Wie stark hängen Mikroskopie-Bilder von Theorien ab?
Wie stark hängen Mikroskopie-Bilder von Theorien ab?

Abstract

Mit Hilfe des Mikroskops produzierte Bilder sind eine fundamentale Grundlage der Zellbiologie, da sie den besten direkten Zugang zu ihrem Gegenstandsbereich bilden. Der Umstand, dass Mikroskope eine fundamentale empirische Quelle der Zellbiologie sind, birgt allerdings auch Anlass zu wissenschaftsphilosophischen Bedenken. Einerseits sind sie von technischen Instrumenten abhän-gig, andererseits spielt auch das Vorwissen des Zellbiolo-gen eine Rolle bei der Auswertung von Bildern des Mik-roskops. Es stellt sich daher die Frage, ob Mikroskopie-Bilder so stark von Hintergrundtheorien geprägt sind, dass ein Relativismus kaum zu vermeiden ist oder ob sie in der Lage sind, die Genese und Geltung zellbiologischer Hypo-thesen objektiv zu rechtfertigen.

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    Mit Hilfe des Mikroskops produzierte Bilder sind eine fundamentale Grundlage der Zellbiologie, da sie den besten direkten Zugang zu ihrem Gegenstandsbereich bilden. Der Umstand, dass Mikroskope eine fundamentale empirische Quelle der Zellbiologie sind, birgt allerdings auch Anlass zu wissenschaftsphilosophischen Bedenken. Einerseits sind sie von technischen Instrumenten abhängig, andererseits spielt auch das Vorwissen des Zellbiologen eine Rolle bei der Auswertung von Bildern des Mikroskops. Es stellt sich daher die Frage, ob Mikroskopie-Bilder so stark von Hintergrundtheorien geprägt sind, dass ein Relativismus kaum zu vermeiden ist oder ob sie in der Lage sind, die Genese und Geltung zellbiologischer Hypothesen objektiv zu rechtfertigen.

    1. Wissenschaftsphilosophische Bedenken zu Mikroskopie-Bildern

    Die Abhängigkeit der Zellbiologie von der Mikroskopie birgt einige Schwierigkeiten, die in anderen Wissenschaften nicht häufig in dieser Form auftreten. Erstens muss man sich in der Zellbiologie nicht nur auf seine eigenen Sinne verlassen, sondern auch auf die technischen Hilfsmittel, die unsere Sinne erweitern. Aus diesem Grund fließt das physikalische und technische Wissen, um Mikroskope zu konstruieren und zu bedienen, in die Bewertung von Mikroskopiebildern mit ein. Ihre Geltung hängt somit von einem Komplex aus Hintergrundannahmen und -theorien ab. Zweitens sind die technischen Möglichkeiten von Mikroskopen begrenzt. In der Lichtmikroskopie kann man Auflicht- Hellfeld- und Dunkelfeldmikroskopie möglicherweise als Erweiterung des normalen Sehens mit dem Auge betrachten, doch diese Verfahren spielen in der professionellen Zellforschung heute nur noch eine geringe Rolle. Fortgeschrittene Mikroskopie-Verfahren produzieren dagegen niemals Bilder, die alle Aspekte des zu untersuchenden Objekts widerspiegeln, sondern beschränken sich jeweils auf bestimmte physikalische Eigenschaften des Objektes. Phasenkontrast-Mikroskopie und Differentielle-Interferenz-Kontrast-Mikroskopie nutzen die Eigenschaft der Phasenverzögerung des Lichtes beim Durchdringen des Objektes, Polarisations-Mikroskopie die Doppelbrechung des Lichts, Interferenzmikroskopie die Interferenzerscheinungen an dünnen Schichten und Fluoreszenzmikroskopie das Selbstleuchten des Objekts oder das Leuchten von speziellen Farbstoffen. In der Elektronenmikroskopie werden meist nur sehr dünne Schnitte von Zellen untersucht, die dehydriert und fixiert werden müssen. Dadurch kann es zu starken Deformationen des Objekts kommen und Untersuchungen über dynamische Prozesse in Zellen sind damit nicht möglich.

