Abstract
Wittgenstein hat den Olymp der Bilder gestürmt, er hat die ganze Besatzung aus mentalen, psychologischen, sprachlichen und ideellen Ab-, Ur-, Welt-, Vorstellungs- und Erinnerungsbildern über die Klinge springen lassen und die Zeichnung schwimmt unbewiesen in ihrer Tusche dahin.
[frei nach Heinrich Heine]
Wittgensteins Überlegungen zur Beweiszeichnung betonen, dass sie ohne Rücksicht auf ihre singulären ikon-ischen Eigenschaften reproduzierbar sein muss. Da Wittgenstein hierbei aber selbst mit Zeichnungen argumentiert, wird die Unverzichtbarkeit des Bildlichen genau dort vorgeführt, wo ihre Irrelevanz erwiesen werden soll. Diesen Widerspruch erkennt und thematisiert Wittgenstein unter dem Begriff des „einprägsamen Bildes“, der im vorliegenden Beitrag in fünf Merkmalen dargestellt wird. Problematisch ist am Bildbeweis demnach ein nicht reproduzierbarer ikonischer Rest, der die jeweilige zeichnerische Ausführung allererst einprägt und paradigmatisch macht. Aufgrund seiner paradoxen Konstitution ist das einprägsame Bild jedoch ein Paradigma (Vorbild) ohne Beweiskraft, weshalb es sich im gegenwärtigen Boom wissenschaftlicher Visualisierungen als bildtheoretisches Korrektiv empfiehlt.
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Wittgenstein hat den Olymp der Bilder gestürmt, er hat die ganze Besatzung aus mentalen, psychologischen, sprachlichen und ideellen Ab-, Ur-, Welt-, Vorstellungs- und Erinnerungsbildern über die Klinge springen lassen und die Zeichnung schwimmt unbewiesen in ihrer Tusche dahin.
[frei nach Heinrich Heine]
1.
Wittgensteins Überlegungen zur Beweiszeichnung betonen, dass sie ohne Rücksicht auf ihre singulären ikonischen Eigenschaften reproduzierbar sein muss. Da Wittgenstein hierbei aber selbst mit Zeichnungen argumentiert, wird die Unverzichtbarkeit des Bildlichen genau dort vorgeführt, wo ihre Irrelevanz erwiesen werden soll. Diesen Widerspruch erkennt und thematisiert Wittgenstein unter dem Begriff des „einprägsamen Bildes“, der im vorliegenden Beitrag in fünf Merkmalen dargestellt wird. Problematisch ist am Bildbeweis demnach ein nicht reproduzierbarer ikonischer Rest, der die jeweilige zeichnerische Ausführung allererst einprägt und paradigmatisch macht. Aufgrund seiner paradoxen Konstitution ist das einprägsame Bild jedoch ein Paradigma (Vorbild) ohne Beweiskraft, weshalb es sich im gegenwärtigen Boom wissenschaftlicher Visualisierungen als bildtheoretisches Korrektiv empfiehlt.
Obwohl Wittgenstein das einprägsame Bild an mathematischen, technischen und alltäglichen Beispielen exemplifiziert, untersucht er keineswegs bloß die Gebrauchsprobleme bestimmter Bildtypen sondern vielmehr ein systematisches Problem der Bildtheorie, das sich als die widersprüchliche Allianz von Idolatrie und Ikonoklasmus bezeichnen lässt. Beide sind für das Beweisbild gleichermaßen konstitutiv, weil es die visuelle Evidenz des zeigenden Bildes mit den instrumentellen Konventionen des sagenden Bildgebrauchs vereint.
2. Differenz
Wittgenstein diskutiert die widerstrebenden Komponenten des Beweisbildes an zahlreichen eigenen Zeichnungen:
„Wie ist es aber, wenn ich mich davon überzeuge, dass das Schema dieser Striche:
a)
gleichzahlig ist mit dem Schema dieser Eckpunkte:
b)
(ich habe die Schemata absichtlich einprägsam gemacht), indem ich zuordne:
c)
[6:46f.]
