Wissenschaftliche Fotografien als Daten
Abstract
Fotografien können als paradigmatische Instanzen des Bildbegriffs aufgefasst werden. Sie finden umfangreiche Verwendung in den Wissenschaften. Die kausale Relation zum abgebildeten Objekt sowie die vermeintliche Ähnlich-keit des Bildes mit seinem Gegenstand scheinen ihren Gebrauch als Belege im Forschungsprozess zu legitimieren. Anhand einer Fallstudie zur Oberflächenerfassung des Planeten Mars mit Hilfe einer digitalen Spezialkamera soll in diesem Beitrag untersucht werden, inwiefern Fotografien der Status eines wissenschaftlichen Datums tatsächlich zugesprochen werden kann oder nicht.
Table of contents
- 1. Einleitung
- 2. Ähnlichkeit und Kausalrelation
- 3. Fotografien als Belege
- 4. Fotografieren als Tätigkeit
- 5. Der Status der Fotografie
1. Einleitung
In der modernen wissenschaftlichen Praxis findet eine Vielzahl unterschiedlichster Varianten wissenschaftlicher Bilder ihre Verwendung. Während in der bildtheoretischen Debatte bei einigen dieser Entitäten der Status des Bildes mehr oder weniger strittig sein mag, scheint doch kein Zweifel daran zu bestehen, dass die Fotografie neben dem klassischen Gemälde als die paradigmatische Instanz des Bildbegriffs gelten kann.
Diese relativ unkontroverse Klassifizierung ergibt sich zum Teil sicherlich daraus, dass viele in der Fotografie das Abbild des fotografierten Gegenstandes sehen. Eine Fotografie scheint uns die Welt so zu zeigen, wie sie wirklich ist bzw. zumindest zum Zeitpunkt der Aufnahme war. Roland Barthes fasst diese Auffassung in seiner These des „Es ist so gewesen“ – als Kernaussage des fotografischen Bildes zusammen (Barthes 1989, 86ff.). Ja, der Name selbst scheint schon auf diese Einordnung der Aufnahmetechnik hinzuweisen – Photo-graphieren – als Ausdruck dafür, dass das Licht (die Photonen), das vom aufgenommenen Gegenstand ausgeht, sich gleichsam selbst in das dafür bereitgestellte Medium – ehemals die Fotoplatte und mittlerweile der digitale Speicherchip – einschreibt.
Auf der anderen Seite ist jedem, der selbst einmal eine Kamera in die Hand genommen hat, bewusst, dass das Fotografieren eine durchaus aktive Tätigkeit darstellt und kein bloß passives Aufnehmen einer sich scheinbar selbst anbietenden ‚Lichtgestalt‘. Man entscheidet sich für einen Gegenstand, ein Objekt, von dem man meint, dass es das Foto wert sei (vgl. Sontag 2008, 32, 89ff.). Fotografieren bedeutet beispielsweise, Auswählen, Heranzoomen, Belichten und evtl. entsprechende Filter, Linsen oder Blitzlicht einzusetzen.
Im folgenden Beitrag soll es darum gehen, die Fotografie in der Wissenschaft im Spannungsfeld zwischen Objektivitätsanspruch und menschlicher Intervention zu verorten. Zum einen soll gezeigt werden, dass fotografische Bilder ihren besonderen Status aus den Paradigmen von Ähnlichkeit und Kausalität beziehen. Zum anderen soll auf einige Schwierigkeiten eingegangen werden, die sich gerade im wissenschaftlichen Kontext aus diesen Paradigmen für den Status fotografischer Bilder ergeben.
