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Wir sind aber versucht zu sagen, das einzige wirkliche Kriterium dafür daß Einer liest sei der ihm1 bewußte Akt des Lesens, ein bestimmter Bewußtseinsvorgang; denn „ein Mensch weiß doch,2 ob er wirklich liest, oder bloß vorgibt zu lesen”. – Angenommen A will den B glauben machen, er könne cyrillische Schrift lesen. Er lernt einen russischen Satz auswendig und sagt ihn dann, während er auf den gedruckten Satz sieht3 als läse er. Wir werden hier gewiß sagen, A wisse, daß er nicht liest, und er empfinde, während er zu lesen vorgibt, daß er dies tue. Denn es gibt natürlich eine Menge für das Lesen eines gedruckten oder geschriebenen Satzes charakteristische Erfahrungen; es ist nicht schwer, sich eine Reihe von ihnen ins Gedächtnis zu rufen (denke an Empfindungen des Stockens, genauer Hinsehens, Verlesens, der größeren und geringeren Geläufigkeit der Wörter, etc.). Und ebenso gibt es eine Menge charakteristischer Erfahrungen für das Hersagen von etwas auswendig Gelerntem. – Und A wird, in unserm Fall keine von denen haben die für das Lesen charakteristisch sind, und er wird etwa eine Reihe von Empfindungen und Gedanken haben, die für das Schwindeln charakteristisch sind. – Denke Dir aber diesen Fall:
Wir geben jemandem, der fließend lesen kann, etwas zu lesen, was er nie vorher gelesen4 hat. Er liest es uns vor; aber mit der Empfindung, als sage er etwas auf, was er auswendig wisse5. (Vielleicht durch Einfluß irgend eines Giftes, das er genossen hat.) Würden wir in einem solchen Fall sagen, er läse das Stück nicht wirklich? D.h. würden wir hier6 seine Empfindung als Kriterium dafür gelten lassen, ob er liest oder nicht?
Oder diesen Fall: Wenn man einem Menschen, der unter dem Einfluß eines bestimmten Giftes steht, eine Reihe geschriebener Zeichen zeigt7, die keinem existierenden Alphabet anzugehören brauchen,8 so spricht er, je nach der Anzahl der Zeichen, Wörter aus, als wären jene Zeichen9 die Buchstaben dieser Wörter und als läse er sie.10 Dies geschieht mit allen äußeren Merkmalen11 und mit den persönlichen Empfindungen des Lesens. (Solche Erfahrungen haben wir übrigens in Träumen. Nach dem Aufwachen sagen wir dann etwa: „Es kam mir vor, ich läse diese Zeichen, – obwohl es ja gar keine Zeichen sind.”) In so einem Fall würden manche geneigt sein zu sagen, der Mensch12 lese, Andre, er lese nicht. – Angenommen er habe nun eine Gruppe von fünf Zeichen als das Wort „Nagel” gedeutet. Nun zeigen wir ihm andere Kombinationen derselben Zeichen und er deutet in allen weiteren Versuchen jedes der Zeichen so, legt ihm den gleichen Laut bei, wie das erste Mal. In diesem Falle möchten wir wohl sagen13, er benütze ein imaginäres Alphabet und er lese die Zeichen.
1 [des Lesens sei der uns| dafür daß Einer liest sei der ihm ]
2 [muß doch selber wissen,| weiß doch,]
3 [schaut| sieht]
4 [gesehen| gelesen]
5 [den Empfindungen des Aufsagens von etwas was er auswendig weiß| der Empfindung, als sage er etwas auf, was er auswendig [weiß| wisse]]
6 [Würden wir also hier| D.h. würden wir hier ]
7 [vorlegt| zeigt]
8 [angehören,| anzugehören brauchen,]
9 [Schriftzeichen| Zeichen]
10 [als habe er sie gelesen.| als läse er sie.]
11 [Zeichen| Merkmalen]
12 [Mann| Mensch]
13 [wären wir vielleicht geneigt, zu sagen| möchten wir wohl sagen]
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Nun bedenke auch,1 daß es eine kontinuierliche Reihe vermittelnder Fälle gibt zwischen dem Fall, in welchem jemand das schon auswendig weiß, was er lesen soll, und dem Fall,2 in welchem er jedes Wort Buchstabe für Buchstaben liest, ohne jede Hilfe des Erratens aus dem Zusammenhang, des Auswendig-Wissens, etc. Mache diesen Versuch: Sage die Zahlenreihe von 1 bis 12. – Nun schau auf das Zifferblatt Deiner Uhr und lies diese Reihe. – Frage Dich, was Du in diesem Falle lesen genannt hast. Das heißt, was hast Du getan, um es zum3 Lesen zu machen?
1 [Bedenke auch,| Nun bedenke auch,]
2 [dem,| dem Fall,]
3 [zu einem| zum]
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Versuchen wir diese Erklärung: Jemand liest, wenn er die Reproduktion vom Text1 ableitet. (Ich nenne ‚Vorlage’ das, was er liest; ob er es laut liest, abschreibt, ob es das Diktat ist, nach welchem er schreibt, oder die Partitur, die er spielt, etc. etc.) Wenn wir nun jemand das cyrillische Alphabet gelehrt hätten und wie jeder Buchstabe auszusprechen sei; wenn wir ihm dann ein Lesestück vorlegen und er buchstabiert es, indem er jeden Buchstaben so ausspricht, wie wir es ihn gelehrt haben; dann werden wir gewiß sagen können, er leite den Klang jedes Wortes aus dem Schriftbild des Wortes ab. Und dies ist auch ein klarer Fall des Lesens. (Wir könnten sagen: wir haben ihn die Regel des Alphabets gelehrt.)
1 [von der Vorlage| vom Text]
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Aber warum sollen wir hier sagen,1 er habe das gesprochene Wort vom geschriebenen nach dieser Regel2 des Alphabets abgeleitet? Wissen wir mehr als, daß wir ihn gelehrt haben, wie jeder Buchstabe auszusprechen sei, und daß er dann die gedruckten Worte laut gelesen habe? Wir möchten antworten, daß er dies3 irgendwie gezeigt habe4, daß er den Übergang vom Druckbild zum ausgesprochenen Wort mit Hilfe der Regel mache, die wir ihm gegeben hatten5. Und was wir damit meinen, daß er das zeigt, ist klarer zu sehen, wenn wir unser Beispiel dahin abändern, daß er, statt einen gedruckten Text laut zu lesen, ihn abschreibt, z.B. aus der Blockschrift in die Kursivschrift. Denn hier konnten wir ihm die Regel des Alphabets in Form einer Tabelle geben die Block- und Kursivbuchstaben einander zuordnet. Dann können wir uns das Ableiten der Kopie6 aus der Vorlage so vorstellen: Er schaut, ehe er einen Buchstaben niederschreibt, oder doch öfters, in der Tabelle nach; er sagt etwa zu sich selbst „Wie schaut ein kleines ‚A’ aus?”, – versucht es sich vorzustellen, ohne in die Tabelle zu schauen, etc.
1 [sagten wir hier,| sollen wir hier sagen, ]
2 [mit Hilfe der Regel| nach dieser Regel]
3 [es| dies]
4 [haben muß| habe]
5 [haben| hatten]
6 [Umschrift| Kopie]
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Aber wie, wenn er das alles täte und dabei ein ‚A’ in ein ‚b’ umschriebe, ein ‚B’ in ein ‚c’, u.s.f. und ein ‚Z’ in ein ‚a’? Wäre das nicht auch ein ‚Lesen’ oder ‚Ableiten’?1 Wir könnten in diesem Fall sein Vorgehen so beschreiben: Er benütze die Tabelle, wie wir sie benützen würden, wenn wir in ihr nicht horizontal von links nach rechts sähen, also so:
Graphic, sondern so: Graphic

Obwohl er beim Nachschauen in der Tabelle gerade von links nach rechts geblickt, oder mit dem Finger gezeigt, hatte.
1 [Würden wir das nicht ‚lesen’ oder ‚ableiten’ nennen?| Wäre das nicht auch ein ‚Lesen’ oder ‚Ableiten’?]
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– Aber sagen wir nun, er transkribiere, mit allen normalen Vorgängen des Nachschauens in der Tabelle, ein ‚A’ in ein ‚n’, ein ‚B’ in ein ‚x’, – kurz er transkribiere nicht nach einem Schema, welches, wie wir sagen würden, irgend eine einfache Regelmäßigkeit zeigt1: könnten wir dies nicht auch ‚ableiten’ nennen?
1 [aufweist| zeigt]
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Aber nimm an, er bleibe nicht bei seiner Art der Transkription; sondern ändere sie nach einer einfachen Regel: Hat er einmal ein ‚A’ in ein ‚n’ umgeschrieben, so schreibt er das nächste ‚A’ in ein ‚o’, das nächste in ein ‚p’ um, etc. Aber wo ist die Grenze zwischen diesem Vorgehen und einem gänzlich regellosen? – Nun könnte man einwenden, ich habe im Falle (76) doch offenbar angenommen, daß er die Tabelle in einer andern als der gewöhnlichen Weise auffaßt1. Aber was nennen wir, ‚die Tabelle in der und der Weise auffassen’? Wie immer Du Dir den Vorgang des ‚Auffassens’ vorstellst, so ist er doch nur ein Mittelglied2 zwischen den Vorgängen des Ableitens, die ich beschrieben habe und dem Transkribieren selbst. Ja diese ‚Auffassung’ könnte wieder durch ein3 Schema von Pfeilen beschrieben werden; und wir könnten dann sagen, daß er, z.B., die Tabelle so nachgeschaut:
Graphic,
so verstanden:
Graphicund so transkribiert habe:
Graphic
1 [versteht| auffaßt]
2 [Glied| Mittelglied]
3 [mit einem| durch ein]
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Aber heißt das nun, daß das Wort „ableiten” (oder „auffassen”) nichts Eigentliches bedeute; da es ja scheint, daß sein Sinn, wenn wir ihm nachgehen, in nichts zerfließt?
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Im Falle (75) stand die Bedeutung des Wortes „ableiten” ganz klar vor uns. Aber wir sagten uns, dies sei ja nur ein ganz spezieller Fall des Ableitens. Das Wesentliche dieses Vorganges zeigte sich uns hier in einem besonderen Gewand und es schien, daß wir ihm dieses besondere Gewand nehmen müßten, um das Wesentliche zu sehen. In den Beispielen (76), (77), (78) streiften wir dem Ableiten diese Hüllen ab, nur um zu sehen, daß sie zum Wesen des Ableitens selbst gehörten.1 (Es war als hätten wir versucht, die eigentliche Artischocke zu finden, indem wir sie ihrer Blätter entkleideten.)
1 [versuchten wir dies zu tun, nur um zu finden, daß das, was ein Kleid zu sein schien zum Wesentlichen des [Falles| Ableitens] selbst gehörte.| streiften wir dem Ableiten diese Hüllen ab, nur um zu sehen, daß sie zum Wesen des Ableitens selbst gehörten.]
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Das Ableiten ist allerdings im Beispiel1 (75) dargestellt; d.h., dieses Beispiel zeigt uns einen aus der Familie der Fälle, für die2 dieses Wort gebraucht wird. Und die Erklärung, wofür dieses Wort gebraucht werde, – oder das Wort ‚lesen’, oder der Ausdruck ‚geführt werden’ – besteht in Beispielen, welche charakteristische Züge des Gebrauchs vor Augen führen. Manche dieser Beispiele werden einen solchen Zug in übertriebener Form darstellen, manche in Übergangsformen, manche werden uns sein Abklingen zeigen. Stelle Dir vor, es wollte Dir jemand einen Begriff geben von den besonderen Gesichtszügen der Mitglieder einer gewissen Familie. Er tut dies, indem er Dir Familienportraits zeigt und auf die charakteristischen Züge in ihnen hinweist. Seine Aufgabe wird darin liegen, Dir diese Bilder in der richtigen Folge und in den richtigen Zusammenstellungen zu zeigen; so daß Du z.B. sehen kannst, wie gewisse Einflüsse die Züge der Familie nach und nach geändert haben; oder, in welcher besondern Weise diese Gesichter altern, welche Gesichtszüge dabei besonders hervortreten, u.s.f.3
1 [in| im Beispiel]
2 [in denen| für die]
3 [etc.| u.s.f.]
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Es war nicht das die Aufgabe unserer Beispiele, das Wesen des Ableitens, Lesens, u.s.f., durch einen Schleier unwesentlicher Züge sehen zu lassen. Und die Beispiele waren nicht Beschreibungen eines Äußern zu dem Zweck, uns auf ein Inneres ahnen zu lassen, das1 wir aus irgendeinem Grund nicht in seiner Nacktheit zeigen können2. Wir sind versucht, zu denken, daß diese Beispiele indirekte Hilfsmittel sind, um in unserm Geist ein gewisses Bild, eine gewisse Idee, entstehen zu lassen3; daß sie etwas andeuten, was sie nicht zeigen können. (Dies geschähe etwa,4 wenn ich jemandem ‚ein Bild davon geben möchte’, wie es war, als Leute in meiner Jugend Walzer tanzten.)
1 [einen Kern raten zu lassen, den| auf ein Inneres ahnen zu lassen, das]
2 [konnten| können]
3 [zu erzeugen| entstehen zu lassen]
4 [wäre etwa so,| geschähe etwa,]
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Unsere Methode ist rein beschreibend; die Beschreibungen, die wir geben, sind nicht Andeutungen von Erklärungen.