„Und so prägt der Beweis durch Ziehen der Projektionslinien einen Vorgang ein, den der eins-zu-eins Zuordnung der H[and]. und des D[rudenfußes]. – Aber überzeugt er mich nicht auch davon, dass diese Zuordnung möglich ist?`“ [6:53]. Damit geraten die Komponenten „einprägsamer Schemata“ in Konflikt. In einer Randbemerkung problematisiert Wittgenstein entsprechend: „Heißt hier ´diese Zuordnung` die der Figuren des Beweises selbst? Es kann nicht etwas zugleich Maß und Gemessenes sein.“ [6:53] Allerdings ist dieses Zugleich für die bildliche Existenz des Beweisbildes konstitutiv, denn „diese Zuordnung“ vereint immer schon beides: ein reproduzierbares Maß und seine Ausführungen im Einzelfall des Gemessenen.
Wittgenstein bezeichnet diese widerstrebenden Komponenten des Beweisbildes als sein Wie und sein Dass: „Aber kann ich denn nicht sagen, die Figur zeige, wie eine solche Zuordnung möglich ist – und muss sie darum nicht auch zeigen, dass sie möglich ist?“ [6:53] Das Dass betont die strukturellen Komponenten des Beweises, die eine bildferne Wiederholbarkeit implizieren, das Wie steht für die visuelle Exemplifikation im Einzelfall. Also für die Tatsache, dass ich erst „durch das Ziehen der Projektionslinien [...] überzeugt“ [6:48] werde. In einem nicht beweisenden Bildgebrauch können beide Funktionen durchaus als unterschiedliche Perspektiven der Bildinterpretation gelten:
[1:95]
„Denk dir eine Reihe von Bildern. Sie zeigen, wie zwei Leute nach den und den Regeln mit Rapieren fechten. […] Hier bezieht sich das Bild auf eine Wirklichkeit. Man kann nicht sagen, es zeige, dass so gefochten wird, aber wie gefochten wird. In einem andern Sinne kann man sagen, die Bilder zeigen, wie man in drei Bewegungen von dieser Lage in jene kommen kann. Und nun zeigen sie auch, dass man auf diese Weise in jene Lage kommen kann.“ [6:301] Während das Wie des Beweises auf seine Kausalität und damit die Zeitlichkeit des Abgebildeten und des Abbildens verweist, zeigt das Dass reproduzierbare Möglichkeiten auf. „Wenn man vom Beweis sagt, er zeige wie (z.B.) 25 x 25 625 ergeben; so ist das natürlich eine seltsame Redeweise, da das arithmetische Ergebnis ja kein zeitlicher Vorgang ist. Aber nun zeigt ja der Beweis auch keinen Vorgang.“ [s.o.] Anders als bei der Rechnung verhält es sich bei der Demonstration des Beweisbildes, denn hier „prägt der Beweis durch Ziehen der Projektionslinien einen Vorgang ein“. Er überzeugt durch das Wie seiner Bildgenese, seine Performativität.
Indem Hand und Drudenfuß Namen erhielten, wurden die Figuren der ausgeführten Zeichnung jedoch bereits typologisiert: „Was ist dadurch geschehen, dass sie Namen erhalten haben, es wird dadurch etwas über die Art des Gebrauchs dieser Figuren angedeutet. Nämlich – dass man sie auf einen Blick als die und die erkennt. Man zählt dazu nicht ihre Striche oder Ecken, sie sind für uns Gestalttypen, wie Messer und Gabel, wie Buchstaben und Ziffern.“ [6:54] Der Gebrauch des Beweisbildes setzt typologisierte Komponenten voraus, die man „auf einen Blick“ erkennt und „unmittelbar wiedergeben“ [s.o.] kann.