2. Ähnlichkeit und Kausalrelation
Die zentrale Idee der Ähnlichkeitstheorie des Bildes besagt: Eine Entität ist ein Bild von etwas (einem Gegenstand oder einem Sachverhalt), weil es diesem ähnlich sieht (vgl. Scholz 1991, 17, Scholz bietet auch eine fundierte Kritik zu dieser Theorie, vgl. ebd., Kap. 2). Es kann zweifellos festgestellt werden, dass Fotografien ihrem Bildgegenstand in einem Maße ähnlich sehen können, wie es kaum durch zeichnerische Fertigkeiten in der Kunst erreicht werden kann. „Die Fotografie – jede Fotografie – scheint eine unschuldigere und deshalb genauere Beziehung zur sichtbaren Realität zu haben als andere mimetische Objekte.“ (Sontag 2008, 12) Diese Tatsache verdankt sich letztlich der Funktionsweise der – mittlerweile digitalen – Aufnahmetechnik selbst. William Henry Fox Talbot beschrieb dementsprechend die Funktionsweise einer Kamera analog zur Wahrnehmung durch das menschliche Auge (vgl. Talbot 1981, 62). Aus heutiger Sicht läse sich das folgendermaßen:
- Das vom Aufnahmeobjekt reflektierte Licht wird in der Linse der Digitalkamera gebündelt und auf den Bildsensor geleitet. Dort löst das einfallende Licht Elektronen aus einer Halbleiterschicht, die gezählt werden und die Helligkeitswerte der verschiedenen Bildbereiche ergeben. Um ein farbiges Bild zu erhalten, werden entsprechende Farbfilter benötigt, die dem Bildsensor vorgeschaltet werden. An diesem Punkt werden damit die eintreffenden analogen Informationen in die digitalen des Speichermediums übersetzt. Nichtsdestotrotz lässt sich eine kausale Kette vom ausgehenden Lichtstrahl des fotografierten Objekts bis zum entstehenden digitalen Bild nachverfolgen. Die Fotografie sieht ihrem Bildobjekt also ähnlich, weil es selbst eine bestimmte Art von Licht reflektiert, welches das Bild letztlich verursacht hat.
An dieser Stelle kommt eine weitere philosophische Bildtheorie ins Spiel – nämlich die Kausaltheorie des Bildes: „Der Grundgedanke lautet schlicht, Bilddarstellung sei wesentlich ein kausales Phänomen […]. Etwas soll nur dann ein Bild von x sein, wenn x ein (herausragender) kausal relevanter Faktor bei der Entstehung des Bildes gewesen sei.“ (Scholz 1991, 64, hier findet sich ebenfalls eine detaillierte Kritik der Kausaltheorie des Bildes, vgl. ebd., Kap. 3) Es muss dazu angemerkt werden, dass – im Unterschied zur engen Korrelation von kausaler Entstehung und Ähnlichkeit im Falle fotografischer Bilder – im philosophischen Diskurs Kausal- und Ähnlichkeitstheorie grundsätzlich zwei unterschiedliche Theorieauffassung darstellen (vgl. Scholz 1991, 64ff.). Es zeichnet sich also eine Besonderheit fotografischer Bilder ab: Ähnlichkeits- und Kausalrelation fallen in einer Art und Weise zusammen, wie es bei anderen Bildern nicht notwendigerweise der Fall sein muss.
In der Theorie der Fotografie hat sich bei vielen Autoren in diesem Zusammenhang eine Art „negative Bestimmung“ ihres Wesens durchgesetzt (vgl. Geimer 2009, 60ff.). So wird von diesen Theoretikern das Besondere des fotografischen Bildes in der Unabhängigkeit seiner Entstehung von der menschlichen Intervention verortet: „Das Wesen der Fotografie wird vor allem auch darin gesehen, was sie nicht ist, wie sie nicht oder nicht ausschließlich funktioniert, nämlich als Ausdruck manueller Kunstfertigkeit.“ (Geimer, 2009, 61) Wilfried Wiegand hebt als den Unterschied zwischen Malerei und Fotografie hervor, dass die ersteren Bilder „gemacht“, während die letzteren „geschaut“ seien (vgl. Wiegand 1981, 8). Diese These der scheinbaren Unabhängigkeit von der Intention des Fotografen, die durchaus eine kritische Betrachtung verdient, verleiht fotografischen Bildern einen besonderen Vertrauensvorschuss ihrer Rezipienten. Ihnen haftet der Nimbus der Objektivität an, welcher sie geradezu für den Einsatz in den Wissenschaften prädestiniert.
