Abstract
Describes the background for the collection.
Table of contents
Es hieße, den Wittgensteinschen Begriff der Familienähnlichkeit allzusehr zu strapazieren, wollte man die hier vorliegenden Arbeiten zu Wittgenstein thematisch unter einen Hut bringen. Es handelt sich hauptsächlich um Aufsätze, die in den letzten Jahren am Wittgenstein-Archiv der Universität Bergen entstanden sind. Ihre formale und thematische Vielfalt spiegelt die unterschiedliche Interessenlage der Autoren wider und prägt den Inhalt dieses Bandes. Auf eine Vereinheitlichung oder auch nur strengere Anordnung der Arbeiten, die zwischen drei und fünfzig Seiten umfassen, haben wir bewußt verzichtet. Das Ergebnis dieser undogmatischen Zusammenstellung ist ein Potpourri besonderer Art.
Gemäß der internationalen Autorenschaft publizieren wir die Texte, von denen einige Auszüge aus umfangreicheren Arbeiten darstellen, andere erste Schritte eines noch zu vollendenden Forschungsprogramms dokumentieren, in englischer und deutscher Sprache. Zwei Beiträge mußten dazu übersetzt werden.
Abseits vom Mainstream der Wittgensteinforschung setzen sich die Autoren mit ungewöhnlichen Fragestellungen und noch weitgehend unerforschten Texten Wittgensteins auseinander. So liefert Michael A.R. Biggs, auf der Basis eines Studiums der bereits publizierten Schriften, eine der seltenen Untersuchungen zur Funktion der Zeichnungen bei Wittgenstein. Biggs argumentiert für ein neues Verständnis ihrer Rolle: Grafik dient bei Wittgenstein nicht nur akzidenteller Illustration; sie hat vielmehr eine wichtige normative Funktion. Dies wird an den vier Themenkomplexen Kriterium ─ Symptom, Rechnung ─ Beweis, Erklärung ─ Beschreibung, Muster ─ Grafik veranschaulicht.
Kai Buchholz zeigt, wie Wittgensteins "Sprachspielverfahren" für Wörter, Sätze und Texte linguistisch fruchtbar zu machen ist. Für das Feld der Wörter leistet er diese Arbeit an "beschreiben" und "rot". Im weiteren stellt er dar, wie man sowohl die Bedeutung komplexer Sätze und synkategorematischer Ausdrücke als auch die Textbedeutung mit Hilfe des Sprachspielverfahrens darstellen kann. Buchholz bezieht die Beispiele für Wittgensteins Sprachspielverfahren vor allem aus dem Braunen Buch und den Philosophischen Untersuchungen.
Die Philosophischen Untersuchungen sind nach Masahiro Oku derart vielschichtig und von ihrer Entstehung geprägt, daß nur eine Interpretation, welche die nachgelassenen Schriften miteinbezieht, ihr Verständnis garantieren kann. Oku exemplifiziert diese These an vier Abschnitten der Untersuchungen, § 201, § 258, § 354 und § 580.
Mit nur schwer zugänglichen und bisher kaum kommentierten Texten Wittgensteins setzen sich Thomas Weiss, Peter Keicher, Peter K. Westergard und Peter Cripps auseinander. Den philosophischen Rang des "Big Typescript" zeigt Thomas Weiss, indem er ─ dem Umfang dieses größten Typoskripts Wittgensteins zum Trotz ─ darin in aller Ausführlichkeit den Argumentationsgang gegen die von Wittgenstein immer wieder angegangene Gegenstandstheorie der Bedeutung aufspürt. Dabei werden verschiedene mögliche Deutungen der gegenstandstheoretischen Auffassung detailliert untersucht; besonderes Augenmerk schenkt Weiss Wittgensteins Diskussion der hinweisenden Erklärung.
Im offenen Gegensatz zu Weiss meint Peter Keicher, beim "Big Typescript" handle es sich um nicht viel mehr als eine "Materialsammlung"; höher bewertet er dagegen die "Werkeinheit Manuskript 114, zweiter Teil/Manuskript 115, erster Teil" und das damit eng verbundene "Diktat für Schlick".1 Keicher argumentiert mit seinen "Untersuchungen zu Wittgensteins ’Diktat für Schlick’" für die These, daß Wittgenstein diesen Text direkt Schlick diktiert hat, und zwar 1934, textgenetisch und inhaltlich im direkten Umfeld der Arbeit an der "Philosophischen Grammatik". Mit einer abschließenden Notiz geht Keicher in einem Punkt auf den Inhalt des Diktats ein und diskutiert die hier befindliche Bemerkung Wittgensteins zu Heidegger. ─ Keichers Arbeit gehört mit ihrer Vielzahl von biographischen und werkgeschichtlichen Daten zum Ausführlichsten, was bisher zum "Diktat für Schlick" gesagt worden ist.
Für sehr bedeutsam hält Peter K. Westergaard Wittgensteins zum Teil in Geheimschrift verfaßte religiös-philosophische Aufzeichnungen aus dem Herbst 1937; wichtig sind vor allem die Aufzeichnungen zu Paulus. Mit den betreffenden Bemerkungen, die im Aufsatz zitiert werden, gelingt Wittgenstein ─ so Westergaard ─ in dieser Periode ein wichtiger religionsphilosophischer Durchbruch.
Flankiert wird Westergaards Arbeit durch eine Notiz von Peter Cripps. "A Note on Wittgenstein's Remark: ’Es ist schwer, mit einem Messer im Leib zu arbeiten’" stellt eine Verbindung her zwischen dieser, gleichfalls in Geheimschrift aufgeschriebenen Äußerung und Wittgensteins Kierkegaard- und Bibelrezeption.
Den heute wohl prominentesten Vertreter der Hermeneutik zur Sprachphilosophie Wittgensteins zu befragen, gelang Cato Wittusen. In dem freundschaftlichen Gespräch, das wir hier in Auszügen wiedergeben, erläutert Hans-Georg Gadamer, ausgehend von seiner eigenen hermeneutischen Position, Gemeinsamkeiten und Schwierigkeiten, die sich für ihn mit der Philosophie Wittgensteins verbinden.
Zwei weitere Arbeiten von Peter Cripps befinden sich, zwecks leichterer Benutzbarkeit der darin enthaltenen Tabellen, am Ende unseres Bandes. "A Survey of the Duplicate Pages in Wittgenstein's TS 210, TS 211 and TS 213" untersucht die Herkunft und den Status einiger Seiten aus den Typoskripten 210, 211 und 213; diese Seiten sind nicht authentisch, sondern wurden später eingefügt. Die zweite Arbeit, "Catalogue of the Trinity College Library Microfilm of Wittgenstein's Nachlass", ist ein Katalog zum sogenannten Cambridge Mikrofilm des Wittgenstein-Nachlasses. Ebenso akribisch wie die erste, gibt sie Auskunft darüber, was wo auf diesem Film zu finden ist, und ist allen, die mit dem Cambridge-Mikrofilm arbeiten, ein unentbehrlicher Führer.
Wir hoffen, daß durch die Beiträge des 15. Bandes unserer Working Papers, für die wir uns bei unseren Autoren herzlich bedanken, der Umgang mit den Schriften Wittgensteins erleichtert wird und ein ansprechendes Diskussionsangebot für den Leser bereitsteht.
Den Nachlaßverwaltern G.E.M. Anscombe, Georg Henrik von Wright, Anthony Kenny, Joachim Schulte und Peter Hacker sind wir für die Erlaubnis, aus Wittgensteins Nachlaß zitieren zu dürfen, zu Dank verpflichtet.
Bergen, im Sommer 1998 Die Herausgeber
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