Die Einmaligkeit konkreter Bildgebungen wird damit aber nicht wirkungslos: „Ich möchte sagen, es seien in dem Beweis nicht bloß diese individuellen Figuren zugeordnet, sondern die Formen selbst. Aber das heißt doch nur, dass ich mir jene Formen gut einpräge; als Paradigmen einpräge.“ [6:54] Die Einprägsamkeit überzeugender Beweisbilder nivelliert die Differenz zwischen Dass und Wie und macht es unmöglich, sie als getrennte Perspektiven der Bildinterpretation zu gebrauchen. Obwohl der Bildgebrauch „Gestalttypen“ und allgemeine Formen etabliert, sind es die jeweils demonstrierten individuellen Formen, die sich laut Wittgenstein als Paradigmen einprägen. Deshalb ist die Einprägsamkeit des Bildes buchstäblich als seine Eignung für eine Prägung zu verstehen, die wir durch ein gegenwärtiges Bild erhalten:
„Und wenn ich das Gesicht sich mir einprägen lasse [...] dann finde ich keinen Prototyp dieses Ausdrucks in meinem Geist; vielmehr breche ich gleichsam ein Siegel von dem Eindruck.“ [5:254 f.] Die paradigmatische (oder prototypische) Qualität des einprägsamen Bildes verdankt sich seiner singulären Bildwirkung.
3. Neuheit
Zwar heißt es, der „Beweis sei ein Bild“ [6:365], aber offenbar lässt er erst als „neues Bild“ [6:64] Neues denken.
„Es gibt ein Geduldspiel, das darin besteht, eine bestimmte Figur, z.B. ein Rechteck, aus gegebenen Stücken zusammenzusetzen. Die Teilung der Figur ist eine solche, dass es uns schwer wird, die richtige Zusammensetzung der Teile zu finden. Sie sei etwa diese:
[…] Kann man nicht sagen: die Figur, die dir die Lösung zeigt, beseitigt eine Blindheit; oder auch, sie ändert deine Geometrie? Sie zeigt dir gleichsam eine neue Dimension des Raumes. (Wie wenn man einer Fliege den Weg aus dem Fliegenglas zeigte.)“ [6:55f.]
Das einprägsame Bild schafft also neue Denkmöglichkeiten: „´Ich meine, ich habe an diese Art der Zusammensetzung gar nicht gedacht.`“ [6:55], und hat offensichtlich poietische oder heuristische Qualitäten: „Die neue Lage ist wie aus dem Nichts entstanden. Dort, wo früher nichts war, dort ist jetzt auf einmal etwas.“ [6:56]
4. Reproduktion
Obwohl das Beweisbild durch seinen Neuigkeitswert überzeugt, verlangt es jedoch nach einer Reproduktion, die die Qualität der zeichnerischen Ausführung ignoriert:
„Die Zeichnung eines Euklidischen Beweises kann ungenau sein, in dem Sinne, dass die Geraden nicht gerade sind, die Kreisbögen nicht genau kreisförmig etc.etc. und dabei ist die Zeichnung doch ein exakter Beweis und daraus sieht man [...], dass sie einen Satz der Geometrie, nicht einen über die Eigenschaften von Papier, Zirkel, Lineal und Bleistift beweist. [Hängt zusammen mit: Beweis ein Bild eines Experiments]“. [6:143]
Die Forderung nach seiner Reproduzierbarkeit entspricht deshalb einer ikonoklastischen Tendenz im Beweisbild: „Die Figur ist nicht der Beweis“ [6:151], denn wird sie als Beweis gebraucht, muss vom Bildlichen abgesehen werden, weil der Beweis selbst „keine charakteristische visuelle Gestalt hat“ [6:151]. So ist die Größe der Zeichnung oder das gewählte Material ebenso irrelevant wie die Präzision der jeweiligen graphischen Ausführung: „Wie reproduzieren wir, kopieren wir einen Beweis? – Nicht zum Beispiel, indem wir Messungen an ihm anstellen.“ [6:150]
Die Gebrauchsweise des Bildes als Beweis fokussiert auf seine reproduzierbaren Bildeigenschaften: „‘Beweis’ nennen wir eine Struktur, deren Reproduktion eine leicht lösbare Aufgabe ist. [...] Der Beweis muss ein Bild sein, welches sich mit Sicherheit genau reproduzieren lässt. Oder auch: was dem Beweise wesentlich ist, muss sich mit Sicherheit genau reproduzieren lassen. Er kann zum Beispiel in zwei verschiedenen Handschriften oder Farben niedergeschrieben sein. Zur Reproduktion eines Beweises soll nichts gehören, was von der Art einer genauen Reproduktion eines Farbtons oder einer Handschrift ist.“ [6:143]