3. Fotografien als Belege
Susan Sontag schreibt: „Fotos liefern Beweismaterial. Etwas, wovon wir gehört haben, woran wir aber zweifeln, scheint ,bestätigt‘, wenn man uns eine Fotografie davon zeigt.“ (Sontag 2008, 11) Leicht nachvollziehbar wird dieser Punkt, wenn wir uns dem alltäglichen Phänomen der Urlaubsfotografie zuwenden. Was bedeutet es eigentlich, dass sich so viele Menschen in ihrem Urlaub auf Fotografien am Urlaubsort mit markanten Gebäuden, Landschaften und Denkmälern im Hintergrund verewigen? Wozu das Foto?, könnte man fragen, schließlich haben die Reisenden die entsprechenden Stätten ja gerade selbst besucht und in Augenschein genommen. Es mag unterschiedliche Gründe geben, eine solche Fotografie von der Reise mitzubringen. Zweifelsohne spielt bei vielen aber der Gedanke eine Rolle, dass sie den Daheimgebliebenen zeigen wollen, dass sie wirklich dagewesen sind. Wenn du meinen Worten nicht glaubst, dann sieh selbst! Der Fotografie wird damit im Alltag ohne große Umschweife der Status eines Belegs – ja, stärker noch, der eines Beweises zugesprochen.
Diesem Phänomen des Belegcharakters der Fotografie begegnen wir in derselben Weise auch in den Wissenschaften. In diesem Kontext wird die Fotografie als Messtechnik eingesetzt. Fotografische Bilder werden zu Messergebnissen und damit zu bestätigenden oder widerlegenden Instanzen für die zu prüfende Theorie oder ihrer Vorhersagen. Fotogrammetrische Untersuchungen gewinnen z.B. ihre Daten auf diese Weise. Diese Forschungsrichtung befasst sich „mit der Gewinnung und Verarbeitung von Informationen über Objekte und Vorgänge mittels Bildern, schwerpunktmäßig mit Bestimmung der Form, Größe und Lage von Objekten im Raum, vorzugsweise mittels photographischer Bilder als Informationsspeicher.“ (http://solarsystem.dlr.de/Missions/express/kamera/kamera.shtml, eingesehen am: 26.04.10)
Eine detaillierte Schilderung des Einsatzes einer Digitalkamera als Messinstrument in der Wissenschaft findet sich in der von Ralf Adelmann vorgestellten Fallstudie zur Erfassung der Marsoberfläche mit Hilfe einer „High-Resolution Stereo Camera“ (HRSC) an Bord der Sonde „Mars Express“ (vgl. Adelmann 2009, 23ff.). Auf der Website des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) heißt es zum Einsatzgebiet der Digitalkamera in diesem Forschungsprojekt: „Zum ersten Mal auf einer Weltraummission bildet eine Spezialkamera eine Planetenoberfläche systematisch in der dritten Dimension und in Farbe ab. Die Ergebnisse sollen die Beantwortung fundamentaler Fragen zur geologischen und klimatischen Geschichte des Roten Planeten ermöglichen. Die räumliche Auflösung der Stereobilder übertrifft bisherige topographische Daten der Marsoberfläche bei weitem und erlaubt es den Geowissenschaftlern, Details mit einer Größe von 10 bis 30 Meter dreidimensional zu analysieren.“ (http://www.dlr.de/mars/desktopdefault.aspx/tabid-290/944_read-1409/, eingesehen am: 26.04.10)
An diesem Punkt muss festgehalten werden, dass die Bilder der Kamera des „Mars Express“ die relevanten Daten bilden, die im Zuge der Untersuchung gewonnen werden sollen. Die Bilder sind hier nicht redundant und durch zu Grunde liegende Daten zu ersetzen. Deutlich wird dies z.B., wenn die Gültigkeit der neuen Bilder durch den Vergleich mit Bildern älterer Mars-Missionen festgestellt wird (vgl. Adelmann 2009, 44). Hier werden Bilder mit Bildern verglichen, um festzustellen, wie der Mars wirklich aussieht. Bilder gelten damit in diesem wissenschaftlichen Diskurs als Belege für Hypothesen. Sie zeigen, dass es sich so und so auf dem Mars verhält. Datum und Bild sind hier identisch.
