Methodologische Aspekte des Bildgebrauchs bei Wittgenstein
Methodologische Aspekte des Bildgebrauchs bei Wittgenstein

Abstract

Unter der Voraussetzung, dass das Bild bei Wittgenstein funktional definiert ist, widmet sich dieser Beitrag der Frage, inwiefern der von Wittgenstein thematisierte und stellenweise auch vorgezeigte Gebrauch von Bildern operationalisiert, d.h. als Abfolge von Handlungsschritten beschrieben werden kann. Es soll gezeigt werden, warum sich der Bildgebrauch einer Etablierung als Methode weitestgehend entzieht und welche Konsequenzen dies für ein Verständnis vom Bild als Erkenntniswerkzeug hat.

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    Unter der Voraussetzung, dass das Bild bei Wittgenstein funktional definiert ist, widmet sich dieser Beitrag der Frage, inwiefern der von Wittgenstein thematisierte und stellenweise auch vorgezeigte Gebrauch von Bildern operationalisiert, d.h. als Abfolge von Handlungsschritten beschrieben werden kann. Es soll gezeigt werden, warum sich der Bildgebrauch einer Etablierung als Methode weitestgehend entzieht und welche Konsequenzen dies für ein Verständnis vom Bild als Erkenntniswerkzeug hat.

    1. Ausgangspunkte

    Entgegen den viel diskutierten konzeptuellen Disparitäten im Werk Wittgensteins steht der Ausdruck ‚Bild’ mit großer Zuverlässigkeit für (abstrakte oder gegenständliche) Artefakte, deren Eigentümlichkeit es ist, Weltsegmente zu sein, die anderen Weltsegmenten im Ganzen oder zu Teilen als Stellvertreter zugeordnet sind bzw. unter bestimmten Bedingungen zugeordnet werden können. Das Bild ist demnach wesentlich durch seinen Gebrauch als Modell bestimmt, welcher es je nach Kontext genauer profiliert. Es gilt: „If a fact is to be a picture we must use it to picturing something“ (Lindskog 2007, 34).

    Wenn das Bild dementsprechend durch seinen Gebrauch definiert ist und man annehmen kann, dass sich der erfolgreiche Bildgebrauch in erprobtem Rezeptwissen niederschlägt, dann liegt die Frage nahe, ob der Einsatz von Bildern bei Wittgenstein einer (bewährten) Methode folgt bzw. inwieweit Bilder überhaupt einer regelorientierten Nutzung zugänglich sind. Auf Grundlage der Wittgensteinschen Textvorlagen ist dies gar nicht leicht zu beantworten, da keine methodischen Vorgaben gemacht werden, deren Umsetzung beispielhaft problematisiert werden könnte. Allerdings werden Bedingungen genannt, unter denen von einem falschen Bildgebrauch gesprochen werden kann. Im Folgenden soll gezeigt werden, warum sich der Bildgebrauch dennoch einer (nachträglichen) Operationalisierung weitestgehend entzieht.

    2. Regeln des Sprachgebrauchs

    Bevor eine sinnvolle Besprechung des Bildgebrauchs stattfinden kann, sind zunächst die Richtlinien des Sprachgebrauchs zu klären, um dasjenige identifizieren zu können, was als Bild angesprochen wird. Da Wittgenstein keine expliziten Einführungen in das eigene terminologische Instrumentarium voranstellt, bietet es sich an, die charakteristischen Attribute des Bildes aus den Verwendungskontexten des Ausdrucks zu abstrahieren.

    Der Grund, weshalb Wittgenstein auf entsprechende Einführungen verzichtet, ist seinerseits ein methodologischer, er liegt sowohl in der Natur der Begriffe als auch in den Möglichkeiten des Definierens als spezieller „Technik des Wortgebrauchs“ (VPP, 200). Genauer lassen sich also zwei Gründe finden, welche die Verwahrung Wittgensteins gegen das Voranstellen von Definitionen erklären können:

    Zunächst erhält ein Ausdruck immer nur in konkreten Gebrauchskontexten eine Bedeutung. Ihn zu definieren heißt, Beschreibungen seiner Kontexte als Modelle seines Gebrauchs in Geltung zu setzen (VPP, 207). Da der dynamische Sprachgebrauch aber nicht dieselbe Beständigkeit hat wie die ihn beschreibenden Modelle, kann er immer wieder ihre Revision erforderlich machen. Insofern die Impulse für Definitionen dementsprechend von der Sprachpraxis ausgehen, scheint ihre vorschnelle Restringierung für Wittgenstein nicht in Frage zu kommen. Definitionen, so könnte man die Argumentation fortschreiben, sind das Ziel philosophisch motivierter Beschreibungen des Sprachgebrauchs, haben aber selbst keine präskriptive Funktion für den Gang der Überlegungen.