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„Aber, lesen” – möchten wir sagen – „ist doch ein ganz bestimmter Vorgang! Lies eine Druckseite, dann kannst Du's sehen; es geht da etwas Besonderes vor, was sich mit nichts verwechseln läßt1.”
Nun, was geht denn vor, wenn ich lese? Ich sehe gedruckte Wörter und spreche Wörter aus. Aber das ist natürlich nicht alles, denn ich könnte ja leicht gedruckte Wörter sehen und Wörter aussprechen und es wäre doch nicht lesen. Auch dann nicht wenn die Wörter die ich spreche die sind, die man von jenen gedruckten Wörtern, einem bestehenden Alphabet entsprechend, ablesen soll. Und wenn Du sagst, das Lesen sei ein ganz bestimmtes Erlebnis so spielt es ja dabei gar keine Rolle, ob Du nach einer von den Menschen allgemein anerkannten Regel des Alphabets liest, oder nicht. – Worin besteht also das Charakteristische am Erlebnis des Lesens? – Da möchte ich sagen, „Die gesprochenen Wörter kommen in besonderer Weise”. Nämlich sie kommen nicht so, wie sie kämen, wenn ich sie z.B. ersänne. Sie kommen von selbst. Aber auch das ist nicht genug; denn mir können ja allerlei Wörter einfallen während ich auf die gedruckten schaue und ich habe diese damit doch nicht gelesen. Da könnte ich noch sagen, daß mir die gesprochenen Wörter auch nicht so einfallen, als erinnerte mich z.B. etwas an sie. Sondern die gesprochenen Worte schlüpfen beim Lesen gleichsam herein. Ja, ich kann ein gedrucktes Wort – wenn ich die Druckschrift kenne – gar nicht ansehen, ohne einen eigentümlichen Vorgang des inneren Hörens des Worts.
1 [nichts anderm vergleichen läßt| nichts verwechseln läßt]
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Ich möchte z.B. nicht sagen: „Das (gedruckte) Zeichen „nichts” erinnert mich immer an den Laut „nichts””. Ich sagte doch die gesprochenen Worte kämen beim Lesen ‚in besonderer Weise’; aber in welcher Weise? Ist dies nicht eine Fiktion? Sehen wir uns einzelne Buchstaben an und geben acht in welcher Weise der Laut des Buchstabens kommt. Lies den Buchstaben ‚A’. Nun wie kam der Laut? Wir wissen gar nichts darüber zu sagen. – Nun lies den
Buchstaben ‚a’ im Spiel (37) indem Du die entsprechende Bewegung mit der Hand machst! Wie kam diese Bewegung? anders als der Laut im vorigen Versuch? – Ich habe in die Tabelle geschaut und die entsprechende Bewegung gemacht; mehr weiß ich nicht zu sagen. – Nun schau auf das Zeichen ‚Graphic’ und laß Dir dabei einen Buchstaben einfallen; sprich ihn aus. Mir fiel der Laut ‚U’ ein, aber ich könnte nicht sagen, es war ein wesentlicher Unterschied in der Art und Weise, wie dieser Laut kam. Der Unterschied lag in der etwas andern Situation: ich hatte mir vorher gesagt, ich solle mir einen Laut einfallen lassen; es war eine gewisse Spannung da, ehe der Laut kam. Und ich sagte mir nicht:1 „das ist ein ‚U’”, wie beim Anblicken des Zeichens ‚U’.2 Auch war mir jenes Zeichen nicht vertraut, wie die Buchstaben; ich sah es gleichsam gespannt, mit einem gewissen Interesse für seine Form an, ich dachte dabei an ein umgekehrtes Graphic. Und wenn Du sagst, der Buchstabe A ‚erinnere’ Dich nicht an den Laut, wie etwa der Anblick eines Krokodils an das Wort ‚fressen’, so gibt es da Übergänge; Du könntest z.B. die Form A an einem Holzbock oder an einem Dachstuhl sehen und der Laut ‚a’ fiele Dir nicht ein; oder aber der Anblick könnte Dich an ein A erinnern und Du sprichst den Laut aus. – Stelle Dir vor, Du müßtest nun das Zeichen Graphicwirklich als Lautzeichen benützen, Du gewöhnst Dich also daran, bei seinem Anblick einen bestimmten Laut auszusprechen, etwa den Laut ‚st’. Können wir mehr sagen, als daß nach einiger Zeit dieser Laut automatisch kommt, wenn wir das Zeichen sehen? D.h., ich frage mich3 bei seinem Anblick nicht mehr, „Was ist das für ein Buchstabe?”, – auch sage ich mir natürlich nicht, „Ich will bei diesem Zeichen den Laut ‚ st’ aussprechen”, noch auch „Dieses Zeichen erinnert mich irgendwie an den Laut ‚ st’”.
1 [Und mir [fiel dabei nicht der Satz ein| kam dabei nicht der Satz]| Und ich sagte mir nicht: ]
2 [wie er mir beim Anblick des Zeichens ‚U’ kommt.| wie beim Anblicken des Zeichens ‚U’.]
3 [wir fragen uns| ich frage mich]
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Was ist nun an dem Satz1, das Lesen sei doch ‚ein ganz bestimmter Vorgang’? Das heißt doch wohl, beim Lesen finde immer ein bestimmter Vorgang statt, den wir wiedererkennen. – Aber wenn ich einmal einen Satz im Druck lese und ein andermal mich im Spiel (37) nach einem Satz bewege unter Benützung der Tabelle, – findet hier wirklich der gleiche seelische Vorgang statt? Dahingegen ist aber freilich eine Gleichförmigkeit im Erlebnis des Lesens einer Druckseite! Denn der Vorgang ist ja ein gleichförmiger. Und es ist ja leicht verständlich2, daß sich dieser Vorgang unterscheidet von dem etwa, sich Wörter beim Anblick beliebiger Striche einfallen zu lassen. Denn schon der bloße Anblick einer gedruckten Zeile ist ja ungemein charakteristisch, d.h., ein ganz spezielles Bild: Die Buchstaben alle ungefähr von der gleichen Größe, immer wiederkehrend; die Wörter, die sich zum großen Teil ständig wiederholen und uns unendlich wohlvertraut sind, ganz wie wohlvertraute Gesichter. – Denke an das Unbehagen, das wir empfinden, wenn die Rechtschreibung eines Wortes geändert wird (und an die noch tiefern Gefühle, die Fragen der Schreibung von Wörtern in manchen Menschen aufgeregt haben). Freilich, nicht jede Zeichenform hat sich uns tief eingeprägt. Ein Zeichen wie ‚~’ für die Verneinung kann, ohne in uns etwas aufzuregen, durch ein beliebiges anderes ersetzt werden. – Bedenke, daß das gesehene Wortbild uns in ähnlicher Weise vertraut ist wie das gehörte. – Auch gleitet der Blick anders über die gedruckte Zeile, als über eine Reihe beliebiger Striche3 Graphic. (Ich rede hier nicht von dem was durch Beobachtung der Augenbewegung festgestellt werden kann.) Er gleitet, möchte man sagen, besonders widerstandslos, ohne hängen zu bleiben, und doch ohne zu rutschen.4 Und dabei geht ein unwillkürliches Sprechen in der Vorstellung vor sich. Und so verhält es sich, wenn ich Deutsch und5 andere Sprachen lese, gedruckt oder geschrieben, und in verschiedenen Schriftarten. – Was aber von dem allen ist für das Lesen als solches wesentlich? Nicht ein Zug der in allen Fällen des Lesens vorkäme. <!>
1 [der Behauptung| dem Satz]
2 [natürlich| leicht verständlich]
3 [Haken| Striche]
4 [und doch rutscht er nicht.| und doch ohne zu rutschen.]
5 [oder| und]
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Aber empfinden wir nicht wenn wir lesen eine Art Verursachung unseres Sprechens durch die Wortbilder? Lies einen Satz –1 und nun schau der Reihe
Graphic
entlang und sprich dabei einen Satz. Ist es nicht deutlich fühlbar2, daß im ersten Versuch3 das Sprechen mit dem Anblick der Zeichen verbunden war und im zweiten ohne Verbindung4 neben dem Schauen herläuft?
1 [,|]
2 [klar| deutlich fühlbar]
3 [Fall| Versuch]
4 [unverbunden| ohne Verbindung]
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Aber warum sagst Du, wir fühlten eine Verursachung? Verursachung ist doch das, was wir durch Experimente feststellen, indem wir das regelmäßige Zusammentreffen von Ereignissen1 beobachten. Wie könnte ich denn sagen, daß ich eben das, was so durch Versuche festgestellt wird, fühle? (Später muß noch hievon die Rede sein.) Eher könnte man sagen, ich fühle, daß die Buchstaben der Grund sind warum ich so und so lese. Denn wenn mich jemand fragte, „warum liest Du so?”, so begründe ich es durch die Buchstaben, welche da stehen. – Aber was soll es heißen diese Begründung, die ich ausgesprochen, gedacht, habe, zu fühlen? – Ich möchte sagen: ich fühle beim Lesen einen gewissen Einfluß der Buchstaben auf mich, aber nicht einen Einfluß jener Schnörkel auf das, was ich rede. Vergleichen wir wieder einen einzelnen Buchstaben mit einem solchen Schnörkel. Würde ich auch sagen, ich fühle den Einfluß von ‚i’ wenn ich diesen Buchstaben lese? Es ist natürlich ein Unterschied, ob ich beim Anblicken von ‚i’ den Laut ‚i’ sage, oder beim Anblicken von Graphic. Der Unterschied ist, daß das innere Hören des i-Lauts beim Anblick des Buchstaben automatisch, ja gegen meinen Willen, geschieht; und wenn ich den Buchstaben laut lese, sein Aussprechen anstrengungsloser ist, als wenn ich beim Hinschauen auf Graphic‚i’ sage. – Das heißt, es2 verhält sich so, wenn ich den Versuch mache; aber natürlich nicht, wenn ich, zufällig auf den Strich Graphicsehend, in irgendeinem Zusammenhang etwa ein Wort ausspreche, in dem der i-Laut vorkommt.
1 [Vorgängen| Ereignissen]
2 [das| es]
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Wir wären ja nie auf den Gedanken gekommen, wir fühlten einen Einfluß der Buchstaben1 auf uns beim Lesen wenn wir ihren2 Fall nicht mit dem beliebiger Striche verglichen hätten. Und hier merken wir allerdings einen Unterschied. Und diesen Unterschied deuten wir als Einfluß, und Fehlen des Einflusses. Und zwar sind wir zu dieser Deutung dann besonders geneigt, wenn wir absichtlich langsam lesen, – etwa um zu sehen, was denn beim Lesen geschieht. Wenn wir uns sozusagen recht absichtlich von den Buchstaben führen lassen. Aber dieses ‚mich führen lassen’ besteht eben nur darin, daß ich mir die Buchstaben gut anschaue, etwa gewisse andere Gedanken ausschalte. – Überlege Dir hier, was Du eigentlich tust, wenn Du jemand Dich bei der Hand einen Weg führen läßt. –
1 [ Wortbilder| Buchstaben]
2 [diesen| ihren]
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Wir bilden uns ein, wir nähmen durch ein Gefühl, quasi, einen verbindenden Mechanismus wahr zwischen dem Wortbild und dem Laut den wir sprechen. Denn, wenn ich vom Erlebnis des Einflusses, der Verursachung, des Geführtwerdens rede, so soll das ja heißen, daß ich sozusagen die Bewegung der Hebel fühle, die den Anblick der Buchstaben mit dem Sprechen der Laute verbinden.
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Ich hätte nun mein Erlebnis beim Lesen eines Wortes auf verschiedene Weise treffend in1 Worten darstellen können. So könnte ich sagen, was beim Lesen eines Wortes geschehe, sei nicht bloß, daß ich sehe und dabei etwas ausspreche, sondern ich fühle auch, daß mir das Geschriebene das was ich sage eingebe. Aber ich hätte auch sagen können, daß beim Lesen der Worte das Bild des Buchstabens und der Laut eine eigentümliche Einheit bilden. So2 daß man den Zusammenhang des Lautes e mit dem Schriftzeichen ‚e’ dadurch erklären möchte, indem3 man auf das Zeichen weisend sagt: „Das ist ja ein e”. (Ein Zusammenhang, eine ‚Einheit’, der zwischen dem Bild des Buchstaben und seinem Klang4, besteht z.B. zwischen den Gesichtern berühmter Männer und dem Klang ihrer Namen. Wenn Du Dir z.B. Namen wie Schubert, Haydn, Mozart, sagst und Dir dabei die Gesichter dieser Männer vorstellst, so kann es Dir so vorkommen, als ob jene Namen der richtige Ausdruck für diese Gesichtszüge wären; daß etwa mit dem Namen Schubert dieses Gesicht richtig beschrieben sei.) Es ist mir, wenn ich das Erlebnis dieser Einheit habe, als könne ich z.B. beim Lesen des Wortes ‚ja’ zwischen dem geschriebenen Wort und dem ausgesprochenen nicht5 unterscheiden; ich könnte sagen, das Aussprechen sei6 ein Teil der Wahrnehmung des Zeichens selbst.