Möglich erscheint eine solche Verwendungsweise von Fotografien vor der angesprochenen Hintergrundannahme, dass diese Bilder zum einen in einer kausalen und zum anderen in einer Ähnlichkeitsrelation zum abgebildeten Objekt stehen. Der propositionale Gehalt, der für den Belegcharakter des Bildes notwendig ist – also, dass es sich so und so verhalten hat – scheint sich durch den kausalen Kontakt zwischen Bildgegenstand und Bild gleichsam in dieses einzuschreiben. In der Fallstudie zur Kartierung der Marsoberfläche lassen sich jedenfalls keine Anhaltspunkte dafür finden, dass die beteiligten Wissenschaftler die Bilder der HRSC anders verwenden würden denn als Daten anderer Messinstrumente. So wie man beispielsweise anhand eines Amperemeters in einem Stromkreis ablesen kann, dass die Stromstärke bei drei Ampere liegt, so lesen die Forscher aus den Bildern der HRSC die erfassten Höhenmeter und Geländestrukturen der Marsoberfläche ab. Und ebenso wie sie einem Amperemeter als Messinstrument vertrauen, vertrauen sie auch der Digitalkamera und ihren Ergebnissen. Abweichungen werden höchstens als Messfehler gewertet, die auf schlechte Beleuchtungsverhältnisse, ungünstige Aufnahmewinkel etc. zurückgeführt werden können – nicht jedoch auf eine Unglaubwürdigkeit der Bilder selbst.
Nun könnte man anführen, dass die ursprünglich beim DLR von der Raumsonde eintreffenden Bilder wenig Ähnlichkeit mit der Marsoberfläche aufweisen, Ähnlichkeit mithin nicht das ausschlaggebende Kriterium sein kann, wenn man diesen Bildern einen Belegstatus zugestehen möchte. Schließlich durchlaufen die eintreffenden Bilder einen umfangreichen Bearbeitungsprozess, bis sie letztlich dem gleichen, was wir von anderen Bildern oder durch eigene teleskopische Beobachtung als die Oberfläche des Mars’ kennen. Vielleicht, so könnte man argumentieren, spielt auch für die Wissenschaftler nicht die Ähnlichkeit der Bilder die entscheidende Rolle, sondern – wie für viele Theoretiker der Fotografie (vgl. Geimer, 2009, 106ff.) – allein die kausale Verbindung zum Bildgegenstand?
Gegen eine solche Abwertung des Ähnlichkeitsaspekts spricht jedoch folgende Überlegung: Die Mars-Bilder der HRSC auf der ersten Verarbeitungsstufe werden als vollgültige Resultate eines Messinstruments von den Forschern akzeptiert. Das bedeutet, dass sie davon ausgehen, dass die Bilder dem fotografierten Objekt – der Marsoberfläche – in den forschungsrelevanten Hinsichten entsprechen. Die Kamera wird dazu verwendet, als Detektor für bestimmte Eigenschaften zu fungieren. Und eben jene betrifft auch der Ähnlichkeitsaspekt, den die Wissenschaftler für relevant erachten (vgl. Adelmann 2009, 47). Verschiedene Ähnlichkeitsbegriffe müssen hier also auseinander gehalten werden: (1) Die Ähnlichkeit zum Forschungsobjekt ist in dem Sinne gegeben, dass das Bild die relevanten Eigenschaften des Gegenstandes adäquat wiedergibt. (2) Was jedoch nicht gegeben ist, ist eine hinlängliche Ähnlichkeit der HRSC-Bilder zu Bildern, welche die menschliche Wahrnehmung von der Marsoberfläche liefern würde, bestünde denn die Möglichkeit dazu.
So weit, so realistisch, könnte man nun sagen. Offenbar hängt viel davon ab, was wir unter dem Begriff realistisch verstehen. Ist mit einer realistischen Darstellung gemeint, dass sie dem abgebildeten Gegenstand auf eine Weise ähnelt, wie wir es mit dem bloßen Auge wahrnehmen können, dann wären viele Darstellungen in den Wissenschaften in der Tat nicht als realistisch, weil nicht in diesem Sinne ihrem Gegenstande ähnlich, zu bezeichnen. Warum sollten wir den Begriff aber derart eng fassen? Warum sollten wir Infrarot-Bilder oder solche im ultravioletten Bereich von vornherein aus dessen Anwendungsbereich ausschließen, wo doch kein Wissenschaftler an der realistischen Aussagekraft solcher Bilder zweifeln würde?