    Ein zweites Argument gegen die explizite Grundlegung einer Terminologie ist darin gegeben, dass sich das Definieren nicht in der bloßen Aneinanderreihung alternativer sprachlicher Ausdrücke erschöpft (VPP, 201). So kann die Vereindeutigung einer Wortbedeutung z.B. auch durch Gesten geleistet werden. Dass es trotz der engen Anbindung der Bedeutung an den unmittelbaren Kontext ihrer Generierung dennoch möglich ist, sich vermittels und auch über begriffliche Modelle (Bilder des Sprachgebrauchs) zu verständigen, setzt voraus, dass es einen gemeinsamen Grundstock an Sprachregeln bzw. Ausdrucksmöglichkeiten gibt (VPP, 211).

    Bleibt für den Zweck der hiesigen Begriffsklärung zu fragen, ob ausgerechnet im Falle des Bildes nach einer Definition gesucht werden kann. Immerhin könnte „Definierbarkeit“ selbst ein Konzept sein, dessen Gebrauch gewissen Beschränkungen unterliegt. Diesem Einwand kann mit Wittgenstein jedoch entgegengehalten werden, dass jeder Begriff einer Definition und damit auch der Analyse seines Gebrauchs zugänglich ist: „Die Behauptung, das Denken sei undefinierbar, geht nicht an. Warum? Weil kein Begriff undefinierbar ist. Wir müssen uns fragen: In welchem Zusammenhang steht er? Es kann sein, daß er in einem System definierbar ist, in einem anderen dagegen nicht. Womöglich kennen wir eine Definition, die uns aber keineswegs nützlich ist“ (VPP, 200).

    Speziell im Falle des Bildes lässt sich nun allerdings kaum von einer Bandbreite an beschreibbaren Gebrauchssystemen sprechen, in die der Ausdruck verschiedentlich integriert wäre. Zumindest ist keine terminologische Konkurrenz in Sicht, vielmehr lassen die verschiedenen Verwendungen des Bildausdrucks eine Familienähnlichkeit unter den Bildern vermuten. So wird das Bild bereits im Tractatus durch seine Funktion eingeführt, die auf weitere substantielle und akzidentielle Attribute des Bildes schließen lässt: Demnach handelt es sich bei dem Bild um ein Artefakt, das dem Modellieren von Weltsegmenten dient und selbst ein solches Segment ist („Wir machen uns Bilder der Tatsachen“ [TLP, 2.1]); „Das Bild ist ein Modell der Wirklichkeit.“ [TLP, 2.21]). Nachdem damit der Modellcharakter (Stellvertretung von Sachlagen, die mit dem Stellvertretenden nicht identisch sind) des Bildes an den Anfang seiner (indirekten) Charakterisierung gestellt ist, wird als nächstes die Zusammengesetztheit des Bildes aus einzelnen bedeutungstragenden Elementen genannt („Den Gegenständen entsprechen im Bilde die Elemente des Bildes“ [TLP, 2.13]). Aus der Zusammengesetztheit ergibt sich wiederum die mehrfache Referentialität des Bildes, insofern sich seine Elemente jeweils aufeinander sowie als Aggregat zu einer bestehenden Sachlage beziehen können. Die Art der Bezugnahme wird für den Fall der möglichen Strukturidentität als „Abbildung“ spezifiziert (TLP, 2.15 ff.). Während sich aus der Möglichkeit der Strukturidentität die Strukturiertheit des Bildes als substantielles Merkmal ableiten lässt, handelt es sich etwa bei der Räumlichkeit nur um ein akzidentielles Merkmal, auch wenn das Hantieren mit Bildern im „logischen Raum“ die räumliche Ausgedehntheit des Bildes zu implizieren scheint („Jedes Bild ist auch ein logisches. [Dagegen ist z.B. nicht jedes Bild ein räumliches“ [TLP, 2.182]). Der vermeintliche Widerspruch kann aufgelöst werden, sofern der „logische Raum“ für einen definierten Bereich von Entitäten und ihren Bezugsmöglichkeiten steht. Kommen dem Bild die Attribute des so verstandenen Raums zu, handelt es sich bei ihm ebenfalls um eine abstrakte Entität.