    Neben der technischen Abhängigkeit spielt das Problem der Theoriebeladenheit der Beobachtung bei der Auswertung von Mikroskopie-Bildern eine besondere Rolle. Norwood Hanson beschreibt in seinem einflussreichen Buch Pattern of Discovery den Fall zweier Mikrobiologen, die bei der Betrachtung desselben Mikroskopie-Bildes unterschiedliche Dinge sehen: Der erste Biologe sieht ein biologisches Artefakt, dass durch inadäquate Färbung des Präparates entstanden ist, der zweite Biologe sieht die Zellorganelle des Golgi-Apparats. Obwohl beide Biologen ohne Zweifel dasselbe Objekt auf demselben Bild sehen, bezweifelt Hanson, dass sie es lediglich anders interpretieren. Sehen und Interpretieren sind unterschiedliche kognitive Aktivitäten, denn Interpretieren erfordert eine aktive Denkleistung, Sehen jedoch nicht (Hanson 1958, 11). Hier greift Hanson auf Wittgenstein zurück, der bereits am Anfang seiner Bemerkungen über die Philosophie der Psychologie darauf hingewiesen hat, dass das Deuten eines Bildes eine Handlung ist, Sehen dagegen ein Zustand (Wittgenstein 1984a, §1).

    Im obigen Beispiel sehen die beiden Biologen nicht erst dasselbe Objekt und interpretieren es anschließend verschieden, sondern nehmen es von vorne herein als etwas anderes wahr. Hanson weist hier auf den von Wittgenstein geprägten Unterschied zwischen Sehen und Sehen-als hin: Während beide Biologen dieselben visuellen Eindrücke vom Mikroskopie-Bild haben, sehen sie es als etwas Verschiedenes. Der eine Biologe sieht es als Artefakt, der zweite sieht es als Zellorganelle, ein Nicht-Biologe ist dagegen überhaupt nicht in der Lage, etwas Bestimmtes zu sehen. Das visuelle Erlebnis allein ist daher nicht genug, sondern erst durch theoretisches Wissen ist ein Laie in der Lage, dieselben Dinge zu sehen wie der Biologe. Hanson macht dies am Beispiel eines Kippbildes deutlich, welches man sowohl als Ente als auch als Antilope wahrnehmen kann. Solange man nicht über den Begriff einer Antilope verfügt, wird man auf diesem Bild stets eine Ente wahrnehmen, erst durch den Begriff und hinreichend Vorwissen über Antilopen wird ein Gestaltwandel möglich. Ebenso kann man ohne biologisches Vorwissen auf einem Mikroskopie-Bild niemals eine bestimmte Organelle erkennen. Hanson zufolge ist theoretisches Wissen aus diesem Grunde ein essentieller Bestandteil des Sehens: “ Seeing is, as I should almost like to say, an amalgam of the two – pictures and language. At the least, the concept of seeing embraces the concepts of visual sensation and knowledge” (Hanson 1958, 25).

    Vor diesem Hintergrund wird es verständlich, was Thomas Kuhn meint, wenn er davon spricht, „daß bei einem Paradigmenwechsel die Welt sich ebenfalls verändert“ (Kuhn 1976, 123). Ein Paradigmenwechsel hat Kuhn zufolge die Form eines visuellen Gestaltwandels, bei dem die Wissenschaftler neue und andere Dinge mit denselben Messinstrumenten sehen, die sie vorher bereits zur Verfügung hatten. Durch das Paradigma wird die Wahrnehmung des Wissenschaftlers gebildet, erst mit dem theoretischen Wissen kann er Zellorganellen als Zellorganellen sehen. Sein theoretisches Wissen bestimmt, ob er einen kaum von seinem Hintergrund unterscheidbaren Fleck als wichtige Zellorganelle oder als Rauschen und Bildstörung des Mikroskops wahrnimmt. Bei einem Paradigmenwechsel kann es zu einem visuellen Gestaltwandel kommen, so dass er diesen Fleck als etwas ganz anderes wahrnimmt. Dies ist keine einfache Neuinterpretation, da er diesen Fleck vorher meist gar nicht bewusst wahrgenommen hat und im alten Paradigma gar keine stabilen Daten zu diesem Fleck erhoben wurden.