Allerdings kann das Wesen des Beweises damit nicht vollständig beschrieben werden, da für seine genuine Überzeugungskraft eine visuelle Demonstration konstitutiv ist – allerdings nur die einprägsame: „Das ist der Beweis, was uns überzeugt: Das Bild, was uns nicht überzeugt, ist der Beweis auch dann nicht, wenn von ihm gezeigt werden kann, dass es den bewiesenen Satz exemplifiziert.“ [6:171] Beweiskräftig wird das Beweisbild also erst, wenn es in seiner konkreten bildlichen Demonstration überzeugt. Es ist auf seine Einprägsamkeit angewiesen. Dass ein bestimmter Bildgebrauch das Beweisbild kontextualisiert, ergibt hierfür keine hinreichende Bedingung. Denn: „Sagst du eigentlich etwas anderes als: der Beweis wird als Beweis genommen?“ [6:173]. Das macht Wittgenstein allerdings: „Der Beweis muss ein anschaulicher Vorgang sein. Oder auch: der Beweis ist der anschauliche Vorgang.“ [6:173] Damit ist aber auch gesagt, dass „Nicht etwas hinter dem Beweise, sondern der Beweis beweist.“ [6:173] Ähnlich zirkulär argumentiert Wittgenstein überall dort, wo er die Intransitivität des bildlichen Zeigens apostrophiert: „Das Bild sagt mir sich selbst [...] in seiner eigenen Struktur, in seinen Formen und Farben.“ [1:438]. Berücksichtigt werden damit all jene singulären Bildqualitäten, auf die der Beweis unter der Bedingung seiner bildlichen Reproduzierbarkeit verzichtet, die er aber selbst dort noch benötigt, wo er sich seine eigene Genauigkeit demonstriert:
„Man könnte z.B. die Figur
als Beweis dafür nehmen, dass 100 Parallelogramme, so zusammengesetzt, einen geraden Streifen geben müssen. Wenn man dann wirklich 100 zusammenfügt, erhält man nun etwa einen schwach gebogenen Streifen. – Der Beweis aber hat uns bestimmt, das Bild und die Ausdrucksweise zu gebrauchen: Wenn sie keinen geraden Streifen geben, waren sie ungenau hergestellt.“ [6:58]
Erst der Gebrauch der Zeichnung als Beweisbild ermöglicht, ihre singulären Bildqualitäten in sekundäre zu überführen. Deshalb ist Bildevidenz noch in der zeichnerischen Selbstkontrolle des Reproduzierten unverzichtbar: „Diese Figur lehrt mich [...], dass ich wirklich die gleichen Figuren hingezeichnet habe“ [6:54]
5. Experiment
Was geschieht aber, wenn man den Vorgang der bildlichen Demonstration zum Experiment erklärt und nur sein Resultat als Beweisbild gelten lässt? „Die Tätigkeit der Prüfung brachte das und das Resultat hervor. Die Prüfung war bis jetzt also sozusagen experimentell. Nun wird sie als Beweis aufgefasst. Und der Beweis ist das Bild einer Prüfung.“ [6:304] Oder: „Der Beweis, könnte man sagen, muss ursprünglich eine Art Experiment sein – wird aber dann einfach als Bild genommen.“ [6:160]
Wenn Wittgenstein feststellt, dass „das Bild eines Experiments [...] doch nicht selbst ein Experiment“ [6:51] ist, so wird die Beweiseignung des Bildes entsprechend separiert: „Ich könnte also sagen, der Beweis dient mir nicht als Experiment, wohl aber als Bild eines Experiments.“ [6:51] denn die jeweilige visuelle Ausführung und Vorführung ist für den Beweis irrelevant, nicht aber die Tatsache, dass es eine solche gibt. Zum Beweis wird das Bild demnach durch eine spezifische Gebrauchsweise, in der es als Beweisbild „dient“ und die die Komplexität des bildlichen Experiments bereits reduziert auffasst.