1 [mit| in]
2 [in einem eigentümlichen Sinn eine Einheit bilden; so| eine eigentümliche Einheit bilden. So ]
3 [daß| indem]
4 [dieser nicht unähnlich| der zwischen dem Bild des Buchstaben und seinem Klang]
5 [nicht recht| nicht]
6 [oder, wie ich auch sagen könnte, als wäre das Aussprechen| ich könnte sagen, das Aussprechen sei ]
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Aber jetzt lies einmal ein paar Sätze im Druck, so wie Du's gewöhnlich tust, wenn Du nicht an den Begriff des Lesens denkst; und frage Dich dann1, ob Du beim Lesen solche Erlebnisse der Einheit, des Einflusses etc. gehabt hast. Sage nicht, Du habest sie unbewußt gehabt! – Auch lassen wir uns nicht durch das Bild verleiten: ‚Beim nähern Hinsehen’ zeigen sich diese Erscheinungen. (Wenn ich beschreiben will, wie ein Gegenstand2 aus der Ferne ausschaut, so wird diese Beschreibung dadurch nicht genauer, daß ich sage3, was ich bei der Betrachtung aus der Nähe an ihm sehe.)
1 [ dann frage Dich| frage Dich dann]
2 [Berg| Gegenstand]
3 [beschreibe| sage]
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Ich kann zwar sagen, wer liest, werde von den Buchstaben geführt; und wer einen Satz sagt und dabei jener Reihe von Schnörkeln entlang schaut, werde nicht geführt. Dies ist eine Erklärung für den, der den Ausdruck ‚von Buchstaben geführt werden’ versteht ehe er das Wort ‚lesen’ versteht. Aber es wäre falsch zu sagen: „Wer liest hat das Gefühl, Erlebnis, des Geführtwerdens”. (Es sei denn, daß damit bloß jedem Erlebnis beim Lesen der Name ‚Erlebnis des Geführtwerdens’ gegeben werden soll.)
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Denke wieder daran, was Du erlebst, fühlst, wenn Du einen Weg geführt wirst. Denke Dir diesen Fall: Du bist auf einem ebenen Platz (vielleicht mit verbundenen Augen) und wirst von jemand an der Hand geleitet, bald rechts bald links; Du mußt immer des Zuges seiner Hand gewärtig sein, und etwa achtgeben, daß Du bei einem unerwarteten Zug nicht stolperst. (Dies könnte in einem Spiel vorkommen.) – Oder aber: Du wirst von jemandem an der Hand dort und dahin geschleppt, wo Du nicht gehen willst. – Oder: Du wirst im Tanz von einem Partner geführt. Du stellst Dich so rezeptiv als möglich ein, um seine Absicht zu erraten und dem leisesten Drucke zu folgen. – Oder: Jemand führt Dich einen Spazierweg. Ihr geht im Gespräch neben einander her und wo immer er geht, gehst Du auch. – Oder: Du gehst eine Straße entlang (und wirst von ihr geführt). Alle diese Situationen sind einander ähnlich; aber was ist allen den Erlebnissen gemeinsam?
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„Aber geführt werden ist doch ein bestimmtes Erlebnis.” – Über diesen Gebrauch des Wortes ‚bestimmt’, später. Aber es ist jedenfalls nicht immer dasselbe Erlebnis. Und wenn Du sagst, es ist ein bestimmtes Erlebnis, so ist die Antwort darauf: Nein, Du denkst an ein bestimmtes Erlebnis des Geführtwerdens.1
1 [Du denkst an ein bestimmtes Erlebnis des Geführtwerdens.| Nein, Du denkst an ein bestimmtes Erlebnis des Geführtwerdens.]
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Überlege Dir etwa diese Fälle: Im Spiel (38) schaut Einer, der1 nach den Befehlen eine Linie zieht vor jedem Linienstück gewissenhaft auf den Buchstaben im Satz. Wir können uns davon leicht eine Vorstellung machen, und wir werden sagen: der wird geführt.
1 [welcher| der]
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Nehmen wir an B mache es im Spiel (47) ebenso; wenn wir nun aber die Zahl der Sätze in dem Spiel erweitern, etwa die Sätze ‚a c a a’ und ‚c c a a’ einführen wollen, so reagiert B gar nicht auf sie; er benimmt sich als haben wir ihm etwas gänzlich Fremdes1 gezeigt. Soll ich nun sagen, sein genaues Ansehen jedes Buchstaben etc. sei nur automatisches Handeln gewesen? Er habe die Sätze doch nicht als Sätze aufgefaßt, sondern, sozusagen, nur als Wörter?
1 [Fremdartiges| Fremdes]
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Denke Dir das Spiel (38) mit Hilfe der Tabelle (37) gespielt. Es gibt nun verschiedene Varianten: nach der einen zieht B die Linienstücke immer parallel zu den Pfeilen der Tabelle, nach einer andern aber in einem Winkel von 30• zu ihnen, etc.. Du kannst Dir nun jemanden vorstellen der immer wieder vergißt, welche Version er spielt. Er schaut gewissenhaft in die Tabelle, zieht aber dann regellos in irgendeiner Richtung. Das könnte man sich so vorstellen daß er jedesmal ein anderes Erklärungsschema der Tabelle im Geiste vor sich sieht. Aber wenn er das Spiel richtig spielte, so würden wir doch sagen er werde geführt, und habe das Erlebnis des Geführtwerdens, auch wenn er kein Erklärungsschema der Tabelle vor sich sieht. Warum also nicht auch hier? Und wird er nun geführt, wenn er gewissenhaft in der Tabelle nachschaut und gewissenhaft regellos die Striche zieht? „Aber, wer sich nach den Pfeilen richtet, sagt sich doch: ‚Ich ziehe den Strich darum so, weil der Pfeil dahin zeigt’.” – Aber warum sollte unser vergeßlicher Freund sich nicht gerade das sagen?
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Es kann Einer auch die Sätze und welche Figur sie bedeuten in (47) auswendig wissen, aber sich dennoch, gleichsam zur Vorsicht von ihnen führen lassen: sie Buchstabe für Buchstabe ansehen etc..
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Stelle Dir auch diesen Fall vor: Wir zeigen Einem, der das Spiel (37) gespielt hat einen Satz dieses Spiels; dann sagen wir ihm: „Gehe, wie es Dir gerade einfällt”. Wir bemerken nun, daß der Weg den er nimmt immer eine bestimmte Beziehung zu dem Satz hat, den wir ihm gezeigt hatten. (Er geht etwa immer entgegen den Pfeilrichtungen der Tabelle.) – –
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Wenn ich mir das Erlebnis des Geführtwerdens vergegenwärtigen will, so stelle ich mir das ‚gewissenhafte’ Nachsehen, etc., vor. Ich nehme dabei sogar einen bestimmten Gesichtsausdruck an (etwa eines gewissenhaften Buchhalters). An diesem Bild ist z.B. die Sorgfalt sehr wesentlich; an einem andern Bild wieder1, das Ausschalten jedes eigenen Willens. (Denke Dir, daß Einer das, was der gewöhnliche Mensch mit den Zeichen der Unachtsamkeit tut, mit dem Ausdruck – und warum nicht mit den Empfindungen? – der Sorgfalt begleitet2: Er läßt das Geschirr sorgsam auf den Boden fallen, verschüttet ebenso das Wasser auf dem Tisch, etc.. Ist er nun sorgfältig? –) Stelle ich mir so einen bestimmten Vorgang lebendig vor, so erscheint er mir als das Erlebnis des Geführtwerdens (oder Lesens). Nun aber frage ich mich: „Was tust Du? – Du schaust auf jedes Zeichen, Du machst dieses Gesicht dazu, Du ziehst das Linienstück langsam (u. dergl.). – Das ist also das Erlebnis des Geführtwerdens? Da möchte ich sagen: „Nein, das ist es nicht; es ist etwas Innerlicheres, Wesentlicheres”. – Es ist, als ob zuerst all diese mehr oder weniger unwesentlichen Vorgänge in eine bestimmte Atmosphäre gekleidet wären, die sich nun verflüchtigt, wenn ich sie beschreiben will.3
1 [etwa| wieder]
2 [macht| begleitet]
3 [genau hinschaue.| sie beschreiben will.]
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Frage Dich, wie Du ‚mit Bedacht’ eine Strecke parallel einem Pfeil ziehst, ein andermal mit Bedacht in einem Winkel zu dem Pfeil. Was ist das Erlebnis des Bedachts? Da fällt Dir gleich eine bestimmte Miene, eine Gebärde ein, – und dann möchtest Du sagen: „und es ist eben ein bestimmtes inneres Erlebnis”. (Womit Du natürlich gar nichts mehr gesagt hast.)
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(Du merkst einen Zusammenhang mit der Frage nach dem Wesen der Absicht, des Willens, – des Meinens und Verstehens.)
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Mache einen beliebigen Fahrer auf dem Papier Graphicund nun zeichne ihn daneben nach Graphic, laß Dich von ihm führen. – Ich könnte1 sagen: „Gewiß! ich habe mich jetzt führen lassen. Aber was dabei Charakteristisches geschehen ist –? Wenn ich sage, was geschehen ist, so kommt es mir nicht mehr charakteristisch vor.”
1 [möchte| könnte]
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Aber nun merke ich dies: Während ich mich führen lasse ist alles recht1 einfach, ich merke nichts Besonderes; aber danach, wenn ich mich frage, was damals geschehen ist, so scheint es etwas Unbeschreibbares gewesen2 zu sein. Danach genügt mir keine Beschreibung. Ich kann, sozusagen, nicht glauben, daß ich bloß hingeschaut, das Gesicht gemacht, den Strich gezogen habe. – Aber erinnere ich mich denn an etwas anderes? Nein; und doch kommt mir vor, als müsse etwas anderes3 gewesen sein; und zwar dann, wenn ich mir dabei das Wort ‚führen’, ‚Einfluß’, und andere, vorsage4. Denn ich bin doch geführt worden, sage ich mir. – Dann erst tritt die Idee jenes ätherischen, ungreifbaren, Einflusses auf. (Zusammenhang mit dem Problem des ‚willkürlichen Handelns’. W. James: Was geschieht, wenn ich, nach längerem Überlegen, des morgens aus dem Bett steige.
1 [ganz| recht]
2 [etwas Unbeschreibbares geschehen| es etwas Unbeschreibbares gewesen]
3 [ Anderes| anderes]
4 [sage| vorsage]
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Ich habe nämlich das Gefühl1 wenn ich nachträglich über das Erlebnis denke, daß das Wesentliche daran2 das ‚Erlebnis eines Einflusses’, einer Verbindung ist, im Gegensatz zu irgendeiner bloßen Gleichzeitigkeit von Phänomenen; dabei3 aber möchte ich kein erlebtes Phänomen ‚Erlebnis des Einflusses’ nennen. ( Hier liegt die Idee4: der Wille ist keine Erscheinung.) Ich möchte sagen, ich hätte das ‚Weil’ erlebt; –5 doch will ich keine Erscheinung ‚Erlebnis des Weil’ nennen.
1 [fühle nämlich| habe nämlich das Gefühl]
2 [an ihm| daran]
3 [zugleich| dabei]
4 [Die Idee| Hier liegt die Idee]
5 [; und|; –]
DIPLO
Vergleichen wir damit diesen Fall: Jemand soll sagen, was er fühlt, wenn er ein Gewicht auf der flachen Hand hält1. – Ich kann mir nun vorstellen, daß hier ein Zwiespalt entsteht: Einerseits sagt er sich, was er fühle2, sei ein Druck gegen die Handfläche und eine Spannung in den Muskeln seines Arms; anderseits will er sagen: „aber das ist doch nicht alles3; ich empfinde doch einen Zug, ein Streben, des Gewichts nach unten!”. Aber wann empfindet er denn dieses ‚Streben’? Wenn er an das ‚Streben’ denkt. Mit dem Worte ‚Streben’ ist hier ein bestimmtes Bild, eine Geste, ein Tonfall, verbunden; und die ‚Empfindung des Strebens’ hast Du, wenn Dir dieses Bild, diese Geste, ja dieses Wort, vorschweben. – Denke auch daran: Manche Menschen sagen, von jemandem4 gehe ‚ein Fluidum’ auf sie aus. – Daher fiel uns auch das Wort ‚Einfluß’ ein.– Ich möchte sagen, „Ich erlebe das Weil”. – Aber nicht, weil ich mich dieses Erlebnisses erinnere, sondern, weil ich beim Philosophieren über das, was ich erlebe, dies5, gleichsam, durch das Medium (die Atmosphäre) des Begriffes ‚weil’ (oder ‚Einfluß’, oder ‚Ursache’, oder ‚Verbindung’) anschaue. Denn es ist schon richtig, zu sagen, ich habe diese Linie unter dem Einfluß der Vorlage gezeichnet6; dies liegt aber nicht bloß7 in dem, was ich während dem8 Ziehen der Linie empfinde, sondern auch, z.B., darin, daß ich sie der andern parallel ziehe (obwohl auch das natürlich für das Geführtwerden nicht allgemein wesentlich ist). Wir sagen auch: „Du siehst ja, daß ich von ihr geführt werde”; und was sieht der, der das sieht? – Es kann aber auch das das Geführtwerden ausmachen, was ich über den Vorgang sage, wenn er schon geschehen ist.9 Z.B., daß ich sage „Ich bin geführt worden”. – Dies klingt befremdlich, denn wie kann etwas dadurch nachträglich10 wahr werden, daß ich sage es habe sich so verhalten? – Die Verwendung der Vergangenheitsform ist aber hier ähnlich der des Verbums ‚meinen’ in Sätzen wie: „Als ich von Heinrich IV. sprach, meinte ich den König von Frankreich”. (Hievon muß später die Rede sein.) Wir werden unter Umständen, auch darum sagen, jemand sei geführt worden, weil er nachträglich seine Handlung unter dem Begriff des Geführtwerdens sieht. ( Das hängt auch damit11 zusammen, daß wir sagen, jemand könne mit Sicherheit das Motiv seiner Handlung wissen; nicht aber ihre Ursache.)12
1 [ ihm ein Gewicht auf der flachen Hand ruht| er ein Gewicht auf der flachen Hand hält]
2 [fühlt| fühle]
3 [ Alles| alles]
4 [dem und dem| jemandem]
5 [dieses| dies]
6 [Denn freilich tue ich, was ich tue, unter dem Einfluß der Vorlage| Denn es ist schon richtig, zu sagen, ich habe diese Linie unter dem Einfluß der Vorlage gezeichnet]
7 [einfach| bloß]
8 [beim| während dem]
9 [[ darnach| im nachhinein] sage.| sage, wenn er schon geschehen ist.]