    Das Bildmerkmal, dem in der Literatur von den oben aufgeführten am meisten Beachtung geschenkt wird, ist bezeichnenderweise die Modellfunktion (Genova 1995; Ricketts 1996). Die übrigen Merkmale des Bildes (die Artifizialität, Zusammengesetztheit, Referentialität, Wahrheitsfähigkeit, logische Strukturiertheit und Abstraktheit) lassen sich aus dieser Funktion ableiten. Weil das Bild entgegen unseren alltagssprachlichen Gewohnheiten damit nicht gegenständlich, sondern eben rein funktional definiert ist, lassen sich in der Literatur verschiedene Analogisierungsversuche finden, die eben diese Eigentümlichkeit des Wittgensteinschen Bildbegriffs hervorheben wollen. Schwierigkeiten ergeben sich dabei, wenn ganze Systeme aufeinander übertragen werden, so etwa wenn der Bildbegriff mit den Kantischen Schemata analogisiert wird: „Instead of schemata, Wittgenstein speaks of pictures. Pictures are Wittgenstein‘s version of non–empirical intuitions“ (Genova 1995, 97). Diese Übertragung ließe sich rechtfertigen, käme dem Bild ein transzendentaler Status sowie die Form einer Regel zu, es müsste das Verfertigen von konkreten Bildern (für die dann eine Bezeichnung fehlen würde) allererst ermöglichen; eine wenigstens für den Tractatus schlechthin unzutreffende Lesart.

    An diesem Beispiel lässt sich aber dennoch ein Punkt machen: Begriffe werden zwar durch ihren Gebrauch definiert, die verschiedenen Gebräuche stehen jedoch in einem nicht–bildlichen Verhältnis zueinander. Dies ist wohl auch gemeint, wenn Wittgenstein darauf hinweist, dass sich Begriffe nur im Rahmen von Systemen definieren (d.h. ihrem dortigen Gebrauch gemäß beschreiben) lassen (VPP, 200), dass sie also in systematischen Zusammenhängen stehen, die hinreichend identisch sein müssen, damit die sie mitkonstituierenden Begriffe identisch sein können.

    Um den systematischen Zusammenhang im vorliegenden Fall weitestgehend zu bewahren, soll für die Besprechung des Bildgebrauchs daher (nur) das als Bild berücksichtigt werden, was in seinem Gebrauch als Modell einschlägig spezifiziert ist.

    3. Regeln des Bildgebrauchs

    Stellt man sich das Modellieren von Bildern als schematischen Vorgang vor, stößt man auf Ungereimtheiten der Wittgensteinschen Bildtheorie. Zunächst leistet der Tagebucheintrag vom 9.5.1915 („Der Satz ist das Bild der Tatsache“; Tageb., 9.5.15) der gängigen Interpretation Vorschub, es handele sich bei Bildern um Satzgefüge, die der Möglichkeit nach einen Sachverhalt abbilden. Unter dieser Voraussetzung besteht das Verfahren der Bilderstellung in der Bildung von Sätzen sowie in Akten der Zuordnung der Satzelemente zu den Sachen: „Dadurch, daß ich den Bestandteilen des Bildes Gegenstände zuordne, dadurch stellt es nun einen Sachverhalt dar und stimmt entweder oder stimmt nicht“ (Tageb., 26.11.14). Die implizite Chronologie dieser Aussage ist bei näherer Hinsicht jedoch problematisch, scheint es doch, als ob das Bild schon vorhanden ist und dann erst stückchenweise einer Sachlage zugeordnet wird. Dies würde allerdings der These entgegenstehen, dass der Akt der Zuordnung – d.h. der Gebrauch von etwas als Bild – ein Satzgefüge oder einen anderen Gegenstand erst zum Bild macht.

    Die hier aufscheinende Widersprüchlichkeit gründet offenbar auf einer erkenntnistheoretischen Verlegenheit, die aus dem prinzipiell modell– bzw. stellvertretervermittelten Weltzugang resultiert: „Die Gegenstände kann ich nur nennen, Zeichen vertreten sie. Ich kann nur von ihnen sprechen, sie aussprechen kann ich nicht“ (TLP, 3.221). Wir stellen uns Sachverhalte demnach immer vermittels Bildern vor; der Bildgebrauch ist genauso unvermittelt wie unhintergehbar. Außerdem müssen die Adressaten der Zuordnung bzw. Stellvertretung selbst wenigstens bildhafter Natur sein, um Abbildungsverhältnisse aufgrund von Strukturidentität ermöglichen zu können („Das Bild hat mit dem Abgebildeten die logische Form der Abbildung gemein“ [TLP, 2.2]). Wenn die Wirklichkeit aber demnach schon bildhaft gegeben ist, dann lässt sich erstens fragen, zu welchem Zweck sie einer bildlich Replikation bedarf, wenn damit offenbar lediglich die Transformation eines Modells in ein anderes vorgenommen wird. Zweitens ist fraglich, inwiefern der Vorgang der Replikation bzw. der Gebrauch der Replikate fehl gehen kann. Die erste Frage würde Wittgenstein als nicht in den philosophischen Zuständigkeitsbereich gehörig zurückweisen, insofern es im Interesse der Philosophie auf richtige Beschreibungen von Symbolgebräuchen ankommt und nicht auf deren Rückführung auf Ur–Motive (BlB, 39). Auf die zweite Frage geht Wittgenstein allerdings explizit ein: Kann man ein Bild falsch gebrauchen?