    Für Pierre Duhem sind unmittelbare Beobachtungen bei wissenschaftlichen Experimenten sogar noch tiefer durch wissenschaftliche Theorien geprägt, da erst die Theorie das Verständnis der Beobachtungen ermöglicht. Ein wissenschaftliches Experiment ist nur im Kontext einer theoretischen Interpretation sinnvoll, „diese Interpretation ersetzt das konkret Gegebene, mit Hilfe der Beobachtung wirklich Erhaltene durch abstrakte und symbolische Darstellungen“ (Duhem 1998, 192). Beispielsweise nimmt der Experimentator in einem Labor nicht in erster Linie die Abweichung einer Nadel an einem Messgerät wahr, sondern vielmehr das Fließen eines Stromes. Unmittelbare Beobachtungen, zu denen auch Bilder des Mikroskops gehören, werden durch symbolische Darstellungen einer wissenschaftlichen Theorie ersetzt. Man kann daher nicht „die Theorie, die man prüfen will, vor der Türe des Laboratoriums lassen, denn ohne sie ist es unmöglich nur ein einziges Instrument zu justieren, eine einzige Ablesung zu interpretieren“ (ebd., 242).

    Mikroskopie-Bilder sind von technischen Instrumenten, deren Leistungen, Grenzen und Hintergrundtheorien abhängig und die Auswertung von Mikroskopie-Bildern ist an wissenschaftliches Vorwissen gebunden. Deshalb stellt sich die Frage, inwiefern Mikroskopie-Bilder eine hinreichende Grundlage für die Rechtfertigung zellbiologischer Hypothesen bilden können.

    2. Können Mikroskopie-Bilder aus ihrer Abhängigkeit befreit werden?

    Sowohl die Abhängigkeit der Mikroskopie-Bilder von technischen Instrumenten und Hintergrundtheorien als auch die Abhängigkeit von wissenschaftlichem Vorwissen führen dazu, dass mikroskopische Bilder theorieverseucht sind. Zellbiologen stehen daher vor dem Problem, dass ihre theorieverseuchten Beobachtungen ihre wissenschaftlichen Hypothesen rechtfertigen sollen, ohne diese Abhängigkeiten zu übernehmen. Ist dies überhaupt möglich?

    Um dieses Ziel erreichen zu können, besteht ein wesentlicher Schritt in der Leugnung der bloßen Unterscheidung von Beobachtung und Theorie. James Bogen und James Woodward (1988) haben darauf hingewiesen, dass Wissenschaftler keineswegs konkrete beobachtbare Daten voraussagen oder erklären, sondern unbeobachtbare Phänomene. Anstelle des Beobachtungsbegriffs tritt somit das Duo von Daten und Phänomenen:

    Phenomena […] are relatively stable and general features of the world which are potential objects of explanation and prediction by general theory. […] Data, by contrast, play the role of evidence for claims about phenomena. (Woodward 1989, 393f.).