10 [im nachhinein| nachträglich]
11 [Dies hängt damit| Das hängt auch damit ]
12 [.) |; nicht aber ihre Ursache.)]
219DIPLO
Wenn ich zu mir selbst sage: „Ich werde doch geführt”, so mache ich etwa eine Handbewegung, die das Führen ausdrückt: Mach eine solche Handbewegung, gleichsam als leitetest Du jemand entlang (ohne es aber zu tun) und frage Dich, worin denn das Führende dieser Bewegung besteht. Denn Du hast hier eingestandenermaßen niemanden geführt und doch möchtest1 Du die Bewegung eine ‚führende’ nennen. Also war in dieser Bewegung und der Empfindung dabei nicht das Wesen des Führens enthalten und doch konntest Du nicht umhin diese Bezeichnung zu gebrauchen. Es ist eben eine Erscheinungsform des Führens, die Dir diesen Ausdruck aufdrängt. – Erinnere Dich der Diskussion von (66).
1 [könntest| möchtest]
220DIPLO
Denke Dir eine Fläche die in verschiedenen Farben gemalt ist. Und zwar ist etwa ein Stück grün. Das Grün geht nach verschiedenen Seiten in andere Farben über; nach der einen wird es immer gelblicher und endlich reines Gelb, nach einer andern wird es bläulicher und endlich blau1, und das Blau2 geht nach einer Richtung in Weiß über, etc.. Nach manchen Seiten hin wechselt die Farbe rasch, – man könnte sagen, das Farbgefälle ist steil, – nach andern ist es flacher und stückweise ist es ganz oder beinahe eben. – Denke Dir nun diese Fläche groß, daß Du sie nicht überschauen kannst; Du gehst etwa auf ihr spazieren. – Du stehst3 gerade im Blauen und Bläulichen; nun sollst Du sagen, was für eine Farbe die Fläche hat. Es besteht nämlich eine Tendenz, zu glauben, sie habe eine Farbe. Da wirst Du versucht sein, zu sagen: „Sie ist eigentlich blau; freilich spielt das Blau auch in andere Farben, aber das Gemeinsame, das Charakteristische ist: sie ist blau.”
1 [himmelblau| blau]
2 [dieses| das Blau]
3 [bist| stehst]
DIPLO
Kommst Du nun aber mehr ins Rötliche, so wird sich Dein Gefühl ändern; und Du wirst sagen wollen: „Vielleicht hätte ich eigentlich sagen sollen, sie ist blaurot; das Blaue war nur ein Grenzfall; eigentlich ist sie blaurot.” Du könntest dann von Farbe zu Farbe geführt und von jeder betrogen werden. An jeder möchten wir krampfhaft festhalten, – bis keine Spur mehr von ihr da ist und wir einem andern Eindruck unterliegen.
DIPLO
Je wohlvertrauter mir dann der Farbton ist, je stärker der Eindruck, den er auf mich macht, desto mehr bin ich geneigt ihn für die Farbe der Fläche zu nehmen.
221DIPLO
So ist es wenn gefragt wird: „Was ist das Wesen der Strafe?”, – und nun der Eine sagt, eigentlich ist jede Strafe ein Akt der Rache, ein Andrer, das Wesen der Strafe ist Abschreckung, u.s.f.. Aber gibt es nicht typische Fälle der Rache der Gesellschaft, und wieder typische Fälle einer1 Abschreckungsmaßnahme, und andere, der Strafe als Besserungsmittel; und nicht unzählige Mischungen und Zwischenstufen?2
1 [der| einer]
2 [Zwischenstufen und Mischungen?| Mischungen und Zwischenstufen?]
DIPLO
Würden wir also nach dem Wesen der Strafe gefragt, oder nach dem Wesen der Revolution, oder nach dem Wesen des Wissens, oder des kulturellen Verfalls, oder des Sinnes für Musik, – so würden wir nun nicht versuchen, ein Gemeinsames aller Fälle anzugeben, – das, was sie alle eigentlich sind, – also ein Ideal, das in ihnen allen enthalten ist; sondern statt dessen Beispiele, gleichsam Zentren der Variation.
DIPLO
So, wenn man uns fragt: „Worin besteht ‚Lesen’?”, so möchten wir sagen: Lesen ist eine bestimmte geistige Tätigkeit. Dann sind wir geneigt etwas zu lesen, um zu sehen, worin diese Tätigkeit besteht. Und zwar merken wir beim gewöhnlichen Lesen nichts, und wollen nun näher zusehen. Da scheint es uns dann, als sehen wir jetzt etwas: die Wortgestalten sprechen in bestimmter Weise zu uns. Sie sind uns wohl bekannte, ausdrucksvolle Physiognomien (dies gilt vielleicht besonders von den geschriebenen, und in einer uns wohlvertrauten Handschrift). Und es ist gerade das Wohlvertraute des Eindrucks, das uns verführt zu glauben, hier hätten wir nun das Wesentliche. Aber wir brauchen nur weiter im Gebiet des Lesens spazieren zu gehen, und von diesem bestimmten Eindruck ist nichts mehr vorhanden, die Landschaft ändert sich.
222DIPLO
So geht es uns mit vielen Begriffen – z.B. dem des Bildes, der Abbildung –: denken wir über sie nach, so denken wir zuerst an den Teil ihrer Ausdehnung, in dem wir, man könnte sagen, zu Hause sind. Von dort zieht es uns in die Weite; und wir werden nicht gewahr, daß Alles1 sich nun nach und nach, gänzlich ändert2. Und zu sagen: im Grunde ist es ja immer dasselbe, – heißt jetzt vielleicht nur mehr: von dort komme ich her, auf diesen Zustand will ich alles beziehen.3
1 [alles| Alles]
2 [geändert hat| ändert]
3 [, mit diesem Zustand will ich alles vergleichen.|, auf diesen Zustand will ich alles beziehen.]
DIPLO
Was heißt es nun, wenn wir sagen, die Buchstaben unserer Schrift, oder die Wortbilder und Klänge, seien uns wohlvertraut, – oder wir erkennten sie wieder, wenn wir sie wahrnehmen?
DIPLO
Gibt es ein Gefühl der Vertrautheit und haben wir es also, wenn immer wir vertraute, bekannte, Gegenstände wahrnehmen? Ja hast Du für gewöhnlich, wenn Du die wohlbekannten Dinge Deiner Umgebung ansiehst ein Gefühl der Vertrautheit? – Wann haben wir so ein Gefühl1? – Es wäre aber leicht gewesen, zu sagen, bei welchen Gelegenheiten wir die entgegengesetzten Gefühle haben: Überraschung, Erstaunen, Befremdung, etc.. – Denken wir uns dieses Spiel2:
A zeigt dem B eine Reihe von Gegenständen; B soll sagen, ob er sie kennt, oder nicht.
1 [solche Gefühle| so ein Gefühl]
2 [diesen Vorgang| dieses Spiel]
223DIPLO
Vergleiche diese Fälle: A zeigt dem B etwa eine Reihe von Apparaten: ein Thermometer, ein Spektroskop, ein Elektrometer, eine Waage, u.a.; dann aber einen Bleistift, eine Feder, einen Kieselstein.
In einigen dieser Fälle: ein Suchen und Nachdenken: „Was ist das nur?” – Dann wieder sagt er bloß1: Natürlich „Eine Waage!” (gleichsam aufatmend). Bei Bleistift und Feder wundert er sich, daß ihm so Wohlbekanntes gezeigt wird, und beim Kieselstein weiß er zuerst nicht, was er sagen soll, weil er auf Gegenstände eingestellt ist, die einen bestimmten Zweck haben. Endlich sagt er mit einem Achselzucken: „Es ist ein gewöhnlicher Kieselstein”. – Bei gewissen Gegenständen: „Ich habe das schon oft gesehen, aber was es ist, weiß ich nicht”, bei andern, „Das schaut so aus, als wäre es irgendein Werkzeug, aber ich weiß nicht, was für eines”. In einem Fall sagt er, „Das ist ein Bleistift”, in einem andern, „Das ist Deine Feder”.
1 [einfach| bloß]
DIPLO
Was geschieht nun, wenn B einen Bleistift als Bleistift erkennt?
DIPLO
A habe1 ihm einen stabförmigen Gegenstand gezeigt, B nimmt ihn in die Hand und untersucht ihn; es zeigt sich, er besteht aus zwei Teilen, einer Kappe und einem Bleistift. B sagt: „Das ist ja ein Bleistift.” Wir könnten hier sagen: B hat schon gewußt, wie ein Bleistift aussieht; er hätte z.B. jederzeit einen zeichnen2 oder beschreiben können. Er wußte nicht daß das Ding, welches ihm gezeigt wurde, das enthielt, was er jederzeit hätte beschreiben können.
1 [ hat| habe]
2 [aufzeichnen| zeichnen]
224DIPLO
Vergleiche damit den Fall: Man zeigt B ein geschriebenes Wort, hält es aber verkehrt. B erkennt es nicht; nun drehen wir das Blatt Papier langsam; endlich sagt B: Jetzt seh' ich's, es heißt1 „Bleistift”. – Wir können sagen: Er hat gewußt, wie das Wort „Bleistift” ausschaut aber nicht2, daß das Wort, was man ihm zeigte, umgedreht so ausschauen würde.
1 [ist| heißt]
2 [; er wußte nicht| aber nicht]
DIPLO
In (89) und (90) könnten wir sagen, es sei etwas versteckt gewesen. Merke aber die verschiedenen Anwendungen von „versteckt”.
DIPLO
Vergleiche damit dies: Du liest einen Brief und kannst eines der Worte nicht entziffern. – Dann errätst Du aus dem Zusammenhang, es muß ‚Boden’ heißen; und nun kannst Du es lesen: Du erkennst diesen Strich als das ‚B’ diesen als das ‚o’ etc.. Dieser Fall ist verschieden von dem, in welchem das Wort durch einen Tintenklecks verdeckt war und Du nur1 aus dem Zusammenhang errietst, daß hier dieses Wort gestanden haben muß.
1 [bloß| nur]
DIPLO
Vergleiche damit: Du siehst ein Wort, kannst es aber nicht lesen; jemand verändert es ein wenig: er macht noch einen Strich dazu, verlängert einen, oder dergleichen; und nun kannst Du es lesen. In (90) hätte B sagen können „Ich habe auf das Wort geschaut während es gedreht wurde und ich habe gesehen, daß es sich nicht geändert hat. –
DIPLO
Angenommen, das Spiel bestehe darin, daß B dem A sagt, ob er einen Gegenstand erkennt; aber nicht, was der Gegenstand sei. Nach einem Hygrometer, das er nicht erkennt, zeigt A ihm einen gewöhnlichen Bleistift. B sagt, er erkenne ihn. – Was geschah da als er den Bleistift erkannte? Mußte er zu sich selbst sagen – obwohl er es dem A nicht sagte – dies sei ein Bleistift? Warum sollte das geschehen sein müssen? – Als was also erkannte er das Ding?
225DIPLO
Angenommen, er hätte zu sich selbst gesagt, „Das ist ein Bleistift”, könntest Du diesen Fall mit (89) und (90) vergleichen? In diesen Fällen konnte man sagen: „Er erkennt dieses Ding als jenes”, – wobei man z.B. für ‚dieses’ auf den verkappten Bleistift und für ‚jenes’ auf einen gewöhnlichen Bleistift zeigt1. Und analog im Fall (90).
1 [weist| zeigt]
DIPLO
In (93) veränderte sich der Bleistift nicht, und die Worte „Das ist ein Bleistift” bezogen den Gegenstand nicht auf ein Muster eines Bleistifts. B hätte auf die Frage „Was ist ein Bleistift?” unmittelbar auf diesen weisen können.
DIPLO
Aber als er sich sagte „Das ist ein Bleistift”, – wie wußte er das, wenn er das Ding nicht als irgend etwas erkannte? Das kommt aber darauf hinaus zu fragen: „Wie hat er ‚Bleistift’ als das Wort für dieses Ding erkannt?” Nun, wie hat er es erkannt? – Er hat mit diesem Wort auf den Anblick dieses Dinges reagiert.1 – Denke Dir, jemand zeigte Dir Farben und Du sollst sie benennen. Du sagst nun, auf eine Farbe weisend, „Das ist rot”. Wenn man Dich nun fragte „Wie weißt Du, daß das rot ist”, was könntest Du antworten?
1 [auf den Anblick des Dinges damit reagiert, daß er [diese Worte| dieses Wort] sagte.| mit diesem Wort auf den Anblick dieses Dinges reagiert.]