Paradoxerweise liegt ein Grund hierfür in einem gewissen Misstrauen gegenüber unseren eigenen Wahrnehmungsfähigkeiten. Nicht dem Instrument wird misstraut, sondern demjenigen, der mit seiner Hilfe Daten gewinnen will. Hat ihn – so die bekannte Frage aus der Wissenschaftstheorie – nicht seine Theorie dazu verleitet, ein Instrument zu bauen, das ihm eben jene bestätigenden Daten liefert, die er für die Verifikation seiner Hypothesen benötigt? (vgl. Carrier 2006, 69 ff.)
Ein anderer Aspekt, der bei Fotografien in diesem Kontext hinzutritt, besteht in der Skepsis, ob die als Datum oder Beleg verwendeten Entitäten tatsächlich so unabhängig von jeglicher menschlicher Intervention entstehen, wie es im Rahmen der kausalen Entstehungsgeschichte dieser Bilder von einigen Theoretikern hervorgehoben wird.
4. Fotografieren als Tätigkeit
Betrachten wir noch einmal die Fallstudie zur Vermessung und Kartierung der Marsoberfläche, so resümiert Adelmann: „Von der Ankunft der Daten am DLR und beim Erstellen der data products durch die Photogrammeter werden die Datenbilder ständig transformiert, Informationen hinzugefügt und weggenommen.“ (Adelmann 2009, 54) Ziel dieser Aufbereitung ist es, auf der letzten Stufe ein 3D-Modell der erfassten Marsoberfläche zu erhalten.
Führen wir uns diese Zielsetzung vor Augen, ist die skeptische Haltung, fotografische Bilder nicht einfach als Abbilder der Wirklichkeit aufzufassen, einleuchtend. Gerade digitale Bilder machen eine nahezu beliebige Weiterverarbeitung möglich (vgl. Mitchell 1994, 31). Darüber hinaus kommt auch ein rein technischer Punkt dazu: Digitalkameras sehen nicht wie das menschliche Auge, sie rekonstruieren vielmehr, was wir sehen würden, wenn wir mit bloßem Auge hinschauen könnten. Vor diesem Hintergrund erweist sich die skeptische These doch nicht als abwegig, die Sontag folgendermaßen formuliert: „Auch wenn es in gewisser Hinsicht zutrifft, daß die Kamera die Realität einfängt und nicht nur interpretiert, sind Fotos doch genauso eine Interpretation der Welt wie Gemälde und Zeichnungen.“ (Sontag 2008, 12)
Man kann das Ganze auch noch eine Ebene weiterdrehen, wenn man hinzunimmt, dass die Fotografie zumindest im herkömmlichen Sinne eben nicht automatisch entsteht, sondern von einem Fotografen gemacht wird. Hier kommt dann eine ganze Reihe aktiver Eingriffsmöglichkeiten hinzu, die letztlich bestimmen, was das Bild uns zeigt. Nur ein Punkt unter vielen wäre z.B. die Auswahl des abzulichtenden Objekts (vgl. Sontag 2008, 87). Fotografieren in diesem Sinne ist eine Tätigkeit, die mit bestimmten Intentionen auf Seiten des Herstellenden verbunden ist.
Es scheint, als stünden wir am Ende doch vor einem Dilemma: Auf der einen Seite nutzen Wissenschaftler Fotografien als Belege für ihre Forschungshypothesen, was nur möglich erscheint, wenn sie diesen Belegen auch mit Recht einen Objektivitätsanspruch zusprechen können. Auf der anderen Seite haben wir gesehen, dass Fotografien oftmals alles andere als automatisch generierte Abbilder der Wirklichkeit sind, dass sie im Gegenteil sogar in hohem Maße von den Intentionen des sie herstellenden Subjekts abhängig sind. Lässt sich dieses Dilemma lösen, ohne einer der beiden Seiten den Vorrang zugestehen zu müssen? Können wir zeigen, dass zwischen diesen beiden Annahmen letztlich kein Widerspruch besteht?