    Ein konkreter Datensatz ist beispielsweise eine Serie von Bildern, produziert von einem speziellen Fluoreszenzmikroskop in einem bestimmten Labor, der 40 Gigabyte groß ist und auf einer konkreten Festplatte gespeichert ist. Dieser Datensatz bildet die Evidenz für das allgemeine Phänomen, dass sich ein bestimmter Einzeller bei bestimmten Umgebungsbedingungen alle zwölf Stunden teilt. Eine zweite Messung mit geringfügigen Änderungen, beispielsweise mit einem anderen Präparat, einem anderen Objektiv oder einer anderen Software würde zwar vom ersten Experiment genuin verschiedene Daten produzieren, aber dennoch dieselbe Evidenz für das Phänomen geben. Ebenso führt die nachträgliche Manipulation der Bilder mit dem Computer zu einer Modifikation der Daten, doch das Phänomen, welches aufgrund dieser Daten beschrieben wird, bleibt davon gänzlich unberührt. Eine zellbiologische Hypothese erklärt deshalb nicht die Entstehung und Struktur von spezifischen Mikroskopie-Bildern, sondern ein allgemeines zellbiologisches Phänomen, beispielsweise die Zellteilung eines Organismus.

    Bogen und Woodward weisen darauf hin, dass Hanson und Kuhn den wichtigen Unterschied zwischen Daten und Phänomenen übersehen und ihre Thesen über die Theoriegeladenheit der Beobachtung durch diese Unterscheidung deutlich an Tragweite verliert. Denn theoriegeladenes Sehen spielt sich auf der Ebene der Daten ab, während wissenschaftliche Hypothesen durch Phänomene generiert und gerechtfertigt werden und diese erklären und voraussagen. Ihre Unterscheidung zwischen Daten und Phänomenen lässt sich auch auf Mikroskopie-Bilder anwenden. Damit zwei Biologen darüber streiten können, ob der Golgi-Apparat eine reale Entität oder nur ein Produkt der Messprozesse ist, muss der Golgi-Apparat bereits als stabiles und reproduzierbares Phänomen in Erscheinung getreten sein. Dafür muss es einen hinreichend großen und variablen Datensatz von Mikroskopie-Bildern geben, der als Evidenz für dieses Phänomen gilt. Zwar hat Hanson insofern recht, als dass man den Begriff des Golgi-Apparats sowie weiteres Vorwissen benötigt, um ein stabiles Phänomen aus den Datenstrom der Mikroskopiebilder extrahieren zu können. Dennoch spielte dies in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts keine große Rolle in der Frage, ob der Golgi-Apparat ein Artefakt oder eine reale Zellorganelle ist. Entscheidend war vielmehr die Tatsache, dass das Phänomen des Golgi-Apparats nur bei mit Osmium oder Silber präparierten Zellen auftrat (siehe hierzu Bechtel 2006, 84-88). Kritiker und Befürworter des Golgi-Apparates hatten somit nicht nur dieselben Daten in Form von Mikroskopie-Bildern, sondern sogar dieselben stabilen Phänomene zur Verfügung und diskutierten lediglich darüber, ob diese Phänomene die Existenz des Golgi-Apparates in vivo hinreichend rechtfertigen können.

    Dennoch benötigt man konzeptuelles Vorwissen, um auf einem Mikroskopie-Bild eine bestimmte Zellorganelle erkennen zu können. Sind symbolische Darstellungen daher für die Verwendung von Mikroskopen notwendig, setzt das Mikroskopieren stets eine Theorie voraus? Michael Heidelberger bestreitet Duhems These, dass in einem Experiment immer eine durch theoretische Interpretation gewonnene Behauptung überprüft wird, indem er ihm vorwirft, nicht sorgfältig genug zwischen verschiedenen Arten von wissenschaftlichen Instrumenten zu unterscheiden. Heidelberger unterscheidet drei Arten wissenschaftlicher Instrumente: Produktive Instrument wie Vakuumpumpen, Teilchenbeschleuniger und Mikroskope erweitern die Wirklichkeit des Menschen, indem sie Phänomene erzeugen, die sonst nicht zur menschlichen Erfahrung gehören. Repräsentierende Instrumente wie Uhren, Waagen und Thermometer stellen die Abhängigkeit eines Phänomens von anderen Phänomenen am Instrument selbst symbolisch dar. Konstruierende Instrumente wie die Leidener Flasche sollen die Phänomene so beeinflussen und bearbeiten, dass sie beherrschbar werden (Heidelberger 1998, 81-83).