DIPLO
Es gibt freilich den Fall, in welchem dem B eine allgemeine Erklärung des Begriffs gegeben wurde z.B.: „Wir wollen ‚Bleistift’ alles nennen, was diese Form hat und auf Papier schreibt.” A zeigt nun dem B unter anderm einen Stift, B versucht ihn und sagt „Das ist ein Bleistift”. In diesem Falle könnten wir sagen, findet eine Ableitung statt; in (93) und (94) aber keine.
226DIPLO
Sollen wir nun sagen, daß B, als A ihm den Bleistift zeigte nach dem Hygrometer, das er noch nie gesehen hatte, beim Anblick des Bleistifts das Gefühl der Vertrautheit hatte? Stellen wir uns vor, wie es wirklich geschehen sein mag. Er sah den Bleistift, lächelte, fühlte Erleichterung, und sagte sich innerlich das Wort, oder sprach es aus.1
1 [das Wort kam ihm dabei in den Sinn, oder er sprach es aus.| sagte sich innerlich das Wort, oder sprach es aus.]
DIPLO
Aber wie ist es: haben wir hier1 ein ‚Gedankenexperiment’ gemacht? – Wie wissen wir denn, daß es sich so verhält, bloß dadurch, daß wir es uns so vorstellen? Was ist das für eine seltsame Weise, festzustellen, wie sich eine Sache verhält? – Oder geht es,2 weil diese Vorgänge in mir stattfinden und ich also nur in mich hineinzusehen habe? – Von ‚innen’ und ‚außen’ wollen wir später reden, – aber jedenfalls, sollte man meinen, die Sache müßte eben jetzt in mir vorgehen, wenn ich sie jetzt in mir sehen soll. Auch habe ich mich nicht an den Fall erinnert, denn er ist mir nie geschehen.
1 [nun| hier]
2 [ist es so,| geht es,]
DIPLO
Nun kann man ja wirklich ein Experiment machen, dadurch, daß man sich etwas vorstellt. Nicht ein Experiment in der Vorstellung, d.i., das bloße Vorstellungsbild eines Experiments. (Ein Laboratorium kann man nicht dadurch überflüssig machen, daß man sich Apparate und Versuche einfach vorstellt.) Wenn mich z.B. jemand fragt, „Wie begrüßt Du den N., wie gehst Du auf ihn zu?”, so kann ich, um antworten zu können, mir vorstellen N trete herein und ich mache etwa dabei die Bewegung des Begrüßens. Und dies ist ein Versuch. Er mag mich täuschen, und was wirklich in so einem Fall geschieht mag etwas anderes sein; aber die Erfahrung lehrt vielleicht daß wirklich meist das geschieht, was so ein Versuch zeigt. Hätte also die Frage gelautet, „Lächelt ein Mensch in so einem Fall?”, so hätte ich allerdings den Versuch durch ein Vorstellen1 machen können. – Weiß ich aber nun, daß man lächelt, oder nur, daß ich lächle? Und wenn das erstere, ist dann das Vorstellen nicht ein Erinnern? Jedenfalls nicht notwendigerweise ‚das Erinnern an bestimmte Fälle’.
1 [mit der Vorstellung| durch Vorstellen| durch ein Vorstellen]
227DIPLO
– Die Aufgabe wäre: „Mache, wie man auf jemand unter den und den Umständen zugeht.” Hier kann das Erinnern die Form der Nachahmung haben; und muß nicht etwa ein visuelles Erinnerungsbild da sein, wonach man1 sich beim Nachahmen2 richtet. Und wenn ich nun mich selbst nachahme, ist das Erinnerung? –
1 [er| man]
2 [bei der Nachahmung| beim Nachahmen]
DIPLO
Man sagt in solchen Fällen manchmal, nachdem man sich die Situation vorgestellt hat: „Von mir weiß ich sicher, daß ich in so einem Falle lächle, ich könnte gar nicht anders”. Aber könnte es nicht vorkommen, daß mir ein Augenzeuge sagte: „Ich versichere Dich, Du hast in diesen Fällen nie gelächelt”; und ist es nicht möglich, daß ich ihm glaubte?
228DIPLO
Aber um einen solchen Versuch hatte es sich in (95) nicht gehandelt. Denn die Frage war nicht, ob das und das uns bekannte Gefühl in dem1 Falle auftrete, oder nicht, sondern ob wir bei seiner Betrachtung ein Gefühl unterscheiden2, das wir ‚Gefühl der Vertrautheit’ (oder ‚Bekanntheit’) nennen wollen.3 Wenn ich also sagte: „Stellen wir uns vor, was in so einem Falle geschehen könnte4”, so hieß das: stellen wir uns den Fall einmal vor, ohne von dem Wort ‚Gefühl der Vertrautheit’ beeinflußt zu sein, also – wie wir sagen könnten – ohne grammatisches Vorurteil. Und wir könnten fragen: Hast Du nun noch das Bedürfnis zu sagen: er habe beim Anblick des Bleistifts das Gefühl der Vertrautheit?
1 [diesem| dem]
2 [sähen| unterscheiden]
3 [zu nennen bereit sind.| nennen wollen.]
4 [wirklich geschieht| geschehen könnte]
DIPLO
Aber ist jenes Gefühl der Erleichterung nicht gerade das, welches den Übergang vom Unvertrauten zum Vertrauten kennzeichnet? – Wir sagen in sehr verschiedenen Fällen jemand habe die Gefühle der Spannung und Entspannung, der Anstrengung, der Erleichterung, des Ausruhens: Jemand hält ein Gewicht mit gestrecktem Arm; sein Arm, sein ganzer Körper sind in einem Zustand der Spannung. Er läßt das Gewicht nieder, und empfindet Erleichterung. – Jemand läuft, – dann ruht er. – Er zerbricht sich den Kopf über ein Aufgabe im Euklid1; er findet die Lösung und ist nun entspannt2. – Er trachtet sich an einen Namen zu erinnern, – der Name fällt ihm ein.
1 [Er denkt angestrengt über eine Aufgabe im Euklid nach| Er zerbricht sich den Kopf über ein Aufgabe im Euklid]
2 [und [die| seine] Spannung hat nachgelassen| und ist nun entspannt]
DIPLO
Was aber haben alle diese Fälle mit einander gemein, daß wir sie alle „Fälle von Spannung und Entspannung” nennen?1
1 [ daß wir sagen, sie seien alle Fälle von Spannung und Entspannung?| daß wir sie alle „Fälle von Spannung und Entspannung” nennen?]
229DIPLO
– Warum gebrauchen wir den Ausdruck „im Gedächtnis suchen”, wenn wir uns einer Sache erinnern wollen? – Fragen wir uns: Worin liegt1 die Ähnlichkeit der Vorgänge: einen vergessenen Namen im Gedächtnis suchen, und, z.B., ein Buch im Schrank suchen? – Wie sieht die Antwort auf so eine Frage aus?
1 [besteht| liegt]
DIPLO
Eine Art der Beantwortung wäre jedenfalls die, eine Reihe von Bindegliedern zu beschreiben. So könnte man sagen, der Fall des materiellen Suchens, der dem Suchen im Gedächtnis am nächsten steht, ist nicht Suchen nach einem Buch im Schrank, sondern, Nachschlagen einer Stelle die wir vergessen haben, in einem Buch. Und nun könnte man weitere Fälle interpolieren. – Eine andere Art die Ähnlichkeit anzuzeigen wäre die: „In beiden Fällen kann ich zuerst etwas nicht aufschreiben und nachher kann ich es.” Oder die: „In beiden Fällen runzle ich die Stirn, mache ein verkniffenes Gesicht1 und erwäge Möglichkeiten”.
1 [kneife mein Gesicht zusammen| mache ein verkniffenes Gesicht]
DIPLO
Aber es ist wichtig, daß wir uns solcher Ähnlichkeiten nicht bewußt sein müssen, damit sich uns der Ausdruck „suchen im Gedächtnis” aufdrängt.
DIPLO
Vielleicht möchte man sagen: „Es muß uns doch eine Ähnlichkeit aufgefallen sein1, oder wir wären nicht geneigt, das gleiche Wort zu gebrauchen2”. Sage statt dessen: „Es muß uns eine Ähnlichkeit zwischen diesen Vorgängen aufgefallen sein3 oder wir wären nicht geneigt, das gleiche Bild zu ihrer Darstellung zu benützen4”. Das heißt, daß ein Akt dem Gebrauch des Bildes vorausgehen muß. Aber warum sollte das ‚Auffallen der Ähnlichkeit’ nicht zum Teil, oder ganz, darin bestehen, daß wir dasselbe Bild gebrauchen? Und warum sollte es nicht zum Teil oder ganz darin bestehen, daß sich uns der gleiche Ausdruck aufdrängt?5
1 [auffallen| aufgefallen sein]
2 [würden nicht das gleiche Wort gebrauchen| wären nicht geneigt, das gleiche Wort zu gebrauchen]
3 [auffallen| aufgefallen sein]
4 [würden nicht das gleiche Bild zu ihrer Darstellung benützen| wären nicht geneigt, das gleiche Bild zu ihrer Darstellung zu benützen]
5 [, daß wir [geneigt sind| uns gedrängt fühlen], den gleichen Ausdruck zu gebrauchen?|, daß sich uns der gleiche Ausdruck aufdrängt?]
230DIPLO
Wir sagen: „Dieses Bild (dieser Ausdruck) drängt sich mir unwiderstehlich auf”. Und ist1 das keine Erfahrung?!
1 [Ist| Und ist]
DIPLO
Wir haben es hier mit einem von vielen Fällen zu tun, denen wir in unserer1 Untersuchung immer wieder begegnen: Ein Wort wird unter anderem von uns zur Bezeichnung eines sogenannten ‚seelischen’ Vorgangs oder Zustandes verwendet, welcher2 eine Handlung vorbereitet; diese3 Vorbereitung ist in einer Klasse von Fällen die praktische Bedingung für das Zustandekommen der Handlung; wir sind gewohnt, zu sagen, der seelische Vorgang muß stattgefunden haben, damit die Handlung stattfinden konnte; wir sind nun geneigt eine solche seelische Vorbereitung zu postulieren als Vorbedingung der Handlungen: So sagen wir: „Man muß einen Befehl verstehen, ehe man ihn ausführen kann”, „Man muß wissen, wo etwas ist, um darauf zeigen zu können”,4 „Man muß die Melodie kennen, wenn man sie singen will”, „Die Ähnlichkeit muß uns aufgefallen sein, ehe wir sie ausdrücken können”.
1 [dieser| unserer]
2 [der| welcher]
3 [eine solche| diese]
4 [wo der Schmerz ist, damit man die Stelle zeigen kann”,| wo etwas ist, um darauf zeigen zu können”,]
DIPLO
Nimm an, ich hätte jemandem das Wort ‚ rot1’ erklärt, indem ich auf verschiedene rote2 Gegenstände gezeigt, und die Worte „Das heißt ‚ rot3’” dazu ausgesprochen, habe; was heißt es nun, wenn ich sage: „Wenn er die Bedeutung jetzt verstanden hat, wird er mir etwas Rotes4 bringen, wenn ich es verlange”? Dies scheint zu sagen: Wenn er das erfaßt hat, was allen den Gegenständen gemeinsam ist, die ich ihm gezeigt habe, wird er in der Lage sein, meinen Befehl zu befolgen. Aber was ist ihnen allen gemeinsam?
1 [blau| rot]
2 [blaue| rote]
3 [blau| rot]
4 [Blaues| Rotes]
231DIPLO
Kannst Du mir sagen, was einem lichten und einem dunkeln Rot1 gemeinsam ist? Vergleiche damit diesen Fall: Ich zeige Dir zwei Bilder:2 zwei verschiedene Landschaften; in beiden findet sich an irgendeiner Stelle der gleiche Busch. Ich sage: „Zeige mir das, was diesen beiden Bildern gemeinsam ist”. Du suchst die Bilder ab, dann zeigst Du zur Antwort auf den Busch.
1 [Blau| Rot]
2 [,|:]
DIPLO
[Dieses Beispiel vielleicht auszulassen] Oder: Ich zeige jemand zwei Haufen von Werkzeugen, und sage: „Das was in beiden Haufen vorkommt,1 heißt ‚Stemmeisen’”. Der Andre hat die Werkzeuge zu sortieren, bis er das findet, was in beiden vorkommt, und dadurch kommt er2, können wir sagen, zur hinweisenden Erklärung.
1 [beiden Haufen gemeinsam ist,| in beiden Haufen vorkommt,]
2 [ gelangt er| kommt er]
DIPLO
Oder ich gebe diese Erklärung: „In diesen zwei Bildern siehst Du verschiedene Farbflecken; der Farbton, der in beiden vorkommt, heißt ‚ Karmin’.” – Hier hat es einen klaren Sinn zu sagen: „Wenn er gesehen hat, was beiden gemeinsam ist, kann er mir nun auf meinen Befehl einen Gegenstand von jener Farbe bringen.
