oder zu verändern. Es ist etwas anderes, dass das metaphysische Denken selbst ein solches Sprachspiel ist, das die Konzeption der Sprachspiele verneint, wozu ist es dann geeignet? Die Überwindung des metaphysischen Denkens soll nach den Regeln dieses Denkens erfolgen, sonst wird es sich selbst reproduzieren und die Kritik wird gerade diese Reproduktion sein, auf der Zuversicht in der objektiven Richtigkeit irgendeiner Position des Forschers gebaut. Die Überwindung besteht in der Akzeptanz der Metaphysik; im Ausgang über die Grenzen ihrer Regeln – Koordinaten hinweg, die einen Vergleich mit dem Muster – Ideal fordern; in der Präzisierung ihrer Sprache.

    Literatur

    1. Wittgenstein, Ludwig 1994 Philosophische Untersuchungen, St.-Petersburg: Akademisches Projekt.
    2. Kerimow, T. CH. 2007 Unlösbarkeiten, Moskau: Akademisches Projekt.
    Notes
    1.
    Alle in den „Philosophischen Untersuchungen“ zu analysierenden Einzelmomente lassen sich durch ein einheitliches Element nicht verbinden, es fehlt ihnen etwas, was die übrigen bestimmen könnte – in diesen Momenten kann man keine Grenze der Erklärung in einer eindeutigen Klarheit und keine Gegebenheit des Öffentlichen finden. Sie alle sind vielfältig verbunden, ergänzen einander als Stützen, wenn wir eine davon wegnehmen, verlieren wir nichts.
    2.
    Im konkreten Kontext der Geschichte der Philosophie kann man bestimmt ähnliche Vermischungen entdecken: Vermischung des Symbolischen (Logischen) und des Ontologischen – Wortgebrauch als ontologische Argumentation, Vermischung des Theologischen und Onto-logischen – Fundamentalisierung (Behauptung über Begründung und Unerschütterlichkeit) jener Vorstellungen, die kein Fundament besitzen. Vermutlich gewinnen gerade hier Probleme des metaphysischen Philosophierens die Realität, als Probleme vor allem der ganzen Sprache und ihres Gebrauchs.
    3.
    Hier eröffnet die anthropologische und psychologische Dimension der Sprachspiele.
    Paul Antolievich Stolbovskiy. Date: XML TEI markup by WAB (Rune J. Falch, Heinz W. Krüger, Alois Pichler, Deirdre C.P. Smith) 2011-13. Last change 18.12.2013.
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