    Heidelberger zufolge ist Duhems Analyse des wissenschaftlichen Experiments keineswegs inkorrekt, beschränkt sich jedoch einseitig auf repräsentierende Instrumente. Produktive Instrumente, zu denen auch das Mikroskop gehört, ebenso wie konstruierende Instrumente setzen jedoch keine theoretischen Interpretationen voraus, sondern sind selbständig gegenüber der Theorie. „Produktive und konstruktive Experimente werden gerade deshalb durchgeführt, um erst die Bedingungen kennenzulernen, in denen sich das Phänomen verlässlich darstellen lässt. Durch das Experimentieren sollen die Bedingungen aufgefunden werden, die die von Duhem geforderte Entwicklung hin zu einer Theorie mit symbolischen und abstrakten Begriffen erst ermöglichen“ (Heidelberger 1998, 87).

    Darüber hinaus ist nicht jedes Experiment eine Überprüfung von theoretischen Hypothesen, bei der die zu überprüfende Theorie und spezifische Begrifflichkeiten bekannt sein müssen. Wenn in einem zellbiologischen Teilgebiet zentrale Kategorien und Konzepte entweder noch nicht vorhanden oder revisionsbedürftig sind, wenden Mikroskopiker häufig eine Methode an, die Friedrich Steinle (2002) als exploratives Experimentieren bezeichnet hat. Bei explorativen Experimenten werden experimentelle Parameter systematisch variiert, um Korrelationen und empirische Regularitäten zu entdecken. Diese Entdeckungen können oft nur durch Revision oder Neuformulierung von Konzepten und Kategorien formuliert werden. Bei explorativen Experimenten sind wissenschaftliche Konzepte daher nicht Vorbedingung, sondern Ziel der Untersuchung.

    Hinzu kommt, dass Mikroskopieren kein Lehrbuchwissen voraussetzt, sondern eine Technik ist. Wenn der Biologie-Student das Labor betritt, lernt er nicht in erster Linie biologische Theorien (Wissen-dass, knowledge), sondern praktische Fähigkeiten (Wissen-wie, know-how). Michael Polanyi (1985) bezeichnet diese Form von Wissen als implizites Wissen, welches man nicht mit Worten ausdrücken kann. Zum Wissen, das man nicht sagen kann, zählt für Wittgenstein beispielsweise das Wissen, wie eine Klarinette klingt (Wittgenstein 1984b, § 78). Ebenso besitzt der Mikroskopiker umfassendes implizites Wissen, welches nicht in Worte zu fassen ist. Aus diesem Grund beeinflussen konzeptionelle Revisionen oder neuartige biologische Hypothesen nicht die Arbeiten des Mikroskopikers im Labor.

    Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Mikroskopie-Bilder hinreichend unabhängig von biologischen Theorien und konzeptionellem Vorwissen sind, um biologische Hypothesen objektiv rechtfertigen zu können. Hiermit ist allerdings noch nicht ihre Unabhängigkeit von technischen Instrumenten erwiesen. Doch obwohl Mikroskopie-Bilder stets von konkreten Mikroskopen produziert werden, kann man sie in gewisser Form unabhängig von deren spezifischen Voraussetzungen machen. Entscheidend ist hierbei das Konzept der Robustheit, das durch William Wimsatt (1981) geprägt wurde und eng mit dem Konzept der multiplen Determiniertheit zusammen. Etwas ist multipel determiniert, wenn es auf verschiedene unabhängige Weisen hergeleitet, identifiziert oder gemessen werden kann. Dadurch ist eine Annahme über die Existenz einer Entität, ein Gesetz oder ein Prozess nicht von bestimmten Hintergrundtheorien abhängig. Selbst wenn sich herausstellt, dass in einem Experiment oder einer Herleitung ein Fehler aufgetreten ist, kann das Ergebnis beibehalten werden, da es weitere Experimente und Herleitungen gibt, die von diesem Fehler nicht beeinflusst werden.