DIPLO

{<!> Vergleiche mit dem Vorgang beim Lesen unsrer gewöhnlichen Schrift das Lesen von Worten die ganz in großen Buchstaben gedruckt sind, wie manchmal die Auflösungen von Rätseln. Welch anderer Vorgang! – Oder lies unsre Schrift von rechts nach links!}
232DIPLO
Es gibt freilich dieses Spiel: Ich sage jemandem: „Ich werde Dir die Bedeutung des Zeichens (Wortes) ‚W’ erklären, indem ich auf verschiedene Gegenstände weise. ‚W’ bedeutet etwas, was ihnen allen gemeinsam ist”. Ich zeige ihm nun zuerst zwei Bücher, und er fragt sich: „Bedeutet ‚W’ ‚Buch’? – Dann zeige ich auf einen Ziegel, und er denkt: „Vielleicht bedeutet es ‚Rechteck’”. Endlich zeige ich auf eine glühende Kohle und er sagt sich: „Es bedeutet ‚rot’; alles, was er mir gezeigt hat, hatte etwas Rotes”; dabei läßt er vielleicht seinen Blick über alles was an den Gegenständen rot ist schweifen. Es wäre auch lehrreich diese Variante zu betrachten:
Der Andre soll in jedem Stadium des Spiels zeichnen oder malen, was er denkt, daß ich meine. Es wäre dann in gewissen Fällen klar, was er zu zeichnen hat.1 Hätten z.B. alle Gegenstände das gleiche Fabrikszeichen so wird er dieses aufzeichnen, wenn er glaubt daß ich es meine. Sind sie aber alle rötlich, was soll er malen? Welchen Ton von rot; und welche Form? Wie, wenn er ein andermal malen will2, daß alle rot und rund seien? Man sagt sich gleich, hier sei eine Abmachung nötig.
1 [zeichnen soll.| zu zeichnen hat.]
2 [wollte| will]
DIPLO
Wenn einer, auf verschiedene Töne von Rot zeigend fragte: „Was haben alle diese gemein, daß Du sie mit dem gleichen Wort benennst?”, – so möchte ich antworten: „Siehst Du es denn nicht?!”, – und damit habe ich natürlich nicht auf etwas Gemeinsames hingewiesen.1
1 [– und dies ist natürlich keine Antwort.| – und damit habe ich natürlich nicht auf etwas Gemeinsames hingewiesen.]
DIPLO
Es gibt Fälle, in denen, erfahrungsgemäß, ein Mensch Befehle, wie „Bring mir x1”, nicht ausführen kann, wenn er nicht vorher erkannt hat, was den Dingen gemein ist, auf die, bei der Erklärung des Wortes ‚x’2 gezeigt3 wurde. Und dieses Erkennen besteht etwa darin4, daß er auf das Gemeinsame zeigt, oder etwas aufzeichnet, oder sich vorstellt, oder ein bestimmtes Wort sagt, u.s.f. – Aber es gibt auch Fälle5, in denen so ein einleitender Prozeß nicht stattfindet; und wir dennoch sagen, er habe das Gemeinsame aller dieser Gegenstände6 welches wir meinten erkannt, wenn er nun den7 Befehl „Bringe mir ...” zu unserer Zufriedenheit ausführt.
1 [das und das| x]
2 [betreffenden [Wortes| Ausdrucks]| Wortes ‚x’]
3 [gewiesen| gezeigt]
4 [kann dann darin bestehen| besteht etwa darin]
5 [Dann aber gibt es Fälle| Aber es gibt auch Fälle]
6 [in den Gegenständen| aller dieser Gegenstände]
7 [meinen| den]
233DIPLO
„Warum nennst Du diese verschiedenen Erfahrungen, ‚Erfahrungen der Anstrengung’ und ‚Erfahrungen der Entspannung’?” – „Weil sie alle etwas miteinander gemein haben.” – „Was hat eine geistige Anstrengung mit einer körperlichen Gemeinsames?” – „Ich weiß es nicht; aber irgend eine Ähnlichkeit besteht ja offenbar.” – Warum sagtest Du dann aber, sie hätten etwas gemeinsam? – Du hast damit ein bestimmtes Bild gebraucht aber keine Erklärung gegeben. – Es kann ja sein daß allen Vorgängen, die wir Anstrengung (und Entspannung) nennen etwas gemeinsam ist, z.B. eine Art der Atmung, oder ein Spannungszustand gewisser Muskeln etc.. Kannst Du aber nicht sagen, welcher Art das Gemeinsame ist, so ist es keinerlei1 Erklärung: ihre Ähnlichkeit bestehe2 darin, daß ihnen etwas gemeinsam ist.
1 [keine| keinerlei]
2 [ besteht| bestehe]
DIPLO
Sollen wir nun sagen, Du hast ein besonderes ‚Gefühl des Ähnlichseins oder der Ähnlichkeit’, wenn Du die Erfahrungen miteinander vergleichst, und darum gebrauchst Du den gleichen Ausdruck für sie?
DIPLO
Stelle Dir diese Frage: Wann hast Du das Gefühl? – Denn was wir ‚zwei Erfahrungen vergleichen’ nennen ist ja ein zusammengesetzter1 Vorgang: Du riefst Dir etwa die beiden Erfahrungen nach einander in's Gedächtnis, denkst abwechselnd an die eine und an die andre; wann, während dies vorgeht, hast Du das Gefühl? – Was tut diese Frage? Sie nimmt uns die Lust, hier von einem bestimmten2 Gefühl zu sprechen.
1 [komplizierter| zusammengesetzter]
2 [besonderen| bestimmten]
234DIPLO
„Aber ich würde doch nicht sagen, die Vorgänge seien ähnlich, wenn ich nicht ein Erlebnis dieses Ähnlichseins1 hätte?” – Aber muß dieses Erlebnis ein Gefühl sein? Angenommen es wäre das Erlebnis, daß sich Dir das Wort ‚Ähnlichkeit’ aufdrängt, – würdest Du dies ein Gefühl nennen? – Ich sage nicht, daß hierbei nicht allerlei Gefühle auftreten!
1 [dieser Ähnlichkeit| dieses Ähnlichseins]
DIPLO
„Aber gibt es nicht ein Gefühl der Ähnlichkeit?” – Ich glaube es gibt eine Reihe von Gefühlen, die man Gefühle der Ähnlichkeit in speziellen Fällen nennen könnte. Wenn auch nicht ein Gefühl, oder ein Erlebnis, welches das Wahrnehmen der Ähnlichkeit wäre. Denke an Erfahrungen, die wir in solchen Fällen haben:
DIPLO
Es gibt eine Erfahrung des Beinahe-nicht-unterscheiden-könnens. Du siehst z.B. zwei Längen, oder zwei Farben, die beinahe ganz gleich sind und willst sehen, ob Du einen Unterschied in ihnen entdecken kannst, oder ob ihr Unterschied für den und den Zweck zu groß ist. Du siehst von einer zur andern, blinzelst, hältst den Atem an, wackelst mit dem Kopf, murmelst vielleicht Worte, u.s.f. Man könnte sagen: Zwischen all diesen Erfahrungen ist ja kaum Platz für ein Gefühl der Ähnlichkeit.
DIPLO
Wenn immer ich nun meinen Tisch sehe, sehe ich Hölzer1, die ganz oder beinahe gleich hoch sind; aber habe ich hier auch solche Erfahrungen des Nicht-unterscheiden-könnens?
1 [Tischfüße| Hölzer]
235DIPLO
Vergleiche mit dem ersten Beispiel eines, in welchem es keinerlei Schwierigkeit macht die ähnlichen Gegenstände zu unterscheiden. Ich sage z.B.: „Ich will diese beiden Beete von ähnlicher Farbe, ich will hier keinen starken Kontrast”. Die Erfahrung wenn der Blick von einem zum andern geht, könnte man hier ein sanftes Gleiten nennen.
DIPLO
Ich höre Variationen über ein Thema und sage: „Ich sehe noch nicht, inwiefern das eine Variation des Themas ist, aber ich merke eine gewisse Ähnlichkeit (Analogie).” Bei gewissen charakteristischen Punkten der Variation ‚wußte ich, wo ich im Thema bin’; und diese Erfahrung konnte darin bestehen, daß mir blitzartig die betreffende Stelle des Themas einfiel, oder es schwebte mir ihr Notenbild vor, oder ich machte die gleiche Geste, wie an jener Stelle, etc.
DIPLO
„Aber wenn zwei Farben einander ähnlich sind, so sollte doch meine Erfahrung dieser Ähnlichkeit darin bestehen, daß ich die Ähnlichkeit erfasse, welche besteht1.” – Aber ist nun ein bläuliches Grün einem gelblichen Grün ähnlich, oder nicht? Unter manchen Umständen2 werden wir sagen, sie seien ähnlich, unter andern, sie seien gänzlich unähnlich. Sollen wir sagen, wir haben da zwei verschiedene Relationen wahrgenommen, die zwischen den beiden Farben bestehen? – Nimm an, ich beobachte die allmähliche Veränderung der Farbe einer Substanz: ein bläuliches Grün geht nach und nach in grün, dann in gelbliches grün, in gelb und endlich in orange über.
1 [da ist| besteht]
2 [Unter gewissen Umständen| Unter manchen Umständen]
DIPLO
Ich sage Dir: „Es braucht nur eine kurze Zeit vom Bläulichgrünen zum Gelblichgrünen, die sind ähnlich.” – Setzt das nicht eine Erfahrung der Ähnlichkeit schlechtweg von Blaugrün und Gelbgrün voraus? – Die Erfahrung könnte sein, daß ich im Geist einen Farbenstreifen vor mir sehe, in dem Blaugrün und Gelbgrün nah am Grün liegen, und das Orange weiter zur Seite; oder ich sehe ein Grün vor mir, das bald ins Bläuliche bald ins Gelbliche schillert; oder ich sehe nichts vor mir und sage nur was ich sage (Dies wird später klarer werden. Es handelt sich darum, was sind die Paradigmen für die Verwendung des Wortes und welches die Gegenstände auf die es angewandt wird.). – Wenn ich aber über die Ähnlichkeit von Blaugrün und Gelbgrün und die Unähnlichkeit von Blaugrün und Orange nachdenke, empfinde ich jetzt etwa bei der Vorstellung dieses Farbenpaares etwas wie Spannung, ich mache ein Gesicht, gleichsam, als ob es mich ekelte, das Wort ‚Diskrepanz’ kommt mir in den Sinn; und beim ersten Farbenpaar mache ich ein versöhnliches Gesicht und fühle mich entspannt. Und es ist eine wichtige Tatsache, daß ich dabei ja mein Gesicht nicht sehe, sondern nur fühle.
236DIPLO
(Beachte die große Familie der Bedeutungen des Wortes „ähnlich”.)
DIPLO
Es ist nun etwas Bemerkenswertes an dem Satz: daß wir sowohl geistige, als auch körperliche Anspannung darum ‚Anspannung’ nennen, weil zwischen beiden eine Ähnlichkeit bestehe. Würden wir sagen: „Wir gebrauchen das Wort ‚ rot’ sowohl für ein lichtes Rot wie für ein dunkles, weil eine Ähnlichkeit zwischen ihnen besteht”? – Wenn man uns fragt: „Warum nennst Du das auch ‚ rot’?”, so möchten wir sagen: „Weil es auch rot ist”. – Hier möchte man als Erklärung vorschlagen: ‚ rot’ bezeichne etwas, was dem dunkeln und dem hellen Rot gemeinsam sei; und wenn wir mit ‚Anspannung’ auch etwas meinten, was der geistigen und der körperlichen Anspannung gemeinsam ist, dann wäre es falsch, zu sagen, sie hießen beide ‚Anspannung’ weil sie einander ähnlich seien1 und es wäre zu sagen:2 sie heißen3 ‚Anspannung’, weil Anspannung in beiden ist.
1 [sind| seien]
2 [ das Richtige:| es wäre zu sagen:]
3 [hießen| heißen]
237DIPLO
Was aber haben lichtrot und dunkelrot miteinander gemeinsam? Beim ersten Blick scheint die Antwort klar: Sie sind beide Schattierungen derselben Farbe, Rot. – Aber das ist nur eine Tautologie. Fragen wir so: Was haben diese beiden Farben, auf die1 ich zeige, mit einander gemeinsam ( und die eine sei ein Hellrot, die andre ein Dunkelrot)? – Die Antwort darauf könnte sein2: Ich weiß nicht, was für ein Spiel Du spielst; und davon hängt es ab, ob ich sagen soll3, sie haben etwas gemein, und was.
1 [welche| die]
2 [wäre etwa| könnte sein]
3 [kann| soll]
DIPLO
Nimm an: A zeigt B verschiedene Farbmuster und fragt ihn, was je zwei von ihnen miteinander gemeinsam haben. Als Antwort hat B auf das Muster einer reinen Farbe zu zeigen. Zeigt A ihm Rosa und Orange, so zeigt B auf ein reines Rot; zeigt A ihm zwei Schattierungen von bläulichem Grün, so zeigt B auf reines Blau und reines Grün, etc.. Zeigte A ihm in diesem Spiel lichtes und dunkles Rot, so wäre die Antwort nicht zweifelhaft. Zeigte er ihm reines Rot und reines Grün, so wäre die Antwort, diese beiden hätten nichts gemeinsam. – Aber ich kann mir leicht Umstände vorstellen, unter denen wir sagen würden, diesen beiden Farben sei etwas gemeinsam, und uns nicht bedenken würden zu sagen, was.1
1 [und auch ohne uns zu bedenken sagen würden, was.| und uns nicht bedenken würden zu sagen, was.]
DIPLO
– Stellen wir uns einen Sprachgebrauch vor (eine Kultur), in welchem es einen gemeinsamen Namen für grün und rot, und einen für blau und gelb gibt.