    Während Bildern im Tractatus Wahrheitswerte direkt zugeschrieben werden, findet sich in den Vorlesungen über die Philosophie der Psychologie eine andere Reglementierung: „Wenn von einem ,Bild‘ die Rede sein soll, kann ich sagen, daß sie den Gebrauch des Bilds falsch beschreiben. Schließlich ist das Bild ein Symbol mit einem Gebrauch. [...] Es nutzt nichts zu behaupten, [ein Bild] stehe für ein anderes Ding. Es ist ein Bild anderer Art. Besser gesagt: Das Bild wird bei einer anderen Technik verwendet“ (VPP, 25f.). Ein Bild ist demnach nicht falsch, sondern seine Funktionalisierung kann verunglücken, und dies offenbar in dreierlei Hinsicht: (1) Wenn Modell und Wirklichkeitsgegenstück einander in nicht passender Weise zugeordnet werden. (2) Wenn die Zuordnung falsch thematisiert wird (Warum–Frage) oder (3) wenn der Bildgebrauch inadäquat beschrieben wird. Fehlerindikator für (1) ist die nicht gegebene Strukturidentität, für (2) liegt der Fehler in der Suche nach Ursachen für die modellierten Sachlagen.

    Am schwierigsten ist es, Fehlerkriterien für (3) zu bestimmen. Wie kann die Beschreibung eines Bildgebrauchs misslingen? Wenn Beschreibung und Bildgebrauch eine strukturelle Übereinstimmung vermissen lassen? Schwerlich lässt sich für die Beschreibung ein derartiges Kriterium vorstellen, da für eine Beschreibung offenbar kein allgemeines Schema des Gelingens angegeben werden kann. Es müsste sich dabei ja selbst um eine höherstufige Beschreibung des beschreibenden Sprachgebrauchs handeln, deren Gelingen wiederum zu hinterfragen wäre. Beschreibungen haben sich folglich (erst) im Gebrauch zu bewähren und entziehen sich insofern ihrer Operationalisierung.

    Bleibt zu fragen, nach welchen Richtlinien sich Wittgenstein selbst der Bildwerkzeuge bedient, nachdem es bislang vorwiegend um theoretische Aspekte des Bildgebrauchs ging. Drei Beispiele sollen hier für eine genauere Betrachtung herangezogen werden. Mit ihnen lässt sich die Vermutung stützen, dass sich der Bildgebrauch einer Etablierung als Methode weitestgehend entzieht.

    Da der Gebrauch von Symbolen im Zentrum des theoretischen Interesses Wittgensteins steht, liegt die Funktionalisierung von nicht–abstrakten, figürlichen Bildern als Analyseobjekte nahe. So wird bspw. die Skizze zweier Fechter (Tageb., 29.9.14) als Grundlage für die Erörterung der Frage verwendet, ob Bilder richtig oder falsch sein können:

    Das Bild wird an dieser Stelle primär nicht als Modell von etwas Bestimmtem behandelt, sondern als Exemplifikation eines Symbolgebrauchs, um dessen Kapazitäten es geht. Interessant ist, dass das Bild in Anführungsstriche gesetzt ist, und damit in die Nähe sprachlicher Ausdrucksformen gerückt bzw. mit diesen kombiniert wird. Bei dieser Sonderbehandlung, die offensichtlich nicht jedem non–verbalen Einsprengsel in den Tagebüchern zuteil wird, handelt es sich um die Kennzeichnung einer Meta–Referenz; es geht demnach nicht um das Dargestellte, sondern um die Darstellung selbst. Die Kennzeichnung dieser Fokussierung wird allerdings nicht figürlich geleistet, sondern in Rückgriff auf schriftsprachliche Verfahren.

    Eine weitere Variante des Bildgebrauchs besteht darin, die Behauptungen im Begleitkontext zu belegen. In den Vorlesungen und Gesprächen über Ästhetik, Psychologie und Religion finden sich beispielsweise drei skizzierte Gesichter, die das im Kontext behauptete Faktum als richtig ausweisen sollen, man könne Mimik, Gestik und Emotionen bildlich exakter ausdrücken als sprachlich (VuG 4,10).