Weil sich das Bild aber nicht von seiner experimentellen Bildgenese abheben lässt, bleiben die singulären ikonischen Eigenschaften auch im Resultat des Beweisbildes sichtbar. Daraus entstehen Unterscheidungsschwierigkeiten: Was ist das Resultat des Experiments? „[...] das Rechnungsergebnis, oder das Rechnungsbild, oder die Zustimmung (worin immer diese besteht) des Rechnenden?“ [6:385]. Die Zustimmung, könnte man sagen, „besteht“ eben gerade in jener Einprägsamkeit, die das regelhafte Rechnungsresultat und das singuläre Rechnungsbild zu einem überzeugenden Paradigma vereint. „Das Experimenthafte verschwindet, indem man den Vorgang bloß als einprägsames Bild ansieht.“ [6:68] Die Einprägsamkeit nivelliert alle konstitutiven Widersprüche des Beweisbildes. Aber sie erlöst es nur von der Singularität seiner bildproduktiven Vorgeschichte, wenn es sich der jeweils aktuellen bildlichen Evidenz unterwirft.
6. Paradigma
Als „vorbildliches“ Bild evoziert das Beweisbild paradigmatische „Anwendungen“: „Etwas hört auf Beweis zu sein, wenn es aufhört Paradigma zu sein“ [6:154].
Das einprägsame Bild steht somit zwischen Bildproduktion und Bildgebrauch. So wenn man etwa mit einer Gliederpuppe oder einer Kette „einprägsame Figuren“ erzeugt: „Gewiss; aber ich führe nur solche Bewegungen, solche Umformungen vor, die einprägsamer Art sind [...], weil es so leicht ist, sie immer wieder an verschiedenen Gegenständen vorzunehmen.“ [6:68] Gerade für das Thema der wissenschaftlichen Beweisbildung ist dieser Übergang von der Visualität des Experiments zu der des Beweises entscheidend [vgl. z.B. Latour, Rheinberger].
Dem einprägsamen Bild kommt deshalb eine „Fernwirkung“ zu, die darin besteht, „dass ich es anwende.“ [6:62] Dieser prognostische Effekt lässt sich vermeintlich von der vorgeführten Bildproduktion distanzieren: „Ich wusste nicht wie es gehen werde, – aber ich sah ein Bild, und nun wurde ich überzeugt, dass es so gehen werde, wie im Bilde. Das Bild verhalf mir zur Vorhersage. Nicht als ein Experiment – es war nur der Geburtshelfer der Vorhersage.“ [6:241] Doch sind es die konkreten Bildqualitäten, mit denen der Beweis für seine Regelhaftigkeit plädiert: „Und wenn dieses Bild die Voraussage rechtfertigt – das heißt, wenn du es nur sehen brauchst und überzeugt bist, ein Vorgang werde so und so verlaufen – dann rechtfertigt dieses Bild natürlich auch die Regel. In diesem Fall steht der Beweis hinter der Regel als Bild, das sie rechtfertigt.“ [6:305] Der Beweis rechtfertigt die Regel also mit den Mitteln des jeweils einprägsamen Bildes.