238DIPLO
Denke Dir etwa, Menschen nähmen in der sie umgebenden Natur ein ständiges Übergehen von roten Färbungen in grüne und von grünen in rote wahr, und zwar so wie wir es im Herbst an manchen Blättern sehen, die nicht zuerst gelb und dann rot werden, sondern die durch einen dunkel schillernden Ton vom Grünen ins Rote übergehen. Für diese Menschen gehören rot und grün immer zusammen. Es sind zwei Pole des Gleichen. Wollen sie in ihrer Sprache rot und grün unterscheiden, so fügen sie dem gemeinsamen Wort eines von zwei Adverben bei, wie wir dem Wort ‚Rot’ die Worte ‚hell’ oder ‚dunkel’. Auf die Frage, ob diese beiden Färbungen (eine rote und eine grüne) etwas mit einander gemeinsam haben, sind sie geneigt zu antworten: ja, beide seien ...
239DIPLO
Umgekehrt könnte ich mir auch eine Sprache (und das heißt wieder eine Form des Lebens1) denken, die zwischen Dunkelrot und Hellrot eine Kluft befestigt. etc.
1 [Lebensform| Form des Lebens]
DIPLO
Vergleiche (106) und (102): in beiden konnte die Frage lauten: „Welche Farbe haben sie gemeinsam1?” und auch die Antwort die gleiche Form haben obwohl die Fälle gänzlich verschieden sind.
1 [Welches ist die gemeinsame Farbe|Welche Farbe haben sie gemeinsam]
DIPLO
Eine Worterklärung könnte lauten: „Was diesen beiden Farben gemeinsam ist, nenne ich ‚ rot’” – dabei zeige ich auf ein bläuliches und auf ein gelbliches Rot. Und jemand könnte diese Erklärung verstehen; d.h. z.B. einen Befehl „Bring mir noch einen roten Gegenstand” daraufhin richtig ausführen. Aber vielleicht bringt er mir etwas Blaues und ich möchte sagen: „Er scheint irgend eine Ähnlichkeit zu bemerken zwischen diesem Ding und den Mustern, die ich ihm gezeigt habe”. <!>
DIPLO
[Bemerkung]: Manche Menschen, wenn sie einen Ton nachsingen sollen, den man auf dem Klavier anschlägt, singen regelmäßig die Quint des Tons. So könnte man sich1 daher eine Sprache denken, die den gleichen Namen für Grundton und Quint hat. – Denke nun es fragte jemand: „Was haben Grundton und Quint miteinander gemein?” – Zu sagen, sie haben eine gewisse Affinität, ist natürlich keine Erklärung. (Erklärung der Affinität des ersten und zweiten Gedankens eines Sonatensatzes)
1 [Man könnte sich| So könnte man sich]
DIPLO
Sollen wir sagen, geistige und körperliche Anstrengung seien ‚Anstrengungen’ im gleichen Sinn des Worts, oder in verschiedenem Sinn? –
DIPLO
Es gibt Fälle, in denen uns die Antwort auf eine solche Frage nicht zweifelhaft ist.1 Betrachte den folgenden Fall:

[I. Variante] { „Ich meine mit ‚rot’, was diesen beiden Farben gemeinsam ist”: Könnte nicht jemand diese Erklärung verstehen? – Warum nicht, er könnte z.B. einen Befehl „Bring mir noch einen roten Gegenstand” daraufhin richtig ausführen. – Vielleicht aber bringt er mir nun einen blauen Gegenstand, und wir werden geneigt sein2 zu sagen: Er scheint eine Ähnlichkeit zwischen den beiden Mustern und diesem Ding zu bemerken. }
1 [Es gibt Fälle, in denen wir eine Frage solcher Art unbedenklich beantworten.| Es gibt Fälle, in denen uns die Antwort auf eine solche Frage nicht zweifelhaft ist.]
2 [sind geneigt| werden geneigt sein]
240DIPLO
[II. Variante] { Eine Worterklärung könnte lauten: „Was diesen beiden Farben gemeinsam ist, nenne ich ‚rot’”. Und jemand könnte diese Erklärung verstehen. Er würde z.B. einen Befehl, „Bring mir noch einen roten Gegenstand”, daraufhin zur Zufriedenheit1 ausführen. ... [wie in I] }
1 [richtig| zur Zufriedenheit]
DIPLO
[III. Variante] { Betrachte den Satz: „Ich meine mit ‚rot’, was diesen beiden Farben gemeinsam ist”. – Könnte denn nicht jemand diese Erklärung verstehen? – Gewiß; er würde1 ... [wie in II]. – Vielleicht aber ..., und wir sind dann geneigt zu sagen: ... }
1 [könnte| würde]
DIPLO
Jemand hat den Gebrauch der Wörter ‚heller’ und ‚dunkler’ gelernt. Er kann z.B. einen Befehl ausführen „Male einen dunkleren Farbton als diesen!”, oder die Frage beantworten „Welche von diesen Farben ist dunkler?” u.s.f.. – Nun sage ich zu ihm: „Ordne die Vokale a e i o u nach der Dunkelheit ihres Klanges!” – Vielleicht sieht er nur verdutzt drein und tut nichts; vielleicht aber überlegt er und ordnet nun die Vokale etwa so: i, e, a, o, u. (Dies tun tatsächlich viele Menschen.) Nun könnte man vielleicht1 glauben, die Vokale müßten dazu in der Vorstellung des Menschen Farben erzeugen und er ordne eben diese Farben. So verhält es sich aber nicht. Die Vokale werden, ohne Dazwischenkunft von Farbenbildern nach ihrer Dunkelheit geordnet.
1 [vielleicht Einer| man vielleicht]
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Würden wir nun gefragt, ob u wirklich dunkler ist als e, so sind wir geneigt zu sagen: „Nein, – es macht mir irgendwie einen dunklern Eindruck”.
DIPLO
Wir könnten nun Einen, der gesagt hätte „u klinge dunkler1 als e”, fragen: „Was war es, das Dir dieses Wort eingab? Warum gebrauchst Du hier das Wort ‚dunkler’?”
1 [ist dunkler| klinge dunkler]
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Hier besteht wieder die Versuchung zu sagen: „Du mußt etwas gesehen haben, was der Beziehung, die zwischen Farben besteht und der Beziehung die zwischen den Lauten besteht gemeinsam ist.” – Wenn er nun aber nichts solches angeben kann! –
DIPLO
Beachte die Ausdrucksweise „Du mußt ...”. Damit will man nicht sagen: „Die Erfahrung hat mich gelehrt, daß man in solchen Fällen etwas sieht, etc.”. Aber darum sagt dieser Satz auch über die Tatsachen nichts aus. (Er schlägt eigentlich eine Darstellungsweise vor.)
DIPLO
Sagt mir nun jemand: „Ich sehe eine Ähnlichkeit zwischen dunkel hier und dunkel dort, aber ich kann nicht sagen, worin sie besteht”, so sage ich ihm: „Das charakterisiert Deine Erfahrung der Ähnlichkeit.”
DIPLO
Denke Dir Du siehst auf zwei Gesichter und sagst: „Sie sind einander ähnlich, – aber ich weiß nicht worin die Ähnlichkeit besteht”. Dann nach einer Weile sagst Du: „Jetzt weiß ich's. Ihre Augen haben die gleiche Form”. – Nun ist Deine Erfahrung der Ähnlichkeit eine andre, als vorher. Das ist natürlich eine grammatische Bemerkung; wie die: „Wenn man ‚näher hinsieht’, sieht man klarer wie der Gegenstand1 ausschaut; aber nicht, wie das Gesichtsbild ausschaut, das man hatte.”
1 [das Ding| der Gegenstand]
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Nun zu der Frage: „Warum gebrauchst Du hier das Wort ‚dunkler’?” – Die Antwort könnte sein: „Ich habe es nicht aus irgendeinem Grund gebraucht. Aber ich kann das sagen: ich gebrauche nicht nur das Wort, sondern ich gebrauche es auch im gleichen Ton, und mit dem gleichen Gesichtsausdruck und der gleichen Geste, wie wenn ich von etwas Sichtbarem rede.1 – So ist es auch, wenn wir von tiefem Schlaf, tiefer Traurigkeit, und einem tiefen Wasser2 reden.
1 [ [wie von etwas Sichtbarem.| wie wenn ich es von etwas Sichtbarem sage.]| wie wenn ich von etwas Sichtbarem rede.]
2 [Brunnen| Wasser]
DIPLO
Es gibt Menschen, die unter den sieben Wochentagen fette und magere unterscheiden; und meine Erfahrung, wenn ich einen Wochentag als fett empfinde, besteht darin, daß mir das Wort ‚fett’ kommt, etwa mit einer Mimik die Beleibtheit und eine gewisse Bequemlichkeit ausdrückt.
DIPLO
Sage nicht, dies sei nicht die eigentliche Erfahrung, denn man müsse zuerst den Tag als fett empfinden ehe man das Wort ‚fett’ für ihn braucht und die Gebärde dazu macht. Warum muß man? Ist Dir eine solche frühere1 Erfahrung bewußt? – Und wenn nicht, – ist dieses ‚muß’ dann nicht der Ausdruck eines grammatischen Vorurteils? – Vielmehr lernst Du aus diesem und ähnlichen Fällen eine wichtige Gebrauchsart des Wortes ‚empfinden’.
1 [erste| frühere]
DIPLO
Wir sind nun geneigt zu sagen ein Vokal sei nicht in demselben Sinne dunkler als ein andrer, in dem eine Farbe dunkler ist, als eine andre. Denn das hieß es ja: u sei nicht wirklich dunkler als e etc.. – Betrachte nun dieses Beispiel:
243DIPLO
Wir haben jemand die Farbnamen ‚rot’ und ‚grün’, durch hinweisende Erklärungen verstehen gelehrt. Er kann z.B. Befehle ausführen, in denen diese Wörter gebraucht werden. <!> Ich zeige ihm nun einen Haufen Blätter; einige von ihnen sind braun mit einem rötlichen Stich, die andern gelb, mit einem grünlichen. Ich sage ihm: „Lege die grünen und die roten Blätter auf zwei Haufen!”. Es ist leicht möglich, daß er daraufhin die rötlichen von den grünlichen trennt. – Soll ich nun sagen, die Worte ‚rot’ und ‚grün’ sind hier in demselben Sinne gebraucht, wie in den früheren, normalen, Fällen, oder in verschiedenem, wenn auch ähnlichem, Sinn? Welche Gründe kann man für die letztere Auffassung angeben? Man kann, z.B., darauf hinweisen, daß er auf den Befehl ‚Male einen roten Fleck!’ wenn ihm alle Farben zur Verfügung stehen gewiß keinen braunen mit einem rötlichen Stich gemalt hätte; und darum, könnte man sagen bedeutet ‚rot’ in den beiden Fällen etwas Verschiedenes.1 Ich könnte aber auch sagen: „Es hat immer die gleiche Bedeutung. Die Umstände der Anwendung sind hier etwas andere.”
1 [ Ich zeige ihm nun einen Haufen von Blättern, von denen einige rötlich braun, die andern grünlich gelb gefärbt sind und sage: „Lege die roten und die grünen Blätter auf zwei Haufen”. Er wird daraufhin vielleicht die rotbraunen und die grünlichgelben Blätter voneinander scheiden. – Habe ich nun hier die Worte ‚rot’ und ‚grün’ in demselben Sinn gebraucht, wie in früheren, normalen, Fällen, oder in anderem, wenn auch ähnlichem, Sinn? Welche Gründe würde man für die letztere Auffassung angeben? Man kann, z.B., [anführen,| darauf hinweisen,] daß er auf den Befehl ‚Male einen roten Fleck!’ wenn ihm alle Farben zur Verfügung stehen gewiß keinen braunen mit einem rötlichen Stich gemalt hätte; und darum, könnte man sagen bedeutet ‚rot’ in den beiden Fällen etwas Verschiedenes. | <!> Ich zeige ihm nun einen Haufen Blätter; einige von ihnen sind braun mit einem rötlichen Stich, die andern gelb, mit einem grünlichen. Ich sage ihm: „[Sortiere die grünen und die roten Blätter|[Sortiere|Lege] die grünen und die roten Blätter auf zwei Haufen]!”. Es ist leicht möglich, daß er daraufhin die rötlichen von den grünlichen trennt. – Soll ich nun sagen, die Worte ‚rot’ und ‚grün’ sind hier in demselben Sinne gebraucht, wie in den früheren, normalen, Fällen, oder in verschiedenem, wenn auch ähnlichem, Sinn? Welche Gründe kann man für die letztere Auffassung angeben? Man kann, z.B., darauf hinweisen, daß er auf den Befehl ‚Male einen roten Fleck!’ wenn ihm alle Farben zur Verfügung stehen gewiß keinen braunen mit einem rötlichen Stich gemalt hätte; und darum, könnte man sagen bedeutet ‚rot’ in den beiden Fällen etwas Verschiedenes. ]
DIPLO
Als Kriterium dafür daß das Wort zwei Bedeutungen hat gilt uns in manchen Fällen daß es zwei verschiedene Erklärungen des Wortes gibt. Wir sagen dann nicht nur daß das Wort in zwei verschiedenen Bedeutungen verwendet wird, sondern auch, welches diese zwei Bedeutungen sind. So sagen wir das Wort ‚Bank’ habe zwei Bedeutungen, denn einmal bedeutet es diesen Gegenstand (eine Sitzbank) ein andermal diesen (die Kreditbank). Und die Gegenstände, auf die ich weise sind hier die Muster nach denen ich mich bei der Benützung des Wortes zu richten habe. Soll ich nun sagen das Wort ‚rot’ habe verschiedene Bedeutungen, weil ich es auf verschiedene Farbtöne1 anwende? – Denken wir uns diesen Fall: Irgendwo gebrauchen die Menschen die Farbwörter ‚rot’, ‚grün’, ‚blau’, ‚gelb’ stets in Verbindung mit Mustern dieser Farben, welche2 sie bei sich tragen. Alle Muster von Rot haben den gleichen Ton und ebenso wird auch nur ein Ton von Grün als Muster verwendet, etc.. Ihre Farbwörter sind Zeichen die sie mit den Händen geben, und auf jedem Mustertäfelchen ist ein solches Zeichen abgebildet. Beim Gebrauch der Zeichen sehen sie stets nach, welches Täfelchen das Zeichen trägt, das gegeben wurde,3 u.s.f.. Sie gebrauchen aber diese Muster für verschiedene Töne von Rot, Grün, etc. Holen also auf einen Befehl „Bring mir ein grünes Blatt!” bald dieses bald jenes Grün u.s.f.