5. Der Status der Fotografie
Nun, für eine korrekte Analyse des Status des fotografischen Bildes scheint es vor allem wichtig zu sein, dass man differenzieren muss zwischen drei unterschiedlichen Aspekten, mit denen wir es zu tun haben:
- (i) Zunächst einmal kann die Fotografie im Sinne eines Detektors in den Wissenschaften eingesetzt werden. Für die Beurteilung des Status der dabei entstehenden Daten ist das technische Moment der Aufnahme ausschlaggebend. Eine solche Aufnahme kann damit als neutrales Datum betrachtet werden. Es ist höchstens in dem Sinne theoriegeleitet, als dass eine Theorie vorgibt, welche Daten eigentlich für eine Bestätigung oder Widerlegung der Forschungshypothese relevant sind – wo also nach ihnen gesucht werden muss.
- (ii) Davon zu unterscheiden ist der Vorgang einer Weiterverarbeitung der aufgenommenen Bilder, wie er in der Fallstudie von Adelmann beschrieben wird. Hier haben wir es zweifelsohne mit einer bewussten Intervention des Forschers zu tun, der bestimmte Elemente des Bildes auswählt, interpretiert und seiner Interpretation entsprechend dann weiter herausarbeitet.
- Und schließlich gilt es (iii), die Fotografie als eine Tätigkeit des Menschen zu untersuchen. Wird das Individuum durch den Gebrauch des Apparats zum Fotografen, unterliegt das Bildprodukt auch seinem aktiven, intentional geleiteten Gestaltungswillen. Belichtung, Bildausschnitt, Perspektive und Zoomfaktor können von ihm ebenso festgelegt werden wie die Farbe des fotografierten Objekts mit Hilfe unterschiedlicher Filter und Einstellungen.
Begeben wir uns zurück in die Wissenschaft, können wir nun abschließend feststellen, dass einem Einsatz der Fotografie im Sinne eines Detektors nichts im Wege steht. Das oben eröffnete Dilemma entsteht letztlich nur, wenn wir bei der Bewertung dieser Daten die Punkte (i) bis (iii) zu einem Phänomen verquicken – also keine Trennung durchführen, wo eine solche doch möglich ist.
Literatur
- Adelmann, Ralf 2009 „Orbits. Visuelle Modellierungen der Marsoberfläche am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt“, in: Ralf Adelmann / Jan Frercks / Martina Heßler / Jochen Hennig (Hrsg.) Datenbilder. Zur digitalen Bildpraxis in den Naturwissenschaften. Bielefeld: transcript Verlag, 23-64.
- Barthes, Roland 1989 Die helle Kammer. Bemerkungen zur Photographie. 1. Aufl., Frankfurt am Main: Suhrkamp.
- Carrier, Martin 2006 Wissenschaftstheorie zur Einführung. Hamburg: Junius.
- Geimer, Peter 2009 Theorien der Fotografie zur Einführung, Hamburg: Junius.
- Mitchell, William J. 1994 The Reconfigured Eye. Visual Truth in Post-Photographic Era. Cambridge, London: MIT-Press.
- Scholz, Oliver R. 1991 Bild, Darstellung, Zeichen. Philosophische Theorien bildlicher Darstellung, Freiburg und München: Verlag Karl Alber.
- Sontag, Susan 2008 Über Fotografie, 18. Aufl., München, Wien: Carl Hanser.
- Talbott, William Henry Fox 1981 „Der Zeichenstift der Natur“, in: Wilfried Wiegand (Hrsg.) Die Wahrheit der Photographie. Klassische Bekenntnisse zu einer neuen Kunst Frankfurt am Main: S. Fischer, 45-89.
- WiegandWilfried_1981 „Was ist Photographie?“, in: Wilfried Wiegand (Hrsg.) Die Wahrheit der Photographie. Klassische Bekenntnisse zu einer neuen Kunst Frankfurt am Main: S. Fischer, 7-14.
- http://www.dlr.de/mars/desktopdefault.aspx/tabid-290/944_read-1409/, eingesehen am: 26.04.10.
- http://solarsystem.dlr.de/Missions/express/kamera/kamera.shtml, eingesehen am: 26.04.10.
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