„Es fragt sich eben: Was nennen wir ein ,einprägsames Bild‘? Was ist das Kriterium davon, dass wir es uns eingeprägt haben? Oder ist die Antwort hierauf: ,Dass wir es als Paradigma der Identität benützen!‘?“[6:150] Jedes einprägsame Bild schafft demnach ein Paradigma, das heißt es wird zu einem Bild, von dem man sich eine weitere Anwendbarkeit erhofft: „Das Bild zeigt mir natürlich nicht, dass etwas geschieht, aber, dass was immer geschieht sich so wird anschauen lassen“[6:307]. Entsprechend konstatiert Wittgenstein, das Bild „gibt unserem Glauben eine bestimmte Richtung.“[6:305]. Als Beweisbild soll es „nicht nur zeigen, dass es so ist, sondern dass es so sein muss‘“[6:149]. Und wodurch evoziert es weitere Anwendungen? „Wenn die Ziffern und das Gezählte ein einprägsames Bild ergeben. Wenn dieses Bild nun statt jedes neuen Zählens dieser Menge gebraucht wird.“[6:149] Das einprägsame Bild ersetzt seine Reproduktionen: es wird zum Simulakrum des Bewiesenen.
7.
Wittgensteins Reflexionen zur Einprägsamkeit des Beweisbildes formulieren ein kritisches Korrektiv für die gegenwärtige Konjunktur wissenschaftlicher Visualisierungen. Zwar eröffneneinprägsame Bilder dem Denken neue Räume, Dimensionen und mitunter „Auswege“, jedoch entziehen sich diese heuristischen und poietischen Qualitäten der argumentativen Reproduzierbarkeit des Beweises. Das „einprägsame Bild […] bewirkt einen leisen Taumel der Gedanken“ [6:141], weil der Konflikt zwischen den wissenschaftlich beanspruchten Beweiseigenschaften und der bildlichen Evidenz unauflösbar bleibt und das einprägsame Bild letztlich eine systematische Chimäre ist. Wenn Paradigmen Vorbilder ohne Beweiskraft sind und Beweise nicht ohne überzeugende Bildlichkeit auskommen, dann verlangt der Gebrauch des einprägsamen Bildes nach einer zweiseitigen Medienskepsis, die seiner doppelten Konstitution aus sagenden und zeigenden Komponenten entspricht. Einprägsamkeit ist die mediale Achillesferse des wissenschaftlich-technischen Beweisbildes.
Literatur
- Boehm, Gottfried, ²1995, Was ist ein Bild?, München.
- Daston, Lorraine; Galison, Peter, 2007, Objektivität, F.a.M.
- Heintz, Bettina; Huber, Jörg (Hg.), 2001, Mit dem Auge denken, Zürich.
- Mersch, Dieter, 2006, Wittgensteins Bilddenken, in: DZfPh, Berlin, 2006/6, S. 925-942.
- Mersch, Dieter, 2006, Visuelle Argumente, in: Maasen, Sabine u.a. (Hg.): Bilder als Diskurse, Weilerswist.
- Richtmeyer, 2009, Logik und Aisthesis, in: Heßler, Martina; Mersch, Dieter (Hg.): Logik des Bildlichen, Bielefeld, S. 139-162.
- ––– 2009, Vom Bildspiel zum Sprachspiel, in: Munz, Volker A. u.a. (Hg.), Language and World. Preproceedings of the 32nd IWS, Kirchberg, S.354-358.
- ––– 2010, Ikonische Intransitivität, Wittgensteins Bilddenken, Teil 1, (in Vorbereitung).
- –––, Herbst 2010, Die unscharfe Allgemeinheit des Bildes; in: ders. (Hg.), PhantomGesichter, München (Fink).
- Schulte, Joachim, 1990, Chor und Gesetz, F.a.M.
- Wittgenstein, 1984ff., Werkausgabe, F.a.M., zitiert nach: [Band:Seitenzahl].
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