1 [Töne| Farbtöne]
2 [die| welche]
3 [der Andre gibt,| gegeben wurde,]
245DIPLO
Man wird geneigt sein, zu sagen, daß in dieser Sprache jedes der Farbwörter nur eine Bedeutung hat und1 vielleicht daß es das bedeutet, was allen roten Tönen (etc.) mit einander gemein sei. – „Aber gebrauchen sie nun ihr Muster für das, was den verschiedenen Rot gemeinsam ist, oder einfach, einmal für den einen Ton, einmal für den andern, also ‚in verschiedenen Bedeutungen’?” – Aber nimm nun an, Du brachtest auf jemandes2 Befehl „Bring mir zwei rote Bücher”, ein zinnoberrotes und ein karminrotes Buch3: Wie hast Du das Wort ‚rot’ des Befehles angewendet? Hast Du das darunter verstanden, was den beiden Farben4 gemeinsam ist, oder einfach, einmal Zinnober und einmal Karmin?
1 [,| und]
2 [den| jemandes]
3 [Zinnoberrotes und ein Karminrotes| zinnoberrotes und ein karminrotes Buch]
4 [Rot| Farben]
DIPLO
Denke Dir diesen Fall: Ein Volk besitzt kein Wort welches unserm ‚rot’, oder ‚grün’, etc., entspricht sondern für jedes dieser Wörter hat es fünf verschiedene, für fünf Helligkeitsgrade der Farben. Wenn diese Leute Deutsch lernen, wundern sie sich, daß es da bloß ein Wort für diese fünf gibt. Würden sie nicht sagen, unser ‚rot’ habe fünf verschiedene Bedeutungen?
DIPLO
Denke Dir eine Sprache, in welcher das Wort ‚rot’, in verschiedenen Tonlagen ausgesprochen, auf verschiedene Helligkeitsgrade der Farbe Rot1 angewendet wird. Hier, würden wir sagen, bedeutet es Verschiedenes, je nach dem Ton, in dem es ausgesprochen wird. Aber wir könnten auch sagen: „Es bedeutet immer das gleiche; und der Ton zeigt den Helligkeitsgrad an.”
1 [von Rot| der Farbe Rot]
DIPLO
Oder, – müssen wir nicht sagen, daß für sie unser Wort ‚rot’ fünf verschiedene Bedeutungen hat? Besonders, wenn wir uns denken, daß Einer, wenn er das Wort bei uns hört sich im Geiste alle seine fünf Wörter hersagt und die Farbtöne dazu1 vorstellt. Gewöhnte er sich aber nach und nach an unsern Sprachgebrauch lernte er ‚auf Deutsch denken’, – würden wir da nicht vielleicht sagen, er sähe nun das Gemeinsame aller jener Töne?
1 [dabei| dazu]
246DIPLO
Denke Dir, Menschen lernten den Gebrauch der Farbwörter zuerst beim Mischen von Malfarben. Sie haben sechs Farbnäpfe: Rot, Blau, Grün, Gelb, Weiß, Schwarz. Die sechs Farbwörter lernen sie zuerst auf die sechs Farbstoffe anwenden. Sie machen dann vielfache Übungen, wie diese: es werden ihnen einfärbige Muster1 gezeigt; sie müssen sagen ‚aus welchen Farben diese Mischfarben bestehen’, ‚Welche von diesen Mischfarben rot enthalten’ u.dergl.2. Später lernen sie Befehle wie ‚Bring mir etwas Rotes’ ausführen und zwar auch so, daß sie einen Gegenstand bringen dessen Farbe ‚genügend rot enthält’. – Hier würde man gewiß sagen, für sie bedeutet ‚rot’ was diesen Tönen gemeinsam ist.
1 [Gegenstände| Muster]
2 [u.s.f.| u.dergl.]
DIPLO
„Können wir nicht zwei Töne von Rot, sagen wir, Karmin und Zinnober, einmal als Farben auffassen, die rot miteinander gemein haben, – einmal, einfach als zwei einigermaßen ähnliche Farbtöne, oder, als zwei Farbtöne die reinem Rot ähnlich sind?” – Ja; aber in welchen Fällen würdest Du sagen, daß wir dies tun, und worin besteht dieses ‚einmal so – einmal anders auffassen1’? – Wer z.B. durch die Schule (119) gegangen ist, dem wird vielleicht, wenn er sagt, zwei Dinge (ein zinnoberrotes und ein karminrotes) seien beide rot, dabei eine Zerlegung von Farben vorschweben und darin kann das Auffassen der beiden Töne als Mischfarben bestehen, oder das Auffassen des Rot als ihr gemeinsamer Bestandteil. Wir werden später noch von dem Auffassen (oder Sehen) von Etwas als Etwas reden. Sehr verschiedene Vorgänge nennen wir so; und nicht einen einfachen grundlegenden Vorgang, wie unsere Ausdrucksweise uns zu glauben verleitet. <!>
1 [Auffassen| auffassen]
247DIPLO
– Wir könnten uns vorstellen, daß Menschen die Farbwörter je nach dem Gebiet von Gegenständen, von denen sie reden, in verschiedener Weise gebrauchten. Sie sagen von1 einem Pferd, es sei rot, wenn es nach unsern Begriffen braun ist mit einem leichten rötlichen Stich; sie reden von ‚blauen’ Pferden und meinen weiße mit einem bläulichen Schimmer; für Kühe2 sind die Begrenzungen ihrer Farbbegriffe wieder etwas anders, und wieder anders für Äpfel und Pflaumen und wenn sie vom Brennen der Ziegel reden3 etc.. (Es wäre das vergleichbar damit, daß Menschen verschiedenerlei Längenmaß für Holz, Tuch, etc. haben.) Wenn ich nun ihre Ausdrucksweise lernen sollte, und von einem Pferd sagen muß, es sei blau, das ich nie anders als weiß oder weißgrau genannt hätte, so würde ich mir gewiß sagen: „Das heißt bei ihnen ‚blau’”4, und obwohl ich gleichsam verstünde, daß sie das ‚blau’ nennen, so bedeutet nun ‚blau’ für mich doch etwas Neues.5 D.h. zeigt man mir zwei Farbtöne die beide ziemlich nahe reinem Blau sind und fragt mich, ob das Wort ‚blau’, auf diese beiden angewandt, dieselbe Bedeutung hat, so bin ich geneigt zu sagen, es hat dieselbe, und vielleicht auch: Blau ist6 das, was beide Gegenstände sind, das Blau ist7 nur einmal ein wenig mit Weiß, einmal ein wenig mit Grün ‚legiert’. (Ich sage ja auch zwei Ketten sind aus Gold, wenn die eine etwas mehr Kupfer enthält, als die andre. Hier rede ich also von Blau als dem gemeinsamen ‚Hauptbestandteil’. Beachte den Gebrauch von ‚ziemlich nahe’; ich hätte auch sagen können ‚ziemlich ähnlich.) Zeigt man mir aber ein solches Blau und dazu jenes Weißgrau mit der Spur des bläulichen Schimmers, und fragt mich, ob ‚ Blau’ dasselbe bedeutet, wenn man diese beiden ‚ Blau’ nennt, – so sage ich wohl, nein; und ich werde hinzufügen: „Das sind ja ganz verschiedene Farben nur mit einer leisen Verwandtschaft.” Oder: „‚Blau’ bedeutet hier eigentlich, ‚Weiß mit einem Stich ins Blaue’”. Denn, soll ich zeigen, welche Farbe ich ‚blau’ nenne, so werde ich zur Erklärung nicht auf so ein Weiß zeigen. Aber die Leute in unserm Beispiel sagen vielleicht: „Blau, bei Pferden, ist das, bei Pflaumen das, etc.”. Wenn man sie aber fragt, ob bei ihnen ‚blau’ Verschiedenes oder immer nur Eines bedeutet8, so kann ich mir vorstellen, daß sie antworten: „‚Blau’ heißt immer nur blau. Natürlich ein blaues Pferd schaut anders aus als der blaue Himmel etc.!”
1 [So sagen sie von| Sie sagen von ]
2 [bei Kühen| für Kühe]
3 [bei Äpfeln und Pflaumen und [Ziegeln| gebrannten Ziegeln]| für Äpfel und Pflaumen und wenn sie vom Brennen der Ziegel reden]
4 [„‚ Blau’ bedeutet hier bei ihnen das| „Das heißt bei ihnen ‚blau’”]
5 [andres als gewöhnlich.| Neues.]
6 [sei| ist]
7 [sei| ist]
8 [heißt| bedeutet]
248DIPLO
Aber ich höre den Einwand:1 „‚Blau’ ist doch nicht die Farbe eines hellblauen oder dunkelblauen Gegenstandes2 sondern, es ist der Begriff unter den die Farbe des Dinges fällt” oder „‚Blau’ bedeutet die Klasse aller blauen Farben”. ‚Klasse’ ist ein logisches Modewort, wir müssen von ihm noch reden, und es ist damit hier nichts erklärt, und ebensowenig mit der Verwendung des Wortes ‚Begriff’. Aber wir könnten aus diesem Beispiel allerdings etwas über die Biegsamkeit des Begriffes ‚Begriff’ lernen.
1 [Vielleicht aber sagst Du:| Aber ich höre den Einwand:]
2 [Körpers| Gegenstandes]
249DIPLO
Wir haben die Idee, der Mensch, der das Wort ‚blau’ versteht, seine Bedeutung kennt, trage in seiner Seele ein Bild dieses Begriffes1. Frage Dich aber: „Wie sieht dieses Bild aus?” – Von jener2 Metapher ausgehend kann man aber sagen: Das Wort hat für Dich eine Bedeutung, wenn Du geneigt bist, Dir selbst nur eine hinweisende Erklärung des Wortes zu geben. (Lernst Du also die Sprache der Leute im Beispiel (121) und memorierst die Farbtöne, die diese ‚blau’ nennen, so bedeutet das Wort einmal das, einmal das.)
1 [daß der Mensch, der das Wort ‚blau’ versteht, seine Bedeutung kennt, in seiner Seele ein Bild dieses Begriffes trägt| der Mensch, der das Wort ‚blau’ versteht, seine Bedeutung kennt, trage in seiner Seele ein Bild dieses Begriffes]
2 [dieser| jener]
DIPLO
Wir konnten nicht entscheiden ob im Beispiel (114) ‚rot’ nur eine, oder zwei Bedeutungen habe –1 aber nehmen wir an, der, dem ich den Befehl gebe, sagt: „Es sind zwar hier keine roten und grünen Blätter, aber ich verstehe Dich”, und darauf sortiert er sie. Oder: er hat sonst Befehle von der Art, „Sortiere diese Gegenstände etc.”, ohne sich zu bedenken ausgeführt; als ich ihm aber den gab, die Blätter zu sortieren, sah er zuerst auf den Blätterhaufen2 und stutzte; dann fing er an rötlich braune und grünlich gelbe zu sortieren. – Oder er besinnt sich einen Augenblick und sagt zu sich selbst: „Er meint wohl diese”, dabei blickt er auf ein rotbraunes und ein grüngelbes Blatt, dann führt er den Befehl aus.3 – Dies, können wir sagen, bedeutet daß jene Blätter für ihn nicht in demselben Sinne ‚grün’ und ‚rot’ sind wie die Dinge, die früher so genannt wurden. – Befolgt er anderseits meinen Befehl ohne das geringste Bedenken, ‚als wäre es ganz selbstverständlich’, daß ich diese Worte hier gebrauche,4 so liegt es nahe, zu sagen, sie haben für ihn auch in diesem Befehl ihre alte Bedeutung. – Wollte man aber sagen: „Also müssen sie – der, welcher sich erst besinnen mußte und der Andere welcher den Befehl wie selbstverständlich ausführte –5 verschiedene Bilder der Begriffe in seiner6 Seele getragen haben”, – so würde ich antworten: „Was Du sagst kann eine Hypothese sein zur Erklärung der Tatsachen, die ich beschrieben habe, oder auch ein Gleichnis, unter welchem7 Du diese Tatsachen darstellst; aber es ist nicht etwas, was aus den Tatsachen folgt.”8
1 [;|]
2 [Haufen| Blätterhaufen]
3 [sortiert er.| führt er den Befehl aus.]
4 [hier die Worte ‚rot’ und ‚grün’ gebrauche,| diese Worte hier gebrauche,]
5 [muß der, welcher sich erst besinnen mußte und der welcher den Befehl, wie selbstverständlich, ausführte| müssen sie – der, welcher sich erst besinnen mußte und der Andere welcher den Befehl wie selbstverständlich ausführte –]
6 [ihrer| seiner]
7 [wodurch| unter welchem]
8 [es folgt nicht aus den Tatsachen.”| es ist nicht etwas, was aus den Tatsachen folgt.”]
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   Franz Hespe