    Ian Hacking demonstriert diese Methode am Beispiel von roten Blutkörperchen, die man sowohl mit einem schwachen Elektronenmikroskop als auch mit einem starken Lichtmikroskop sehen kann. Hacking zufolge wäre es „ein grotesker Zufall, wenn zwei völlig verschiedene physikalische Vorgänge immer wieder identische visuelle Konfigurationen hervorbrächten, die jedoch keine wirklichen Strukturen der Zelle sind, sondern künstliche Nebenwirkungen jener physikalischen Vorgänge“ (Hacking 1996, S. 334). Es wurde bereits erwähnt, dass auch die verschiedenen Lichtmikroskopietechniken ganz unterschiedliche physikalische Aspekte des zu untersuchenden Objekts nutzen, um Bilder zu generieren. Da es kaum Zufall sein kann, dass unterschiedliche Methoden dieselben Phänomene produzieren, müssen die technischen Instrumente zuverlässig sein, mit denen die Bilder produziert wurden. Hierdurch wird eine gewisse Unabhängigkeit von Mikroskopie-Bildern gegenüber spezifischen Mikroskopen gewährleistet und einer objektiven Rechtfertigung von biologischen Hypothesen durch Mikroskopie-Bilder steht nichts mehr im Weg.

    Danksagung

    Ich danke Dieter G. Weiss für hilfreiche Diskussionen und Anmerkungen. Diese Arbeit wurde aus Mitteln der Landesexzellenzinitiative ExZell (Ur 08 054) des Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur Mecklenburg Vorpommerns gefördert.

    Literatur

    1. Bechtel, William 2006 Discovering cell mechanisms: The creation of modern cell biology. Cambridge: Cambridge University Press.
    2. Bogen, James und Woodward, James 1988 “Saving the Phenomena”, in: Philosophical Review 97, 303-352.
    3. Duhem, Pierre 1998 Ziel und Struktur der physikalischen Theorien. Hamburg: Meiner.
    4. Hanson, Norwood R. 1958 Patterns of Discovery. Cambridge: Cambridge University Press.
    5. Hacking, Ian 1996 Einführung in die Philosophie der Naturwissenschaften. Stuttgart: Reclam.
    6. Heidelberger, Michael 1998 ”Die Erweiterung der Wirklichkeit im Experiment“, in: Experimental Essays – Versuche zum Experiment, hrsg. von Michael Heidelberger und Friedrich Steinle, Baden-Baden: Nomos, 71-92.
    7. Kuhn, Thomas S. 1976 Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. Zweite revidierte Auflage, Frankfurt am Main: Suhrkamp.
    8. Polanyi, Michael 1985 Implizites Wissen. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
    9. Steinle, Friedrich 2002 “Experiments in History and Philosophy of Science”, in: Perspectives on Science 10: 408-432.
    10. Wimsatt, William C. 1981 “Robustness, reliability, and overdetermination.”, in: Brewer, M.B. und Collins, B.E. (eds.) Scientific Inquiry and the Social Sciences. San Francisco: Jossey Bass, 124-163.
    11. Wittgenstein, Ludwig 1984a Bemerkungen über die Philosophie der Psychologie. In: Werkausgabe Bd. 7, Frankfurt am Main: Suhrkamp.
    12. ––– 1984b Philosophische Untersuchungen. In: Werkausgabe Bd. 1, Frankfurt am Main: Suhrkamp.
    13. Woodward, James 1989 “Data and Phenomena“, in: Synthese 79, 393-472.
    Tobias Breidenmoser. Date: XML TEI markup by WAB (Rune J. Falch, Heinz W. Krüger, Alois Pichler, Deirdre C.P. Smith) 2011-13. Last change 18.12.2013.
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