    Die dem Text beigestellten Gesichter sollen demnach nicht bloß eine bestimmte Emotion, sondern performativ auch ihre Präzision als Darstellungsform darstellen. Ein regulativer Aspekt lässt sich hier nur in der Reihung der Bilder von links nach rechts erkennen, welche ebenfalls einer schriftsprachlichen Konvention entnommen sein könnte.

    Schließlich findet sich in Tagebüchern auch eine Veranschaulichung der Modellfunktion des Bildes selbst (Tageb., 15.11.14):

    Das Schema soll offenbar zeigen, dass man erkennen kann, ob ein Modell (Bild) nicht mit der Wirklichkeit korrspondiert, dass folglich beurteilt werden kann, wie sich Sachverhalte nicht modellieren lassen. Die an sich positive Proposition des Modells (eine Aussage über Sachverhalte und ihre Zusammenhänge) kann dem Schema zufolge vermittels Projektion von der Modell– auf die Wirklichkeitsebene in eine negative Aussage über die Wirklichkeit transformiert werden. Aber selbst wenn sich tatsächlich ein solches Negativ–Kriterium formulieren ließe, ist der Bildgebrauch dennoch nicht operationalisierbar, da erstens ein Schluss in umgekehrter Richtung (von der Wirklichkeit zum Modell) auf keinen Fall möglich ist und das Modell zweitens keine Metrik angibt, die bei dem Justieren des Modell–Wirklichkeitsverhältnisses helfen könnte (etwa in Form von Aussagen darüber, welche Modifikationen am Modell vorgenommen werden müssen, damit eine Übereinstimmung der Modellprojektion und des modellierten Urbildes in der Wirklichkeit sichergestellt wäre.). Das Schema ist folglich ein Indiz dafür, dass der Bildgebrauch auch als Erkenntniswerkzeug nicht zur Gänze bzw. unmittelbar operationalisiert werden kann.

    4. Fazit

    Eingangs wurde vorgeschlagen, den Bildbegriff im Werk Wittgensteins funktional zu verstehen. Aus diesem Verständnis ergab sich die Frage, inwieweit der Gebrauch von Bildern einer Methode folgt bzw. folgen kann. Insofern es sich bei Bildern entweder um gegenständliche oder abstrakte Modelle handelt, die aus dem Verfahren der Zuordnung von Symbolsystemen und Wirklichkeitssegmenten hervorgehen, sind drei Möglichkeiten des falschen Gebrauchs von Bildern denkbar: (1) Die Elemente des Bildes werden den Elementen der Wirklichkeit in nicht passender Weise zugeordnet. (2) Die Erstellung des Bildes wird zum Anlass irreführender Überlegungen (Warum–Fragen). (3) Der Gebrauch der Bilder wird unzutreffend beschrieben. Es wurde gezeigt, dass sich insbesondere für (1) und (3) kein allgemeines Schemata bzw. Fehlerkriterien angeben lassen, mit deren Berücksichtigung ein falscher Bildgebrauch identifiziert und vermieden werden könnte. An drei Beispielen wurde die Kernthese weiterentwickelt und festgestellt, dass es (allenfalls) die sprachlichen Symbole im unmittelbaren Bildkontext sind, die den Bildgebrauch einem operationalisierbaren Schematismus zugänglich machen.

    Literatur

    1. Genova, Judith 1995 Wittgenstein – A Way of Seeing, New York/London: Routledge.
    2. Dale Lindskog 2007 Diagnosis and Dissolution: from Augustine's picture to Wittgenstein's picture theory, Frankfurt a. M.: Peter Lang.
    3. Rickett, Thomas 1996 „Pictures, logic, and the limits of sense in Wittgenstein's Tractatus“, in: Hans Sluga and David G. Stern (eds.), The Cambridge Compagnion to Wittgenstein, Cambridge: University Press, 59–100.
    4. Wittgenstein, Ludwig 1970 Das Blaue Buch [BlB], Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
    5. ––– 1960 Schriften: Tractatus logico–philosophicus [TLP].Tagebücher 1914 – 1916.[Tageb.]. Philosophische Untersuchungen[PU], Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
    6. ––– 1991 Vorlesungen über die Philosophie der Psychologie 1946/47 [VPP], Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
    7. ––– 1968 Vorlesungen und Gespräche über Ästhetik, Psychologie und Religion [VuG], Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht.
    Marianne Richter. Date: XML TEI markup by WAB (Rune J. Falch, Heinz W. Krüger, Alois Pichler, Deirdre C.P. Smith) 2011-13. Last change 18.12.2013.
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